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Claus Peter Ortlieb

Der Rhythmus des Absoluten

Eske Bockelmanns "Im Takt des Geldes"

Uns modernen, in "Kopf" und "Bauch" gespaltenen Subjekten erscheint kaum etwas so eindeutig letzterem zugehörig, also in der eigenen Körperlichkeit verwurzelt, wie unser Gefühl für Rhythmus. Was rhythmisch ist und was nicht, mag sich allgemein verbindlich nur schwer in Worte fassen lassen, und dennoch wissen wir es, sobald wir es hören. Es liegt nahe, eine derart elementare Empfindung als natürlich, zu unserer biologischen Grundausstattung gehörig anzusehen, und so geschieht es denn auch, wenn das Rhythmusgefühl etwa am Herzschlag oder am Takt des (zweibeinigen) Gehens festgemacht wird. Aber so ist es nicht. Wie so Vieles, was das Aufklärungsdenken fälschlicherweise für "allgemein menschlich" hält oder sogar in der Biologie fundiert sieht, ist auch unser Rhythmus, der Takt-Rhythmus nämlich, historisch spezifisch. Er tritt erstmals zu Beginn des 17. Jahrhunderts und nur in Westeuropa auf, es gab ihn nirgendwo sonst als eben in der bürgerlichen Gesellschaft, er gehört zu ihr und nur zu ihr.

Dieser Befund bildet den Auftakt des fünfhundert Seiten starken Buches von Eske Bockelmann: "Im Takt des Geldes. Zur Genese modernen Denkens". Der Befund selber wird auf mehr als hundert Seiten akribisch ausgebreitet. Er besagt nicht etwa, dass es außerhalb der bürgerlichen Gesellschaft so etwas wie Rhythmus nicht gegeben habe, nur war er nicht dasselbe wie für uns. In Antike und Mittelalter ebenso wie in den außereuropäischen Gesellschaften besteht Musik und Poesie aus Elementen "erfüllter Zeit", deren Länge in ganzzahligen Proportionen zueinander stehen. Die zugehörige Quantitätsrhythmik entsteht durch den Wechsel langer und kurzer Abschnitte und wird von uns (bei traditionalem Vortrag) als rhythmisch gar nicht mehr wahrgenommen. Demgegenüber besteht die moderne Taktrhythmik darin, ein Raster gleichlanger Zeitintervalle, die zunächst leeren Takte, durch Elemente auszufüllen, die nach dem Schema betont-unbetont aufeinander folgen, ein Schema übrigens, das wir durch unsere Art des Hörens in die Töne auch selbst erst hineinlegen, indem wir sogar noch einen gleichmäßig tropfenden Wasserhahn nach diesem Muster hören. Der Verweis auf moderne Musik- oder Posiestile, die dieser Gesetzmäßigkeit nicht folgen, verfängt hier nicht: Sie werden von uns nämlich nicht als rhythmisch erlebt. Dieser Wechsel des Rhythmusgefühls ist im Westeuropa des beginnenden 17. Jahrhunderts nahezu schlagartig erfolgt und lässt sich nicht auf Veränderungen in Musik und Poesie zurückführen, sondern ist umgekehrt deren Ursache. Bockelmann (S. 119) macht das beispielhaft fest an dem "Buch von der deutschen Poeterey" von Martin Opitz aus dem Jahre 1624, in dem dieser als erster die Forderung erhebt, Verse seien von nun an als Akzentverse, also nach dem Schema betont-unbetont zu dichten, weshalb Opitz selber seine bisherigen Verse als unzureichend empfindet und nach den neuen Regeln umschreibt. Offenbar wird zu dieser Zeit in den Subjekten ein Reflex implantiert, der uns seither zwingt, dem Taktrhythmus zu folgen und alles, was darin nicht aufgeht, als unrhythmisch zu empfinden, wie es Opitz seinen eigenen, älteren Versen gegenüber erging, die vor dem neuen Rhythmus nur noch als Knittelverse erscheinen.

Woher kommt dieser Zwang? Bockelmann macht sich auf die Suche und findet seine Ursache im Geld, genauer: in der durch Geld vermittelten Vergesellschaftung, die dann im weiteren Fortgang des Buches als Grund für zwei weitere Phänomene dingfest gemacht wird, die der bürgerlichen Gesellschaft und nur ihr in derselben Weise verhaftet sind wie der Taktrhythmus, nämlich die (mathematische) Naturwissenschaft und die neuzeitliche Philosophie. Die letzteren Zusammenhänge sind nicht neu, werden aber im vorliegenden Buch so dargestellt. Allem Anschein nach ist Eske Bockelmann ein Einzelkämpfer, so empfindet er sich jedenfalls, wenn er die Genese allen neuzeitlichen Denkens aufdeckt, die diesem bisher verborgen geblieben sei. Soweit sie den positivistischen Mainstream betrifft, ist diese Feststellung sicher richtig. Bockelmann aber rezipiert weder Marx noch Sohn-Rethel noch die Kritische Theorie und auch nicht die neueren wert- und wertabspaltungskritischen Ansätze zur Aufklärungs-, Subjekt- und Erkenntniskritik. Seine Adressaten sind dem Aufklärungsdenken verhaftete Leserinnen und Leser, als könne es andere gar nicht geben. Das macht die Lektüre des Buches passagenweise ärgerlich, doch ich kann nur empfehlen, darüber hinweg zu lesen, es lohnt sich. Bockelmann erfindet in verschiedener Hinsicht das Rad neu, doch kommt dabei am Ende eben nicht nur das alte Rad heraus. Seine Unkenntnis bzw. Nichtbeachtung bestehender Ansätze zum Zusammenhang von "Geld und Geist" lässt ihn eigene Wege gehen, von denen dann auch andere Zugänge profitieren könnten. Man müsste sie nur zusammenbringen.

Bockelmanns Vorteil ist es, mit dem taktrhythmischen Reflex etwas erklären zu müssen, was sehr präzise zu Beginn der Neuzeit in Erscheinung getreten ist und keinerlei Vorläufer kennt. Anders als Sohn-Rethel und zum Teil auch Adorno/Horkheimer (in "Dialektik der Aufklärung") kann er daher gar nicht erst in Versuchung kommen, moderne Verhältnisse in die griechische Antike rückzuprojizieren und dort nach den gesuchten Zusammenhängen zu fahnden. Derartige aus dem Aufklärungsdenken stammende Ansinnen weist er denn auch auf allen betrachteten Ebenen (Geld, Wissenschaft, Philosophie) begründet zurück. Auf der anderen Seite wäre ihm ein Versuch, den voll entwickelten Kapitalismus in seinem Wesen und seiner Rückwirkung auf die bürgerlichen Subjekte erfassen zu wollen, für seine Fragestellung ebenfalls eher hinderlich. Bockelmann konzentriert sich daher darauf, den zu Beginn des 17. Jahrhunderts erreichten Stand der Geldvergesellschaftung möglichst genau zu fassen und die anderen Bereiche daraus zu erklären. Gelingt dies, so sollte es auch möglich sein, spätere Entwicklungen des Denkens mit dem jeweils erreichten Stand kapitalistischer Vergesellschaftung in Beziehung zu setzen, so etwa die "wissenschaftliche Revolution" zu Beginn des 20. Jahrhunderts, ein Problem, dessen Lösung meines Wissens noch aussteht.

Mit Bockelmann lässt sich der Beginn des 17. Jahrhunderts als der historische Moment kennzeichnen, in dem in den bürgerlichen Zentren Westeuropas das Geld beginnt, sich gegenüber den (übrigen) Waren zu verselbständigen, da sein Gebrauchswert unabhängig vom Material und allen konkreten Inhalten nur noch darin besteht, Träger von Wert zu sein, für den sich alle anderen Waren kaufen lassen. Vom Inhalt

So - und so einfach - denken wir Wert als absolut, als die quantifizierbare Einheit der Geldfunktion. Was aber, wenn absolut, ist dann diese Einheit »Wert«, worin besteht sie, als was bewegen wir sie in unseren Köpfen, die da unablässig, stündlich, täglich, ein Leben lang mit ihr befasst sind? Der universelle Bezug auf Waren als Werte, den wir mit dem Geld vollziehen, scheint uns im Geldwert als ein eigenes Ding zu bestehen, als ungreifbar immaterielles, eigenschaftsloses Wesen, festesten Bestands, aber ohne allen Inhalt und, mehr und genauer noch, jenseits allen Inhalts, eben weil es jenen universellen Bezug auf die Inhalte selbst und abgetrennt von ihnen darstellt. Es ist also notwendig bezogen auf Inhalte und insofern das Gegenteil von absolut; zugleich aber ist es unabhängig davon, auf welche Inhalte es jeweils bezogen wird, und, indem es nichts darstellt als diesen Bezug, also ohne auch nur abstrakt leerer Inhalt zu sein - wie es als solcher etwa der Wert eines Goldstücks wäre - , besteht es selbst als dieser von den Inhalten abgetrennte Bezug auf sie; insofern aber absolut. Die Einheit, als die wir Wert denken, ist demnach, der bloße Bezug als Einheit genommen, reine Verhältnisbestimmung und in diesem Sinne endlich, reine Einheit." (S. 225 ff, Hervorhebungen im Original)

An dieser Kennzeichnung der Wertabstraktion hängt gewissermaßen die Gesamtkonstruktion des Buches, der Rest ergibt sich fast von allein. Der Wertbegriff, der hier entwickelt wird, ist - obwohl nicht subjektiv - nur auf die Sphäre der Distribution bezogen, er kommt ohne "Wertsubstanz" aus, von der Arbeit also ist an keiner Stelle die Rede, weshalb es auch nicht möglich wäre, eine Wertgröße aus ihm abzuleiten. Aber darum geht es Bockelmann nicht. Ihn interessiert allein, was das Geld in den von ihm vergesellschafteten Subjekten anrichtet, wie es sie konstituiert. Allerdings wäre es an dieser Stelle durchaus angebracht, eine Verbindung zum Marx'schen Fetischbegriff herzustellen, sie würde Bockelmanns Darstellung noch mehr Stringenz verleihen.

Die hat sie so schon. Auch wenn Bockelmann diesen Begriff nicht benutzt, so beschreibt er hier eine Realabstraktion par excellence. Sie liegt nicht - wie bei Sohn-Rethel - bereits in der Tauschhandlung, sondern in der bestimmenden Allgemeinheit des Geldes, und gehört deshalb eindeutig erst der Neuzeit an. Sie verlangt den Marktteilnehmern eine Abstraktionsleistung ab, die sie erbringen müssen, ohne sie als bewusste Denkleistung zu vollziehen: "Sie wissen es nicht, aber sie tun es" (Marx), bzw. sie müssen es tun. Sie müssen sie um ihrer Überlebensfähigkeit willen als einen Reflex ausbilden, der fortan als ein ihnen nicht bewusster Zwang nicht nur die Geldhandlungen, sondern ihren Zugang zur Welt überhaupt bestimmt:

Ganz entsprechend der Vorgang in der Rhythmuswahrnehmung. Dort war bis dahin ebenfalls eine ältere synthetische Leistung am Werk, nach der die Menschen Klangeinheiten als Einheiten erfüllter Zeit proportional aufeinander bezogen, nach inhaltlichen Bestimmungen und also wiederum material. Wenn nun die funktionale Synthesis am Geld wirksam wird und dank ihrer Genese keine Beschränkung darin kennt, auf welche Art von Einheiten sie sich zu legen hat, legt sie sich daher notwendig auf andere synthetische Einheiten, die sie im »Denken« dort, wo sie wirkt, bereits vorfindet und die ihrer Art des Zugriffs vor allem sehr gut nachgeben können: Die materialen, erfüllten Zeiteinheiten formt und verbindet sie nunmehr nach ihnen, den funktionalen Bestimmungen und schafft sie damit zu den leeren, nach bestimmt gegen nicht-bestimmt unterschiedenen Zeiteinheiten der Taktschläge." (S. 229 ff, Hervorhebungen im Original)

Die damit geleistete Erklärung der neuzeitlichen Rhythmuswahrnehmung aus der Geldvergesellschaftung ist trotz des entsprechendem Titels des Buches nicht dessen eigentliches Thema, das viel weiter reicht. Dennoch spielt dieser Auftakt auch im weiteren Gang der Erörterung eine Rolle. Mit ihm kann Bockelmann seine eigene Denkbewegung erklären, und das ist wohl auch nötig angesichts seiner These, alle neuzeitliche Wissenschaft und Philosophie, da ihrer eigenen Genese nicht bewusst, befinde sich im Irrtum, bis jetzt.

Dorthin zu gelangen, das konnte nur gelingen, wo sich dies Formende in seiner Wirkung gerade so begriffslos und unreflektiert zeigt, wie es dies in sich ist. Der einzige Ort solcher Wirkung aber ist der Rhythmus, der neuzeitliche, der Taktrhythmus." (S. 487 ff)

Diese im Kontext des Buches durchaus schlüssige Erklärung erscheint mir gleichwohl unzureichend: Zum einen hat Bockelmann den Taktrhythmus ja nicht erstmals als für die bürgerliche Gesellschaft historisch spezifisch entdeckt, dieser Sachverhalt ist schon länger bekannt, sondern ihn mit der Geldvergesellschaft in Verbindung gebracht, eine nicht zu unterschätzende Leistung auch und insbesondere dies, aber eben nicht dieselbe. Und zum anderen, ich sagte es bereits: So einsam, wie Bockelmann zu sein glaubt, ist er nicht. Seit der späten Veröffentlichung der Werke Sohn-Rethels Anfang der 1970er Jahre ist die Diskussion über den Zusammenhang von Gesellschaftsform und Erkenntnisform nicht mehr abgerissen, auch wenn Sohn-Rethels Ansatz selber diesen Zusammenhang noch nicht wirklich nachweisen konnte. Da zumindest doch seither denkbar ist, was als Erster gedacht zu haben Bockelmann von sich fälschlicherweise annimmt, ist eher nach einer anderen, tiefer liegenden Ursache zu suchen, etwa dieser: Dass es mit der in Rede stehenden Denkform selber ebenso zu Ende geht wie mit der ihr zu Grunde liegenden Warenform.

In einer weiteren Hinsicht ist der Befund von Interesse, dass die Geldvergesellschaftung nicht nur das bewusste Denken, sondern noch vorbewusste Reflexe bestimmt, wirft er doch ein bezeichnendes Licht auf die Konstitution des modernen Subjekts:

Das sei allen ins Poesiealbum geschrieben, die ihre Berufung auf "Bauch", Unmittelbarkeit oder das "wirkliche Leben" bereits für einen Akt des Widerstands gegen das abstrakte Allgemeine halten.

Die zweite Hälfte des Buches befasst sich mit dem modernen Denken im engeren Sinne, und zwar in Gestalt der neuzeitlichen Naturwissenschaft und der durch das "Erkenntnisproblem" sich konstituierenden neuzeitlichen Philosophie, auch sie vom Zwang der "funktionalen Synthesis" des Geldes determiniert. Hinsichtlich der Naturwissenschaft gibt es viele Übereinstimmungen zu bestehenden Ansätzen, die genauer zu erörtern hier nicht der Platz ist (s. http://www.exit-online.org/html/schwerpunkte.php, Schwerpunkt Wissenschafts- und Erkenntniskritik): Die aus der Gesetzesförmigkeit der Warengesellschaft blind hervorgehende, daher aber vortheoretische Annahme, die Natur gehorche mathematischen Gesetzen, und die Charakterisierung des Experiments als Veranstaltung zum Zwecke der Herstellung (nicht der bloßen Beobachtung) von Gesetzmäßigkeiten:

Auch die fehlende Bewusstheit für das eigene Handeln auf Seiten der naturwissenschaftlich Tätigen findet bei Bockelmann eine Begründung:

An dieser Stelle wäre eine explizite Auseinandersetzung mit Kant von Interesse, die im Buch unterbleibt. Kant, der wie kaum einer vor oder nach ihm die funktionale Denkform als Vernunft schlechthin propagiert, von ihrer Genese in der Wertform mithin nichts gewusst hat, hat gleichwohl gewusst, dass die Gesetzmäßigkeit keine Natureigenschaft ist, sondern zu den Vernunftprinzipien gehört, die wir an die Erkenntnisobjekte herantragen müssen; auch der damit verbundene Zwang war ihm geläufig, er hat ihn bewusst affirmiert.

Wenngleich Bockelmann mit seinem Ansatz der funktionalen Synthesis Vieles genauer erfasst, als das bisher geschehen ist, so bleiben gewisse einschlägige Charakteristika der Naturwissenschaft bei ihm doch ausgeblendet, nämlich diejenigen, die erst einer in die Tiefe gehenden Subjekt- und damit Wertabspaltungs-Kritik zugänglich sind: So etwa die - bei Bacon sehr deutliche - geschlechtliche Konnotation der Naturerkenntnis, ebenso die doppelte Abspaltung im naturwissenschaftlichen Erkenntnisprozess, der Spaltung also nicht nur des Objekts, die von Bockelmann immerhin angedeutet wird, sondern auch des Erkenntnissubjekts, das sich aller individuellen Eigenschaften und weitgehend der eigenen Körperlichkeit zu entledigen hat, um zu objektiver Erkenntnis zu gelangen. An dieser Stelle, wie vermutlich auch noch an anderen, wäre es lohnend, die verschiedenen Ansätze zusammenzubringen.

In seiner Auseinandersetzung mit der neuzeitlichen Philosophie am Beispiel von Descartes, Spinoza und Leibniz zeigt Bockelmann, wie der Zwang, alles "in der ausschließenden Form reiner Einheit und rein bezogener Einheit zu denken" (S. 377), worunter sich nun mal die Welt als Ganze nicht fassen lässt, entweder in logischen Widersprüchen (Descartes) oder aber im Wahnsystem (Leibniz) enden muss, womit die Leibniz'sche Monadologie durchaus adäquat bezeichnet ist, auch wenn ihr sehr viel später bescheinigt wurde, sie habe die Verhältnisse der spätkapitalistischen Gesellschaft vorhergesagt, woran Leibniz selber aber nie gedacht hat noch hat denken können:

Hat der große Monadologe daran gedacht, als er philosophierte? Hat er seine Monaden auf diese Verhältnisse gemünzt? Hat er diese Verhältnisse gemeint?

Er hat sie jedenfalls getroffen. Aber er hat nicht über sie geschrieben, nicht über sie nachgedacht, keinen Gedanken auf sie gewandt. Hätte Leibniz gesellschaftliche Verhältnisse, wie er sie erlebte oder vielleicht nur für die Zukunft abzusehen begann, in dieser monadischen Verfassung erkannt, nichts hätte ihn abgehalten, es auszusprechen. Er, der noch jeden Frosch auf diese Form brachte, welches Bedenken hätte er getragen, auch hier zu sagen, was er sah - wenn er es denn gesehen hätte? Hier aber hat er nichts gesehen. Und hat doch etwas getroffen. Wenn man in sehr viel späteren Zeiten verblüfft festzustellen hat, schon im 17. Jahrhundert habe Leibniz die Form beschrieben, nach der sich die menschlichen Verhältnisse jetzt so offensichtlich modeln, verdankt sich diese Übereinstimmung keiner adäquaten Erkenntnis des frühen Denkers. Leibniz hat nicht über diese Verhältnisse nachgedacht, er hat nach ihnen gedacht. Sie sind es, die ihm jene Form vorgeben, aber nicht als Gegenstand, sondern als Modus der Erkenntnis. Sie sind es, die zugleich jene äußere Gesellschaft formen - damals zu formen begannen und weiter geformt haben bis heute - und die dem Denken eben damit, wir wissen wie, jenen Erkenntnismodus vorgeben. Es sind die Geldverhältnisse, die sich in unserer monadisch verfassten Gesellschaft niederschlagen und diese nach derselben Form bestimmen, welche sie dem Denken mittels eben dieser Formung der Gesellschaft abverlangen und einbeschreiben. Dies die historische Realität einer prästabilierten Harmonie. Indem Leibniz nichts weiter tut, als die Welt nach der funktionalen Abstraktion des Geldes zu durchdenken, trifft er die Formung einer Gesellschaft, die nach dieser selben Abstraktion eingerichtet ist: indem er ihr blind, ohne etwas davon zu erkennen, folgt. So bildet er Gesellschaft ab. Und so - noch einmal - zeigt sich dieses Denken im Innersten bestimmt durchs Geld." (S. 480 ff, Hervorhebungen im Original)

Hier hat gewissermaßen das Geld persönlich über seine Zukunft nachgedacht, musste sich dazu allerdings eines der von ihm konstituierten philosophischen Köpfe bedienen.

Abschließend sei noch einmal auf die Gesamtkonstruktion des Buches verwiesen: Bockelmanns gedanklicher Ausgangspunkt ist die Konstitution der Subjekte durch den Markt und die von ihm erzwungenen Geldhandlungen in dem historischen Moment, in dem das Geld bestimmende Allgemeinheit erlangt. Die Konstitution der Subjekte durch Arbeit und Wertabspaltung bleibt dagegen ausgeblendet. Bockelmann hat aus dem von ihm ins Auge gefassten Teilaspekt der Wertvergesellschaftung für die Erklärung der Genese des modernen Denkens herausgeholt, was herauszuholen ist, dennoch: es bleibt ein Teilaspekt an der Oberfläche der Wertvergesellschaftung. Der Bezug auf ihn allein könnte sich zumindest für Untersuchungen, wie die von ihm bereits angekündigte zur Quantentheorie, deren Gegenstände in der entwickelten kapitalistische Gesellschaft angesiedelt sind, als unzureichend erweisen. Ein weiterer Einwand betrifft den Charakter des Buches. Es handelt sich hier um etwas selten gewordenes, nämlich um Theorie in einem ganz klassischen Sinne, und die unterliegt als solche ihrerseits der funktionalen Denkform, was sich im vorliegenden Fall auch leicht festmachen lässt: Bockelmann bestimmt den Taktrhythmus, die Naturwissenschaft, die neuzeitliche Philosophie jeweils als Funktion eines durch das Geld in die Gesellschaft gekommenen Denkzwangs. Der Einwand ist also berechtigt, er ist jedoch nicht wirklich ein Einwand, sondern verweist nur darauf, dass Theorie in der an ihr Ende gelangenden Warengesellschaft nur dann noch sinnhaft sein kann, wenn sie einen Beitrag dazu leistet, sich aus der ihr eigenen Denkform herauszuarbeiten. Und diesen Sinn hat das vorliegende Buch allemal.

Das Schlusswort überlasse ich Eske Bockelmann, im letzten Absatz seines Buches (S. 489):