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erschienen im Neuen Deutschland
am 12.01.2007

Robert Kurz

DIE NÄCHSTE RATIONALISIERUNGSWELLE

Die von globalen Defizitkreisläufen getriebene Konjunktur hat zu neuen Hoffnungen auf eine Trendumkehr beim Abbau von Arbeitsplätzen geführt. Abgesehen davon, dass diesem Aufschwung schon in den kommenden Monaten auf der Export-, Währungs- und Finanzmarktebene die Luft ausgehen wird, beziehen sich diese Hoffnungen allein auf die konjunkturelle Oberflächenentwicklung. Aus dem Blick geraten ist das tiefer liegende Problem der technologischen Rationalisierung. Hier liegt aber die eigentliche Ursache der strukturellen Massenarbeitslosigkeit. In der 3. industriellen Revolution schmilzt der Kapitalismus seine eigene Arbeitssubstanz ab, und daran hat sich nichts geändert. Im Gegenteil steht in den kommenden Jahren eine neue technologische Rationalisierungswelle bevor.

Bis Mitte der 90er Jahre schrumpfte vor allem die industrielle Beschäftigung dramatisch. Es war wesentlich die Handarbeit (gerade auch die qualifizierte Präzisionsarbeit), die durch Industrierobotik in großem Maßstab überflüssig gemacht wurde. In den letzten zehn Jahren konzentrierte sich die Rationalisierung dann mittels ausgefeilter Informations- und Vernetzungstechnologie auf die Büroberufe, was zuletzt zum Beschäftigungsabbau im Bank- und Versicherungswesen geführt hat. In der Industrie ging der Schrumpfungsprozess der rentabel anwendbaren Arbeit in erster Linie durch Fabrikschließungen, Übernahmeschlachten und Outsourcing in Billiglohnländer weiter. Jetzt aber zeichnet sich eine neue Qualität der technologischen Rationalisierung ab, die wiederum die verbliebene Handarbeit betreffen wird.

Bislang fand die Industrierobotik dort ihre Grenzen, wo die Vielgliedrigkeit der menschlichen Hand beim Zugriff auf unregelmäßige Formen erforderlich war. Den Fertigungsrobotern muss das Material vorsortiert werden, weil sie nur mechanisch und „eindimensional“ zugreifen können. Bei Informatikern ist das Problem bekannt als „Griff in die Kiste“: Die Robotik ist nicht feingliedrig genug, um mit verschiedenen, unregelmäßigen Teilen umgehen zu können. Das ändert sich jetzt. Im Verbund mit diversen universitären Forschungseinrichtungen ist die Defense Advanced Research Projects Agency (Darpa) dabei, eine neue Generation von Industrierobotern zu entwickeln. Dieser Think-Tank der US-Armee hat schon das Internet, die Tarnkappentechnologie und das Satellitennavigationssystem auf den Weg gebracht. Die neuen Roboter packen nicht mehr mit mechanischen Klauen oder Greifern zu, sondern mit vielgliedrigen, flexiblen „Fangarmen“ nach Art von Tintenfischen, die auch auf unregelmäßige Materialien und „unstrukturierte Umgebungen“ eingestellt werden können. Das Einsatzgebiet soll von der industriellen Fertigung bis zur Chirurgie reichen und alles in den Schatten stellen, was bislang an Robotik verfügbar war.

Beim Durchbruch der neuen „Octor“-Technologie (so der Name des Projekts) ist absehbar, dass nicht nur in der industriellen Kernbeschäftigung, sondern auch bei vielen so genannten Humandienstleistungen menschliche Handarbeit in einer neuen Dimension überflüssig gemacht wird. Das kann einige Jahre dauern. Aber die Entwicklung zeigt, dass die Rationalisierungspotentiale der 3. industriellen Revolution noch lange nicht ausgeschöpft sind. Die Entwertung der Arbeitskraft geht unaufhaltsam weiter. Maschinen aber schöpfen keinen Wert, weil sie keine gesellschaftliche Beziehung darstellen können. Damit aber schreitet auch die „Entwertung des Werts“ voran, der seiner Arbeitssubstanz verlustig geht.