Translation: Crítica do feminismo neoconservador de Birgit Kelle – ou a miséria da análise no milieu queer.

Thomas Meyer

Kritik des neokonservativen Feminismus von Birgit Kelle – oder: zum analytischen Elend im Queer-Milieu

Birgit Kelle ist mittlerweile vielen ein Begriff. Ihre zahlreichen Auftritte im deutschen und österreichischen Staatsfernsehen, ihre Reden auf homophoben Demonstrationen („Demo für Alle“), ihre Publikationstätigkeiten im konservativen und neurechten Milieu1 sprechen eine deutliche Sprache. Ihre Bücher erweisen sich als Bestseller2. Ihre Kritik am „Genderwahn“, am Feminismus, an den Bildungsplänen für sexuelle Vielfalt in Südwestdeutschland, d.h. der so genannten „Frühsexualisierung“, lässt so manches neurechte oder neokonservative Herz höher schlagen.

Kritik bleibt derweil nicht aus. Von vielen Seiten wird ihr Homophobie, Rechtspopulismus und Antifeminismus vorgeworfen3. Was Letzteres angeht so versteht sich Kelle aber ihrem eigenen Anspruch nach selbst als Feministin, da, so Kelle, der handelsübliche Feminismus à la Alice Schwarzer nicht die Interessen der Mehrheit der Frauen vertrete.

Im Folgenden soll skizziert werden, wie Kelle ihren „feminen Feminismus“ begründet und warum die Kritik an ihr zum Teil am Wesentlichen vorbeigeht. Wobei ich hier betonen möchte, dass es hier nicht um die Kritik an Kelles Homophobie und ihre prinzipielle Abneigung gegen die Bildungspläne für sexuelle Vielfalt gehen soll (oder um eine Kritik dieser Kritik). Es geht hier um andere Aspekte ihres Denkens, welche von ihren Gegnern nicht zur Kenntnis genommen werden. Anscheinend hat sich niemand Kelles Bücher genauer angeschaut. Fernsehschauen, Bloggeblubber und Facebookshitstorm genügen wohl den meisten.

Der queeren Szene ist folglich auf Grund ihrer analytischen Schwäche und ihrer Ignoranz der sozialen Realität gegenüber vorzuwerfen, dass konservative Publizistinnen wie Birgit Kelle ein relativ leichtes Spiel haben.

Sie kritisiert, dass der Staat keine Mühe scheue, durch öffentliche Kitas usw. das Verbleiben der Kinder bei den Eltern so kurz wie möglich zu halten, um die Eltern (vor allem die Frauen) so schnell wie möglich wieder in Arbeit zu bringen: „Fast alle politischen Parteien haben sich darauf verständigt, Mutterschaft auf ein Minimum zu reduzieren, damit die Frauen möglichst schnell wieder dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen…Es ist keine wirkliche Frauenpolitik und auch keine Errungenschaft der Emanzipation, dass ich mein Kind nun so schnell wie möglich abgegeben soll. Es ist nichts als Kapitalismus pur5. Muttersein als Hindernis für den Arbeitsmarkt. Bloß keine Pause, bloß kein Nachdenken, man könnte ja auf die Idee kommen, dass das Leben noch mehr zu bieten hat. Die Frauen werden gebraucht in Wirtschaft und Produktion. Punkt. Um nichts anderes geht es hier, und dafür ist jedes Mittel recht6….Fehlt eigentlich nur noch, dass wir Schwangerschaften gesetzlich auf sechs Monate verkürzen….Drei Monate mehr für die Wertschöpfungskette auf dem mütterlichen Arbeitsmarkt….Von einem Brutkasten zum nächsten, dann nahtlos weiter in die Krippe, Kita, Ganztagsschule, Turbo-Abitur, schnell ein Bachelor, ein unbezahltes Praktikum….Wer aufmuckt, wird mit Ritalin ruhiggestellt. Konsequenterweise sollten wir gleich die Kreißsäle in die Kitas verlegen, das spart Zeit und Geld….Tatsächlich bedient eine Politik, die Frauen unbedingt und möglichst schnell nach der Geburt in die Berufstätigkeit drängen will, nichts anderes als wirtschaftliche Interessen. Und so betätigt sich hier ausgerechnet der Feminismus als Steigbügelhalter für einen Kapitalismus übelster Ausprägung, in dem nur noch derjenige etwas zählt, der zum Bruttosozialprodukt beiträgt, nicht aber derjenige, der unbezahlte oder gar ehrenamtliche Arbeit leistet.“ (Kelle 2013, S.70 ff,138).

Kelle bedauert desweiteren, dass Frauen in dieser traditionellen Rolle nicht mehr anerkannt würden: „Was wir verloren haben, ist die Anerkennung für das, was Frauen seit Jahrtausenden selbstverständlich tun: Kinder bekommen, sie großziehen, die Familie zusammenhalten, die nächste Generation auf den Weg bringen.“ (Kelle 2013, S.203). Diese Haltung ist aber nur konsequent, wenn die Lohnarbeit nicht in Frage gestellt wird und frau sich zu Recht nicht einreden lässt, dass das Aufziehen von Kindern eine minderwertigere Aufgabe ist als etwa die Lohnsklaverei in einer Bürohölle.

Wenn unter feministischer Emanzipation nur die Integration in die kapitalistische Verwertungsmaschinerie verstanden wird, ist schon durchaus nachvollziehbar, wieso dieses Ziel von vielen nicht für allzu erstrebenswert gehalten wird. Kelle sieht klar, dass Familie und (Vollzeit)Beruf sich nicht vertragen; insofern muss man sich über die Zahlen, der von ihr zitierten Studie nicht wundern, nach der 70% alle Mütter lieber in Teilzeitarbeit sein würden bis ihre Kinder das 18. Lebensjahr erreicht haben7. Folgt man aber dem Imperativ des bürgerlichen Feminismus, dann verzichtet frau entweder auf Kinder oder sie ist als Berufstätige de facto doppelt belastet. Aufgrund ihrer nicht vorhandenen radikalen Kapitalismuskritik ist es nicht verwunderlich, dass Kelle das traditionelle bürgerliche Geschlechterverhältnis essentialisiert. Folgerichtig wird von Kelle, wie man es wohl nicht anders erwarten wird, der abgespaltete Bereich (von Kelle natürlich nicht so bezeichnet), die bürgerliche Heterofamilie, mehr oder weniger idealisiert8. Wobei ihr tatsächlicher Focus an einigen Stellen eher Mittelschichtsfamilien sind, wenn sie schreibt: „Eine intakte Familie benötigt auch keine staatliche Intervention, denn sie verursacht keine Zusatzkosten. Sie beschäftigt im Idealfall keine Sozialämter und keine Familiengerichte, ist also ein Gewinn für die Gesellschaft, weil stabil und zukunftsfördernd.“ (Kelle 2013, S.171). Die soziale Realität vieler Familien sieht freilich anders aus.

Im Fall des „Genderwahns“ listet Kelle in ihrem Buch „Gender-Gaga“ allerhand auf, wovon einiges, durchaus zu Recht, als Unsinn denunziert wird. Konservative haben da ein leichtes Spiel, sich über diese Dinge zu echauffieren, wenn man und frau sich anscheinend nicht für wichtigere Dinge interessieren können, wie Sozialkritik und Ökologie etwa.

Das Geschlechterverhältnis wird in entsprechender Szenerie nicht fetischistisch gedacht, sondern als „Spielmarke“ wie Adorno es formulieren würde. So echauffiert sich Kelle über die große Auswahl an „Geschlechtern“ bei Facebook, wobei es sich hier nicht wirklich um Geschlechter handelt, sondern um sexuelle Vorlieben: „Liest man die Liste der Facebook-Geschlechter, ist schnell erkennbar, dass diese ziemlich eigenwilligen Definitionen von Geschlecht oft nichts anderes sind als eine Aussage darüber, wer es gerne mit wem oder gar wie tun würde.“ (Kelle 2015, S.43).

Es in Zeiten der Postmoderne, der Zeit der narzisstischen Subjektattrappen nicht verwunderlich, dass jede noch so unwichtige Befindlichkeit oder persönliche Vorliebe sogleich zur Identität aufgeblasen wird, die auf Anerkennung pocht.9

Längst ist der Gender-Diskurs zu einer Absurdität verkommen, man denke an die Debatte um das „Ampelweibchen“ in Berlin (Kelle 2015, S.105 ff). Die Echauffierung Kelles ist meines Erachtens gut nachvollziehbar. Als wenn es nichts Besseres zu tun gäbe…

Wie bereits angedeutet, kommen nun auch die Kritiken an Kelle nicht zu einer radikalen Infragestellung des bürgerlichen Geschlechterverhältnisses und der kapitalistischen Verwertungsdynamik und bleiben damit substanzlos. Es genügt nicht, wie bei Andreas Kemper zu lesen, dass der Antifeminismus, den sie vertritt, alt ist (obwohl sie sich als Feministin, im Sinne einer Fürsprecherin der Frauen, sieht) und dass sie mit katholischen Religionsfaschisten („Legionäre Christi“) gemeinsame Sache macht. Kelle führt aber einen Sachverhalt an, mit dem man nur (theoretisch) fertig wird, wenn man die kapitalistische Totalität, d.h. das geschlechtliche Abspaltungsverhältnis radikal kritisiert und davon ist bei der Kritik an ihr nichts zu sehen. Ein Feminismus, sei dieser nun staatlich oder nicht, eine queere Szene, die sich nur auf Dekonstruktion von Geschlecht und Sprachfetischismus versteht, sollte sich also über den Zuspruch, den Kelle erfährt, eigentlich nicht allzu sehr wundern. Sie trifft nämlich einen Punkt, der von einem dekonstruktivistischen Zugang nicht erfasst werden kann (und von einem staatlichen Quoten- und Kita-Feminismus schon gar nicht): denn trotz aller Dekonstruktion und aller Pluralität der Lebensentwürfe gibt es doch einen fetischistischen Zwang zum binären Geschlechterverhältnis. Die Doppelbelastung von Frauen, die Lohnsklaverei und die damit einhergehenden Bedingungen, unter denen Kinder im Kapitalismus aufgezogen werden müsse, lassen sich nicht einfach wegdekonstruieren. Egal, welcher Szene man und frau sich anschließen und welche „Geschlechtsspielmarke“ sie sich anheften: Die grenzenlosen Zumutungen des Kapitalismus verschwinden dadurch nicht. Geschlechterverhältnisse und -Identitäten sind eben nicht nur etwas Performatives. Wird das gesellschaftliche Ganze, das Allgemeine, ausgeblendet, wird dann gern die eine oder andere Partikularität oder Identität affirmiert. Unkritisch wird dann die eine oder andere Polarität eines gesellschaftlichen Strukturverhältnisses positiv besetzt: sei es der abgespaltene Bereich oder der öffentliche.