erschienen im Neuen Deutschland
am 23.12.2004

Robert Kurz

DIE ÖKONOMISTISCHE AUFERSTEHUNG DER RELIGION

Gott ist tot, sagte Nietzsche. Nietzsche ist tot, sagt Gott. Und zwar durch die Münder seiner neuesten Propheten, die merkwürdigerweise alle Volkswirtschaftler und Management-Theoretiker sind. Seit Beginn der neuen kapitalistischen Weltkrise und der damit verbundenen neoliberalen Wende haben sämtliche Glaubensgemeinschaften angefangen, sich zu ökonomisieren auf Teufel komm raus. Die großen Kirchen verstehen sich zunehmend als Dienstleister in Sachen Sinnstiftung, die Trost und Erbauung verkaufen wie MacDonalds Hamburger oder Beate Uhse Reizwäsche. Und die finsteren evangelikalen Sekten, die von den USA aus die Dritte Welt missionieren, sind sowieso aufgebaut wie transnationale Konzerne, worin sie übrigens der Terror-Organisation Al Kaida gleichen. Überall werden die Gemeinden durchrationalisiert wie VW und die Glaubensmärkte erforscht wie die Märkte für Schokoriegel oder für Tretminen. Marketing ist alles in einer Welt, die sogar Gott in eine Ware verwandeln kann und ihn so als wandelnde Leiche aus dem Grab erweckt hat.

Nachdem sich die Religion freundlicherweise derart ökonomisiert und dem Zeitgeist an den Hals geworfen hat, beeilen sich nun im Gegenzug die Ökonomen ebenso höflich, ihren Gegenstandsbereich religiös zu machen. Man erinnert sich dankbar der 1905 erschienenen Untersuchung von Max Weber über den inneren Zusammenhang von Kapitalismus und Protestantismus, wobei inzwischen gnädigerweise auch der Katholizismus und die Religiosität überhaupt in das volkswirtschaftliche Wohlwollen einbezogen werden. Lediglich dem Islam wird nachgesagt, wen wunderts, dass er Privateigentum und Wettbewerb nicht so ganz mag. Ansonsten aber ist nicht nur Geiz geil, sondern auch Gläubigkeit. Wie immer geht es dabei in der Volkswirtschaftslehre streng wissenschaftlich zu. So hat, wie das Handelsblatt berichtet, der Harvard-Wachstumstheoretiker Robert Barro zusammen mit Rachel McCleary in 59 Ländern untersucht, ob das "Ausmaß der Religiosität" eines Landes "signifikante Korrelationen zu makroökonomischen Variablen wie dem Pro-Kopf-Einkommen" aufweist. Und siehe da: Überall dort, wo intensiver als anderswo "der Glaube an Himmel und Hölle" ausgeprägt ist, da gibt es auch eine tolle "Performance der Volkswirtschaft". Wer das für Realsatire hält, kommt in die Hölle.

Dieses postmortale Schicksal droht Stefan Baron, dem Chefredakteur der Wirtschaftswoche, garantiert nicht. "Macht Glaube erfolgreicher?", titelte sein Blatt rechtzeitig vor Weihnachten, illustriert durch Dürers "betende Hände" - um die positive Antwort sogleich am Beispiel der Sparten "Politik, Management, Karriere und Geld" durchzuexerzieren. "Am Ende wird Glauben sogar zu einem Gebot der Vernunft", sinniert der Chefredakteur, und sieht zusammen mit dem nicht mehr ganz taufrischen Philosophen Jürgen Habermas eine "post-säkulare Gesellschaft" heraufziehen.

Vielleicht geht es aber den Ökonomen in Sachen Religiosität weniger um den Erfolg als vielmehr um die Krisenbewältigung. Schon der Religionsverächter Voltaire hatte ja bemerkt, Gläubigkeit seit gut für Dienstboten und Frauen, um diese Teile der Menschheit besser unter der Knute halten zu können. Denn der Glaube, so hat Robert Barro weiter herausgefunden, bewirkt meist Tugenden wie Arbeitsmoral und nicht zuletzt Duldsamkeit. Die Religion als "überlebenswichtige Voraussetzung eines Moralgerüsts" (Stefan Baron) läßt womöglich auch die Akzeptanz von Hartz IV und anderen sozialen Scheußlichkeiten steigen. Dann bräuchte die Schröder-Regierung auch gar nicht mehr stimmungsaufhellende Psychopharmaka ins Trinkwasser schütten lassen, wie einige Verschwörungstheoretiker argwöhnten, sondern volle Kirchen würden genügen. Freilich, wenn das alles der schiere Blödsinn ist, dann könnte das Titelbild der Wirtschaftswoche ungewollt eine andere Krisenbotschaft enthalten, nämlich die ziemlich trostlose, dass der kapitalistischen Welt nur noch beten hilft.