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erschienen im Neuen Deutschland
am 22.09.2006

Robert Kurz

GLOBALISIERUNG DER BILDUNGSÖKONOMIE

Die weltweiten Wanderungsbewegungen nehmen drastisch zu. Immer mehr Menschen flüchten vor der Armutswalze in Richtung der noch relativ reicheren Länder. Längst handelt es sich aber nicht mehr bloß um eine Elendsmigration, wie sie an der Südflanke der EU Schlagzeilen macht. Inzwischen gibt es auch eine zunehmende Akademiker-Migration. In vielen Ländern der Peripherie steigt zwar die Zahl der Studenten. Aber gleichzeitig werden in der Krise der Staatsfinanzen die Infrastrukturen geschleift oder auf wenige Metropol-Regionen zugeschnitten und damit die Beschäftigungsmöglichkeiten für Akademiker verringert, während die Privatwirtschaft die Einstiegsgehälter drückt. In China schwillt gerade im einseitigen Boom der Exportwirtschafts-Zonen die Masse der arbeitslosen jungen Akademiker an. Uni-AbsolventInnen arbeiten als Supermarktverkäufer oder Putzfrauen. Nicht nur in China wollen deshalb viele Akademiker ihrem Land den Rücken kehren. Während Afrika die höchste Krankheitsrate der Welt hat, blutet dort die medizinische Versorgung aus, weil das Gros der Ärzte von anderen Ländern abgeworben wird und auswandert.

Bisher fand der „Braindrain“ vor allem aus der Peripherie in die Zentren statt. Inzwischen werden viele junge Hochschul-Absolventen aber auch in den Zentren prekarisiert. Bekannt ist hierzulande das Elend der „Generation Praktikum“ von schlecht oder gar nicht bezahlten akademischen Berufsanfängern. Die Abwanderung von Menschen mit akademischen Abschlüssen hat daher auch die BRD und die anderen westlichen Länder selbst erfasst. In diesem Prozess zeigt sich der Widerspruch von Globalisierung und Bildungsökonomie. Die Abwerbung wird möglich, weil es ein globales Gefälle der Akademiker-Nachfrage gibt. Der Zeithorizont der Ausbildung ist langfristig, der des globalisierten Marktes dagegen kurzfristig. So treten Koordinationsprobleme auf: In einigen Sektoren gibt es eine Akademikerschwemme, in anderen herrscht Mangel. Das ist von Land zu Land je nach der institutionellen Entwicklung im Zuge des Globalisierungsprozesses verschieden. In den Mangelsektoren ist es günstiger, Absolventen aus anderen Ländern abzuwerben als die eigene Ausbildungsstruktur umzuorientieren.

Damit deutet sich eine Tendenz an, die Bildungsökonomie überhaupt zurückzufahren, um das Überangebot von Absolventen zu verringern und bei kurzfristigem Bedarf lieber fertig ausgebildete Akademiker anderswo „einzukaufen“. So konkurriert man um die jeweils gerade benötigten qualifizierten Kräfte, deren Ausbildungskosten möglichst nicht zu Lasten des eigenen Budgets gehen soll. Dabei können diejenigen Länder mit relativ höheren Gehältern winken, die ihr Sozialsystem besonders drastisch neoliberal ausgedünnt haben. Akademische Berufe, soweit sie gebraucht werden (und das kann sich schnell ändern), zahlen im angelsächsischen Bereich bis zu 30 Prozent weniger Abgaben als etwa in der BRD oder in Frankreich. Die höheren Gehälter in den akademischen Mangelsektoren gehen also zu Lasten der Bevölkerungsmehrheit. Ironischerweise geraten so allmählich die Länder mit hohen Ausbildungs- und Sozialkosten in die Lage der ehemaligen DDR, deren gut ausgebildete Uni-Absolventen zunehmend nach Westen abwanderten. Das ist ein weiterer Grund, warum in Kontinentaleuropa der Druck auf die Sozialsysteme erhöht wird und gleichzeitig trotz gegenteiliger Rhetorik wenig Neigung zu breit gestreuten Bildungsinvestitionen besteht. Der Autokannibalismus des Kapitals zeigt sich so auch in der Bildungsökonomie.