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Robert Kurz

GESCHICHTE ALS APORIE

Vorläufige Thesen zur Auseinandersetzung um die Historizität von Fetischverhältnissen. Zweite Folge

Übersicht: 1. Der geschichtstheoretische Ansatz jenseits des traditionellen Marxismus/ 2. Die Problematik des Geschichtsbegriffs als modernes Konstrukt/ 3. Auflösbare und unauflösbare Aporien/ 4. Die radikale Kritik der Moderne kann nicht keine Geschichtstheorie haben/ 5. Abspaltung und Fetisch/ 6. Kapitalismus und Religion/ 7. Zum Begriff der Fetischverhältnisse/ 8. Metaphysik, Transzendenz und Transzendentalität/ 9. Von der Epochengliederung zum Geschichtsrelativismus/ 10. Einschwenken auf den Zerfallsprozess bürgerlicher Geschichtsphilosophie?/ 11. Was heißt es, gegen sich selbst zu denken?/ 12. Geschichtstheoretische Dialektik bei Adorno/ 13. Abspaltungstheoretische Erkenntniskritik und historische Begriffskritik/ 14. Negative Geschichtstheorie und das Programm der Deontologisierung/ 15. Ein neuer Begriff der Einheit von Kontinuität und Diskontinuität/ 16. Affirmative Reproduktionsbegriffe und kritisch-historische Reflexionsbegriffe/ 17. Ontologischer Bruch und „kritischer Überschuss“/ 18. Ungenügen und reaktionär-deutschideologische Gehalte der historischen Hermeneutik/ 19. Ontologische Versteinerung als Rache der Dialektik/ 20. Mögliche Konsequenzen: neo-existentialistischer Gestus, Dezisionismus, neo-grüner Reformismus

6. Kapitalismus und Religion

Bei seiner angeblichen „Überprüfung“ der am Fetischbegriff orientierten geschichtstheoretischen Reflexion beschäftigt sich Gerold Wallner auch mit dem historischen Verhältnis von Kapitalismus und Religion. Bevor seine dabei an den Tag gelegte Herangehensweise ihrerseits überprüft werden kann, ist kurz zu rekapitulieren, wie dieses Verhältnis in der bisherigen wert-abspaltungskritischen Theoriebildung behandelt wurde und welche Problematik dabei auftauchte.

Ein erstes Herumtasten mit dem Begriff einer „Geschichte von Fetischverhältnissen“ hatte dazu geführt, den Kapitalismus, das moderne warenproduzierende Patriarchat, in gewisser Weise in die Nähe der vormodernen religiösen Konstitutionen zu rücken; ihn also sozusagen als „Fortsetzung der Religion mit anderen Mitteln“ zu denunzieren, wobei „Religion“ für die Vormoderne bereits als (fetischistisches) Konstitutions- und damit Reproduktionsverhältnis unter Einschluss der sozialen Beziehungen und des „Stoffwechselprozesses mit der Natur“ (Marx) verstanden wurde, nicht bloß als ideell-weltanschauliches Phänomen. Das kapitalistische Wert-Abspaltungsverhältnis als modernes Fetischverhältnis erschien so cum grano salis in seinem realmetaphysischen Charakter selber als eine Art religiöse Konstitution, deren Repräsentanten und Ideologen das bloß nicht wahrhaben wollen.

Jörg Ulrich hat diesen Gedanken genauer ausgeführt in seinem Buch „Individualität als politische Religion“ (Albeck bei Ulm 2002), wo er es als „verfehlt“ erklärt, „die gegenwärtige Gesellschaft als >postreligiös< und >postmetaphysisch< zu bezeichnen“ (a.a.O., S. 32), und die Argumentation weiter entwickelt in dem Artikel „Gott in Gesellschaft der Gesellschaft“ (Exit 2), wo er den Begriff der Säkularisierung als „verwirrend“ (Exit 2, S. 25) und die Wertverwertung, das „automatische Subjekt“, als „Prozessgott“ (S. 50) zu bestimmen sucht. Ulrich bezieht sich dabei u.a. auf Christoph Türcke und Stefan Breuer, vor allem aber auf das berühmte Fragment von Walter Benjamin über „Kapitalismus als Religion“ (Exit 2, S. 26-32), nämlich als „Fall eines nicht entsühnenden, sondern eines verschuldenden Kultus“ (S. 29), womit dann von einem „substantielle(n) bzw. essentielle(n) Einssein von Kapitalismus und Religion“ (S. 26) gesprochen werden könnte.

Der weiterentwickelte Benjaminsche Gedankengang enthält durchaus fruchtbare Implikationen. Dennoch muss diese Argumentation in bestimmter Hinsicht auch einer Kritik unterzogen werden. Denn im Eifer, den realmetaphysischen Charakter der Moderne aufzudecken, wurden dabei die Begriffe von Kapitalismus (Wert-Abspaltungsverhältnis), Religion (religiöse Form-Konstitutionen) und Fetisch (Fetischverhältnisse) einfach synonym gesetzt und ihre notwendige Differenz (sonst wären es eben nicht verschiedene Begriffe) teilweise eingeebnet. Was dabei zwar nicht ganz verschwindet, aber unvermittelt plötzlich sehr klein geschrieben wird, ist der tiefe Bruch, den die Moderne im Verhältnis zu den vormodernen religiösen Konstitutionen vollzogen hat. Mit anderen Worten: Das Moment der Gemeinsamkeit wird überbetont, wenn man den Kapitalismus einfach als eine Art „Religion“ sui generis und mit quasi-religiösen Begriffen beschreibt.

Diese begriffliche Unstimmigkeit entsteht auch dann, wenn bestimmte „Praktiken“ der unterschiedlichen historischen Konstitutionen analogistisch zusammengedacht werden, etwa anhand des Begriffs der „Magie“, wie es sich durchgängig in den bisherigen Texten von Petra Haarmann finden lässt. In ihrem Artikel „Copyright und Copyleft“ setzt sie unmittelbar vormodern-religiöse und modern-wertabspaltungslogische Handlungsweisen unter dem Signum des „Magischen“ gleich. In sogenannten mittelalterlichen Verhältnissen sei es stets darum gegangen, „die >ordo<, die heilbringende Ordnung, abzubilden und sich nötigenfalls deklaratorisch oder zur Bekräftigung alter Bindungen rituell hierauf zu verpflichten. Dazu bediente man sich >magischer< Wirkformen, mit deren Hilfe als real empfundene Veränderungen in der Außenwelt hervorgerufen oder erneuert wurden...“ (Exit 1, S. 190). Haarmann macht nun sofort einen unvermittelten Sprung in die Gegenwart: „Wer hier abwinkt, der sei daran erinnert, dass es solche Wirkformen mitsamt der Erfahrung einer veränderten Wirklichkeit noch heute in großer Vielzahl gibt. Man denke nur an Leitzinserhöhungen oder -senkungen des >Magiers< Greenspan, an die Gestaltungskraft von Gerichtsurteilen, an Wahlen usw.“ (Exit 1, S. 190). Natürlich kann man hier eine metaphorische Rhetorik konzedieren, aber es ist nicht bloß rhetorisch gemeint. Vielmehr geht es Haarmann offenbar ebenso wie Ulrich zu Recht darum, ein gemeinsames, übergreifendes Moment in vormodernen und modernen Verhältnissen dingfest zu machen; aber dieses Moment wird nicht richtig auf den Begriff gebracht, wenn es in Kategorien der religiösen Konstitution überhaupt oder magischer Praktiken dargestellt wird.

Eine solche Herangehensweise verdunkelt das Problem eher. So setzt Haarmann den Begriff des „Magischen“ wiederum bei der Kritik der Copyleft-Ideologie ein: „Damit wird auch die (>magische<) Wirkform zur Einflussnahme auf die fetischistische Projektion nicht als Konkretisierung eines gesellschaftlich objektivierten Gedankendings kritisiert, sondern als angeblich genialer juristischer >Hack< in ein trojanisches Pferd ideologisch umgedeutet“ (Exit 1, S. 199). Der Intention der Kritik ist zuzustimmen, und das Adjektiv „magisch“, das ja auch in Anführungszeichen gesetzt ist, kann hier als berechtigte ironische Metapher verstanden werden; aber vor dem Hintergrund der kurzschlüssigen Analogisierung von magischen Praktiken und moderner Wert-Abspaltungslogik schon vorher bekommt die Metapher einen theoretisch schrägen Klang.

Das Problem wird noch deutlicher in Petra Haarmanns Artikel „Das Bürgerrecht auf Folter“. Auch dort findet sich dieselbe kurzschlüssige Analogisierung von Magie und Moderne, diesmal bezüglich des modernen Rechts: „Die ermächtigten Rechtsanwender, also Richter, Staatsanwaltschaft und Anwälte, wirken in ihrem Tun in gewisser Weise als Magier der Zeit...Der Realitätsbezug und die Realitätsveränderung durch Magie scheint überhaupt die älteste Art und Weise zu sein, wie menschliche Sozialitäten den Umgang sowohl mit der sie umgebenden Natur als auch untereinander vollziehen. Durch magische Handlungen, wie Besänftigung, Beschwörung, Darbringung von Opfern, und Rituale der Erkenntnis, wie Eingeweideschau, Vogelflugbeobachtung, das Werfen von Losen oder Scherben usw. trat man mit den Naturmächten in Kontakt...“ (Exit 2, S. 58). Wiederum könnte die Identifizierung von Staatsanwälten und Auguren nur als Ironisierung durchgehen, sie ist aber offensichtlich nicht ironisch gemeint. Vielmehr macht Haarmann eine transhistorische Kontinuität, ja fast schon eine Ontologie anhand der präantiken und antiken magischen Praktiken auf. So habe zwar das Christentum vordergründig die Magie beseitigt: „Alle magischen Opferhandlungen werden durch die historische Opfertat Christi...ein für allemal überflüssig“ (Exit 2, S. 61). Das mit Christus gekommene Heil habe jedoch am realen Verlauf des Lebens nichts geändert: „Statt dessen beginnt eine neue Art von Geschichte, die Heilsgeschichte, die das magische Element, gegen das sie angetreten war, nicht los wird. Die Verkündung der Erlösung ist eben nicht ihr Vollzug. Es verbleibt nur die ständig zu wiederholende magische Beschwörung, sie werde noch wirklich eintreten“ (Exit 2, S. 61). Das „Geheimnis des christlichen Glaubens“ sei somit: „Bannung der Magie durch Magie“ (Exit 2, S. 70).

Auch die nächste historische Wende, der Bruch im Übergang zur Frühmoderne, ideell sich darstellend im Protestantismus, fällt bei Haarmann wieder unter eine Kontinuität des „Magischen“: „Der Feldzug Luthers gegen die Magie entpuppt sich...als ihre Apotheose (Vergötterung) in der Form radikaler Kritik...Magie wird dadurch rationalisiert, dass sie durch argumentative Täuschung den Opfernden die Überzeugung vermittelt, sie sei gar keine: Die Magie im Tarngewand, die Selbstreflexion als Selbstverblendung“ (Exit 2, S. 76 f.). Nehmen wir noch die Haarmannsche Analogisierung magischer Praktiken mit den Handlungen zeitgenössischer Staatsanwälte und Notenbankpräsidenten hinzu, so haben wir eine komplette „Transhistorizität“ der Magie von den mesopotamischen prähistorischen Verhältnissen bis heute, die schließlich eher assoziativ mit dem Fetischbegriff zusammengeschlossen wird: „Und wie immer in der bisherigen Geschichte, wenn die Magie des Fetischs >säkularisiert< wird, bedeutet dies, noch weniger zu wissen, auf dass das konstitutive und nun völlig unerkennbare verselbständigte Prinzip sich umso ungehinderter Bahn brechen kann“ (Exit 2, S. 79 f.).

Das alles konnte zunächst nur durchgehen, weil die Diskussion über das Konzept einer „Geschichte von Fetischverhältnissen“ sich noch in einem unklaren Anfangsstadium befand. Deshalb wurde sowohl die begriffliche Analogisierung von Religion und Kapitalismus bei Ulrich (im Anschluss an Benjamin) als auch die assoziative Transhistorizität des „Magischen“ bei Haarmann hingenommen, denn es schien sich eben um das berechtigte Bemühen zu handeln, das gemeinsame Moment von verschiedenen historischen Fetischverhältnissen in den Blick zu bekommen. Die Beziehung von Identität und Differenz wurde damit jedoch verfehlt. Denn die religiöse Konstitution ist eben nicht in ihren eigenen spezifischen Begriffen auf den Kapitalismus zu übertragen; und gar magische Praktiken gehören offensichtlich nicht einmal allen religiösen Konstitutionen gleichermaßen an, sodass hier die Analogisierung mit modernen Verhältnissen noch schiefer wird. Die Rede von der „Magie des Fetischs“ ist so zwar gut gemeint im Sinne der Fetischkritik, aber der Zusammenhang bleibt assoziativ und ohne begriffliche Klärung.

Die Frage ist nun, wie dieser Fehler korrigiert werden kann. Es liegt nahe, die drei Begriffsfelder von Kapitalismus, religiöser Konstitution und Fetischverhältnis in eine genauere Beziehung zu setzen und die theoretischen Abstraktionsebenen zu differenzieren. Dabei ist es offensichtlich, dass die religiöse und die kapitalistische Konstitution grundverschiedene historische Formationen darstellen, wobei der Kapitalismus in einem kontingenten Prozess aus der religiösen Konstitution herausgewachsen ist und diese hinter sich gelassen hat. Der Kapitalismus kann also mit dem Bild einer religiösen Verfasstheit nicht mehr adäquat bestimmt werden; es handelt sich hier in der Tat bloß um ein Bild, um eine bloß assoziative Gleichsetzung. Das verfängt deshalb, weil sich der Kapitalismus damit eben leicht denunzieren lässt, was allerdings wiederum assoziative Anleihen bei der aufklärerischen und traditionsmarxistischen Religionskritik voraussetzt. Und der Fetischbegriff wird dabei ebenso assoziativ mit hineingerührt; hat ihn doch Marx selbst als „Analogie“ zu der „Nebelregion der religiösen Welt“ deklariert.

Deshalb ist es hier zunächst wichtig, den wert-abspaltungskritisch reflektierten (nicht mehr im Sinne des Aufklärungsdenkens verstandenen) Begriff des Fetischverhältnisses in seiner Beziehung zu den Begriffen der jeweiligen historischen Formationen zu bestimmen. Er meint nicht etwas, das akzidentiell oder äußerlich und zufällig verschiedenen Formationen gleichermaßen zugehören kann, etwa bestimmte Kulturtechniken. Vielmehr bedeutet er in gewisser Weise die Feststellung einer (negativen) wesentlichen Meta-Qualität, die sich aber nur dem vergleichenden Blick auf einer entsprechenden anderen Abstraktionsebene der geschichtstheoretischen Reflexion erschließt, zu der uns erst die Negativität des Kapitalismus nötigt und die eben deshalb ein eigenes Begriffsfeld eröffnet, das nicht mit den spezifischen Begriffsfeldern im Sinne bestimmter historischer Konstitutionen (Religion, Kapitalismus) verwechselt werden darf. Es ist dies eine höhere Abstraktionsebene nicht im Sinne eines gesetzmäßigen historischen Fortschritts, in dem dann auch der Kapitalismus sein warmes Plätzchen hätte, sondern im Sinne jener Kontingenz eines Gesamtprozesses, in dem „Weltgeschichte“ negativ entstanden ist und jetzt zu einer vergleichenden geschichtstheoretischen Reflexion zwingt, die eher theoretischen Notwehrcharakter hat, als dass sie ein „Darüberstehen“ des klassisch-modernen Philosophenkönigs reproduzieren würde.

Es geht also um das, was religiöse und kapitalistische Konstitution auf dieser Abstraktionsebene grundsätzlich gemeinsam haben, ohne den dazwischenliegenden Bruch und die jeweils fundamental unterschiedliche Eigenqualität zu leugnen. Dieses Problem und die damit verbundene Reflexionsebene können überhaupt erst auftauchen, nachdem der Kapitalismus samt seinem Anspruch einer „emanzipatorischen“ Überwindung der religiösen Konstitutionen entstanden ist und zu einem neuartigen kritischen Vergleich herausfordert, der im ersten Anlauf (Kapitalismus „als Religion“) ungenügend geblieben ist; erst recht bei der Haarmannschen Identifikation von Fetischbegriff und magischen Praktiken, wobei letztere in Wirklichkeit noch unterhalb der Abstraktionsebene von religiösen Konstitutionen als solchen angesiedelt sind. Haarmann überspringt nicht nur eine, sondern gleich zwei Abstraktionsebenen. Das Ungenügen dieser falschen Gleichsetzungen (auch bei der Marxschen Analogisierung) kommt daher, dass die neue, andere Reflexionsebene des Fetischbegriffs (und damit einer „Geschichte von Fetischverhältnissen“) noch nicht als solche herausgearbeitet wurde, auf der dann erst das Verhältnis von Differenz und Gemeinsamkeit geklärt werden kann.

In dieser Hinsicht muss vorerst der Verweis darauf genügen, dass sowohl die religiös konstituierten Sozietäten als auch die kapitalistische Vergesellschaftung gleichermaßen in gewisser, jeweils eigener und anderer Weise „fremdbestimmt“ sind durch eine den empirischen Menschen gegenüber verselbständigte apriorische Matrix, die wir als Fetischverhältnis bezeichnet haben. Dieser Begriff der verselbständigten apriorischen Matrix bringt Religion und Kapitalismus auf einer bestimmten neuen Abstraktionsebene zusammen und kann trotzdem gleichzeitig die grundsätzliche Differenz in ihren jeweiligen Reproduktionsverhältnissen, auf der Ebene ihrer jeweils ganz verschiedenen Konstitution, anerkennen.

Ein Verständnis des Kapitalismus „als Religion“ schließt nun die Reflexionsebene der differenten historischen Formationsbegriffe (und sogar ihrer untereinander differenten Binnenverhältnisse, etwa hinsichtlich „magischer Praktiken“) kurz mit der ganz anderen Abstraktionsebene des Fetischbegriffs. Eine Korrektur dieser kurzschlüssigen Gleichsetzung bedeutet aber gerade nicht, diese Reflexionsebene des Fetischbegriffs preiszugeben; sie muss vielmehr an ihre richtige Stelle gesetzt werden. Der Kapitalismus ist nicht die „Fortsetzung der Religion mit anderen Mitteln“, und schon gar nicht eine Reproduktion „magischer Praktiken“; aber er hat auf anderer Abstraktionsebene eine negative Gemeinsamkeit mit der religiösen Konstitution. Man kann dann wie schon gesagt vielleicht Ausdrücke wie „magisch“ oder „Prozessgott“ als ironisch-rhetorische Metaphern verwenden; aber nur, wenn dieser Charakter des Metaphorischen im Kontext auch kenntlich gemacht wird und begrifflich der Bruch zwischen vormoderner religiöser und moderner kapitalistischer Konstitution sowie die fundamental unterschiedlichen Qualitäten klar herausgearbeitet werden. Ein Verständnis des Kapitalismus „als Religion“ wie bei Ulrich in seinem Bezug auf Benjamin und andere Gewährsleute, oder gar als „Magie“ wie bei Haarmann, läuft dagegen Gefahr, nicht nur in eine platte Analogisierung zu verfallen, sondern den Kapitalismus damit sogar regelrecht zu mystifizieren.

Kenntlich werden solche Probleme immer bei den Vulgarisierern. Ein solcher ist der Rest-Krisis-Autor Ernst Lohoff, der sich als notorischer Abschreiber (selbstverständlich ohne die Referenzen auszuweisen) die Motive, Gedanken und Argumentationen aus dem Ulrich- und den Haarmann-Artikeln (Exit 1 und 2) an Land gezogen und die falschen Analogisierungen auf seine übliche Weise auftrumpfend und sich aufspreizend noch einmal simplifiziert hat. Lohoff behauptet: „Der Sieg von Ware und Vernunft über den klassischen Glauben fand...innerhalb des Universums magischer Praktiken und magischen Denkens statt...“ (Ernst Lohoff, Die Verzauberung der Welt, in: Krisis 29, S. 13). Petra Haarmann lässt grüßen. Im Kapitalismus, so Lohoff, gebe es „jenseitige Riten (!) wie das Geldverdienen und das Recht“ (a.a.O., S. 14). So lasse sich „das emanzipative Ziel auch als konsequente Profanierung (!) der gesellschaftlichen Wirklichkeit fassen“ (a.a.O., S. 14). Wirklich köstlich: „Wertkritische“ Kapitalismuskritik als direktes Revival der aufklärerischen Religionskritik. Ulrich und Haarmann haben gewissermaßen ein rülpsendes Echo bekommen. So war es denn doch trotz aller Verkürzungen hoffentlich nicht gemeint. Der Kapitalismus ist in Wirklichkeit auf eine falsche und elende Weise durch und durch „profan“; er hat die Welt tatsächlich entheiligt, aber nur, um an die Stelle des Heiligen eine andere Art von Fetisch zu setzen.

Ein wenig erinnert die Problematik solcher Analogisierungen, bis hin zum Lohoffschen Postulat einer „konsequenten Profanierung“, an die Auseinandersetzung von Marx und Engels mit den Junghegelianern, wie sie in der „Deutschen Ideologie“ geführt wurde: „Die gesamte deutsche philosophische Kritik von Strauß bis Stirner beschränkt sich auf Kritik der religiösen Vorstellungen. Man ging aus von der wirklichen Religion und eigentlichen Theologie. Was religiöses Bewusstsein, religiöse Vorstellung sei, wurde im weiteren Verlauf verschieden bestimmt. Der Fortschritt bestand darin, die angeblich herrschenden metaphysischen, politischen, rechtlichen, moralischen und andern Vorstellungen auch unter die Sphäre der religiösen oder theologischen Vorstellungen zu subsumieren; ebenso das politische, rechtliche, moralische Bewusstsein für religiöses oder theologisches Bewusstsein, und den politischen, rechtlichen, moralischen Menschen, in letzter Instanz >den Menschen<, für religiös zu erklären. Die Herrschaft der Religion wurde vorausgesetzt. Nach und nach wurde jedes herrschende Verhältnis für ein Verhältnis der Religion erklärt und in Kultus verwandelt, Kultus des Rechts, Kultus des Staats p.p...Die Althegelianer hatten Alles begriffen, sobald es auf eine Hegelsche logische Kategorie zurückgeführt war. Die Junghegelianer kritisierten Alles, indem sie ihm religiöse Vorstellungen unterschoben oder es für theologisch erklärten“ (Die Deutsche Ideologie, Berlin 1960, S. 15).

Diese Sätze treffen unmittelbar auch Ulrich, Haarmann und vor allem den Nachplapperer Lohoff, der Subjektkritik betreiben will, indem er von „Subjektreligion“ (Krisis 30, S. 44), einer „Subjektkirche“ (a.a.O., S. 49) oder der „heiligen Arbeit“ (a.a.O., S. 53) schwadroniert und schließlich abermals die Überwindung des Kapitalismus als „das kommunistische Programm einer radikalen Säkularisierung der Gesellschaft“ (a.a.O., S. 89) beschreibt, also als bloße Verdoppelung der aufklärerischen Religionskritik. Wenn gegen diese Tendenz, dem Kapitalismus eine religiöse Konstitution zu unterschieben, die Marxsche Kritik an den Junghegelianern ins Feld geführt wird, so darf trotzdem nicht vergessen werden, dass diese Polemik noch nicht im Kontext der Fetischproblematik formuliert wurde, sondern im Kontext des „materialistischen“ Basis-Überbau-Schemas. Marx fasst hier also „Religion“ noch als bloß ideelles „Überbau“-Phänomen. Den Fetischbegriff, der letztlich diesen kruden „Materialismus“ ansatzweise überwindet, hat Marx erst im „Kapital“ und den Vorarbeiten dazu eingeführt. Was von der Intention der „Deutschen Ideologie“ gültig und unverzichtbar bleibt, ist die Kontextualisierung von Ideen bzw. Institutionen und historischen Reproduktionsverhältnissen der Menschen; und in diesem Zusammenhang auch die Kritik an falschen Analogisierungen von Religion und Kapitalismus. Im Licht des Fetischbegriffs, aus dem sich der Gedanke einer „Geschichte von Fetischverhältnissen“ ergibt, wird nun aber andererseits auch die Religion als etwas erkannt, was nicht bloß „Idee“ und „Überbau“ über einer historischen Entwicklungsform der Arbeitsontologie ist, sondern einstmals ein historisches Reproduktionsverhältnis, eine bestimmte Konstitution der Lebensverhältnisse war. In diesem Sinne gewinnt der Benjaminsche Gedanke Bedeutung, aber nicht in seiner eigenen Identifikation des Kapitalismus „als Religion“, sondern auf der anderen Abstraktionsebene des Fetischbegriffs. So kann die in der „Deutschen Ideologie“ geleistete Kritik ebenso eingelöst wie dem Richtigen an der Benjaminschen Argumentation Rechnung getragen werden.

Es ist also klar, dass die bei Lohoff bloß besonders alberne Gleichsetzung von Religion bzw. „Magie“ und Kapitalismus korrigiert werden muss. Die Korrektur bei Gerold Wallner (und inzwischen auch bei Jörg Ulrich und Petra Haarmann selbst) sieht aber völlig anders aus als die oben skizzierte und läuft auf eine Liquidation der Problemstellung hinaus. Wallner kritisiert zunächst die unmittelbare Analogisierung durchaus richtig: „Wenn es nun aber modern geworden ist, den Kapitalismus unter Rekurs auf die...Marxstelle über den Fetisch darauf hin abzuklopfen, ob darin nicht doch eine religiöse Tradition sich verberge, quasi ein Wirken Gottes offenbar werde (denn so muss eins solch Unterfangen sehen, das den Kapitalismus dafür kritisiert, dass er doch recht eigentlich eine Religion geblieben ist, und ihn über sich selbst aufklären will), ob denn nicht Kaufen und Verkaufen kultische Handlungen seien, das Recht eine Metaphysik und das Geldverdienen eine Anbetung, ja dieses unbegriffene Religiöse sogar gegen ihn selbst gerichtet wird, um ihn zu desavouieren,...dann wird umgekehrt ein Schuh draus. Die Moderne entwickelt nicht unbegriffen das Instrumentarium einer religiösen Welterklärung weiter, sie erstellt eine völlig neue Welterklärung, die sie eine neue Welt vorfinden lässt“ (Exit 3, S. 56).

Wallner führt also das Moment der grundsätzlichen Differenz gegen die in quasi-religiöser bzw. magischer Begrifflichkeit ausgedrückte Überbetonung des Gemeinsamen wieder ein; aber nur, um sogleich in den entgegengesetzten Fehler zu verfallen: „(Die) moderne Sichtweise selbst nötigt..., Kontinuität zu sehen, wo keine ist. Gott hat ausgedient...Da mag zwar der Fetisch unserer Verfasstheit seine Hand im Spiel haben, da mag uns der Wert vorgaukeln, was wir vermögen und aneinander wert finden, aber nicht mehr die Religion“ (a.a.O., S. 56 f.). Die kurzschlüssige Bestimmung einer Gemeinsamkeit von Religion und Kapitalismus auf der Ebene des Gottesbegriffs (oder gar „magischer Praktiken“ wie bei Haarmann und Lohoff), also im Sinne einer „Fortsetzung der Religion mit anderen Mitteln“, erscheint somit schlechthin als der Fehler, „Kontinuität zu sehen, wo keine ist“ (also überhaupt keine). Zusammen mit der falschen Analogisierung von Religion (religiöser Konstitution) und Kapitalismus soll das Moment einer übergreifenden Bestimmung als solches eliminiert werden.

Wallner bringt wieder einmal die Abstraktionsebenen durcheinander; er will nicht sehen, dass jene theoretisch zu kurz greifende Analogisierung so korrigiert werden muss, dass das Gemeinsame von Religion und Kapitalismus auf einer anderen Reflexionsebene bestimmt wird, nämlich derjenigen des Begriffs von (differenten) Fetischverhältnissen. Stattdessen wird die Kritik an der Identifizierung von Religion und Kapitalismus wieder zum bloßen Vehikel für die Absicht, das Konzept einer „Geschichte von Fetischverhältnissen“ zu verwerfen: „(So) stellen wir nun Geschichte als Geschichte von Fetischverhältnissen dar und machen – wie die alten Portugiesen – aus Göttern Fetische...Fetisch ist nicht Gott, der Wert nicht die Schöpfung“ (a.a.O., S. 61 f.). Wallner schüttet das Kind mit dem Bade aus; er erkennt den Begriff der Fetischverhältnisse nicht als andere Abstraktionsebene, auf der trotz der in ihren Reproduktionsverhältnissen völlig unterschiedlichen Konstitutionen und des dazwischenliegenden Bruchs ein gemeinsames, übergreifendes Moment von „Gottesbeziehungsverhältnissen“ und „Wert-Abspaltungsverhältnissen“ festgestellt werden kann. In Wallners Formulierungen ist wieder das Apriori erkennbar, den Fetischbegriff ohne eigentliche Begründung allein für die moderne Konstitution zu reservieren; genauso gut könnte er bei diesem Durcheinanderwerfen der Abstraktionsebenen allerdings auch umgekehrt ausschließlich der religiösen Konstitution zugeschlagen und für die Moderne verworfen werden. Wallner geht es einfach darum, überhaupt jeden übergreifenden geschichtstheoretischen Begriff zu negieren, also das Konzept einer „Geschichte von Fetischverhältnissen“ gänzlich fallen zu lassen.

Jörg Ulrich wehrt sich zunächst noch ein wenig dagegen, in den begrifflichen Absturz Wallners hineingerissen zu werden. Er sieht, dass Wallner den Benjaminschen Gedankengang bloß als Aufklärungsideologie denunzieren und nicht korrigieren, sondern total ablehnen will: „Die Erklärung des >Kapitalismus als Religion< bleibt für Wallner...ein zutiefst aufklärerisches und damit ideologisches Unterfangen, wird der Kapitalismus hier doch nur über sich selbst aufgeklärt, indem ihm gesagt wird, er habe die Religion nicht wirklich überwunden und sei somit nichts anderes als eben nur eine neue Form der religiösen Weltbewältigung, die Aufklärung habe also sozusagen ihr Klassenziel nicht erreicht und müsse nun über sich selbst hinausgetrieben und zur wahren Überwindung der Religion erst hingeführt werden...Wenn dem so ist, dann wäre die im Anschluss an Walter Benjamins Fragment >Kapitalismus als Religion< geführte Diskussion ein ganz und gar vom Geist der Aufklärung durchdrungenes pseudokritisches Scheingefecht auf einem Feld, welches Aufklärung und Moderne selbst längst verlassen haben...“ (Jörg Ulrich, „Der“ Mensch und die Leute und die Religion und der Kapitalismus und so weiter).

Ulrich ahnt, dass hier das Kind mit dem Bade ausgeschüttet wird; aber er verteidigt zunächst nur seinen alten, analogisierenden Ansatz: „Die Frage, die sich hier stellt, scheint mir nun die zu sein, ob nicht beides zusammengedacht werden kann: das unbestreitbar gegebene Obsoletsein des traditionellen Gottes und die >Göttlichkeit< bzw. die >Gottesfixiertheit< des modernen Fetischverhältnisses gerade in und durch die mit ihm gesetzte Weltfremdheit...Meine These, dass der moderne >Absturz Gottes in den Abgrund seines eigenen Begriffs< diesen Gott in seiner traditionellen Gestalt (der Patriarchengott mit dem Bart und der Glatze) radikal abschafft, dieser aber gerade in jener Abschaffung und durch diese hindurch sich erhält, nur anders, nicht mehr als der heilsverbürgende daseiende Gott, sondern als erst herzustellender, scheint mir durch die Thesen Wallners nicht widerlegt“ (a.a.O.).

Ganz offensichtlich bringt auch Ulrich die Abstraktionsebenen durcheinander, nur genau andersherum wie Wallner. Indem er in gewisser Weise daran festhalten will, den Kapitalismus als „Fortsetzung der Religion mit anderen Mitteln“ zu bestimmen, somit als eine Art „Gottesbeziehung“, „nur anders“ (und insofern durchaus ähnlich wie die Junghegelianer), verfehlt er gerade die Reflexionsebene des Begriffs von Fetischverhältnissen. Die Wert-Abspaltungsverhältnisse sind eben grundsätzlich keine Gottesbeziehungsverhältnisse mehr; nicht auf dieser unmittelbaren Ebene ist das Moment von Gemeinsamkeit zu suchen, sondern auf der Vermittlungsebene des Begriffs einer apriorischen Matrix, die sich in jeweils anderer Weise den empirischen Menschen gegenüber verselbständigt hat, wie oben kurz dargelegt. Nur mit einem so verstandenen geschichtstheoretischen Begriff von Fetischverhältnissen ist die Einheit von Differenz und Identität festzuhalten, ohne begrifflich in die eine oder andere Einseitigkeit abzustürzen. Indem Ulrich das Moment von Gemeinsamkeit in einer Art falschen Unmittelbarkeit auf der Ebene des religiösen Gottesbegriffs sucht, also weiterhin in jener kurzschlüssigen Bestimmung, begibt er sich in eine unhaltbare defensive Position.

Kein Wunder, dass Ulrich schließlich kapituliert und das Problem alsbald mit den „anderen Augen“ des bloß umgekehrten Wallnerschen Verfehlens der Reflexionsebenen betrachtet. Schon im nachträglich geschriebenen Vorwort zu seiner verkürzten Kritik an Wallner kommt diese bedingungslose Kapitulation zum Ausdruck: „Der nachfolgende Text betrachtet das Thema noch nicht ganz mit...anderen Augen. Vielleicht kann gesagt werden, dass hier erst ein anderes Auge beteiligt ist, während das zweite noch einer mehr oder weniger traditionellen Sichtweise verhaftet bleibt. Aber er beschreibt gerade deswegen den Weg, auf dem, durch die Ausführungen Gerolds angestoßen, die eigene theoretische Reflexion weiter geht“ (a.a.O.). In Wirklichkeit hat sich Ulrich bloß in den begrifflichen Absturz Wallners hineinziehen und darauf vergattern lassen, das Gemeinsamkeitsmoment restlos preiszugeben, nachdem er es zuvor (ebenso wie Petra Haarmann) auf falsche Weise überstrapaziert hatte. Zwischen religiöser und kapitalistischer Konstitution soll es plötzlich keinerlei Gemeinsames mehr geben.

Was sich bei Wallner schon anhand des Begriffs von Historizität als „Verabsolutierung der Differenz“ gezeigt hat, wiederholt sich jetzt anhand des Begriffs von historischen Formationen mit unterschiedlicher Konstitution selbst. Die ganze Veranstaltung läuft auf eine einseitige Differenz-Metaphysik hinaus, in der zusammen mit dem Konzept einer „Geschichte von Fetischverhältnissen“ jede übergreifende geschichtstheoretische Reflexion überhaupt begraben werden soll. Ulrich hat nicht gewagt, seiner Ahnung weiter nachzugehen, dass diese Vorgehensweise in eine ganz desperate Richtung führt. Es scheint fast so, als wäre ihm leibhaftig die Muse der theoretischen Abrüstung begegnet, unter deren Kuss das Begriffsvermögen zu ersterben droht. Petra Haarmann ist inzwischen (in den letzten Diskussionen der alten Exit-Redaktion, kurz bevor sie zusammen mit Ulrich, Wallner u.a. den Exit-Zusammenhang verlassen hat) völlig zur Position einer Verabsolutierung der Differenz übergegangen, nachdem sie selber zuvor die „Magie“ ganz undifferenziert durch die Jahrtausende spazieren geführt hatte. Der eigene Fehler wird nicht als solcher korrigiert, sondern dem Konzept einer „Geschichte von Fetischverhältnissen“ angelastet und damit die Abstraktionsebene, die Haarmann gleich doppelt verfehlt hat, als solche gelöscht. Deshalb kam es auch nicht mehr zu einer gemeinsamen Diskussion des Fetischproblems über die Ulrichschen und Haarmannschen Verkürzungen hinaus, sondern die falsche Analogisierung von Religion und Kapitalismus wurde in einer bloßen Umkehrung durch das genauso falsche völlige Kappen eines geschichtstheoretischen Gehalts des Fetischbegriffs ersetzt.

Aus der Sicht einer kritischen (nicht identitätslogischen) Reflexion des Verhältnisses von Differenz der historischen Konstitutionen einerseits und ihrer geschichtstheoretisch bestimmbaren negativen Allgemeinheit im Sinne von Fetischverhältnissen andererseits ist also Ulrich nicht ein „anderes Auge“ aufgegangen, sondern er hat nur den einen verkürzten Blick durch den andern ebenso verkürzten ausgetauscht. Was als Weiterentwicklung der eigenen theoretischen Reflexion firmiert, ist tatsächlich erst recht ein „pseudokritisches Scheingefecht“, in dem nun gegen eine falsche Hypostasierung der Gemeinsamkeit („Kapitalismus als Religion“ oder als Reproduktion „magischer Praktiken“) eine genauso falsche Hypostasierung des Unterschieds (gar kein übergreifendes Moment mehr) ins Feld geführt wird. Ulrich ist flugs in den „Abgrund seines eigenen Begriffs“ gestürzt; das allgemeine selbst bereitete Schicksal des modernen Philosophenkönigs, wie sich am weder von Wallner noch von Ulrich und Haarmann kritisch reflektierten Fortgang der bürgerlichen Geschichtsphilosophie noch zeigen wird.

7. Zum Begriff der Fetischverhältnisse

Es stellt sich nun die Frage, welchen Begriff von Fetischverhältnissen Gerold Wallner in seiner Eigenschaft als advocatus diaboli eigentlich bei seiner angeblich unbefangenen „Überprüfung“ vorausgesetzt hat. In seinem Artikel versucht er sich an einer Art Kurzdefinition: „Als Fetisch ist etwas von den Leuten Geschaffenes zu verstehen, über dessen menschliche Urheberschaft die Leute sich nicht bewusst sind, das daher mit seiner eigenen Autorität auf die Leute zurückwirkt und sie zu einem allgemein gültigen Handeln veranlasst, und zwar so, als würde diese Veranlassung von außen, eben diesem Fetisch, kommen und ohne menschliche Urheberschaft sein. Der Fetisch fußt auf einer Erklärung für die Beschaffenheit dieser Welt, die ebenso wenig als eine Erklärung der Leute selbst bewahrt wird, sondern als etwas, was die Welt über sich preisgibt...“ (Exit 3, S. 47).

Diese Bestimmung enthält zwar etwas von derjenigen einer „apriorischen Matrix“, deren Begriff ich schon kurz erwähnt habe; aber sie bleibt in gewisser Weise unpräzise, weil sie nur einen Aspekt dieses Begriffs festhält: nämlich die Tatsache, dass der Fetisch einerseits etwas von den Menschen selbst Geschaffenes ist, andererseits aber nicht als solches erscheint, sondern als äußere Veranlassung einer objektiven „Weltverfasstheit“. Immerhin wird damit jene Abstraktionsebene der geschichtstheoretischen Meta-Reflexion berührt, die Wallner jedoch, wie sich anhand seiner Behandlung des Verhältnisses von religiöser und kapitalistischer Konstitution gezeigt hat, nicht einzuhalten vermag und auf deren völliges Verwerfen sein Text letztlich hinausläuft.

Auffällig an seiner unpräzisen Bestimmung, die sich nur auf das Verhältnis von „Selbstmachen“ des Fetischs durch „die Leute“ und dessen Erscheinung als äußerliche Weltverfassung bezieht, ist schon hier ein ontologisierender Duktus, dessen Gehalt ich zum Schluss meiner Kritik ausführlich erörtern werde. Die Bestimmung des Fetischs wird nicht im Sinne eines Durchbrechens des negativen Kontinuums von Fetischverhältnissen formuliert, also radikal kritisch, sondern bleibt eigentümlich starr, als wäre hier jede kritische Intention eine Art Vermessenheit. In diesem Zusammenhang fehlt bei Wallner auch jeder Hinweis darauf, dass ein Fetischverhältnis zumindest seit Beginn der schriftlich tradierten Geschichtszeit in den ersten sogenannten Hochkulturen immer auch ein Herrschaftsverhältnis gebildet hat. Dieser Begriff erscheint bei Wallner nur ganz zu Anfang seiner Erörterung, wo er jedoch allein dem traditionsmarxistischen Verständnis einer „Geschichte von Klassenkämpfen“ zugeschlagen wird und damit der „bekannte(n) und vertraute(n) Epochengliederung“ (Exit 3, S. 21). In Wallners eigener Epochengliederung, wie sie angeblich aus dem Konzept einer „Geschichte von Fetischverhältnissen“ folgt, fällt dagegen deren Charakter als Herrschaftsverhältnisse weitgehend unter den Tisch.

Hier haben wir es mit einer alten impliziten und expliziten Auseinandersetzung im Kontext der ursprünglichen wertkritischen Theoriebildung zu tun. Schon damals gab es eine Tendenz (wie sie vor allem von den Autoren Peter Klein und Ernst Lohoff vertreten wurde), mit dem neuen Begriff von Fetischverhältnissen und dem verobjektivierten „automatischen Subjekt“ in der Moderne den Begriff der Herrschaftsverhältnisse auszublenden und ihn pejorativ dem Traditionsmarxismus und dessen soziologistisch verkürzter Theorie zu überlassen. Aus gegebenem Anlass will ich darauf nun in einem Exkurs näher eingehen.

In seinem Artikel „Brüderchen und Schwesterchen“ hatte Ernst Lohoff an die Stelle des Begriffs von Herrschaftsverhältnissen die Metapher der vom Fetisch gesteuerten „Marionette“ gesetzt: „Auch wo die miteinander konkurrierenden Marionetten des Werts im Kampf gegeneinander ihr jeweiliges (Geld)interesse geltend machen, hat ihr Handeln nichts unbedingtes an sich, sondern steht immer nur für die Exekution der schon vorausgesetzten Logik des Werts“ (in: Krisis 11, 1991, S. 88). Die Handlungsebene wird hier völlig objektivistisch heruntergebrochen, was Lohoff dann noch einmal bekräftigt: „Weil es die Marionetten des Werts naiv als unbedingte, mit eigenem Willen (!) ausgestattete Subjekte nimmt, muss das soziologistische Wahrnehmungsraster die Gewalt des gesellschaftlichen Prozesses an den personellen Trägern dingfest machen“ (a.a.O., S. 103). Der westlich-marxistischen und insbesondere operaistischen Auflösung der Fetischverhältnisse in schiere Willensverhältnisse wird hier nur die andere Seite derselben Medaille entgegengesetzt, die Auflösung in schiere Objektivität. Die eigentlich zu thematisierende Beziehung von Fetischverhältnis und Willenshandlungen (in der bürgerlichen Soziologie als Evergreen: die Beziehung von „Strukturebene“ und „Handlungsebene“) wird so beiderseits verfehlt.

Lohoff entblödet sich nicht, dieses extrem objektivistische Verständnis sogleich am Geschlechterverhältnis zu exekutieren: „Die Männer führen kein patriarchales Willkürregiment, sie exekutieren an den Frauen nur (!) das ihnen selbst vorausgesetzte fetischistische Gewaltverhältnis. Der Zwang, den sie an den Frauen ausüben, hat seinen Urgrund nicht im männlichen Willen, sondern in dem diesen >Herrschenden< immer schon vorausgesetzten Syntheseprinzip“ (a.a.O., S. 99). Ein prima Freispruch für Vergewaltiger, die ja nur das „vorausgesetzte fetischistische Gewaltverhältnis“ als „Marionetten“ exekutieren. Dem entspricht dann eine simple Subordination des Geschlechterverhältnisses unter den Wert als Fetisch, insofern ganz ähnlich wie bei Gerold Wallner: „Die Aufgabe revolutionärer Theorie kann allein darin bestehen, das moderne bürgerliche Geschlechterverhältnis als Moment des herrschenden Versachlichungszusammenhangs zu entwickeln. Die Kritik des Werts, des automatischen Subjekts dieser Gesellschaft, bedarf keineswegs der >Ergänzung< durch die Kritik von Familie und Geschlechterverhältnis, ihre Konkretion muss aber diese Ebenen einschließen“ (a.a.O., S. 125 f.). Das androzentrisch-universalistische, ableitungslogische Verständnis des Geschlechterverhältnisses erscheint hier pur und zugespitzt, als bloße „Konkretion“ auf einer subordinierten Ebene. Wallner gesteht zwar im Unterschied zu Lohoff die Abspaltung als „Ergänzung“ zu, aber das Verhältnis des Werts als eigentlicher und übergeordneter Fetisch zu dieser „ergänzenden“ Abspaltung bleibt wie gezeigt dennoch demselben androzentrisch-universalistischen und ableitungslogischen Modus verhaftet.

Mit ihrem Artikel „Der Wert ist der Mann“ (Krisis 12, 1992) leitete Roswitha Scholz dann eine ganz andere, neue Theoriebildung ein, in der das Geschlechterverhältnis als Abspaltungsverhältnis aus der androzentrisch-ableitungslogischen Subordination unter den Wert als universalistisches Fetischverhältnis herausgenommen und auf dieselbe Abstraktionsebene wie der Wert gehoben wurde, woraus sich das neue Verständnis einer in sich gebrochenen statt in sich geschlossenen Totalität der modernen Gesellschaft ergab. Dieser „Schlag ins Kontor“, bis heute von vielen „gestandenen“ Wertkritikern nicht oder nicht wirklich nachvollzogen (Gerold Wallner ist da nur ein Beispiel unter vielen), bezog sich aber nicht nur auf den Inhalt der Abspaltung, sondern eröffnete zugleich eine erkenntniskritische Dimension für die Überwindung der objektivistisch verkürzten Wertkritik überhaupt. Dieser Ansatz erlaubte es, den Begriff der Herrschaftsverhältnisse in modifizierter Form (nicht mehr soziologistisch reduziert) wieder in den Begriff der Fetischverhältnisse hereinzunehmen.

Roswitha Scholz kritisierte deshalb den objektivistischen Charakter der damaligen Wertkritik anhand des Geschlechterverhältnisses: „Im geschlechtslosen Begriff des >punktförmigen< abstrakten Individuums wird in den bisherigen KRISIS-Texten der geschlechtsspezifisch besetzte Charakter der Wertlogik ausgeblendet. Meine Kritik bezieht sich ebenso darauf, dass der Begriff des Patriarchats (und damit der Herrschaftscharakter des wertförmigen Geschlechterverhältnisses) teilweise unter Berufung auf den Fetischcharakter der Warengesellschaft umgangen oder sogar bewusst negiert wurde...Das Problem kann auf die Alternative zugespitzt werden, ob abstrakte Arbeit und Wert schon in ihrem Konstitutionszusammenhang und damit in ihrem Wesenskern als männliches Prinzip begriffen werden, oder ob doch wieder eine Begriffshierarchie eingeführt wird, in der die geschlechtliche Besetzung als bloßes >Ableitungs<- und >Konkretisierungsproblem< in einen Sekundärzusammenhang verwiesen wird“ (Der Wert ist der Mann, in: Krisis 12, S. 21). Es ist, als hätte Roswitha Scholz Gerold Wallners Entstellung des Abspaltungsbegriffs vorausgeahnt, bei der noch die Abspaltung selbst in diesen Ableitungs- und Sekundärzusammenhang verwiesen wird. Hier handelte es sich allerdings um die Kritik des alten, gänzlich „abspaltungslosen“ Verständnisses von Wertsubjektivität, die in ihrem Objektivierungszusammenhang aufgehen sollte.

Der Charakter des Herrschaftsverhältnisses wurde in dieser Kritik bereits modifiziert auf das Fetischverhältnis bezogen: „Um in diesem Kontext Missverständnissen vorzubeugen, die aus dem Begriff des Patriarchats entstehen könnten: Wenn hier von Männerherrschaft die Rede ist, so ist damit freilich nicht gemeint, dass der Mann unentwegt neben der Frau mit der Peitsche steht, um ihr seinen Willen aufzuzwingen. Herrschaft im hier verstandenen Sinne basiert im wesentlichen auf Internalisierung kollektiv gesetzter Normen und auf Institutionalisierung...Dieser differenzierte Herrschaftsbegriff steht auch keineswegs im Gegensatz zum Fetischcharakter des Werts. In der KRISIS-Diskussion wurde aber (zumindest bis vor kurzem) der Fetisch-Begriff direkt gegen den Herrschafts- und damit Patriarchats-Begriff ausgespielt. Dabei muss ein simplifizierter, subjektiv reduzierter Herrschaftsbegriff unterstellt werden“ (Krisis 12, S. 21 f.). Und direkt gegen Ernst Lohoff gerichtet: „Ganz davon abgesehen, dass die feministische Theoriebildung in der Regel längst über ein derart krudes Herrschaftsverständnis hinaus ist, wie E. Lohoff es unterstellt, wird hier das >gesellschaftliche Syntheseprinzip< dem asymmetrischen Geschlechterverhältnis äußerlich gegenübergestellt...Überdies braucht sich Mann mit derartigen Argumentationsfiguren (gerade in einer historischen Situation, in der der Geschlechterkampf auf der Tagesordnung steht) nicht selber in Frage zu stellen. Denn er ist dann ja buchstäblich nur eine >Marionette< des Wert-Fetischs“ (Krisis 12, S. 22).

Einen Versuch, diese Überlegungen unter Rückgriff auf den damaligen Stand der Abspaltungstheorie weiterzuführen und die Herrschaftsdimension von Fetischverhältnissen über das Geschlechterverhältnis hinaus hereinzunehmen, stellte der Essay „Subjektlose Herrschaft“ dar (zuerst erschienen in Krisis 13, 1993). Darin wurde die „Marionetten“-Metapher ebenfalls einer scharfen Kritik unterzogen, allerdings aus Rücksichtnahme auf den damaligen Krisis-Zusammenhang ohne Nennung von Ross und Reiter: „Auf den ersten Blick könnte es so erscheinen, als würde mit dem Begriff der Fetisch-Konstitution nicht nur der alte subjektiv-aufklärerische Herrschaftsbegriff, sondern der Herrschaftsbegriff überhaupt obsolet. Die Destruktion des Subjekts müsste dann im Begriff der bloßen Marionette gefasst werden. Eine solche unvermittelte Preisgabe des Herrschaftsbegriffs wäre sozusagen schon taktisch inakzeptabel. Sie würde erstens den Menschen die real erfahrenen (und als durchaus leidvoll erlebten) Zwänge auszureden scheinen, die den Alltag auch der säkularisierten Fetischgesellschaft von totalem Markt und demokratischem Rechtsstaat bis in die Poren bestimmt. Dass diese Repression nicht mehr auf ein bestimmtes Subjekt zurückgeführt werden kann, dass sie >strukturell< ist, ändert nichts an ihrem Charakter und nichts daran, dass sie hassenswert ist. Zweitens würde dieser Marionetten-Begriff die >Herrschaft des Menschen über den Menschen< gewissermaßen exculpieren. Seitdem es gewisse Einsichten in den subjektlosen Charakter gesellschaftlicher Realbestimmungen gibt, seit die Begriffe von >Rolle< und >Struktur< aus dem Wissenschaftsolymp bis in das Alltagsbewusstsein hinabgesunken sind, werden sie auch mehr oder weniger naiv für die Rechtfertigung, Selbstrechtfertigung und Selbstberuhigung von Trägern bestimmter Herrschaftsfunktionen instrumentalisiert“ (Subjektlose Herrschaft, in: Blutige Vernunft, S. 185 f.).

Diese Kritik wurde noch einmal exemplarisch präzisiert an der perfiden Lohoffschen Objektivierung und Reinwaschung männlichen Herrschafts- und Gewaltverhaltens im Alltag der modernen Geschlechterverhältnisse: „Die Selbstbeschwichtigung des zwangsheterosexuellen und trotz höflicher Verbeugungen vor dem Feminismus an Selbstaufhebung nicht wirklich interessierten Mannes, dass ja im Grunde genommen nicht er selbst als Person es sei, der bestimmte herrschaftliche Erscheinungen in der Geschlechtsbeziehung trage, sondern dass er ja >nur< eine subjektlose und übermächtige gesellschaftlich-historische Struktur geradezu widerwillig und seinerseits gezwungen exekutiere, spukt in verschiedenen Graden und impliziten (>stummen<) wie expliziten Ausdrucksformen einer scheinreflektierten männlichen Verdrängungsleistung“ (Subjektlose Herrschaft, a.a.O., S. 186).

Indem so in den Fetischbegriff insgesamt ein veränderter allgemeiner Herrschaftsbegriff wieder hereingenommen wurde, war auch implizit die Frage der persönlichen Verantwortlichkeit thematisiert; ein besonders hinsichtlich der NS-Verbrechen wichtiger Gesichtspunkt. Weil das Fetischverhältnis trotz seiner Objektivierung und Veräußerlichung als Weltverfasstheit ein von den Menschen selbst gemachtes ist, das von den Individuen durch ihre eigenen Handlungen tagtäglich reproduziert wird, mitsamt seiner inneren Widersprüchlichkeit und den daraus resultierenden Reibungsflächen, muss es gerade deswegen gleichzeitig ein Herrschaftsverhältnis sein, das von den Herrschaft ausübenden Individuen (auch qua Institutionalisierung) nicht einfach automatisch exekutiert wird. Die bisherigen soziologischen und feministischen Modifikationen des Herrschaftsbegriffs, die von dem kruden subjektiven Verständnis als schiere Willensbestimmung zu Begriffen von strukturellen Normen und Institutionalisierungen fortgeschritten waren, werden durch den Rückbezug auf das Fetischverhältnis erst in einen zureichenden Konstitutions-Zusammenhang gebracht. Denn die Begriffe von „Norm“, „Struktur“, „Institutionalisierung“ etc. bleiben selber noch soziologistisch reduziert; ihre historische Konstitution kommt erst durch den Fetischbegriff ins Blickfeld.

Indem dieser Begriff nun seines objektivistischen Verständnisses entkleidet wird, erscheinen dann auch die Willensbestimmung und die Handlungsdimension wieder, allerdings in ihrem Bezug auf das fetischistische Konstitutionsverhältnis und damit in einem Gesamtzusammenhang von Formbestimmungen, nicht für sich oder äußerlich und nicht soziologistisch reduziert. In jeder gegebenen Situation gibt es so auch innerhalb der Fetischverfasstheit Handlungsalternativen, deren Verlaufsform keineswegs in einer schieren Objektivität aufgeht. Die fetischistischen „Sachzwänge“ existieren zwar durchaus, aber ihre Verlaufsform ist nicht linear festgelegt und kann umkämpft sein. Dieses „Umkämpftsein“ wird dann vom traditionellen Marxismus und zugespitzt bei den Operaisten und Postoperaisten á la Hardt/Negri zum Vorwand genommen, die Fetischverfasstheit und ihren Formzusammenhang weitgehend auszublenden. Die Auflösung in schiere Objektivität ebenso wie die in schiere Willensverhältnisse verfehlt jeweils gleichermaßen die Dialektik der Fetisch-Konstitution.

Diese immanente Dialektik ist vermittelt mit der Krise von Fetischverhältnissen und ihrer katastrophischen Auflösung. Welche Verlaufsform Krise und Auflösung nehmen, hängt auch davon ab, welche Willensentscheidungen innerhalb der Fetisch-Konstitution und ihrer Herrschaftsverhältnisse (bzw. an den krisenhaften Grenzen) getroffen werden, und zwar von Herrschenden wie Beherrschten im Rahmen ihrer gemeinsamen, übergreifenden Negativ-Verfasstheit gemäß einer apriorischen Matrix. Die Kontingenz der Übergänge und Brüche ist gerade dadurch vermittelt, dass es diese immanente Dialektik von fetischistischer Objektivierung einerseits und keineswegs durchgängig determinierten Willenshandlungen der Individuen andererseits gibt, die „zweite Natur“ also anderen Charakter als die „erste Natur“ hat. In dem Text „Subjektlose Herrschaft“ ist das Problem noch nicht konsequent zu Ende gedacht. Im Vorwort zum Wiederabdruck innerhalb der Essay-Sammlung „Blutige Vernunft“ hatte ich deshalb geschrieben: „Dieser Text, der auch seinen eigenen Stellenwert hat, kann es möglicherweise erleichtern, den Denkweg zum Bruch mit der modernen Ontologie nachzuvollziehen, gerade weil er selber noch bestimmte Momente einer Ontologisierung enthält (vor allem hinsichtlich des Subjektbegriffs)“ (Blutige Vernunft, S. 12).

Im Rahmen des Exit-Zusammenhangs (und teilweise schon vorher, etwa in dem Buch „Die antideutsche Ideologie“) wurde der Zusammenhang von Fetisch-Konstitution, Herrschaftsverhältnissen und Willenshandlungen, gestützt auf die erkenntniskritischen Implikationen der Abspaltungstheorie, weiterentwickelt und in Beziehung gesetzt zum neuen Begriff einer in sich gebrochenen statt geschlossenen Totalität. Dabei ging es vor allem darum, wie die Individuen die Widersprüche verarbeiten und welche Handlungsdimensionen (keineswegs reduziert auf den Soziologismus von „Klassen“) damit verbunden sind, die nicht in der Objektivität aufgehen, auch wenn sie diese nicht durchbrechen (was erst im Kontext einer bewussten gesamtgesellschaftlichen Überwindung von Fetischverhältnissen überhaupt möglich ist). In diesem Zusammenhang wurde vor allem hinsichtlich der modernen Verhältnisse thematisiert, dass Ideologie keineswegs ein bloßer „Reflex“ auf die „eigentliche“ objektive Entwicklung ist, sondern eine eigenständige negative Verarbeitungsleistung der Menschen (gerade in Krisensituationen), von der die realen Verlaufsformen mitbestimmt werden (vgl. dazu u.a. die Artikel „Von der Harmoniesucht zum Vernichtungswahn“ von Martin Dornis und „Die kategoriale Abwesenheit des Geschlechts“ von Frank Rentschler in Exit 3).

Nachdem sie sich von uns auf illegitime Weise administrativ „befreit“ hatten, haben die Autoren von Rest-Krisis die theoretische Weiterentwicklung bei Exit sozusagen schielend mitverfolgt, ohne die Eierschalen des Objektivismus gänzlich abstreifen zu können. So wurde in den wenigen Texten von Norbert Trenkle der Ideologiebegriff beharrlich als bloßer „Reflex“ auf objektive Entwicklungen bestimmt (etwa in seiner flachen und verkürzten Auseinandersetzung mit der Antisemitismus-Problematik bei Attac, wobei er den Begriff des „strukturellen Antisemitismus“ nicht einmal erwähnte, obwohl dieser in der Selbstlegitimation von Attac den Hauptangriffspunkt ausmachte). Die Kritik an rassistischen und antisemitischen Tendenzen blieb so bei Rest-Krisis äußerlich, weil kein zureichendes Verständnis von Ideologiekritik entwickelt wurde.

Soweit die Widersprüchlichkeit, die gebrochene Totalität und die Handlungsdimension inzwischen bei den Rest-Krisis-Autoren auftaucht, handelt es sich um Anleihen bei der davongejagten Abspaltungstheoretikerin Roswitha Scholz, die jedoch meistens nicht ausgewiesen werden; so wieder frappant in der nach 14-monatiger „schöpferischer Pause“ erschienenen Krisis 30. Darin wird krampfhaft versucht, die eigenen Spuren zu verwischen. So stellt Karl-Heinz Lewed in seinem Artikel „Eine >Theorie zur Verletzbarkeit von Herrschaft<?“ fest: „(Die) Entdeckung und Reformulierung der Fetischkritik von Marx seitens der krisis-Autoren bewegte sich zunächst selbst noch im theoretischen Horizont einer objektivierten Totalität“ (Krisis 30, S. 135). Statt diesen Objektivismus an seinen wirklichen Hauptträgern festzumachen, setzt Lewed scheinheilig hinzu: „Der ehedem für die Subjektkritik in der krisis relativ zentrale Beitrag >Subjektlose Herrschaft< von Robert Kurz...ist noch in dieser Perspektive formuliert. Das (männliche) Subjekt wird als reine >Marionette< (!!) der eigenen gesellschaftlichen Form bestimmt“ (Krisis 30, S. 135). Dass Lewed den 13 Jahre alten Text „Subjektlose Herrschaft“ anpinkeln muss, liegt wohl daran, dass er ohne diesen Text selber den Begriff „Subjektkritik“ nicht einmal buchstabieren könnte; es ist so vielleicht ein wenig verständlich, dass er es nötig hat, zwecks Ego-Pflege ein persönliches Abgrenzungsbedürfnis zu befriedigen, das nach dem theoriegeschichtlichen Stellenwert nicht mehr fragen kann. Ausgesprochen dreist ist es allerdings, wenn er die damalige wertkritische Theoriebildung krass verfälscht und die „Marionetten“-Metapher ausgerechnet dem Text anzuhängen versucht, der sie, gestützt auf die zuvor schon geleistete und von Lewed natürlich nicht erwähnte Kritik von Roswitha Scholz, auseinandergenommen hatte (während der Kreator dieses kruden Objektivismus, nämlich Ernst Lohoff, im Dunkeln bleibt).

Damit kann vielleicht ein unbedarftes und oberflächlich rezipierendes Publikum getäuscht werden (auf das die Bewegungs-Metaphysiker von Rest-Krisis offensichtlich auch setzen), aber niemand, der sich ernsthaft mit wert-abspaltungskritischer Theoriebildung beschäftigt. Um ihre eigene Insuffizienz zu kaschieren, geben sich die Autoren von Rest-Krisis als die eigentlichen Erfinder einer theoretischen Entwicklung aus, die in Wirklichkeit ohne sie (und lange Zeit gegen sie) stattgefunden hat und die sie bis heute nur äußerlich aufgenommen haben. Sie sonnen sich nun in einer von ihnen nur halb verdauten abspaltungstheoretischen Begrifflichkeit, als wären sie deren „wahre“ Urheber. Diese intellektuelle Unredlichkeit verweist auf ein stinknormales bürgerliches Konkurrenzgebaren ausgerechnet im Zusammenhang der radikalen Wert- und Abspaltungskritik; der persönliche Geltungsdrang scheint keine Schamgrenzen mehr zu kennen.

Elemente der halbverdauten und in ihrer Rezeption weitgehend unausgewiesenen Abspaltungstheorie werden nun bei Rest-Krisis derart verbogen, dass die inzwischen zu Ehren gekommene Handlungsebene zwar als eigenständige Dimension thematisiert, aber nicht mehr adäquat zur negativen Objektivierung des Fetischverhältnisses in Beziehung gesetzt, sondern ihrerseits hypostasiert wird. Indem man so nur in die umgekehrte Einseitigkeit verfällt, erscheint die Handlungsdimension (optimistisch als „Praxis“ bezeichnet) als „Alltags“-Metaphysik und als (ebenfalls unausgewiesene) Husserlsche „Lebenswelt“-Metaphysik (vgl. dazu den Artikel „Ohne festen Punkt“ von Ernst Lohoff in Krisis 30). Diese „Wende“ führt weg von der Orientierung auf gesamtgesellschaftliche Eingriffe und hin zu einer „lebensweltlich“ reduzierten Handlungsperspektive, unter deren Hut dann alle möglichen und unmöglichen Praxisansätze bis hin zu Schrebergarten-Utopien gepackt werden können. Eine solche phänomenologische Metaphysik (die keine sein will) statt Kritik des kapitalistischen Alltagslebens verlässt bereits das wert-abspaltungskritische Reflexionsfeld und fällt zurück auf ältere bürgerliche Philosopheme im Kontext der Husserlschen Phänomenologie, die sich in Heideggers „Fundamentalontologie“ fortgesetzt hat. Für diese zurückgebogene Perspektive bedarf es zentraler Aussagen der Wert-Abspaltungstheorie eigentlich gar nicht mehr, die zur Hintergrund-Staffage verkommen. Diese Tendenz stellt nicht die Überwindung des alten wertkritischen Objektivismus dar, sondern nur die Kehrseite derselben Medaille.

Mit seiner weitgehenden Ausblendung des Begriffs von Herrschaftsverhältnissen bei der Bestimmung des Fetischbegriffs hat Gerold Wallner, um nach diesem Exkurs zu dessen Räsonnement zurückzukehren, implizit den alten objektivistischen Zungenschlag aufgenommen. Das hindert ihn nicht, in anderer Hinsicht gleichzeitig in den gegenteiligen Fehler zu verfallen, indem er über das Fetischverhältnis sagt, es „fuße“ auf einer „Erklärung für die Beschaffenheit dieser Welt“, die jedoch „nicht als Erklärung der Leute selbst“ bewahrt werde. Damit wird als Ursprung des Fetischs eine „Erklärung“ gesetzt, wobei dieser Begriff eine bewusste Weltinterpretation impliziert, die später anscheinend nur „vergessen“ worden ist. In der Nachschrift zu seinem Artikel bekräftigt Wallner diese Unterstellung eines ursprünglich bewussten Erklärungsaktes noch einmal, indem er die Fetischformen so bestimmt, „dass sie jeweils zwar menschliches Produkt sind, Produkt menschlicher gedanklicher (!) schöpferischer Leistung, aber so behandelt werden, dass sie als von der Welt gewonnen (oder von Gott gegeben) erkannt werden, jedenfalls von einer nichtmenschlichen Instanz herrührend“ (Wie es mit den Leuten der Geschichte weitergeht).

Diese Argumentation erinnert wieder einmal fatal an das Rousseausche Konstrukt vom ursprünglichen, aber „vergessenen“ Gesellschaftsvertrag (vgl. dazu die entsprechende Kritik schon im Essay „Subjektlose Herrschaft“, in: Blutige Vernunft, S. 189). Damit ist jedoch hinsichtlich der Fetischverhältnisse die Beziehung zwischen dem „Selbstmachen“ durch die Leute und der Erscheinung als apriorische „Weltverfasstheit“, die von einer nichtmenschlichen Instanz herrühren soll, überhaupt nicht zu erfassen. Ironischerweise legt Wallner hier, obwohl er sich nicht genug daran tun kann, den Geschichts- und Fetischbegriff als ausschließlich der Moderne geschuldeten nur auf diese beziehen zu wollen, selber auch an vormoderne Verhältnisse ein spezifisch modernes Kriterium an, nämlich eine Auflösung der apriorischen „Weltverfasstheit“ in ein Subjekt („gedankliche schöpferische Leistung“). Nun gilt erstens das Subjekt-Objekt-Verhältnis tatsächlich nur für die Moderne; aber zweitens ist auch für vormoderne Fetisch-Konstitutionen die apriorische Matrix (die von Gott oder den Göttern stammen soll) nicht in ein ursprüngliches bewusstes „Selbermachen“ aufzulösen.

Es gehört zum Begriff des Fetischs, dass er gerade keine „gedankliche schöpferische Leistung“ darstellt, sondern als blinde Resultante aus Praxisprozessen in den sozialen Beziehungen und im „Stoffwechselprozess mit der Natur“ heraus historisch auf kontingente Weise „entsteht“. Wie alles an menschlichen Verhältnissen erscheint dieser Zusammenhang zwar „gedanklich“; aber das heißt noch lange nicht, dass ein „Ausdenken“ zu Grunde gelegen hat. Was Marx über die Warenbesitzer sagt, kann auch hinsichtlich der Konstitution von anderen Fetischverhältnissen gesagt werden: „Im Anfang war die Tat. Sie haben daher schon gehandelt, bevor sie gedacht haben“ (Das Kapital, Bd. 1, S. 101). Zum Entstehungsprozess von Fetischverhältnissen gehören zwar auch ideelle Reflexionen, die jedoch keinesfalls als „Ursprung“ isoliert werden können, ebenso wenig wie etwa umgekehrt eine rein materielle „Produktivkraftentwicklung“ nach dem Muster des traditionellen Geschichtsmaterialismus. Dies gilt sowohl für vormoderne als auch für moderne Verhältnisse. Wäre es anders, so könnte das Fetischverhältnis gar nicht zur apriorischen Matrix erstarren, was Marx bekanntlich unter Formulierungen fasste wie „Sie wissen es nicht, aber sie tun es“ oder „Die Menschen machen ihre Geschichte selbst, aber nicht aus freien Stücken“ etc. Wallner stellt das Konstitutionsproblem auf den Kopf. Das Fetischverhältnis „fußt“ nicht auf einer ursprünglichen (gedanklichen) „Erklärung“, sondern genau umgekehrt: Es „entsteht“ in historischen Praxis- und Krisenprozessen, während die „Erklärung“ im Sinne einer Legitimation (so ist es und nur so kann es qua „Weltverfasstheit“ sein) erst im Zuge dieser Prozesse geleistet wird bzw. jene „Entstehung“ affirmativ begleitet. „Erklärungsmomente“ als bewusste Affirmation gehen so zwar mit dem historischen Durchsetzungsprozess von jeweiligen Fetischverhältnissen einher und bestimmen die Verlaufsform dieses Prozesses mit (vgl. dazu den Essay „Negative Ontologie“, in: Blutige Vernunft, S. 86 f.), aber sie können nicht zum „gedanklichen Ursprung“ hypostasiert werden. Es hat etwas Ermüdendes, immer wieder die Auflösung der Fetisch-Konstitution einerseits in schiere Objektivierung und andererseits umgekehrt in schiere „gedankliche Leistungen“ oder Willenshandlungen kritisieren zu müssen, wobei die jeweilige Vereinseitigung oft wie bei Wallner in ein- und demselben Räsonnement auftaucht, ohne dass der Widerspruch bewusst wird. Dialektisches Denken scheint auch bei Wert-Abspaltungskritikern nicht besonders verbreitet zu sein.

Wallners Bestimmung des Fetischbegriffs, den er angeblich hinsichtlich seiner Tauglichkeit für eine historische Sicht „überprüfen“ will, erweist sich als völlig unzulänglich, verkürzt und unklar. Wie aber kann man etwas „überprüfen“, von dem man selber gar keine zureichende Vorstellung hat? Hinzu kommt, dass Wallner sich nicht einmal mit den bisherigen Überlegungen für eine genauere Bestimmung des Fetischbegriffs im Sinne des Konzepts einer „Geschichte von Fetischverhältnissen“ auseinandersetzt. Seine auf einen Aspekt (und noch dazu falsch) reduzierte „Definition“ des Begriffs von Fetischverhältnissen begibt sich gar nicht erst auf die Ebene dessen, was ich als apriorische Matrix bezeichnet habe. Diese Matrix kann im weiteren so bestimmt werden, dass die sozialen Beziehungen wie der „Stoffwechselprozess mit der Natur“ durch ein metaphysisch konstituiertes Medium reguliert werden, das eine Eigenlogik enthält, sodass die Menschen über den Einsatz ihrer Fähigkeiten und Ressourcen nicht „direkt“ gemeinsam entscheiden, sondern über das metaphysisch konstituierte Medium auf jene apriorische Matrix festgelegt sind, selbst wenn dadurch haarsträubende Widersprüche und Leiden erzeugt werden.

„Direktheit“ der gemeinsamen Entscheidung meint natürlich nicht, dass sich die Menschen unmittelbar an einem Platz versammeln müssen, was die Reichweite auf kleine Gemeinschaften heruntertransformieren würde (diese Schlussfolgerung wird immer wieder in den „antigesellschaftlichen“ modernen Gemeinschafts- und Schrebergarten-Utopien gezogen). Vielmehr wäre auch eine von Fetischverhältnissen befreite Reproduktion in vieler Hinsicht durch weitreichende Informationsflüsse und insofern medial vermittelt; aber eine so vermittelte Information und Entscheidung (etwa im Sinne einer Planung des Ressourcen-Einsatzes auf verschiedenen Ebenen) darf nicht mit der Steuerung durch ein metaphysisches Medium verwechselt werden. Ein solches Medium ist in gewisser Weise transzendent und jeder Diskussion unzugänglich; insofern stiftet es einen indirekten, apriorisch festgelegten Zwang. Das ist etwas grundsätzlich anderes als ein zwar nicht persönlich-unmittelbarer, sondern durch Informationsaustausch vermittelter Diskussions-, Planungs- und Entscheidungsprozess, der aber insofern „direkt“ ist, als er nicht mehr durch eine apriorische metaphysische Instanz zwanghaft prädisponiert wird.

Die allgemeinen Begriffe von apriorischer Matrix und metaphysischem Medium gelten für das Begriffsfeld auf der Abstraktionsebene einer „Geschichte von Fetischverhältnissen“; beide Bestimmungen stellen sich aber in vormodernen und modernen Fetisch-Konstitutionen grundsätzlich verschieden dar. In „Gottesbeziehungsverhältnissen“ ist die Matrix personal, in modernen Wert-Abspaltungsverhältnissen ist sie sachlich vermittelt (vgl. dazu und zum folgenden den ersten Teil der Untersuchung „Die Substanz des Kapitals“, in: Exit 1, S. 50 ff.). Der vormoderne Fetisch ist keineswegs unmittelbar Gott oder die Götter, wie Wallner es der geschichtstheoretischen Reformulierung des Fetischbegriffs unterstellt. Die „Gottessphäre“ ist vielmehr als schlechthin transzendent gesetzt, also nicht innerweltlich, nicht physisch fassbar. Deshalb besteht das Fetischverhältnis hier qua metaphysisch aufgeladener Personen als „Gottesrepräsentanzen“ in der Welt, als „Stellvertreter Gottes auf Erden“ (ursprünglich Priesterkönige). Diese metaphysische personale Repräsentanz kann verschiedene Repräsentationsebenen haben, vom Gottkönig/König oder Kaiser bis hinunter zum pater familias (in patriarchalen Konstitutionen). Natürlich ist das nur ein erster Ansatz zur Begriffsbildung, die nicht deduktiv-ableitungslogisch sämtlichen vormodernen Konstitutionen übergestülpt werden kann; vielmehr gilt es, diese anhand ihres eigenen Materials erst zu untersuchen, was sowohl den allgemeinen Begriff von Fetischverhältnissen modifizieren als auch die religiösen Konstitutionen in ihrer Verschiedenheit untereinander differenzieren wird. Dies kann aber eben nicht vorab und „von oben“ anhand einer bloß spekulativen Entfaltung des Fetischbegriffs geleistet werden.

Zunächst geht es nur um den gemeinsamen Unterschied zur modernen Fetischkonstitution. Dabei ist der Begriff der personalen „Gottesrepräsentanz“ als allgemeiner erst einmal festzuhalten, um die bereits von Marx thematisierten Beziehungen „persönlicher Abhängigkeit“ in vormodernen Sozietäten nicht im Sinne moderner Subjekt- und Interessenbegriffe misszuverstehen, etwa als persönliche „Willkürherrschaft“, wie es in der Aufklärungsideologie und weitgehend in der klassischen modernen Geschichtsphilosophie erscheint (was natürlich zur Fortschrittsmetaphysik gehört als Idee einer Fortentwicklung von finsterer Unfreiheit zur angeblichen bürgerlichen „Freiheit“). In Wirklichkeit sind die personalen metaphysischen Repräsentanzen in „Gottesbeziehungsverhältnissen“ streng festgelegt durch Ritus, überlieferte Regularien, persönliche Verpflichtungsverhältnisse etc.

In der Moderne verschiebt sich die Fetisch-Konstitution von der transzendent verankerten „Gottesbeziehung“ zur weltimmanenten Wertverwertung (von Jörg Ulrich als jener „Prozessgott“ wie gezeigt etwas schief bezeichnet). Dabei handelt es sich jedoch um eine paradoxe „immanente Transzendenz“, denn die Wertabstraktion als gesellschaftliche Realabstraktion ist nicht weniger „übersinnlich“ als die ganz andere „Gottesabstraktion“. Dieses übersinnliche Wert-Wesen (wie es Marx im Fetischkapitel bestimmt) der qua kapitalistischer Wertverwertung zur offiziellen allgemeinen Reproduktionsform gemachten Warenform ist aber nicht in derselben Weise transzendent wie die vormoderne „Gottessphäre“, sondern „diesseitig“ inkorporiert in die materiellen Warenkörper und damit „versachlicht“. Deshalb konnte die optische Täuschung entstehen, die moderne Gesellschaft sei nicht mehr metaphysisch konstituiert, während tatsächlich die vormoderne religiöse Jenseits-Metaphysik abgelöst wurde durch die moderne Diesseits-Metaphysik des Wert-Abspaltungsverhältnisses.

Damit wird aber die paradox weltimmanent gewordene Transzendenz als prozessierende Realabstraktion zum Weltzerstörungsprogramm, weil das vormals jenseitige Abstrakt-Allgemeine nun in neuer, anderer Form unmittelbar an die diesseitigen Dinge als Maßstab angelegt wird und diese praktisch nicht mehr in ihrer unterschiedlichen substantiellen Qualität anerkannt sind. Die spezifisch kapitalistische „Weltfremdheit“ (Jörg Ulrich) potenziert also die alte religiöse gerade dadurch, dass sie eine innerweltlich prozessierende Fremdheit mit Gewaltcharakter gegenüber den physischen Weltinhalten geworden ist. Eine solche destruktive Reproduktionsweise konnte sich überhaupt nur als historische Formation konstituieren und entwickeln, indem „gleichursprünglich“ das geschlechtliche Abspaltungsverhältnis als Puffer und „unsichtbar“ gemachtes inoffizielles Reproduktionsmoment implementiert wurde, sodass das moderne Fetischverhältnis sich wesenhaft als Wert-Abspaltungsverhältnis darstellt. Eben deshalb gab es in vormodernen Konstitutionen zwar patriarchale Geschlechterverhältnisse, aber kein Abspaltungsverhältnis. In der Krise an den historischen Grenzen der Moderne zersetzen sich heute beide Wesensmomente in katastrophischen Prozessen.

Gerold Wallner ignoriert mit seinem dürftigen Fetischbegriff, der bei ihm auch deshalb so dünn bestimmt wird, weil er ihn als für eine historische Sicht tauglichen verwerfen will, großenteils die bereits ansatzweise formulierten geschichtstheoretischen Implikationen im Sinne von apriorischer Matrix, metaphysisch konstituiertem Medium und den jeweils verschiedenen einerseits personalen bzw. andererseits warenförmig versachlichten und gleichzeitig qua Abspaltung an „die Frau“ delegierten Repräsentanzverhältnissen. Er schenkt sich die Auseinandersetzung deshalb, weil er implizit bereits eine in seinem Artikel erst angedeutete und noch inkonsequente Verschiebung des Metaphysik-Begriffs voraussetzt. Aus der Sicht des Konzepts einer „Geschichte von Fetischverhältnissen“ gehört die metaphysische Bestimmung zur geschichtstheoretischen Abstraktionsebene des Fetischbegriffs. Sowohl die vormodernen als auch die modernen Reproduktionsverhältnisse können in gewisser Weise als „Realmetaphysiken“ (als metaphysisch konstituierte reale Beziehungen zwischen den Menschen und zur Natur) bezeichnet werden, aber dieses abstrakte Gemeinsamkeitsmoment stellt sich in „Gottesbeziehungsverhältnissen“ und in Wert-Abspaltungsverhältnissen wie gezeigt grundsätzlich verschieden dar. Wallner u. Co. nehmen nun gemäß ihrer inzwischen zum Credo aufgeblasenen ideologischen „Verabsolutierung der Differenz“ und dem davon herrührenden Bestreben, jegliches gemeinsame Moment von vormodernen und modernen Verhältnissen (also vermeintlich Geschichtstheorie als solche) zu negieren, eine willkürliche Umdeutung des Metaphysik-Begriffs vor, die krampfhaft originell sein will, aber einer Verballhornung gleichkommt. Das soll als nächstes erörtert werden.