Startseite Krise und Kritik der Warengesellschaft


erschienen in EXIT! Heft 2
am 23.03.2005

Frank Rentschler

Das Geschlecht des aktivierenden Staates

Entfesselung männlicher Konkurrenzsubjekte und Erzeugung rechtloser Dienstbotinnen

Der folgende Beitrag versucht von einem wertabspaltungskritischen Ansatz aus eine Vertiefung der Überlegungen, die in dem Aufsatz "Der Zwang zur Selbstunterwerfung" im letzten EXIT!-Heft (Rentschler 2004 a) angestellt wurden. Die Hintergründe des dort analysierten "aktivierenden Staates" sollen stärker beleuchtet werden.

Rekapitulieren wir noch einmal kurz die dortige Analyse: Die vollständige Transformation des ehemaligen Wohlfahrtsstaates in ein autoritäres Workfareregime ist mit den Hartz-Gesetzen vollzogen worden. Wer zukünftig aufgrund fehlender Alternativen auf das neue ALG II angewiesen ist, bekommt dieses nur, wenn er seiner vollständigen Entrechtung zustimmt. So entstehen rechtlose Untertanen. Sie können gezwungen werden, ihre Arbeitskraft zu Löhnen anzubieten, von denen sie nicht leben können. Auch nahezu sämtliche sonstigen Kriterien für zumutbare Arbeit entfallen bei ihnen. Die ihnen angetragenen Arbeiten werden daher nicht dazu führen, dass der ALG-II-Bezug und damit der rechtlose Status beendet werden kann.

Indem die ehemaligen Lohnersatzleistungen zu lohnergänzenden Leistungen werden (ausführlich dazu: Bongards 2004), bekommt Sozialpolitik die Funktion, denjenigen, die noch bürgerliche Rechte haben, billige Dienstboten zuzuführen. Insofern ist es angebracht, von einer Dienstbotengesellschaft zu sprechen. Für Holger Schatz deutet sich gar eine "Refeudalisierung im Vergesellschaftungsmodus der Arbeit an, ohne dass von neuen Formen der Leibeigenschaft gesprochen werden kann" (Schatz 2004: 216). Die damit einhergehende permanente Verfügbarkeit bezieht sich nicht auf einen Feudalherrn, sondern auf den Arbeitsmarkt (bzw. den Kunden). Die Verfügbarkeit wird vom Staat von denjenigen eingefordert, die von ihm Transferleistungen beziehen: "Für diese ökonomisch rationale und herrschaftsrelevante Bekundung permanenter Arbeitsbereitschaft steht beispielhaft die Praxis der kommunalen Hilfe zur Arbeit, das auf Trab halten der Arbeitslosen, aber auch die neue Ethik des lebenslangen Lernens." (Ebd.: 217)

Letztere bezieht sich allerdings vorwiegend auf die ständige technische Weiterqualifikation für Arbeitsplätze im High-Tech-Bereich. Dieser ist mit Hoffnungen auf eine hohe Wertschöpfung versehen, weswegen die dort geforderten Kenntnisse als besonders qualifiziert gelten. Eine diesbezügliche Qualifizierung wird von denen abverlangt, die als potentielle Konkurrenten der wenigen in Frage kommen, die in den als "Zukunftsbranchen" geltenden Bereichen tatsächlich untergekommen sind. Dadurch soll der Konkurrenzdruck in diesen Bereichen verstärkt werden. Entsprechende Qualifizierungsangebote, die allerdings, ohne Sanktionen befürchten zu müssen, nicht abgelehnt werden können, werden daher Arbeitslosen angetragen, die schon bewiesen haben, dass sie bezüglich der betreffenden Jobs eine mögliche Alternative zu momentan Beschäftigten sein können. Es handelt sich in der Regel um Personen, die vor kurzem noch in diesem Bereich ein Einkommen erzielt haben, und nun das materiell und rechtlich vorteilhaftere ALG I beziehen. Bei den meisten ALG-II-Beziehern wird allerdings weniger auf Qualifizierung gesetzt werden. Deren Aktivierung besteht darin, von ihnen die Bereitschaft zu Diensten abzuverlangen, für die es geringerer technischer Qualifikationen bedarf. Entsprechend dem angelegten Wertmaßstab gelten die damit verbunden Tätigkeiten als unqualifiziert. Die Maßnahmen der Arbeitsagentur zielen daher nicht auf technische Qualifizierung, sondern auf Veränderung der Einstellung. Die Bereitschaft, anderen Personen zu dienen, soll gefördert werden. Die Hintergründe dieser unterschiedlichen Stoßrichtung der Aktivierung sollen in diesem Artikel ausführlich ausgeleuchtet werden.

Zentrale These ist, dass die unterschiedliche Art und Weise, in der die permanente Verfügbarkeit eingefordert wird, wesentlich zur Herstellung, Vertiefung und Stabilisierung von Geschlechterunterschieden beiträgt. Der von Schatz konstatierte neue Vergesellschaftungsmodus der Arbeit ist der Modus, indem sich das "Geschlecht des Kapitalismus" (Scholz 2000) derzeit konstituiert. Die Arbeit, die als Dienst geleistet werden soll, spaltet sich auf in "männliche" und "weibliche" Komponenten. Dieser Tatbestand wird bei Schatz nur vage angedeutet, er misst ihm für seine Herrschaftsanalyse keine allzu große Bedeutung zu. Das liegt daran, dass sein Ansatz weitgehend geschlechtsblind ist, was an einigen Stellen zu einem unzureichenden Verständnis der derzeitigen Transformationsprozesse führt. Darauf soll hier allerdings nicht eingegangen werden. Es ist für das nächste Exit!-Heft ein längerer kritischer Artikel von mir zu seinem Buch geplant.

Hier soll die Bezugnahme auf Schatz nur die Stichworte liefern, die zur Entfaltung meines eigenen Ansatzes überleiten sollen. Grundsätzlich stimme ich mit Schatz in seiner Kritik an objektivistischen Krisentheorien überein, wie sie vor allem im Umfeld der Zeitschrift Krisis zu finden sind. Deren Autoren gehen davon aus, dass die derzeit zu beobachtenden "Reformen" ein unmittelbarer Reflex auf die Krise des Werts (und damit der Arbeit) sind. Tatsächlich aber sind die Reaktionen auf die Krise durch einen komplexen kulturellen, institutionellen und juristischen Prozess vermittelt, der zu einer Transformation der Staatlichkeit geführt hat (ausführlich zu diesem Prozess: Felder 2001), deren Resultate sich nicht zwingend aus dem Ausbrennen der Wertsubstanz ergeben. Eine Gegenvermittlung (Kurz (2002) spricht von "Gegenrealismus") mit der Konsequenz anderer Reaktionsformen wäre möglich. Sie wäre nicht nur möglich, sondern im Hinblick auf eine emanzipatorische Perspektive auch notwendig. Die emanzipatorische Aufhebung des Werts, die immer auch die Aufhebung des abgespaltenen Bereichs einschließen muss, kann nicht unvermittelt erfolgen. Eben so eine unmittelbare Aufhebung müssen aber die Vertreter objektivistischer Ansätze propagieren (siehe z. B. Lewed 2004. Kritisch: Kurz 2004). Das liegt daran, dass sie die Herstellung der immanenten Voraussetzungen für die Aufhebung der Warenform nicht denken können, da sie analytisch davon ausgehen, dass sämtliche Handlungen in der Form durch diese total determiniert sind, sodass eine emanzipatorische Praxis erst jenseits der Form als möglich erscheint. Entsprechend abstrakt wird der Ruf nach "direkter Aneignung", der sich mit einer aktuellen Praxis in keiner Weise vermitteln lässt und auf ein Jenseits verweist, das in so weiter Ferne erscheint, dass niemand glaubt, dass es jemals zu erreichen ist. Trotz radikaler Rhetorik trägt dieser Ansatz damit zur Affirmation des Bestehenden bei. Wird dieser Ansatz trotz seines Objektivismus mit einer Bewegungsorientierung verknüpft, werden schnell sämtliche Formen des sozialen Protestes affirmiert, ohne dass überprüft wird, ob er überhaupt ein emanzipatorisches Potential enthält (so Lohoff 2004; kritisch: Rentschler 2004 b). Für eine Einschätzung dieses Potentials fehlen in dem Ansatz die immanenten Kriterien, was ganz wesentlich aus seiner Geschlechtsblindheit resultiert. Im Folgenden soll nun aber ohne weitere Bezüge auf solche Theorien der eigene Ansatz entfaltet werden.

Yetties und flinke Servicekräfte

Wer wissen will, wie die "weibliche" Seite der permanenten Verfügbarkeit aussieht, muss die Struktur von Hartz IV näher betrachten. Entsprechend der Logik des Gesetzes können Menschen zu Tätigkeiten gezwungen werden, obwohl deren Bezahlung kein existenzsicherndes Einkommen generiert und sie hauptsächlich mit moralischer Anerkennung abgespeist werden. Wobei die moralische Anerkennung vorwiegend darin besteht, dass sie nicht so mies behandelt werden wie die, die die Begeisterung für die angebotenen Zwangsdienste vermissen lassen. Diese werden besonders hart bestraft (ausführlich: Rentschler 2004 a, b).

Die neuen Zwangsdienste sollen es erlauben, dass Tätigkeiten verrichtet werden, die nicht in nennenswertem Ausmaß profitabel zu organisieren sind, die aber trotzdem als notwendig erachtet werden, weil sie die Voraussetzungen verbessern, dass Arbeitskraft in anderen Bereichen profitabel verausgabt werden kann (vgl. dazu auch: Bongards 2004). Auf diesen Bereich bezieht sich die "männliche" Seite der permanenten Verfügbarkeit

Sie beruht nun auf der Annahme, dass durch die Verausgabung der Arbeitskraft ein nicht unerhebliches Einkommen erzielt werden soll. Allerdings können dies nur technisch hochqualifizierte Menschen erwarten, die extrem lange Arbeitszeiten in Kauf zu nehmen bereit sind. Dabei wird allerdings davon ausgegangen, dass sie dies nur durchstehen können, wenn die Tätigkeiten, die sie verrichten, nicht nur dem Gelderwerb dienen. Sie müssen auch als Ausdruck der eigenen Persönlichkeit betrachtet werden und zu deren Selbstentfaltung dienen. Die Betreffenden müssen so begeistert sein von dem, was sie tun, dass sie es auch machen würden, wenn es kein Geld dafür gäbe. Diese Subjektivität wird dann in Mangementkonzepten der "indirekten Steuerung" auch angesprochen. Die von den betreffenden Personen angestrebte gelingende Subjektivierung sei am besten zu gewährleisten, wenn sie durch den Erfolg des Unternehmens bestätigt werde, für den die Betreffenden sich verantwortlich fühlen sollen. Sie werden angesprochen als "Unternehmer der eigenen Arbeitskraft" (ausführlich dazu: Pongards/Voß 2000).

Diese "männliche" Form der permanenten Verfügbarkeit wird nun mit der weiblichen rückgekoppelt durch die Moral, die für zweite gelten soll. Sie besteht darin, dass diejenigen, die zum Dienen aktiviert werden sollen, sich verantwortlich dafür fühlen sollen, dass die technisch Hochqualifizierten ihre zeitliche Verfügbarkeit für das Unternehmen nicht einschränken müssen. Das wäre dann der Fall, wenn sie sich mit Dingen beschäftigen müssen, die gemessen an ihren hochspezialisierten Qualifikationen als belanglose Alltagsdinge gelten und sie abhalten, sich ständig weiter zu qualifizieren. Mit zu dieser Moral gehört auch, dass die Dienenden einsehen, dass das, was die High-Tech-Arbeiter tun, viel wichtiger ist als ihr eigenes Tun und sie deshalb dafür nicht nur keinen richtigen Lohn erwarten können, sondern auch akzeptieren müssen, dass ihr Rechtsstatus ein geringerer ist. Sie können soziale Anerkennung nicht unter Berufung auf Rechte geltend machen, sondern nur als Gnadenakt. Die Gnade wird ihnen zuteil, wenn sie sich vorbehaltlos für die Wichtigen aufopfern. Andernfalls wird der aktivierende Staat sie auf das "nackte Leben" zurückstufen (vgl. Rentschler 2004 a, b).

Letztendlich findet darüber auch eine Einbindung der High-Tech-Arbeitskräfte in den Staat statt. Sie können einen Staat tolerieren, der ihnen billige Dienstbotinnen zuführt. Nicht tolerieren können sie, wenn der Staat anderen erlaubt, nicht permanent verfügbar zu sein. Ihre eigene Verfügbarkeit für das Unternehmen und die daran geknüpfte Subjektivität stabilisiert sich anderseits durch Abgrenzung von den Dienstbotinnen. Deren rechtloser Status erlaubt gleichzeitig die Affirmierung der eigenen Rechtsposition, für deren Erhaltung sich nun seinerseits jede Anstrengung lohnt. Sie werden daher gar nicht erst in Versuchung geführt, ihr eigenes Tun zu reflektieren. Das dient auch der Verdrängung der Angst vor dem eigenen Absturz, der aufgrund der Knappheit der besseren Jobs durchaus drohen kann, zumal ja im aktivierenden Staat auch mögliche Konkurrenten aktiviert werden und die Konkurrenz entfesselt wird. Die Verdrängung der Angst gilt nun aber als Anzeichen besonderer Produktivität, was auch in entsprechenden Managementkonzepten ausformuliert ist. Der ehemalige Intel-Manager Andrew Grove geht davon aus, dass durch die Angst vor dem Absturz ungeahnte Kräfte freigesetzt werden können und nur diejenigen durchkommen, die mit dieser Angst umgehen können. "Überleben werden nur die Paranoiden" heißt dementsprechend der Buchtitel (Growe 1997).

Das Überleben dieser Paranoiden basiert aber materiell auch auf dem Zugriff auf die Verfügbarkeit der Dienstbotinnen. Diejenigen, die die Verfügbarkeit nicht aufweisen, taugen dann wieder als Projektionsfläche, falls es doch zu einem eigenen Absturz kommt. Er kann dann den "Faulen" angelastet werden, die einen nicht genügend entlastet haben. Die verschärfte Ausdifferenzierung und Abstufung von Rechtspositionen, wie sie durch derzeitigen Reformen entsteht, begünstigt solche Verabeitungsformen der Krise und ist gleichzeitig ihr Ausdruck (vgl. dazu Wompel 2004).

Alexandra Scheele hat anschaulich gezeigt, dass die gesellschaftliche Vision des aktivierenden Staates eine von "Yetties und flinken Servicekräften" (so der Titel ihres Aufsatzes) ist. Die Yetties stehen dabei für "young, entrepreneural, tech-based" (Scheele 2002: 250). Scheele entschlüsselt diese Struktur durch eine Diskursanalyse von Leitbildern zur Dienstleistungsgesellschaft.

Die symbolische Geschlechterordnung des aktivierenden Staates

Der von Scheele analysierte Diskurs kann ohne Probleme auf eine neue symbolische Form des Geschlechts bezogen werden. Der alte Grundsatz einer ontologisch begründeten Vorstellung von einer Polarität der Geschlechter (Geschlechterdifferenz) wird zu einem am männlichen Subjekt orientierten Ein-Geschlechter- Modell transformiert, ohne dass sich an der Geschlechterhierachie etwas ändert. Das hat Roswitha Scholz (2000) gezeigt. Dass die Veränderungen in der symbolischen Ordnung das hierarchische Geschlechterverhältnis nicht aufheben, liegt auch daran, dass dieses auch noch durch geschlechtsspezifisch differierende, im Sozialisationsprozess erzeugte unbewusste Handlungsmuster und durch die unterschiedliche materielle Einbindung der Geschlechter in den Gesamtreproduktionsprozess erzeugt wird. Darauf wird später noch einzugehen sein.

Dass es zu Hierarchisierungen kommt, ist allerdings bereits in der Logik der transformierten symbolischen Ordnung angelegt. Denn diese hat zu einer völligen Zuspitzung männlicher Subjektivität als absoluter Norm geführt. Diese Subjektivität beinhaltet die Vorstellung eines autonomen Individuums, das scheinbar auf die Gesellschaft nicht angewiesen ist, da es das gesellschaftliche Vermögen selber besitzt. Es glaubt, dass dieses Vermögen ihm durch das Geld übertragen wird, weil es ihm erlaubt, sich über den Markt zu reproduzieren, ohne sich um die Anliegen anderer Geld- und Marktsubjekte weiter kümmern zu müssen. (Ausführlich zu dieser Individualitätsvorstellung und ihrer Koppelung an das Geld: Marx 1974, Deutschmann 1999, Ulrich 2002). Einzige Voraussetzung ist, dass es sich die erforderlichen Mittel auf dem Markt selber besorgen und in der Konkurrenz zu anderen bestehen kann. Dieses Individuum ist das Konkurrenzsubjekt schlechthin.

In der symbolischen Ordnung des Ein-Geschlechter-Modells, die dieses Subjekt affirmiert, wandelt sich der Begriff der Differenz. Er bezieht sich nicht mehr wie im polaren Geschlechtermodell auf ein anderes Geschlecht, sondern auf ein anderes Konkurrenzsubjekt, das am Markt weniger erfolgreich ist. Die dadurch generierten Hierarchien sind in der Logik des Ein-Geschlechter-Modells nicht zu kritisieren. Sie sind vielmehr hinzunehmen. Eine Enthierarchisierung der Differenz kann daher in dieser neuen symbolischen Ordnung nicht gedacht werden. Die "Erfolglosen" dürfen daher nicht eine Korrektur der Folgen ihrer untergeordneten Stellung auf dem Markt einfordern. Sie müssen vielmehr davon ausgehen, dass sie selber schuld an ihrer Lage sind, und gerechte Strafen akzeptieren, die darin bestehen, den Erfolgreichen zu dienen. Die diskursiven Verschiebungen, die zur Transformation der symbolischen Ordnung geführt haben und im Grundsatz des "Forderns und Förderns" kulminierten, haben mit Hartz IV endgültig einen institutionellen und juristischen Ausdruck gefunden (vgl. Rentschler 2004 a).

Die alte symbolische Form war in dieser Hinsicht weniger rigide. Zwar beruhte auch sie auf einer herrschaftlichen Zurichtung von Menschen und verlangte von diesen, sich als unterschiedliche Geschlechter zu subjektivieren. Aber sie beinhaltete für beide Geschlechter mehr Handlungsspielräume als das totalisierte Ein-Geschlechter-Modell. Auch die alte Geschlechterordnung war eine hierarchische, und die Geschlechterhierachie schlug sich auch in den institutionellen Ausprägungen des alten Wohlfahrtsstaates nieder. Dennoch beruhte dieser Staatstyp auf einer Vorstellung von Solidarität, die der totalen Entfesselung der Konkurrenz entgegenstand (vgl.: Rentschler 2004 a, b).

Gehen wir auf die Unterschiede und den Rekurs auf die symbolische Ordnung des Geschlechts näher ein. In der alten Geschlechterordnung bezog sich der Begriff der Differenz auf ein anderes Geschlecht. Dieses hatten die Frauen zu verkörpern. Sie hatten all das auszudrücken, was vom Standpunkt des Männlichen als störend galt und der Stabilisierung einer männlichen Identität entgegenstand. Diese war stark auf den Erfolg am Arbeitsmarkt orientiert, wobei es vor allem um Industriearbeitsplätze ging. Daher gehörte eben zu dieser männlichen Identität die Fähigkeit, bestimmte Produktivitätsvorgaben möglichst diszipliniert zu erfüllen und sich nicht ablenken zu lassen. Ablenkung war dem Mann nur gestattet, wenn er "sexuell" wurde. Dann interessierte er sich für die andere Seite des Lebens jenseits der Arbeit, die für ihn die Frau verkörperte und die er sich mit deren Hilfe als privates Vergnügen aneignen wollte. Die Sexualisierung der Geschlechterdifferenz generierte eine heterosexuelle Norm, die in Verknüpfung mit der Vorstellung von Privatheit zur Grundlage des bürgerlichen Familientypus wurde, der wiederum mit einem bestimmten Arbeitsverhältnis verknüpft war, das die Existenzweise des Mannes prägte. Letztendlich ergab sich aus dieser Geschlechterordnung die Norm von Normalarbeitsverhältnis und Normalfamilie, von männlichem Hauptverdiener mit einer Haus- und Ehefrau im Hintergrund.

Allerdings war diese Norm in der Logik des polaren Geschlechtermodells nicht so zwingend, dass sie keine Abweichungen zuließ. Andere Lebensentwürfe konnten gedacht, als legitime Ansprüche formuliert und in der Verknüpfung mit den institutionellen Arrangements des alten Wohlfahrtsstaates auch gelebt werden. Die diesen prägende symbolische Geschlechterordnung ließ Möglichkeiten zu, sich nicht durch Teilnahme am Arbeitsmarkt reproduzieren zu müssen, ohne deswegen von einem Sexualpartner finanziell abhängig zu werden oder sonst auf die Familie angewiesen zu sein. Dies konnte vom Standpunkt beider Geschlechter aus begründet werden

Fangen wir an mit den Frauen. Nicht zur weiblichen Norm gehörte es, auf dem Arbeitsmarkt erfolgreich zu sein. Zwar wurde von den Frauen erwartet, dass sie ihre geringeren Erfolgschancen auf dem Arbeitsmarkt durch sexuelle Attraktivität kompensierten, so dass ein erfolgreicher Mann dadurch gebunden werden kann und darüber die Reproduktion gesichert ist. Aber zwingend verlangt werden konnte diese Reproduktionsweise nicht. Denn das Weibliche war vorwiegend definiert als das nicht Männliche. Darüber ließ sich eine Eigenständigkeit des Weiblichen begründen, die gerade nicht die sexuelle Attraktivität für den Mann nahe legte. Vielmehr konnte gefordert werden, dass der Eigenständigkeit der Frau stärker Rechnung getragen wird und ihr daher die Möglichkeit eröffnet wird, unabhängiger von Männern zu leben, ohne sich ihnen angleichen zu müssen. So ließen sich vom weiblichen Standpunkt aus Lebensformen jenseits von erwerbstätiger Reproduktion und Familie begründen und mit Hilfe wohlfahrtsstaatlicher Unterstützung auch realisieren.

Dies war auch für Männer möglich. Sie mussten den nicht erwerbszentrierten Lebensentwurf allerdings auf andere Weise begründen, griffen dabei auf institutionelle Arrangements zurück, die stärker auf die Erwerbsarbeit bezogen blieben. Insofern spielte die Orientierung auf Erwerbsarbeit eine größere Rolle für die männliche Identität. Sie waren wesentlich stärker als Frauen mit der Erwartung konfrontiert, dass sie auf dem Arbeitsmarkt erfolgreich sind. Dieser Erfolg sollte aber durch kollektive Absicherungen gewährleistet werden. Leitbild für den Mann war eben noch nicht das individualisierte Konkurrenzsubjekt, sondern der solidarische Männerbund. Männerbündische Vereinigungen gibt es derzeit auch, und sie haben erheblichen Einfluss auf den Staat (vgl. Kurz-Scherf 1999). Ihr Ziel ist allerdings die Entfesselung der Konkurrenz. Der Staat soll seine Bürger nicht vor Marktzwängen schützen, sonder er schützt den Markt (und damit den Kunden) vor marktfremden sozialen Erwägungen von Arbeitskräften. Das Verständnis des alten Männerbundes war ein anderes. Es beruhte zwar auf dem Leitbild des diszipliniert arbeitenden erwerbstätigen Mannes, aber seine Arbeit sollte durch teilweise "Dekommodifizierung" (so ein Begriff des Sozialstaatstheoretikers Esping Anderson) geschützt werden. Dies beinhaltete die Vorstellung, dass es unzumutbare Arbeit gibt. Im Gegensatz zur heutigen Philosophie galt nicht die Ansicht, dass jede Arbeit besser als keine ist.

Betrachten wir die Sozialstaatsphilosophie und ihre Verbundenheit mit der Geschlechterordnung etwas näher. Der solidarische Männerbund versucht durch politische Einflussnahme auf den Staat die Arbeit zu schützen. Er stabilisiert damit die männliche Identität. Diese konstituiert sich in Abgrenzung zum Weiblichen, das als Verkörperung der Nicht-Arbeit gilt.

Arbeit bedeutet für den Mann bezahlte Tätigkeit. Wichtig für sein Selbstverständnis ist nicht nur, dass er Geld bekommt, sondern dass er es bekommt, weil er etwas getan hat dafür. Er will es für seine Leistung, nicht nur einfach so, weil er es für seine Reproduktion braucht. Dass letzteres auch möglich sein muss, kann in der symbolischen Ordnung jedoch legitimiert werden, da in einer Gesellschaft, in der sich die Menschen über den Markt reproduzieren müssen, auch diejenigen, die weniger zu leisten in der Lage und damit am Markt weniger erfolgreich sind, genügend Geld brauchen. Als tendenziell eher nicht in der Lage, erfolgreich am Arbeitsmarkt zu sein, galten die Frauen, denn sie verkörperten ja das andere, die Sexualität, die eng mit dem Konsum verknüpft war (vgl.: Grubitzsch 1985). Nun wurde zwar als Norm angenommen, dass sich Frauen über den Mann reproduzieren, aber da dies nicht verbindlich verlangt werden konnte, ließ sich eine vom Staat ausgezahlte Geldleistung legitimieren, für die keine Arbeitsleistung zu erbringen war und die "bedürfnisgerecht" sein sollte. So kam es zur Sozialhilfe.

Männer beanspruchten für sich allerdings "leistungsgerechte" Geldzahlungen in Gestalt entsprechen hoher Löhne, für die sie in Tarifverhandlungen kämpften. Die Sozialhilfe stellte dabei eine Lohnuntergrenze dar. Unter Bezugnahme auf das "Lohnabstandsgebot" konnten in Tarifverhandlungen wesentlich höhere Löhne gefordert werden. Das "Lohnabstandsgebot" diente daher damals zur Legitimierung höherer Löhne, während es heute für die Kürzung von Sozialleistungen herhalten muss, um die Menschen hinsichtlich unattraktiver Arbeit besser aktivieren zu können (vgl. Bongards 2004)

Maßstab der Leistung war ein an Industriearbeit angelegter Maßstab von Produktivität, der auf Zeitverausgabung beruhte. Daran gemessen waren die mit der Identität von Frauen verbundenen Tätigkeiten Zeitverschwendung, was auch dazu führte, dass sie schlechter bewertet wurden, selbst wenn Frauen erwerbstätig waren.

Männer beanspruchten allerdings nicht nur höhere Löhne, sondern auch höhere Lohnersatzleistungen (wie Arbeitslosengeld). Die Lohnersatzleistungen sollten zwar geringer sein als der frühere Lohn und die Männer motivieren, sich schnell wieder nach einem guten Job umzuschauen. Aber auf der anderen Seite sollten sie sie auch davor schützen, einen schlechteren Job annehmen zu müssen. Durch die Verkoppelung von juristisch definierten Zumutbarkeitskriterien und einem männlichen Selbstverständnis, das zwar prinzipiell seine Identifikation aus der Arbeit zog, für das aber die Annahme einer schlechten Arbeit schlimmer war als Arbeitslosigkeit, entstand eine zumindest zeitweise nicht arbeitsförmige Reproduktion auch von Männern.

Solange die alte symbolische Geschlechterordnung intakt und für den Wohlfahrtsstaat prägend war, gab es also für Frauen und Männer staatlich abgesicherte Lebensformen jenseits von Erwerbszentrierung und Familie. Frauen bezogen dabei häufiger Sozialhilfe oder geringe Arbeitslosenhilfe, während Männer höhere Arbeitslosenhilfe oder gar Arbeitslosengeld bezogen. Mit der Transformation der alten Geschlechterordnung, die mit einer Umarbeitung der alten Sozialstaatsphilosophie zur Philosophie der neuen Mitte einherging (ausführlich: Rentschler 2004 a), wurden freilich diese Möglichkeiten zunehmend ausgehöhlt.

Das mit Hartz IV eingeführte ALG II beraubt nun alle ehemaligen Sozialhilfeempfänger und Arbeitslosenhilfebezieher vollständig der beschriebenen Möglichkeiten. ALG II hat weder mit der alten Sozialhilfe noch der Arbeitslosenhilfe viel gemeinsam. Es ist vielmehr eine neue Form der Bewährungshilfe (ausführlich: Rentschler 2004 a). Durch eine Radikalisierung des Grundsatzes der Bedarfsgemeinschaft und damit einhergehender Sippenhaftung (ausführlich dazu: Bongards 2004), werden die Hilfesuchenden entweder knallhart auf Lebenspartner oder Familie verwiesen oder sie müssen für Sozialhilfe arbeiten und dabei permanent verfügbar sein.

Die Aushöhlung der unteren Segmente der Sicherheitssysteme wird auch die oberen nicht unberührt lassen. Das materiell und rechtlich besser ausgestaltete Arbeitslosengeld I gab es immer schon nur befristet. Wenn es nun aber ausläuft, droht ein derartiger materieller und rechtlicher Absturz, dass ALG-I-Bezieher verzweifelt versuchen werden, den Leistungsbezug möglichst schnell durch Arbeitsaufnahme zu beenden. Sie werden sich nicht einmal den Gedanken erlauben können, dass der Arbeitslosengeldbezug auch als Möglichkeit genutzt werden kann, Dinge zu tun, durch die man früher durch die Arbeit abgehalten wurde. Sollten die Betroffenen nicht von selbst auf die Idee kommen, dass dies nicht geht, wird es ihnen die Behörde schon beibringen. Der ehemalige Behördenchef Florian Gerster hat das unmissverständlich formuliert. Nach seiner Ansicht dürften Arbeitslose nicht den Eindruck bekommen, ihr Rechtsanspruch auf Arbeitlosenunterstützung "gestatte ihnen für die Dauer der Bewilligung eine finanziell abgesicherte Auszeit vom Arbeitsleben. Um dieses Missverständnis aufzuheben, muss eine Betreuung organisiert werden, die mit dem ironischen Begriffspaar Fürsorgliche Belagerung treffend beschrieben ist" (Gerster 2003: 170)

Rekapitulieren wir die bisherige Argumentation, so lässt sich festhalten, dass die Transformation des alten Geschlechtermodells ganz wesentlich zur Herausbildung der Philosophie der neuen Mitte beigetragen hat, die wiederum als Durchsetzungsideologie ein wichtiger konstitutiver Faktor für die Transformation des Staates zu einem autoritären Workfare-Regime war.

Nun ist argumentiert worden, dass das alte Geschlechtermodell beiden Geschlechtern mehr Möglichkeiten ließ. Das impliziert allerdings nicht, dass es Anknüpfungspunkte für eine emanzipatorische Alternative zum Ein-Geschlechter-Modell enthält. Der Blick auf die Veränderung war vor allem deswegen notwendig, um zu zeigen, dass das Geschlecht in den derzeitigen Transformationsprozessen keineswegs bedeutungslos wird und der aktivierende Staat extrem geschlechtshierarchisch ist. Die punktuelle Enthierarchisierung der Geschlechterdifferenz, die innerhalb der symbolischen Ordnung und der institutionellen Ausprägungen des alten Wohlfahrtsstaat möglich war, ist mit den Grundsätzen eines aktivierenden Staates nicht vereinbar. Deshalb kommt es auch zu einem Backlash, der vor allem für viele Frauen eine erhebliche Verschlechterung ihrer Lebenssituation bedeutet.

Nun könnte eingewandt werden, dass das Ein-Geschlechter-Modell den Frauen ja auch neue Möglichkeiten eröffnet. Sie müssen zwar jetzt ein Konkurrenzsubjekt sein, das sich auf dem Markt bewährt. Aber im Gegensatz zu früher dürfen sie dadurch ja auch mit Männern konkurrieren, haben die Chance, diese hinter sich zu lassen, wenn sie erfolgreicher sind. Allerdings sind die materiellen Voraussetzungen für einen solchen Erfolg bei Frauen wesentlich schlechter. Dies bleibt festzuhalten, gerade auch wenn der Erfolgsmaßstab des Konkurrenzsubjekts zu kritisieren ist. Denn die Faktoren, die die Chancen der Frauen im Konkurrenzkampf einschränken, taugen nicht dazu, einen Standpunkt zu formulieren, von dem aus das Konkurrenzsubjekt zu kritisieren ist. Sie müssen genau so aufgehoben werden, wie das Konkurrenzsubjekt selbst. Was da aufzuheben ist und warum, ist im Folgenden näher zu analysieren.

Sozialisatorische und ökonomische Konstitutionsmechanismen des Geschlechts

Obwohl es nicht mehr für Frauen zur verbindlichen Norm gehört, dass sie Mütter werden, müssen sie sich im Sozialisationsprozess doch damit auseinandersetzen, welche Anforderungen mit Kindern einhergehen. Die männliche Sozialisation ist in dieser Hinsicht viel unbelasteter. So kommt es bei Frauen zu einer stärkeren Verinnerlichung einer Fürsorgeethik. Wie stark diese ist, zeigt sich meist dann, wenn tatsächlich Kinder da sind. Dann kümmern sich Frauen immer noch in wesentlich stärkeren Ausmaß um diese als Männer (vgl. Wetterer 2003). Diese Fürsorgeethik hemmt eine totale Konkurrenzorientierung. Sie erlaubt jedoch keinen positiven Standpunkt, von dem aus diese zu kritisieren ist. Sie bezieht sich immer nur auf vertraute Personen in einem Nahbereich und ist mit viel Verständnis für diese verbunden. Dieses Verständnis kann z. B. durchaus mit rassistischen Haltungen gegenüber Anderen einhergehen und auch die selber betrieben Ausgrenzung von "Fremden" ist damit sehr wohl vereinbar (vgl. Benhabib 1989, Trumann 2002). Die Fürsorgeethik ist daher keine Basis, auf die sich eine verallgemeinerte Vorstellung von Solidarität gründen könnte, die dringend notwendig wäre (vgl. dazu: Scholz 2004).

Während die Fürsorgeethik sozusagen ein Nachwirken der alten Geschlechterordnung im gesellschaftlich Unbewussten ist, sorgen die aktuellen Veränderungen der Arbeit für geringere Aussichten von Frauen im Konkurrenzkampf. Das liegt daran, dass sich ihre Ausgangsposition verschlechtert. Die Art und Weise, wie sie bisher in die materielle Reproduktion eingebunden waren - und die ihnen bisher schon Nachteile brachte -, verändert sich weiter zu ihren Ungunsten. Zwar steigen auch Männer ab, und einige Frauen können aufsteigen, aber die viel beschworene neue "Karrierefrau" ist empirisch eher selten, die Lebensrealität der meisten Frauen sieht anders aus (vgl. Brenssel/Habermann 2001).

Um zu begreifen, was gerade passiert, müssen wir die materielle Seite der Wertabspaltung näher betrachten. Sie zeigt sich ja nicht nur in der nach wie vor unterschiedlichen Verantwortung für Kinder und Hausarbeit, sondern auch darin, dass Frauen in wertförmig vermittelte Bereiche meist auf andere Weise eingebunden sind als Männer. Während Männer eher im abstrakten begrifflichen Modus handeln, stellen Frauen den lokalen Modus hierfür her. Dorothy Smith schreibt über die Tätigkeiten der Frauen: "Sie erledigen jene Dinge, die den begrifflichen Aktivitäten konkrete Form verleihen. Sie verrichten jene Kanzleidienste, die den Worten oder Gedanken des Chefs zu materiellen Formen verhelfen. Sie erledigen die Routinearbeiten am Computer, machen die Interviews für die Erhebung, sie arbeiten als Krankenschwestern und Sekretärinnen. Fast überall erstellen Frauen für Männer die Brücke zwischen dem begrifflichen Handlungsmodus und den tatsächlich konkreten Formen, von denen er abhängt. Die Arbeit von Frauen steht zwischen den abstrakten Modi und den lokalen partikularen Tatsächlichkeiten, in denen diese notwendigerweise verankert sind. Auch verschleiert die Arbeit von Frauen für Männer, die im abstrakten Modus handeln, eben diese Verankerung." (Smith 1989: 396f. Vgl. auch : Smith 1998).

Durch die Diskurse um die "Wissensgesellschaft", die "Informationsgesellschaft" oder um "immaterielle Arbeit" wird diese Aufspaltung der beiden Modi verschärft. Angebliche erlaube die Verwissenschaftlichung der Produktion eine völlige Aufhebung von sozialen, räumlichen und körperlichen Beschränkungen, an die die neuen Symbolanalytiker nicht mehr gebunden seien, da sie sich angeblich nur noch über den Austausch von symbolisch aufbereiteten Informationen reproduzieren. Nun ist es faktisch allerdings so, dass sich das Wissen der Symbolanalytiker genauso in einem lokalen Modus materialisieren muss, wie sie auch für ihre persönliche Reproduktion auf einen solchen angewiesen sind. Durch die Affirmierung der Bedeutung von kontextlosem symbolischen Wissen können jedoch die mit dem lokalen Modus verbundenen Fähigkeiten genauso als unbedeutend und tendenziell überflüssig bzw. störend bewertet werden wie die den lokalen Modus herstellenden Personen. Diese aus einer Vorstellung von Transzendenz beruhende Haltung ist bei den Männern in High-Tech- Unternehmen (dazu Massey 1999) genau so zu finden wie bei einigen Oekonux-Theoretikern (kritisch dazu: Haarmann 2004).

Ein Problem ist, dass solche Reaktionsformen durch die Krise des Werts begünstigt werden. Nachdem der kasinokapitalistische Traum der fortwährenden Vermehrung von Geld ohne Arbeit ausgeträumt ist, richten sich die Hoffnungen neuer Verwertungsschübe auf die Verwissenschaftlichung der Produktion und damit die Hochtechnologie. Allerdings sind die Kosten für Forschung, Entwicklung und Marketing schwer kalkulierbar; es ist unklar, wann und in welchem Ausmaß sie sich amortisieren. Um der Gefahr zu entgehen, möglicherweise nicht mehr konkurrenzfähig zu sein, kann aber auch nicht auf entsprechende Investitionen verzichtet werden. Der daraus resultierende Verwertungsdruck trifft dann besonders diejenigen, die nach wie vor im lokalen Modus handeln müssen, deren Tätigkeiten kalkulierbarer und im kapitalistischen Sinne optimierbarer erscheinen, da sich das Wertgesetz in diesem Bereich noch am besten exekutieren lässt (ausführlich zu dem gesamten Komplex "Informationsgesellschaft": Fischbach 1999).

Die Transformation des öffentlichen Dienstes und das Geschlecht

Allerdings waren in privaten Unternehmen die Arbeiten von Frauen schon immer geringer bezahlt und schlechter abgesichert, was nicht nur objektive Gründe hatte, sondern aus einer geringeren Bewertung ihrer Qualifikationen resultierte, die als "natürliche Geschlechtseigenschaften" galten. Auf die negativen Auswirkungen, die die Ignorierung dieser "stillschweigenden Qualifikationen", der "tacit skills", auf die Bemessung der Lohnhöhe hatte, haben geschlechtersensible ArbeitsmarktforscherInnen schon lange hingewiesen (siehe z. B. Wood 1986). Es gab allerdings einen Bereich, in dem dieser Mechanismus punktuell durchbrochen wurde, nämlich den öffentlichen Dienst. In diesem werden durch die derzeitigen Arbeitsmarktreformen tiefgreifende Transformationsprozesse in Gang gesetzt, die vor allem Frauen negativ treffen. Um dies begründen zu können, ist allerdings etwas weiter auszuholen.

Damit sich Arbeitskräfte entwickeln können, die auf dem Arbeitsmarkt überhaupt zu vermitteln sind, deren Arbeitskraft sich reproduzieren lässt und die bei Bedarf zeitweise ihre Existenz auch nicht erwerbsförmig sichern können, bedarf es der Einschränkung der Totalität der Warenform; es sind dekommodifizierte Bereiche notwendig. Allein durch die private Familienform (ausführlich dazu: Hauser 1987) lassen sich diese Aufgaben nicht erfüllen. Deshalb kam es zur Herausbildung eines öffentlichen Dienstes, der selber nicht warenförmig strukturiert war. Seine Aufgabe war es nicht, Profite zu erwirtschaften, sondern die Voraussetzungen zu schaffen, damit dies möglich ist. Was dafür getan werden sollte, wurde im politischen Willensbildungsprozess ermittelt. Nun reproduzierte sich die Grundstruktur der Wertabspaltung auch in der politischen Form (vgl. Rentschler 2001, 2004 a), was dazu führte, dass die politischen Vorgaben für den öffentlichen Dienst meist von Männern formuliert wurden, während Frauen sie umzusetzen hatten. Allerdings wurde in Bereichen der Sozialarbeit, in der Justiz, im Gesundheitswesen und im Bildungsbereich eine hohe Professionalität erwartet, die sich nicht nur in der Anerkennung der Qualifikationen im Lohnfindungsprozess niederschlug, sondern in der Anerkennung einer eigenen "Fachlichkeit". Unter Rekurs darauf konnten politische Vorgaben entsprechend den Vorstellungen der Fachkräfte bis zu einem gewissen Grad uminterpretiert werden. Dieser professionelle Bereich war auch besser ausgebildeten Frauen zugänglich. Für sie bot der öffentliche Dienst eine Alternative zu miesen Frauenjobs in der Industrie.

Nun kann dieser professionelle Bereich auch problematische Ausmaße annehmen. Er kann sich zum Problem eines "juristisch-administrativ-therapeutischen Staatsapparates (JAT)" (Fraser 1994: 237) verdichten. Von diesem gehen für diejenigen, die die öffentlichen Dienste in Anspruch nehmen, bevormundende Wirkungen aus, da ihre Bedürfnisse an den normativen Prämissen der Fachleute gemessen und diese den Hilfesuchenden aufgedrängt werden können. Allerdings wird das, was Nancy Fraser "die Politik der Bedürfnisinterpretation" (Fraser 1994: 222) nennt, auch durch soziale Bewegungen beeinflusst, worauf sie selber verweist. Als die neuen sozialen Bewegungen im alten Wohlfahrtsstaat eine gewisse Stärke hatten, beeinflussten sie auch die Vorstellungen von Professionalität im JAT. Zur Professionalität der Fachkräfte gehörte es nun auch, ihre Klienten zur Reflexion über ihre eigenen Bedürfnisse zu ermuntern, ihnen zu helfen, mögliche Beschränkungen zu erkennen und ihnen Einsichten in die dafür verantwortlichen Verhältnisse zu vermitteln. Dies waren zumindest die Ansprüche einer kritischen Sozialarbeit, Rechtswissenschaft, Bildung und Medizin, die auch im JAT partiell verankert werden konnten.

Diese Verankerung wird mit den derzeitigen Reformen nun vollständig aufgelöst. Es kommt zu einem völligen Umbau des öffentlichen Dienstes. Zum einen soll er weitgehend entprofessionalisiert werden, indem viele öffentliche Aufgaben nun von Ein-Euro-Jobbern erledigt werden, die, anstatt vom Staat soziale Leistungen beziehen, für diesen zum Sozialhilfetarif arbeiten sollen. Professioneller Kräfte bedarf es zwar auch; sie müssen die Billigarbeitskräfte ja aussuchen, anleiten, beaufsichtigen und ggf. auch bestrafen, sie also "fordern und fördern". Dafür bedarf es allerdings einer völlig veränderten Professionalität. So sollen die Aktivierer auf die Bedürfnisse der zu Aktivierenden keine Rücksicht nehmen, da diese ja keine Rechte mehr haben. Sie sollen vielmehr nach betriebswirtschaftlichen Kriterien überprüfen, ob es sich überhaupt lohnt, die billigen Arbeitskräfte zu beschäftigen, ob sie also trotz ihrer geringen Bezahlung Arbeitsleistungen erbringen, mit denen die damit beglückten Kunden zufrieden sind. (Siehe zu diesen Grundsätzen des "New Public Management: Felder 2001). Ist dies nicht der Fall, wird die zu geringe Arbeitsleistung mit arbeitstherapeutischen Maßnahmen bestraft (vgl. Rentschler 2004 a, b). Zu dieser veränderten Professionalität der Anleiter gehört auch, dass sie den zu Bestrafenden vermitteln, dass ihre Strafe gerecht ist, weil sie sich nicht genügend an den Markt angepasst haben. Die Reflektion über soziale Verhältnisse soll unterbunden werden und wird ersetzt durch Verhaltenskontrolle, die der "Lebensstilregulierung" dienen soll (ausführlich zu den Konzepten der neuen sozialen Arbeit: Dahme/Wohlfahrt 2003, Kessel/Otto 2003). Teilweise werden die Veränderungen mit "orwellschem Neusprech" (Brütt 2002: 566) verschleiert, in dem Begriffe aus früheren emanzipatorischen Konzepten beibehalten werden, obwohl sich deren Bedeutungsgehalt ins Gegenteil verkehrt.

Doch kommen wir zurück zu den Auswirkungen des Analysierten auf die Konstitution des Geschlechts. Gerade für Frauen, die eine Ausbildung gemacht haben, mit der sie früher im JAT hätten beschäftigt werden können, wird sich die Frage stellen, ob sie einen Job als Aktivierende ergattern können, oder selber zu den Aktivierten gehören - was schnell passieren kann, wenn sie den Grundsatz des Forderns und Förderns nicht konsequent genug umsetzen. Dies ist aber nur eine Spaltungslinie zwischen Frauen, die derzeit vertieft wird. Prinzipiell lässt sich zwar festhalten, dass sich die soziale Lage der meisten Frauen im aktivierenden Staat verschlechtern wird, aber dies geschieht mit erheblichen Differenzierungen innerhalb des Elends, was in dem Grundsatz des Forderns und Förderns angelegt ist (ausführlich: Rentschler 2004 b). Neben der Differenz zwischen denjenigen, die in ihrem Job zu aktivieren haben und denjenigen, die zu aktivieren sind (vgl. dazu auch Bongards 2004), gibt es Differenzen zwischen Frauen, die auf einen gut verdienenden Ehemann verwiesen werden, und anderen, die, wenn der Mann arbeitslos wird, selber zur Arbeit verpflichtet werden können, weil das Prinzip der "Bedarfsgemeinschaft" greift (ausführlicher: Buls 2003, Nowak,/Wendt 2004). Wenn die Frauen alleinerziehend sind und nicht zu den neuen Supermüttern gehören, die Kindererziehung mit den Anforderungen eines gutbezahlten Jobs in Einklang bringen können, trifft es sie besonders hart. Denn Alleinerziehende sollen "bevorzugt vermittelt" werden (ausführlich: Bongards 2004). Das kann dazu führen, dass sie gezwungen werden, für andere im privaten Haushalt zu putzen, und es hinnehmen müssen, dass andere Zwangsverpflichtete auf ihre Kinder aufpassen. Die Intention, Frauen bevorzugt in Privathaushalte zu vermitteln, gab es schon vor Hartz (ausführlich: Klenner/Stoltz-Willig 1997). Teilweise wird dadurch die Berufstätigkeit anderer Frauen erst ermöglicht (vgl. Heeg 1994). Die jetzt einsetzende verschärfte Aktivierung wird aber dazu führen, dass Frauen, die bisher in Haushalten illegal beschäftigt waren, da sie keinen legalen Aufenthaltsstatus hatten, zusätzlich unter Konkurrenzdruck von Frauen geraten, deren Rechtsposition wenigstens noch so gut ist, dass sie nicht abgeschoben werden können (dazu: Gather 2002).

Die Frauenbewegung hat bisher kein Konzept, wie mit diesen Differenzen auf emanzipatorische Weise umzugehen ist. Jedoch gibt es auch kaum noch eine Frauenbewegung. Ihr Verfall geht mit der Durchsetzung des Ein-Geschlechter-Modells einher. Allerdings ist dieses Ein-Geschlechter-Modell der Frauenbewegung nicht einfach nur aufgezwungen worden. Durch eigene Fehler hat sie zu dessen Durchsetzung beigetragen, was Andrea Trumann sehr scharfsinnig analysiert hat (Trumann 2002). Um diesen Punkt soll es im nächsten und letzten Abschnitt gehen

Der Beitrag der Frauenbewegung zur Durchsetzung des aktivierenden Staates

Es ist darauf hingewiesen worden, dass das neue Geschlechtermodell mit einem veränderten Verständnis von Differenz einherging. Die Bedeutungsverschiebungen des Differenzbegriffs im feministischen Diskurs sind nun detaillierter darzulegen.

Zunächst bezeichnete die Differenz die fehlende Gleichheit mit Männern. Dabei wurde von einer positiven Besetzung der männlichen Norm ausgegangen, also einem autonomen Individuum, das sich seine Unabhängigkeit durch Leistung und Erfolg auf dem Arbeitsmarkt sichert. Diese Norm war auch für Frauen das anzustrebende Ziel; die Betonung der Differenz diente nur dazu, auf die noch bestehenden Diskrepanzen zu Männern hinzuweisen. Der Diskurs verschob sich dann allerdings weg von einer bloßen Kritik an der zu geringen Bewertung der Fähigkeiten von Frauen hin zu einer Kritik an Männern. Das bezog aber keineswegs eine Kritik an der männlichen Norm ein. Kritisiert wurde, dass Männer Frauen nicht unterstützen bei dem Versuch, ihnen gleich zu werden, sondern sie dabei eher behindern. Moniert wurde, dass Männer es offensichtlich präferieren, wenn Frauen das andere Geschlecht bleiben. Trumann (2002) beschreibt anschaulich, dass dies die Struktur des ehemals einflussreichen Ansatzes von Simone de Beauvoir ausmachte. Dieser enthält einerseits eine vernichtende Kritik an weiblichen Fähigkeiten. Anderseits kritisiert er Männer, die die Schwächen der Frauen ausnutzen, anstatt Frauen dafür zu kritisieren, um ihnen dann zu helfen, ihnen gleich zu werden. Schließlich enthält der Ansatz eine theoretische Affirmierung männlicher Tranzendentalsubjektivität, die als Grundlage existenzieller Freiheit betrachtet wird. Im Prinzip haben wir hier schon die Glorifizierung des individualisierten Konkurrenzsubjekts, das in der Vorstellung von de Beauvoir allerdings ohne Dienstbotinnen auskommen soll. (Was diese erledigen, ist zu negieren und zu vernachlässigen.) Für eine emanzipatorische Aufhebung der Wertabspaltung und eine damit einhergehende Neuorganisation des lokalen Modus gibt dieser Ansatz überhaupt nichts her.

Gegen den sich auf de Beauvoir gründenden Feminismus, in dem Frauen sich selbst als defizitär betrachten mussten, solange sie nicht wie Männer waren, setzte sich eine Neuinterpretation der Differenz durch. Sie enthielt eine Kritik an der männlichen Norm, stellte diese aber nicht grundsätzlich in Frage, sondern wollte nur die weibliche Andersartigkeit positiv besetzen. Dies ging einher mit einer stärkeren Betonung der Eigenständigkeit der weiblichen Existenz, die in die Forderung nach stärkerer Unabhängigkeit von Männern mündete, damit die Eigenständigkeit auch entdeckt und entwickelt werden konnte. Teilweise wohlfahrtsstaatlich abgesichert, entstand dann auch ein Geflecht von Frauengruppen, Frauenbuchläden, Frauenwohngemeinschaften usw..

Nun erlaubte es dieser Ansatz zwar, eine größere Unabhängigkeit von Männern zu begründen, die nicht dazu genutzt werden brauchte, auf den Stand der Männer zu kommen. Jedoch führte er zum Festzurren einer weiblichen Norm, die zudem auf einen weiblichen Nischenbereich bezogen blieb, in dem all das, was draußen war, kaum noch interessierte. Barbara Holland Cunz und Regina Dackweiler (1991) haben gezeigt, dass der an sich vernünftige Ansatz, eine weibliche Öffentlichkeit jenseits der männlichen Norm herzustellen, durch die selbstgenügsame Suche nach weiblicher Identität zu einer Tyrannei der Identität, zu Theoriefeindlichkeit und Desinteresse an gesellschaftlichen Vorgängen geführt hat.

Aber auch die wohlfahrtsstaatliche Absicherung, auf der die neue Frauenbewegung basierte, galt nur für Frauen mit gesichertem Aufenthaltsstatus. Aus der Unzufriedenheit mit der beschriebenen Vorstellung von Weiblichkeit, der immer weniger Frauen entsprechen wollten oder konnten, entstand eine neue Bedeutungsverschiebung von Differenz, in der nun die Unterschiede zwischen Frauen in den Mittelpunkt rückten. Nun hätte es dadurch Möglichkeiten gegeben, die identifikatorische Besetzung des Weiblichen und die darauf basierenden Normen als Grundlage weiblicher Kollektivität durch eine neue Form von Kollektivität zu ersetzen. Kornelia Klinger (2003) ist allerdings darin zuzustimmen, dass die berechtigte Kritik an Weiblichkeitsnormen, die durch die Betonung von Differenzen unter Frauen in Gang gebracht werden kann, nur dann ein emanzipatorisches Potential entfalten kann, wenn die Norm der Männlichkeit nicht aus dem Blickfeld gerät.

Während der neue differenztheoretische Ansatz darauf ganz verzichtete und sich mit weiblichen Nischen zufrieden gab, formulierte der auf Simone de Beauvoir zurückgehende Ansatz die Kritik am Geschlecht in völlig verdrehter Form. Anstatt den Bruch konkreter Männer mit der herrschenden Männlichkeitsnorm einzuklagen und diese daran zu messen, ob sie sich davon auch wirklich lösen, wurde in diesem Ansatz die Hypostasierung der männlichen Norm betrieben, und Männer wurden nur kritisiert, wenn sie Frauen nicht halfen, diese zu erfüllen. Ein umgekehrtes Verfahren wäre sinnvoller gewesen. Im Mittelpunkt hätte die fundamentale Kritik der männlichen Norm stehen müssen, und die Verhaltensweisen konkreter Männer hätten daran gemessen werden müssen, ob sie einen praktischen Beitrag leisten, diese zu destabilisieren, ohne sich deswegen positiv auf die "Weiblichkeit" zu beziehen. Es gab hier Ende der achtziger Jahre durchaus Ansätze, die sich aber leider nicht zur einer entsprechenden Bewegung entwickelt haben. Deren Grundlage hätte die Kritik an der männlichen Norm sein müssen, mit der ja eine ganz bestimmten Subjektivität einhergeht, aus der ein bestimmter Weltbezug samt dem daraus abgeleiteten Verständnis von gesellschaftlicher Reproduktion resultiert. Darin sind die Verhältnisse von Staat, Geld, Ware und folglich auch "Arbeit" grundsätzlich affirmiert, da diese die Grundlagen der angestrebten Subjektivität sind. Das männliche Subjekt ist also nicht in der Lage, ein Solidaritätsverständnis zu formulieren, das über die männerbündische Struktur des alten Wohlfahrtstaates hinausreicht, sondern es tendiert dazu, in der Krise lieber zum Konkurrenzsubjekt zu mutieren, als die Grundlagen der gesellschaftlichen Reproduktion zu verändern. In sehr einfachen Worten, aber inhaltlich trotzdem gehaltvoll, hat die britische Sozialistin Cynthia Cockburn bereits 1987 eine Alternative formuliert. Ihre Vision ist von Anfang an nicht auf den alten Wohlfahrtsstaat gerichtet. Sie formuliert: "Wir sollten nicht weiter verteidigen, was wir bislang hatten, einen abgewrackten Wohlfahrtsstaat, eine müde langweilige Arbeiterbewegung" (Cockburn 1987: 218)

Cockburn geht es um ein neues Verständnis von Solidarität, das nicht auf einen Nahbereich beschränkt ist, sondern auf ein generelles Verständnis des Wohlbefindens von anderen zielt, das genau so wichtig ist wie das eigene Wohlbefinden. Es impliziert einen Grundsatz gegenseitiger Unterstützung, den sie als "kümmern umeinander" bezeichnet. Voraussetzung für sie ist, dass Hilfebedürftige nicht auf den Staat und damit den JAT verwiesen werden, sondern dass die Produktion grundsätzlich umstrukturiert wird. Dem steht für sie jedoch die männliche Subjektform entgegen, die um Arbeit zentriert ist und die deswegen zentrale Fragen ausblenden muss. Die Kritik dieser Subjektform würde es erlauben, andere Fragen zum Maßstab zu machen, anhand dessen die Strukturierung der materiellen Reproduktion entschieden wird. Diese anderen Fragen, an denen sich das Handeln ausrichten müsste, beschreibt Cockburn wie folgt: "Nicht an der Frage der Männer: Wie muss die Produktion organisiert sein, um Vollbeschäftigung zu sichern, sondern an der Frage: Wie wollen wir uns um die Menschen kümmern? Und je nach Antwort würden wir weiter fragen: Wie wollen wir die Produktion organisieren, um eine menschliche Welt zu sichern?" (Cockburn 1987: 220f).

Für Cockburn ist dabei ein neues Verständnis von Technik zentral (vgl. dazu auch: Cockburn 1988), wobei die gegenwärtige Technikentwicklung für sie nicht nur durch das kapitalistische Konkurrenzsystem determiniert ist, sondern auch aus der männlichen Subjektform resultiert: "Der Grund, warum die Space-Shuttle-Technologie der Erfindung sicherer Verhütungsmittel vorgezogen wird oder die Atomenergie der Energiegewinnung durch Wind und Wasser, ist nicht nur im kapitalistischen Konkurrenzsystem zu suchen. Es liegt auch in der männlichen Transzendentalphilosophie. Männer streben auf den Mond, um nicht in der Küche stehen zu müssen. (...). Wir müssen die Männer zurück auf die Erde holen und mit ihnen die Qualifikationen teilen" (Cockburn 1987: 224).

Cockburns Aufsatz ist nicht ganz frei von differenztheoretischen Schlacken und positiven Bezügen auf die "Weiblichkeit" (kritisch: Rentschler 1989), aber diese sind ihrem grundsätzlichen Anliegen eher äußerlich. Das hätte in der Diskussion ihrer Überlegungen sicherlich zureichend problematisiert werden können.

Leider entwickelte sich die feministische Theorie und Praxis nicht in Richtung einer Radikalisierung und Präzisierung der Cockburnschen Überlegungen. Die Kritik an weiblicher Identitätspolitik und der damit einhergehenden Stützung der Kollektivität von Frauen auf eine Weiblichkeitsnorm führte nicht zu neuen emanzipatorischen Formen von Solidarität, sondern trieb die Affirmierung des Marktsubjekts voran. Die starre Norm sollte durch Flexibilisierung gelockert, durch eine Anreicherung mit anderen Identitätspositionen erweitert werden und schließlich zur Individualisierung der Identität führen. Diese Individuen bezogen sich nicht mehr auf ein starres Kollektiv, sondern auf viele unverbindliche Zusammenhänge, zu deren Aufrechterhaltung sie je nach Präferenz etwas beitrugen, die sie aber auch ganz schnell wechselten, wenn es Interessanteres gab. Oder sie pflegten gar ganz selbstbezüglich die eigene Identität. Wird nun hier aber gefragt, was denn noch das Verbindliche ihres gesellschaftlichen Zusammenhangs ausmacht, ist man ganz schnell bei der Warenform. Oder anders ausgedrückt: Ihre Individualität basiert auf dem Geld, das ihnen scheinbar ihre Unabhängigkeit sichert, da sie sich über den Markt reproduzieren können, der ihr einzig verbindlicher gesellschaftlicher Zusammenhang ist. Den stellen sie aber nicht bewusst her, sondern das passiert automatisch. Die Wirkungen des automatischen Subjekts können jedoch insbesondere in der Krise ganz schnell dazu führen, dass dem neuen Individuum die Grundlage wegbricht, nämlich das Geld.

Dann bleibt ihm entweder der Gang zum Staat, der aber inzwischen ein autoritäres Workfare-Regime ist. Oder es bleibt der Arbeitsmarkt, der weitgehend dereguliert ist und eine immer geringere Aufnahmekapazität hat. Oder es bleibt der Rückgriff auf die Familie, die aber inzwischen auch kulturell erodiert, unter ökonomischen Druck gerät oder bereits vom aktivierenden Staat bevormundet wird.

Das neue Individuum mit seiner selbstbezüglichen Identität ist nicht in der Lage, unter Rekurs auf die bestehende symbolische Ordnung zu kritisieren, was ihm angetan wird. Es kann sich weder auf Bedürfnisgerechtigkeit noch Leistungsgerechtigkeit berufen, die es beide in der Philosophie der neuen Mitte nicht mehr gibt. Es gibt nur noch Marktgerechtigkeit. Sie bemisst sich am Erfolg, den jemand auf dem Markt hat. Dieser kann nicht anders als gerecht sein, denn schließlich setzt der Erfolg auf dem Markt die Erfüllung von Kundenwünschen voraus. Der Kunde aber ist das Maß aller Dinge - nicht nur in der neuen Staatsphilosophie, sondern auch im persönlichen Selbstverständnis der neuen Individuen. Denn sie wollen sich ja nur noch als Kunden auf ihren gesellschaftlichen Zusammenhang beziehen.

Christina Thürmer-Rohr hat früh antizipiert, dass sich die auf eine positiv besetzte weibliche Identität sich stützenden feministischen Zusammenhänge wohl nicht in Richtung einer herrschaftskritischen Bewegung entwickeln, sondern in ihrer Selbstbezüglichkeit noch bestärkt werden würden. Sie sah auch schon, dass dies zur einer Affirmation des Warensubjekts führen wird und dass die Frauenbewegung daher nicht einmal in der Lage sein würde, dem alten solidarischen Männerbund eine emanzipatorische Alternative entgegenzusetzen. Damit war die Frauenbewegung aber erst recht nicht in der Lage, die Durchsetzung des aktivierenden Staats zu verhindern, sondern musste sich einbinden lassen und der Verschlechterung der Lebensrealität von Frauen tatenlos zusehen. Da Thürmer-Rohrs vor 15 Jahren formulierte Kritik am "weiblichen Egozentrismus" immer noch aktuell ist, will ich sie abschließend zitieren: