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Claus Peter Ortlieb

Die Marketing-Abteilung des „Automatischen Subjekts“

Zur Simulation von Klimaschutz durch die EU

Die öffentliche Behandlung der drohenden Klima-Katastrophe, die Versuche also, sie mit politischen Mitteln noch erträglich zu machen, könnte zum Lehrstück werden für das Verhältnis der Politik zur Produktionsweise, in die sie eingebettet ist. Wohin die Reise geht, zeigt das als „Durchbruch“ gefeierte Ergebnis des EU-Gipfels vom 9. März 2007. „Handlungsfähigkeit bewiesen“, „Flagge gezeigt“, „Glaubwürdigkeit gewahrt“, so zitiert Spiegel-Online vom selben Tag Angela Merkel, die sich diesen „mit Intelligenz und Eleganz“ (Jacques Chirac) herbeigeführten Erfolg gewiss ans Revers heften darf. Ob und auf welcher Ebene es ein Erfolg war, ist allerdings die Frage.

Es gilt inzwischen trotz aller methodischen Zweifel als ausgemacht und nur noch in Nuancen umstritten, dass der anthropogene Ausstoß von Treibhausgasen in die Erdatmosphäre Klimaveränderungen nach sich ziehen wird bzw. bereits verursacht hat, die für große Teile der zukünftigen Menschheit katastrophale Folgen haben wird, und dass zur Abwendung zumindest der allerschlimmsten Folgen radikale Reduzierungen insbesondere der CO2-Emissionen erforderlich sind. Und entsprechend war denn auch die Rhetorik, die den EU-Gipfel begleitete: „Barroso weist zurecht darauf hin, dass dies das ehrgeizigste Klimaschutzprogramm der Welt ist“ (Carsten Volkery, Spiegel-Online 09.03.07). Vermutlich stimmt das und legt doch nur das ganze Desaster der Weltklimapolitik offen:

Die die Emissionen betreffenden Absichtserklärungen des EU-Gipfels besagen, im Jahr 2020 in der EU 20 Prozent weniger Treibhausgase ausstoßen zu wollen als 1990. Was hier stutzig machen sollte, ist das Bezugsjahr 1990. Bekanntlich sank in Deutschland der CO2-Ausstoß von 1990 bis 1995 um 13 Prozent, weil die unrentabel gewordenen Dreckschleudern der alten DDR-Industrien stillgelegt wurden. In den nächsten fünf Jahren kamen dann nur noch weitere 2 Prozent hinzu. Seitdem wähnen sich die Deutschen als Avantgarde der „ökologischen Revolution“. Auf EU-Ebene wiederholt sich dieser Mechanismus jetzt, denn was für Ostdeutschland galt, gilt auch für die osteuropäischen EU-Mitglieder: In den 1990-er Jahren sank ihr Ausstoß von Treibhausgasen qua Deindustrialisierung drastisch. Vom derzeitigen Ist-Zustand aus geht es deshalb nur noch um die Verringerung der Emissionen um 5 Prozent bis 2020, um das „ehrgeizigste Klimaschutzprogramm der Welt“ zu verwirklichen.

Natürlich sei noch mehr drin, heißt es weiter, bis zu 30 Prozent, wenn die anderen, also insbesondere USA, Japan und China mitziehen. Nur hatten die leider keine östlichen Provinzen, die sie deindustrialisieren mussten, sodass dort der CO2-Ausstoß in den letzten 15 Jahren um 24 Prozent (USA), 15 Prozent (Japan) bzw. mehr als 100 Prozent (China) angestiegen ist. Was für diese Länder daher eine Reduktion der Emissionen um 20 Prozent im Vergleich zu 1990 bedeuten würde, lässt sich leicht nachrechnen. „Das 30-Prozent-Angebot der EU dürfte deshalb kaum ernst gemeint sein“ (Markus Becker, Spiegel-Online vom 09.03.07). Hauptsache, wir Europäer stehen als virtuelle Retter der Menschheit da.

Es lässt sich freilich noch eine andere Rechnung aufmachen: Der mittlere US-Amerikaner emittiert 19,7 , der mittlere Deutsche 10,3 , der mittlere EU-Europäer 8,5 , der mittlere Chinese 3,6 und der mittlere Erdenbürger 4,2 Tonnen CO2 pro Jahr (Zahlen der IEA für das Jahr 2004). Das verbleibende Reduktionsziel der EU einerseits und gleiches Recht für alle andererseits vorausgesetzt, dürfte jeder Mensch auf der Erde im Jahr 2020 acht Tonnen CO2 in die Luft blasen, fast doppelt so viel wie heute, was dann allerdings den Klima-Kollaps nicht erst in 2100, sondern sofort zur Folge hätte. Auch dieses Szenario ist (hoffentlich) nicht realistisch, zeigt aber doch die Verlogenheit, mit der die EU sich selber feiert.

Es geht hier jedoch nicht darum, dass die EU-Politiker im Allgemeinen und Angela Merkel im Besonderen persönlich versagt oder bewusst gemogelt hätten, sie haben vermutlich ihr Bestes gegeben und sind so weit gegangen, wie sie konnten. Die eigentlichen Schwierigkeiten bei der konkreten Umsetzung des eher vagen Beschlusses stehen ja erst noch bevor, und die Lobbyisten aller Mitgliedsländer werden ihn sicher noch weiter auf den Boden des „ökonomisch Machbaren“ herunter ziehen. Im Vergleich zu dem, was politisch durchsetzbar ist, geht dieser EU-Beschluss in der Tat sehr weit. Hier genau aber liegt die Crux, die eine Abwendung der Klimakatastrophe auf dem Boden der kapitalistischen Produktionsweise unmöglich macht: Dass nämlich die Politik bereits über den eigenen Schatten springen muss, nur um Beschlüsse zu fassen, die weit unterhalb der sachlichen Erfordernisse des zu lösenden Problems bleiben.

Indem menschliche Reproduktion nur noch in dem Maße gelingt, wie sie an der Selbstverwertung des Werts teilhat, wird der Wert zum eigentlichen Subjekt der Geschichte, als das Politik sich allenfalls noch imaginiert. Sie ist keine dem Wert eigenständig gegenüberstehende, sondern eine aus ihm nur abgeleitete Kategorie. Politik hat – schon der schieren Abschöpfung von Steuergeldern wegen – das Gelingen der Selbstverwertung des Werts zu gewährleisten, und nur innerhalb dieses Rahmens ist sie handlungsfähig.

Das ökologische Problem war politisch traktierbar, solange eine bloße Reparaturfunktion der Politik ausreichte, um den Betrieb der Wertverwertung am Laufen zu halten. Diese historische Phase scheint nun mit der vom Selbstlauf der Kapitalverwertung verursachten Klimaveränderung und ihren sich andeutenden katastrophischen Folgen zu Ende zu gehen. Politik gerät damit in eine Situation, in der sie das „automatische Subjekt“ vor sich selber retten, die Wertverwertung also in Frage stellen und sich damit den Boden unter den eigenen Füßen wegziehen müsste. Das kann – als Politik – nicht funktionieren und wird deshalb auch gar nicht erst versucht.

Stattdessen wird so getan, als wäre nichts geschehen, als ginge es weiterhin nur um ein paar kleinere Schönheitsreparaturen, die angesichts der fortgeschrittenen Klimadiskussion allerdings als der ganz große Durchbruch verkauft werden müssen und von den Protagonisten auch so gesehen werden. Schließlich kommt die ausgefeilteste Werbebotschaft nicht an, wenn ihre Überbringer selber nicht an sie glauben.

Das geneigte Publikum zeigt sich dennoch irritiert, von einer „Mogelpackung“ ist im Zusammenhang mit dem EU-Klimagipfel bereits die Rede, womit das unzureichende Ergebnis aber auf ein bloß moralisches Problem der beteiligten Politiker reduziert wird. Die Frage ist, ob und wann sich die Erkenntnis durchsetzen kann, dass die Politik selber – als Kategorie – ein Teil des Problems und seine Lösung von ihr daher nicht zu erwarten ist.

Eine weitergehende Frage ergibt sich aus dem anstehenden Wettlauf der Krisenerscheinungen, auf den sich Wetten abschließen ließen, wenn man es denn sportlich sehen könnte: Geht das Kapitalverhältnis zuerst an seinen immanenten ökonomischen Widersprüchen (Abschaffung der Arbeit) oder an seinen ökologischen Folgen zu Grunde? Und auch die Option eines nuklearen Krieges ist ja keineswegs vom Tisch.