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erschienen in der Wochenzeitung „Freitag“
am 28.07.2006

Robert Kurz

NAGELNEUE AUSLAUFMODELLE

Das „Simsalabim“ der schwarzroten Kombilohn-Pläne

Der Niedriglohnsektor in der BRD dehnt sich aus, aber noch schneller wachsen Beschäftigungsabbau und Arbeitslosigkeit. Der Anteil der Langzeitarbeitslosen steigt von Monat zu Monat, im selben Takt fällt die Gesamtzahl der Beschäftigten durchschnittlich um 15.000. Neben Jugendlichen sind besonders Ältere betroffen: Die Hälfte aller Betriebe beschäftigt niemanden mehr, der älter ist als 50, und mehr als die Hälfte der über 55-Jährigen ist nicht mehr berufstätig. „Es gibt kein Simsalabim“, so der hoffnungslose Pragmatiker Müntefering zu dieser Lage. Trotzdem zückt er den Zauberstab und offeriert eine „Initiative 50 plus“, um die Ansätze des Kombilohns selektiv für die über 50-Jährigen auszubauen. Alg-I-Empfänger mit einem Restanspruch von mindestens 120 Tagen, die eine „deutlich geringer bezahlte Beschäftigung“ aufnehmen, sollen im 1. Jahr aus der Staatskasse einen Ausgleich der Differenz von 50%, im 2. Jahr von 30% zum Nettolohn erhalten. Bei älteren langzeitarbeitslosen Alg-II-Beziehern will Müntefering den Lohnkostenzuschuss an einstellungswillige Betriebe auf 24 statt bisher 12 Monate ausweiten.

Gedacht ist die Initiative als Anschub für die geplante Erhöhung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre. Die Aussicht auf eine zweitklassige Altersbeschäftigung bis zum Umfallen gilt im Müntefering-Speak als „Aufwertung“ der arbeitsdürstigen fröhlichen Senioren, die noch „kein altes Eisen“ seien. Schon vor den Beratungen der Initiative wird der Erfolg angezweifelt. Die Unternehmen dürften ihre auf Hochleistungsfähigkeit ausgelegte Personalpolitik kaum ändern. Möglich sind höchstens Mitnahmeeffekte, wenn zugunsten subventionierter Neueinstellungen im Gegenzug bislang Beschäftigte entlassen werden. Müntefering selbst rechnet für 2008/2009 nur mit 50.000 mehr „in Arbeit“ gebrachten Älteren, während derzeit über 1 Million Menschen dieser Altersgruppe zu den Alg-I- und Alg-II-Empfängern gehören. Auch die Finanzierung ist unklar. Während die „Initiative 50 plus“ zusätzlich mindestens 500 Millionen Euro kosten soll, hat die Koalition gerade erst eine Haushaltssperre für 1,1 Milliarden Euro bei den bisherigen Eingliederungszuschüssen verhängt. Die Union wiederum will den Kombilohn auch auf andere Altersgruppen ausdehnen, verbunden mit noch härteren Sanktionen gegen „Jobverweigerer“. Der Wirrwar scheint komplett; seit dem Desaster von Hartz IV sind alle neuen Reformbasteleien für den Arbeitsmarkt schon im Ansatz Auslaufmodelle.

Es sollte zu denken geben, dass der Kombilohn in konservativen Kreisen bloß als kleineres Übel gilt, um die Diskussion über existenzsichernde Mindestlöhne im Keim zu ersticken. Das Kombilohn-Modell ist eine Falle, denn es dient letztlich der Enteignung von Ansprüchen und dem Übergang in eine allgemeine Prekarisierung. Das zeigt sich etwa in den USA, wo die staatlichen Lohnzuschüsse verbunden sind mit Mindestlöhnen unter dem Existenzminimum, während gleichzeitig die soziale Grundsicherung bis auf geringe Reste brutal eliminiert wurde. Ein Resultat ist die berüchtigte „beschäftigte Obdachlosigkeit“. In dieselbe Richtung gehen hierzulande die Überlegungen, Kombilohn-Reformen mit einer nochmaligen Reduzierung des jetzt schon erbärmlichen Alg-II-Monatsbetrags von 345 Euro zu koppeln. Überdies stehen die Lohnzuschüsse, die ohnehin als befristete konzipiert sind, stets unter dem Vorbehalt weiterer Haushaltssperren, wie sich schon bei den bisherigen Maßnahmen erwiesen hat.

Gegen diese Grundtendenz bietet sich die Perspektive eines Kampfes für die Erhöhung statt Verminderung von Alg-II und zugleich für einen allgemeinen Mindestlohn an, der aber (im Unterschied zu den angelsächsischen Ländern und zu den zaghaften Vorstößen in diese Richtung hierzulande) hoch genug sein muss, um ein erträgliches Lebensniveau zu garantieren. Damit wäre keine dauerhafte soziale Stabilisierung zu erreichen, aber ein Abbremsen der rasenden Geschwindigkeit von Prekarisierung und Massenverarmung, um überhaupt Atem schöpfen zu können. Die globale Krise der Arbeitsmärkte ist sowieso nicht mehr zu lösen; sie verweist auf das Obsoletwerden der kapitalistischen Lebensweise und ihrer Kriterien. Dafür gibt es nun wirklich kein „Simsalabim“, und außer dem Vizekanzler darf auch sonst niemand daran denken, der sich noch ein kleines kapitalismusverträgliches Konzept abpressen möchte.