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erschienen im Neuen Deutschland
am 10.03.2006

Robert Kurz

DIE LEHREN AUS DEM AEG-KONFLIKT

Es war ein wirklicher Kampf, kein bloß symbolischer und damit hilfloser Protest: Nach mehr als einem Monat Streik, der teilweise die transnationale Wertschöpfungskette des Electrolux-Konzerns lahm legte, haben die Nürnberger AEG-Beschäftigten erhebliche Verbesserungen beim Sozialtarifvertrag hinsichtlich Frühpensionierung, Beschäftigungsgesellschaft und vor allem Abfindungen erreicht. Daß die Werksschließung nicht zu verhindern war, stand von vornherein fest. Aber die Kosten dieser Maßnahme für den Konzern wurden durch den Streik auf geschätzte 600 Millionen Euro hochgetrieben. Es war einer der wenigen Fälle, in denen sich eine Belegschaft nicht wie die Lämmer zur Schlachtbank führen ließ. Damit ist bewiesen, daß ein sozialer Abwehrkampf, der reale Machtmittel einsetzt, auch im Prozeß der Deindustrialisierung nicht ergebnislos bleiben muß. Dazu beigetragen hat die Öffentlichkeitswirkung des Streiks. Das Beispiel könnte Schule machen. Wenn am grünen Tisch der Konzernzentralen beschlossene Werksschließungen überall auf ähnliche Kampfbereitschaft stoßen, wird eine andere Verteilung der sozialen Kosten erzwungen.

Dennoch sind die Ergebnisse unzureichend. Vor allem die jüngeren Beschäftigten, für die eine Frühpensionierung nicht in Frage kommt, wurden durch die Abfindungsformel Bruttogehalt mal Betriebsjahre mal 1,8 benachteiligt. Das hat böses Blut gemacht. Daß der Kompromiß Schwächen offenbarte, hat seine Ursachen letztlich in der mangelnden Durchschlagskraft eines lokal isolierten Kampfes. Einmal mehr stellt sich die Frage einer transnationalen Formierung des sozialen Widerstands. Electrolux will die Hälfte seiner Fabriken in Europa schließen. Betroffen ist auch das spanische Werk in Fuenmajor; das schwedische Werk in Mariestad und das italienische in Florenz werden verkleinert. Und auch die Verlagerung nach Polen muß nicht das letzte Wort sein, wenn etwa China noch billiger ist. Aber es gibt keinen kommunikativen Austausch unter den Belegschaften. In den auf die nationale Ebene vergatterten Gewerkschaften sind transnationale Kontakte „von unten“ auf der Betriebsebene nicht einmal gern gesehen; man fürchtet Kontrollverlust und überläßt einen folgenlosen traditionellen Internationalismus eher der Friedrich-Ebert-Stiftung. Die Gewerkschaften werden sich langfristig entscheiden müssen, ob sie als national bornierte „Service-Unternehmen“ ihre eigene Abwicklung vorantreiben oder ob sie sich in eine neue transnationale Sozialbewegung verwandeln wollen.

Die andere Frage ist, ob soziale Defensivkämpfe eine offensive Perspektive gewinnen können. Der ständige Verweis auf die Rentabilität des Nürnberger AEG-Werks war schwach, weil es unter den Bedingungen von Verwertungskrise und Globalisierung auf die Profite aus realer Warenproduktion gar nicht mehr ankommt. Der soziale Widerstand wird das Kriterium der Rentabilität selbst in Frage stellen müssen. Nicht das dumpfe Ressentiment gegen „das Finanzkapital“ ist gefragt, sondern eine neue Kritik der an Grenzen gestoßenen kapitalistischen Produktionsweise jenseits des alten nationalen Staatssozialismus. Es wäre zu viel verlangt gewesen, vom AEG-Konflikt aus dem Stand eine solche Debatte zu erwarten. Dennoch geht es dabei nicht um hohlen Utopismus, sondern um die gesellschaftskritische Perspektive zukünftiger Kämpfe. Die Krise schläft nicht, sie wird weiter gehen und alle Lebensbedingungen erfassen. Ohne eine Auseinandersetzung über an die Wurzeln gehende gesellschaftliche Alternativen bleibt die soziale Defensive stumpf.