Startseite Krise und Kritik der Warengesellschaft


Robert Kurz

DIE MUTTER ALLER SCHLACHTEN

Im Schatten der Kriegsereignisse geraten die Ursachenkomplexe schnell aus dem Blickfeld. In den modernen Gesellschaften ist die kapitalistische Ökonomie die Mutter aller Dinge und insofern auch die wahre Mutter aller Schlachten. Die subjektiven Beweggründe und ideologischen Motive sind nicht zu erklären ohne die Objektivität der weltkapitalistischen Entwicklung. Der Irak-Krieg unterscheidet sich von den Weltordnungskriegen der 90er Jahre vor allem dadurch, daß er nicht mehr im Zeichen der großen Finanzblasen-Scheinprosperität steht. Die Börsen-Baisse hat nicht nur Geldkapital in astronomischen Größenordnungen vernichtet und eine globale Konjunkturflaute ausgelöst, sondern damit auch eine tiefgehende Krise der Banken- und Versicherungssysteme heraufbeschworen.

Die dahinschmelzenden Buchwerte der Aktienbeteiligungen reißen gewaltige Löcher in Bilanzen und Eigenkapital, die Flut von Insolvenzen läßt "faule Kredite" in einem Ausmaß wie vorher schon in Japan und Südostasien nunmehr auch in der EU und in den USA zurück. Gleichzeitig droht der Fluß von Steuern, Gebühren und Versicherungsbeiträgen noch mehr zu versiegen. Die Sozialversicherungssysteme wanken ebenso wie die kommerzielle Finanzarchitektur. Schon im Februar fand ein "Geheimtreffen" von Kanzler Schröder mit führenden Bankenvertretern statt, bei dem nach dem Muster Japans die Gründung einer staatlichen Auffanggesellschaft für faule Kredite ("Bad Bank") vorgeschlagen wurde, um eine dramatische Zuspitzung der Bankenkrise in der BRD zu verhindern. Und da die Krise die Krise nährt, ist der zweite und eigentliche Rückschlag auf die Realwirtschaft nicht mehr weit. Die weltweite Konjunkturflaute geht dann möglicherweise nicht in den nächsten Aufschwung, sondern in eine große Weltdepression über.

Diese allgemeine Problemsituation wird überlagert vom spezifischen, seit langem aufgebauten und allgemein bekannten Krisenszenario der letzten Weltmacht USA. Der konkurrenzlose High-Tech-Militärapparat ist nicht nur ungeeignet, die Gewaltbarbarei in den globalen Zusammenbruchsregionen zu befrieden, er steht auch selber ökonomisch auf tönernen Füßen. Die historisch beispiellose Binnen- und Außenverschuldung der USA hat längst die Schmerzgrenze erreicht. Allein der ständige Zustrom von Geldkapital aus aller Welt hält eine Scheinökonomie am Leben, die im Gegenzug den Reichtum dieser Welt durch einen ebenso beispiellosen Importüberschuß verknuspert. Es ist oft gesagt worden: Nur noch an diesem Tropf hängt inzwischen die Weltkonjunktur. Noch ist die US-Finanzblase nicht so stark geschrumpft wie die asiatische und europäische, aber der Kollaps ist in Sichtweite gerückt.

Vor diesem Hintergrund läßt sich eine vom Zentrum USA ausgehende globale Notstandspolitik erklären, in der scheinbar disparate Momente ineinandergreifen. Dazu gehört auch der Krieg im Irak, der nur ein Auftakt sein dürfte. Der rücksichtslose Einsatz des High-Tech-Gewaltapparats soll den weltweiten Kontrollanspruch bekräftigen und den weiteren Zufluß von Geldkapital erzwingen. Soweit dabei das Öl eine Rolle spielt, geht es weniger um die auch ohne Militärintervention mögliche Sicherung der Reserven, sondern zwecks Stabilisierung der Finanzmärkte um die "Option" einer drastischen Preissenkung, was die Opec-Länder ebenso ruinieren würde wie Rußland. Gleichzeitig soll diese "Krisenlösung" flankiert werden durch eine mit aller Härte forcierte weitere Globalisierung des Kapitals unter US-Regie und die damit verbundene bewußte Zerstörung sämtlicher sozialer und ökologischer Sicherungssysteme weltweit. Wenn einige westliche Großbanken mit entsprechenden realwirtschaftlichen Konsequenzen über die Klinge springen müssen, dann soll das außerhalb der USA geschehen. Eine derart brutalisierte Krisenpolitik impliziert notwendigerweise auch die Zerschlagung des bisherigen legitimatorischen Systems (Uno, Völkerrecht).

Der Dissens von Chirac, Schröder und Putin mit der US-Administration hat nicht das geringste mit einer traditionellen nationalimperialen Konkurrenz um Arbeitskräfte (das schon gar nicht!), Märkte, Rohstoffe und "Einflußsphären" zu tun. Vielmehr geht es um das "Wie" des globalen Krisenregimes. Einig ist man sich über die Liquidation von sämtlichen sozialen Ansprüchen. Im Gegensatz zur US-Politik schreckt jedoch ein Teil der EU-Regierungen vor einer direkten US-Militärdiktatur im Nahen Osten und in den globalen Zusammenbruchsregionen ebenso zurück wie vor der bewußten Ruinierung der Opec und vor allem Rußlands. Um die soziale Liquidation angesichts institutioneller Widerstände leichter durchziehen zu können, wollen sie auch Reste des nationalstaatlichen bzw. internationalen legitimatorischen Systems und der nationalökonomischen Kohärenz (siehe "Bad Bank") retten.

Gleichzeitig wissen sie allerdings genau, daß sie in jeder Hinsicht auf Gedeih und Verderb von den USA abhängig sind, die qua Extremverschuldung die Geldkapital- wie die Warenströme der Welt ansaugen und damit den Schein gelingender Verwertungsprozesse aufrecht erhalten. Ein Kollaps der US-Ökonomie und ein weiterer Absturz des Dollar würde nicht etwa die Macht der EU stärken, sondern sie qua Zusammenbruch der Exportstrukturen gleich mit ruinieren; wie die Europäer übrigens auch auf Jahrzehnte hinaus zur eigenständigen militärischen Kontrolle der gobalen Krisenprozesse unfähig wären. Deshalb setzt der rücksichtsloseste und reaktionärste Teil der "global players", des Finanzkapitals und der politischen Klasse in der EU und auch in der BRD voll auf die "Falken" der Bush-Administration. Ein transnationaler Krisen- und Minderheitskapitalismus soll mit der gepanzerten Faust des nationalen Militärapparats der letzten Weltmacht sein globales Terror-Regime ausüben, das in blanke Irrationalität übergeht.

Das bedeutet nichts anderes als das Aufbrechen des unheilbaren Widerspruchs von Globalisierung der kapitalistischen Ökonomie und ihrem Wesen nach nationalstaatlicher Verfaßtheit der kapitalistischen Politik. Die ohnehin brüchige "Achse" Paris-Berlin-Moskau bildet weder nach außen noch nach innen eine tragfähige Alternative. Jede schon bisher mit zunehmender sozialer Ausgrenzung und Repression erkaufte Politik einer bloßen Schadensbegrenzung in den festgeschriebenen Grenzen der herrschenden Weltordnung ist zum Scheitern verurteilt. Solange sich die Menschen nicht in völlig eigenständigen sozialen Bewegungen von ihrer kapitalistischen Domestizierung emanzipieren, werden sie bloße Manövriermassen verschiedener Varianten des globalen Krisenregimes bleiben.