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erscheint demnächst auf Portugiesisch in der Folha de Sao Paulo

Robert Kurz

DER SCHWARZE FRÜHLING DES ANTIIMPERIALISMUS

Eine unheilige Allianz von Irrläufern der Modernisierung

Es kann weltbewegend sein, einen Traum von morgen zu träumen. Aber einige Träume sind bloß die Gespenster der abgestorbenen Welt von gestern. Große Teile der Linken haben heute keine Orientierung auf die Zukunft mehr; überall in der Welt möchte die Linke am liebsten zurück zu den Paradigmen traditioneller Politik auf der Basis von Nationalstaaten. Deshalb wird die reale Globalisierung entweder verleugnet und ignoriert oder verteufelt. Und die Kritik entzündet sich nicht an den historisch obsolet gewordenen basalen Kategorien von "abstrakter Arbeit", Warenform, "Verwertung des Werts" und kapitalistischem Geschlechterverhältnis in der neuen Weltgesellschaft, sondern sie bezieht sich nur oberflächlich auf "das Finanzkapital" und die äußere imperiale Macht der USA. Unter den neuen Bedingungen entsteht auf diese Weise eine Konvergenz von linken und rechten Positionen mit einem antisemitischen Akzent; denn das spekulative Geld wurde von den irrationalen Ideologien in der modernen Geschichte stets mit "den Juden" identifiziert.

In diesem Klima einer rückwärts gewandten Beschwörung von historisch verfallenden Formen der Politik erlebt auch der Antiimperialismus einen schwarzen Frühling, der nichts mehr zu tun hat mit den nationalrevolutionären Hoffnungen der Vergangenheit. Gegen den westlichen Sicherheitsimperialismus und Krisenkolonialismus unter Führung der USA propagiert die politisch versteinerte Linke zunehmend ein ganz äußerliches Gegengewicht von Regimes, die im globalen Krisenprozeß scheinbar die alte nationale Souveränität beleben. Der Charakter dieser Regimes wird dabei ausgeblendet; es handelt sich um ein rein machtpolitisches Konzept ohne Rücksicht auf den sozialhistorischen und ideologischen Inhalt. Das ist ein entscheidender Unterschied zum alten Antiimperialismus, der zwar auch den Rahmen des modernen warenproduzierenden Systems und damit des Weltmarkts nicht in Frage stellen konnte, aber trotz dieser Reduktion noch einen ideellen Anspruch der Emanzipation vertreten hatte. Voraussetzung dafür waren Spielräume einer nationalen Entwicklung im Zuge der kapitalistischen Expansion. Davon ist unter den Bedingungen der neuen Weltkrise nichts übrig geblieben.

Im Sinne der Reformulierung eines von den früheren inhaltlichen Ansprüchen entkoppelten, auf eine leere Hülse reduzierten Antiimperialismus hat Venezuelas Präsident Hugo Chávez, der als neuer Hoffnungsträger der lateinamerikanischen Linken gilt, den Iran, Rußland und China als "Dreieck der Stärke" belobigt, um eine Art Allianz gegen den Neoliberalismus und gegen die selber perspektivlose, im Irak bereits gescheiterte US-Politik der Weltordnungskriege anzuvisieren. Aber dabei manifestiert sich keine eigenständige Gegenposition mehr, die eine innere Logik von Entwicklung und Befreiung tragen könnte, sondern es zeigt sich nur die andere Seite der globalen Krise. Die als Gegner oder Rivalen der USA und der westlichen Interventionspolitik bezeichneten Regimes sind selber Bestandteil eines Prozesses der Destabilisierung und insofern in den Zerfall der bürgerlichen Vernunft eingeschlossen. Der gemeinsame Rahmen des Weltmarkts, der in der Geschichte der Modernisierung den Gegensatz von imperialer Macht und antiimperialistischem "Kampf um Anerkennung" hervorgetrieben hatte, ist mit dem Erlöschen der Potenz der Modernisierung zum alle staatlichen Akteure übergreifenden Kraftfeld einer Tendenz zur Barbarei geworden.

Es ist eher eine unheilige Allianz von Irrläufern der an ihr Ende gekommenen Modernisierung, die den neuen nationalstaatlichen Antiimperialismus tragen soll. Vor allem handelt es sich nicht um die Revitalisierung eines nationalökonomischen Programms gegen die Globalisierung, sondern um Nebeneffekte der Globalisierung selbst. Grundlage der vermeintlichen "Stärke" bei den Ölförderländern Rußland, Iran und Venezuela ist nicht eine eigene welthistorische Perspektive über das moderne warenproduzierende System hinaus, sondern ganz banal die Verdoppelung des Ölpreises, die Milliarden von Dollars in die jeweiligen Kassen gespült hat. Der Ölpreis ist aber nun wahrhaftig kein Indikator für eine gesellschaftliche Transformation, sondern nichts als eine Funktion in der Bewegung des Weltmarkts. Gleichzeitig handelt es sich nicht um eine selbsttragende gesellschaftliche Reproduktion, sondern eher um ein selber bloß spekulatives, ganz unsicheres Moment im Kontext der Krise des Weltsystems.

Deshalb schlägt sich der unverhoffte Segen der Ölmilliarden auch nicht in nachhaltigen Entwicklungsprogrammen nieder. Das Putin-Regime in Rußland stellt nur die Ruine einer ehemaligen Weltmacht der gescheiterten "nachholenden Modernisierung" dar; die zum Staat gewordenen Geheimdienste verwalten mit sozialer und politischer Repression ein verzweifeltes Massenelend, um auf reduziertem Terrain den Alptraum eines peripheren Imperiums zu reproduzieren, der nun mit den Petrodollars gefüttert wird. Das ebenfalls auf Basis der Petrodollars nach Atomwaffen strebende Mullah-Regime verwüstet den Iran durch religiösen Terror und repräsentiert ein frauenfeindliches Neo-Patriarchat. Dissidenten und Linke werden zu Tausenden ermordet; der neue Präsident Ahmadinedschad hat die Auslöschung Israels zum Programm gemacht und die Vernichtung der europäischen Juden durch die Nazis als "westlichen Mythos" bezeichnet. Es zeugt von geistiger Demoralisierung, wenn Chávez den antisemitischen Wahn in Kauf nimmt und Ahmadinedschad als "Bruder" tituliert. Aber auch der messianische Caudillismus von Chávez selbst hat zweifelhafte Züge; die "bolivarische Revolution", die auf der Basis einer begrenzten nationalistischen Ideologie zum Paradigma für Lateinamerika werden soll, steht und fällt mit seiner Person. Die parastaatlich organisierten Sozialreformen kommen zwar zweifellos unmittelbar den Armen zugute, aber im Sinne einer eigenständigen gesellschaftlichen Reproduktion bleiben sie hohl und ungewiß, solange sie einzig auf einer undurchsichtigen Subventionierung durch Petrodollars beruhen. Und im Kontext einer "Verbrüderung" mit einem Regime wie dem iranischen verdunkelt sich der ideologische Horizont dieser Bemühungen.

Die angebliche "Stärke" Chinas andererseits steht in einem prekären reziproken Verhältnis zum spekulativen neuen Ölreichtum der Förderländer. Denn es ist ja gerade die chinesische Exportindustrialisierung, die wesentlich zur Explosion des Ölpreises beigetragen hat. Innerhalb weniger Jahre ist China zum zweitgrößten Ölverbraucher nach den USA geworden. Aber was als chinesische Exportoffensive erscheint, ist erst recht keine Funktion eines nationalen Entwicklungsprogramms, sondern der bislang größte Nebeneffekt der Globalisierung. Dieser Exportstrom beruht großenteils auf den Investitionen westlicher Konzerne (in erster Linie der USA und der EU), die im Zuge ihres globalen Outsourcing China zur Plattform und Drehscheibe von transnationalen Wertschöpfungsketten gemacht haben. Deshalb hat China inzwischen auch den zweitgrößten Zufluß von ausländischen Direktinvestitionen nach den USA zu verzeichnen. Keine Spur von nationaler Eigenständigkeit also, sondern ein Resultat des extremen Billiglohns und der Rechtlosigkeit meist junger, oft geradezu kasernierter Arbeitssklavinnen in den chinesischen Exportwirtschaftszonen. Gleichzeitig bleiben diese Investitionen insular; der gesellschaftlichen Reproduktion in der großen Fläche droht durch dieselbe Entwicklung der Zusammenbruch. In China hat sich so die Paradoxie eines entfesselten transnationalen Minderheitskapitalismus unter dem politischen Dach des paternalistischen altkommunistischen Machtapparats herausgebildet; die das Land zerreißenden sozialen Widersprüche werden von einer korrupten Bürokratie nur noch mühsam durch Polizei- und Militäreinsätze befriedet.

Unter diesen Bedingungen ist das vage Projekt einer antiimperialistischen Allianz der Ölförderländer mit China eine Chimäre. Wahrscheinlich kommt eine solche Allianz gar nicht zustande, denn die jeweiligen Positionen auf dem Weltmarkt sind ganz unterschiedlich und sogar gegensätzlich. In demselben Maße, wie China zum neuen Eldorado für das Outsourcing transnationaler Konzerne geworden ist, vermindern sich die Direktinvestitionen in Lateinamerika. Mexiko, das noch in den 90er Jahren im Rahmen der Nafta ein bevorzugtes Investitionsgebiet für US-Konzerne war, ist in dieser Hinsicht bereits ausgetrocknet. Die Nähe zu den USA zahlt sich nicht mehr aus, weil die chinesische Arbeit eben noch viel billiger ist. Ein ähnliches Schicksal droht nun den übrigen lateinamerikanischen Ländern. Auch die Hoffnungen auf chinesische Großinvestitionen in Argentinien und Brasilien sind rasch enttäuscht worden.

Stattdessen überschwemmen inzwischen billige chinesische Industriewaren (in Wirklichkeit Produkte des transnationalen Outsourcing von US- und EU-Konzernen) die lateinamerikanischen Märkte. Zwar konnten auch die lateinamerikanischen Exporte nach China gesteigert werden. Aber erstens handelt es sich dabei fast nur um Rohstoffe. Damit reproduziert sich via Globalisierung nur das alte Verhältnis der Abhängigkeit zwischen Zentrum und Peripherie in neuer Konfiguration. Zweitens sind die Exporte nach und die Importe aus China völlig ungleichgewichtig. 2005 stiegen die Exporte Brasiliens nach China um 9 Prozent, die Importe dagegen um 50 Prozent. Der zunehmende Importüberschuß aus den transnationalen Exportwirtschaftszonen Chinas reicht von Feuerwerkskörpern, Spielzeugen, Textilien und Schuhen bis zu Elektronik, Autos, Flugzeugen, Stahl und Chemieprodukten. Lateinamerika droht auf diese Weise eine neue Deindustrialisierung.

Als vollends brüchig erweist sich das Projekt einer antiimperialistischen Allianz von Ölförderländern, "bolivarischer Revolution" und China, wenn das letzte Glied des globalen Verkettungszusammenhangs in die Analyse einbezogen wird. Wie der neue Ölreichtum von der transnationalen Exportindustrialisierung Chinas abhängt, so hängt diese vom Konsum der USA ab. Hier schließt sich der Kreis. Es ist allein der völlig einseitige Exportstrom über den Pazifik, der den vermeintlichen Aufschwung trägt. Die Überschwemmung der lateinamerikanischen Märkte ist nur ein Nebeneffekt der Überschwemmung des US-Marktes mit Waren aus China. Der US-Konsum wiederum beruht wesentlich auf dem Zustrom von transnationalem Geldkapital, also auf Verschuldung. Die USA sind längst das Land mit der größten Außenverschuldung der Welt. Die Bonität dieser Verschuldung wird aber gerade durch die Position der USA als letzte Weltmacht garantiert, vor allem aufgrund der konkurrenzlosen Militärmaschine.

Die mit Petrodollars subventionierte Sozial- und Außenpolitik der Ölförderländer ist also in letzter Instanz ausgerechnet auf die Konjunktur, die Bonität und die Militärmacht des imperialen Gegners selbst angewiesen. Was für ein Widerspruch! Chávez muß eigentlich beten, daß die böse Macht der USA erhalten bleibt, weil sonst das Kartenhaus der diffusen politischen Träume zusammenkracht. Es ist wahrscheinlich das zutiefst irrationale Moment dieser Konstellation, das die ideologische Verfinsterung des vermeintlichen neuen Antiimperialismus bewirkt; bis hin zu antisemitischen Affekten. Das beweist einmal mehr, daß der Kampf für die soziale Emanzipation nur durch eine transnationale Bewegung von unten ohne nationale machtpolitische Rückversicherung zu führen ist. Das antiimperialistische Charisma auf nationalistischer Basis in den unsicheren ökonomischen Nischen der Globalisierung kann keine Nachhaltigkeit beanspruchen.