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gender und wert...

vorbemerkung der redaktion zum interview mit roswitha scholz

Im Mittelpunkt der zweiten Hälfte des Interviews steht die Auseinandersetzung mit Judith Butlers viel diskutiertem Buch Das Unbehagen der Geschlechter und dessen Auswirkungen. Roswitha Scholz versucht, Butlers Theorie zu kontextualisieren und betrachtet vornehmlich deren Rezeption in Deutschland. Durch diese Einschränkung auf eine mit recht kritisierte Rezeption droht unserer Meinung nach zu wenig über Butlers Texte selbst diskutiert zu werden.

Wir hoffen, daß so zum einen der Hintergrund anderer in dieser Zeitschrift veröffentlichter Texte ein wenig transparenter wird und daß die leider etwas eingeschlafene Debatte um das Abspaltungstheorem und die Theorie Butlers wieder in die Gänge kommt.

Interview mit der KRISIS-Autorin Roswitha Scholz

Wodurch setzt sich deine Kritik des Patriarchats von anderen Marxismen ab ? Was ist das Originäre dabei?

Was ist das wertförmige Patriarchat?

Meiner Meinung nach müssen nun sowohl der Bereich der abstrakten Arbeit als auch der Bereich der Kindererziehung, des Haushalts u.ä. kritisiert und ihre patriarchal-kapitalistische Trennung aufgehoben werden. In diesem Zusammenhang kann nicht allein die Ware-Geld-Beziehung, der ‘Wert’ als Form der Vergesellschaftung angenommen werden, sondern auch die geschlechtsspezifische Abspaltung, die gewissermaßen den Schatten des ‘Werts’ darstellen, also weder mit ihm identisch noch etwas ganz anderes als er ist, müßte als formgebende Negativkategorie mitberücksichtigt werden.

Weil sich diese Abspaltung nicht bloß auf der ‘harten materiellen’ Ebene der Tätigkeiten vollzieht, sondern auch die geschlechtsspezifischen Konstruktionen und Zuschreibungen umfaßt, sie also auch eine kulturell-symbolische und sozialpsychologische Seite hat, reicht das Marxsche Begriffsinstrumentarium auch nicht aus, um derartig komplexe Zusammenhänge zu erfassen, sondern es müßten ebenso diskurstheoretische, psychoanalytische Ansätze usw. miteinbezogen werden.

Ich halte auch nichts von den feministischen Bestrebungen in den 70er Jahren, den ‘Wert’ von Hausarbeit erfassen zu wollen und somit im Grunde den Begriff der abstrakten Arbeit auch in den Privatbereich auszudehnen. Dies u.a. deshalb, weil ich denke, daß der sogenannte Reproduktionsbereich eine eigene Logik hat und nicht mit den Begriffen des Produktionsbereichs erfaßt werden kann. Es gehen hier Haltungen, Emotionen usw. mit ein, die sich gegen die Kriterien der ‘abstrakten Arbeit’ sperren.

Entscheidend ist für mich also das Wert-Abspaltungsverhältnis als gesellschaftliches Formprinzip auf einer ‘großtheoretischen’ Ebene (wobei ‘Großtheorien’ ja bekanntlich seit den 80ern völlig aus der Mode gekommen sind). In diesem Verhältnis (und den damit einhergehenden Hierarchisierungen) besteht für mich das wertförmige Patriarchat im wesentlichen. Das bedeutet auch, daß sich mein Ansatz in einem anderen Bereich bewegt als der von marxistischen Feminismen, die es sich zur Aufgabe gemacht haben (m.E. soziologisch und altmarxistisch verkürzt), bloß den patriarchalen Mann-Frau-Gegensatz als zweite Zentralreferenz neben den Kapitalist-Proletarier-Gegensatz in den marxistischen Ansatz ‘einzubauen’. (...)

Freilich gibt es innerhalb des Wertabspaltungsverhältnisses, das selbst eine Geschichte hat und nicht immer dasselbe ist, auch Veränderungen, denen es kritisch Rechnung zu tragen gilt. So gehört es z.B. heute im Gegensatz zu früheren Zeiten auch zum Selbstbild von Frauen, daß sie sowohl Familie als auch Beruf anstreben, wobei ihnen die kids und der Haushalt nach wie vor primär zufallen.

Die Individualisierungstendenzen der letzten Jahre bringen es nun mit sich, daß es für viele (offenbar besonders für jüngere) Frauen so erscheint, als sei dies im Prinzip nur ihr individuelles Problem, das nichts geschlechtsspezifisch Strukturelles mehr an sich habe - schließlich sei es ja ihre Wahl und sie könnten sich auch jenseits traditioneller Geschlechtertypisierungen nur für ‘den Beruf’ entscheiden (...). Daß dieses Dilemma ein ‘typisch weibliches’ in der Postmoderne ist und sich dieses Problem auch bloß aufgrund einer bestimmten Sozialisation von Frauen überhaupt so stellt, gerät zwar nicht völlig aus dem Blick, verschwimmt dabei aber tendenziell.

Blödsinnigerweise beziehen sich nun etliche Frauenforscherinnen positiv-populistisch auf derartige Bedürfnisse, anstatt die Borniertheit der postmodernen Frau, die ‘alles will’ und dabei energiemäßig baden geht, zu kritisieren und klarzustellen, daß beides idiotisch ist und es vielmehr um eine Transformation der Gesellschaft überhaupt geht, d.h. auch um die Aufhebung der getrennten gesellschaftlichen Bereiche ‘Männlichkeit’ und ‘Weiblichkeit’, egal wie sie sich auch heute historisch konkret darstellen mögen.

Was kritisierst du am Ansatz von Judith Butler?

In diesem Sinne ist ‘Realität’ eben nicht bloß eine sprachlich und diskursiv erzeugte. Problematisch ist in diesem Zusammenhang generell, daß in den 90ern im Feminismus konstruktivistische Theorien in den verschiedensten Varianten große Prominenz erlangten und inzwischen den Mainstream bilden; Theorien also, die sich um die großen gesellschaftlichen Fragen (Bürgerkriege, ökologische Probleme, Dritte-Welt-Problematik, das Obsoletwerden der ‘abstrakten Arbeit’ usw.) nicht mehr kümmern.

Welchen Zusammenhang siehst Du zwischen Judith Butler und "postmodernen Phänomenen"?

(...) In der Geschichte hat die Abspaltung in bestimmten Epochen - nebenbei gesagt - dazu geführt, daß ‘Weiblichkeit’ als grundsätzlich verachtete durchaus auch idealisiert wurde und man/frau sich in der abstrakten Negation der abstrakten Wertvergesellschaftung und in falscher Unmittelbarkeit unhistorisch auf die Suche nach dem ‘echten’ Körper, der ‘eigentlichen’ Natur etc. machte, so z.B. in der Romantik und in manchen Teilen der Alternativbewegung der 70er und 80er Jahre.

Bei einigen scheinen die neuen Entwicklungen des Kapitalismus zu Entwirklichungs-Empfindungen zu führen. In den 90ern ist auffällig, daß sich vor allem (wenn auch keineswegs nur) jüngere Studentinnen mit der Butlerschen Theorie, die den Körper nur noch als Diskursprodukt betrachtet, anfreunden können. Höchstwahrscheinlich liegt das auch daran, daß der Erfahrungshintergrund der 90er-Jahre-Jugendlichen schon von Anfang an eine weithin durchmedialisierte und durchkommerzialisierte kasinokapitalistische Gesellschaft ist, deren Ausbau in den letzten zehn bis zwanzig Jahren mit atemberaubender Geschwindigkeit vor sich ging.

Gespiegelt wird diese Entwicklung nicht nur von Medientheorien der Subjektlosigkeit, die die Wirklichkeit als nur mehr medienproduzierte annehmen, sondern auch von entsprechenden Diskurstheorien, die die Wirklichkeit bloß noch als diskursproduzierte sehen. (...) Es muß deswegen eben genauso gefragt werden, welches Interesse das postmoderne Subjekt eigentlich hat, sich als völlig subjektlos zu imaginieren. (...)

Was kritisierst du an Butlers Anregung zum parodistischen Spiel mit den Geschlechtsidentitäten?

Butlers Theorie paßt so aber nichtsdestoweniger oder vielleicht gerade deshalb zu der ‘Etikettenbesessenheit’, der Wichtigkeit von Markennamen in den 80ern und 90ern (Schuhe von Adidas müssen es sein, Klamotten von Benetton usw.). Vermittelt stützt sie auch die Ideologie des (Kasino-)Kapitalismus, zu dem es keine Alternative mehr zu geben scheint: "Haste was, biste was". Dies auch dadurch, daß sie eine Naturalisierung des Künstlichen, des Scheins betreibt. Schein und Realität verschwimmen bei ihr, letztlich läßt sie die Wirklichkeit völlig in der Scheinhaftigkeit aufgehen. Mir geht es um eine Aufhebung des Geschlechterverhältnisses, Butler hingegen gibt sich mit einer m.E. bloß oberflächlichen Störung der symbolischen Ordnung zufrieden. (...)

Meines Erachtens wäre der antipatriarchale Kampf von Frauen (und Männern) im hier und heute nötig, ohne deswegen undistanziert bloß an den unmittelbaren Bedürfnissen und am aktuellen Stand der Gesellschaft zu kleben. Das Ziel der Aufhebung des patriarchal-kapitalistischen Systems und seiner Subjektformen dürfte nicht in ‘falscher Unmittelbarkeit’ aus den Augen verloren werden. (...)Von derartigen Zielsetzungen und einer entsprechenden Praxisausrichtung ist heute das Gros der Frauenbewegung, das sich mit der weltumspannenden Existenz des Kapitalismus abgefunden hat, meilenweit entfernt.

Man/frau könnte somit auch sagen: Ich bin in einem umfassenderen Sinn als Butler dafür, die Geschlechterordnung als historisch-gesellschaftliche Konstruktion zu begreifen und nicht bloß als kulturelle, diskursproduzierte. (...) Damit wird der dominierenden Zwangsheterosexualität und der Geschlechterhierarchie nichts substantiell Bedeutsames entgegengesetzt, sondern es werden die tatsächlichen Mechanismen und Zusammenhänge fatalerweise sogar noch verschleiert. Von ihnen wird durch - buchstäblich - symbolische Ersatzhandlungen abgelenkt, ganz konform und in gewisser Weise ‘funktional’ im Sinne des patriarchal-kapitalistischen Systems in einer bestimmten Epoche.

Exemplarisch zeigt sich das daran, daß ausgerechnet seit Mitte der 80er Jahre, als der Androgynitätsdiskurs im Feminismus sich immer mehr ausweitete, bis er in der Butlerschen Konzeption meines Erachtens kulminierte, zusammen mit einer verharmlosenden Individualisierungsdebatte, die das Geschlechterverhältnis unaufhaltsam in Auflösung imaginierte (so Ulrich Beck), in Wirklichkeit seither die Lohnschere zwischen Männern und Frauen sogar noch weiter aufgegangen ist, anstatt sich in dieser Zeit mehr zu schließen! (wie oberflächlich zu erwarten gewesen wäre) (...)

Wie nimmst du die Psychoanalyse in deinen Ansatz mit auf?

Der Rekurs auf die gesellschaftlich-individuelle Ebene scheint mir (...) als psychoanalytischer Zugang zur patriarchal-kapitalistischen Gesellschaft nicht ausreichend zu sein, wie ich vielleicht in meinem Aufsatz suggeriert habe. Weitergehend denke ich, daß die Psychoanalyse auch im Zusammenhang mit der kulturell-symbolischen Ebene in die Theoriebildung einbezogen werden müßte. Das Dilemma dabei ist, daß sowohl Ansätze, die in der strukturalistischen Tradition ihre Wurzeln in der französischen psychoanalytischen Theorie haben, als auch das Konzept von Butler von einer prinzipiellen Unveränderbarkeit des symbolischen Systems ausgehen und dieses daher bei ihnen - auf jeweils unterschiedliche Weise - eben etwas starr Strukturalistisches hat.

Bei Butler, von der die Theoriebildung in den 90ern entscheidend geprägt wurde, kann dieses System nur oberflächlich gestört, nicht aber aufgehoben werden. Insofern hat ihr Konzept durchaus ein dickes ontologisches Moment, wenn auch nicht auf einer biologistisch-anthropologischen Ebene. In ihrem neuen Buch Körper von Gewicht nimmt sie im Gegensatz zum Unbehagen der Geschlechter zwar die psychoanalytische Dimension wieder auf, tut dies jedoch selbst wiederum nur in einer strukturalistischen Diktion. (...)