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erschienen in der Wochenzeitung "Freitag"
am 13.04.2007

Robert Kurz

KAUF DIR EINEN BETRIEBSRAT

Der Aufschwung der Korruption und das Ende des Korporatismus

Schmiergeld regiert die Welt. Je fiktiver und deshalb riskanter der kapitalistische Verwertungsprozess wird, desto schamloser blüht allenthalben die Korruption. In der Not frisst man die fette Wurst auch ohne Brot. Da helfen keine Diätvorschriften, weil sowieso fast alles egal ist; wer sich erwischen lässt, hat eben Pech gehabt. Dem Global Player Siemens scheint dabei in letzter Zeit das Pech an den Fersen zu kleben. Eine „schwarze Kasse“ nach der anderen fliegt auf, die Staatsanwälte geben sich in den Konzernbüros die Klinke in die Hand. Nun sitzt Zentralvorstand Johannes Feldmayer in U-Haft wegen des Verdachts auf Begünstigung von Betriebsräten (Paragraf 119 des Betriebsverfassungsgesetzes). Mindestens 15,5 Millionen Euro sollen über einen „Beratervertrag“ ohne nennenswerte Gegenleistung an Wilhelm Schelsky, den inzwischen zurückgetretenen Chef der „Arbeitsgemeinschaft Unabhängiger Betriebsangehöriger“ (AUB) geflossen sein. Die AUB ist kein spezielles Haustier von Siemens; sie stellt bundesweit 10 Prozent der Betriebsratsangehörigen und konkurriert wie der traditionelle Christliche Gewerkschaftsbund mit den DGB-Gewerkschaften.

Ein klassischer Fall, könnte man sagen. Schon seit dem 19. Jahrhundert war die Gründung handzahmer und pflegeleichter „gelber Gewerkschaften“ ein Mittel, der sozialistischen Arbeiterbewegung das Wasser abzugraben, soziale Konflikte zu domestizieren und die Belegschaften auf Konsens zu vergattern. Oberflächlich gesehen steht die IG Metall in der Tradition dieser Auseinandersetzung, wenn sie die AUB-Affäre skandaliert und Strafanzeige wegen illegaler Begünstigung stellt. Das Peinliche ist nur, dass es vor kurzem beim ganz ähnlich gelagerten VW-Skandal ihre eigenen Leute an der Betriebsratsspitze waren, die mit Lustreisen und finanziellen Zuwendungen geschmiert wurden. Längst geht es nicht mehr um den Gegensatz von „roten“ und „gelben“ Gewerkschaften. Die Farben der glorreichen Geschichte sind verblasst bis zur Unkenntlichkeit. Es ist kein Geheimnis, dass die von DGB-Gewerkschaften gestellten Betriebsratsfürsten in den Konzernen auch ganz legal gut gepolstert werden, oft einschließlich hauseigener Dienstwagen, und nicht selten die „Wahlkampagne für den Betriebsrat mit den Geldern ihres eigenen Konzerns finanzieren“, wie der Handelsblatt-Chefredakteur Bernd Ziesemer nicht ohne Häme feststellt.

Es handelt sich eher um ein strukturelles Problem, das seine eigene Geschichte hat. In demselben Maße, wie sich die klassische Arbeiterbewegung auf den „Kampf um Anerkennung“ im Kapitalismus beschränkte, wurde die „sozialistische Gefährlichkeit“ schon vor dem 1. Weltkrieg zum Papiertiger. Die nach der gescheiterten Revolution von 1918 installierten „Betriebsräte“ hatten nur noch dem Namen nach etwas mit emanzipatorischer Selbstverwaltung zu tun; sie waren als eine Art Schülermitverwaltung der Kapitallogik zwangsläufig in das betriebswirtschaftliche Konkurrenzinteresse inkorporiert und als Belegschaftsvertretung von vornherein ambivalent. Im Nationalsozialismus wurden die Betriebsräte der rassistischen und antisemitischen „Volksgemeinschaft“ einverleibt und funktionierten im Rahmen der „Betriebsgemeinschaften“ als sozialer Kitt des Regimes.

Nach dem 2. Weltkrieg mündete diese Institution als Bestandteil der „sozialen Marktwirtschaft“ in den Korporatismus von Staat, Gewerkschaften und Management, ohne dass die Vergangenheit jemals kritisch aufgearbeitet worden wäre. Zu Wirtschaftswunderzeiten warf dieser Korporatismus mit seinen gemütlichen Aushandlungsprozessen durchaus etwas ab für die Masse der Lohnabhängigen. Die „ehrlichen Makler“ der Mitbestimmung konnten sich im Glanz respektabler Erfolge sonnen. Aber in den Zeiten von Globalisierung und dritter industrieller Revolution mutiert die formale Teilhabe der Spitzenfunktionäre zur Krisenmitverwaltung, in der es nur noch um den Grad von Lohnsenkung, Prekarisierung und Massenentlassung geht. Auch die Position der einst unantastbaren Kernbelegschaften wird unterspült; die gewerkschaftlichen Repräsentationen in den Betriebs- und Aufsichtsräten verlieren den festen sozialen Boden unter den Füßen.

Die Mitbestimmung ist perspektivlos geworden und der alte nationale Korporatismus löst sich unter dem Druck der Globalisierung mit wachsender Geschwindigkeit auf. In den institutionellen Ruinen der Betriebsverfassung ist sich wie auch sonst überall jeder selbst der Nächste. Geiz ist geil. Die „Netzwerk-Opportunisten“ auf allen gesellschaftlichen Ebenen wissen, dass sie sich nur noch durchmogeln können und ihre Zeit an den Fleischtöpfen in der Regel befristet ist; deshalb versuchen sie ihr persönliches Schäfchen rechtzeitig ins Trockene zu bringen. Das gilt für das Management genauso wie für die politische Klasse, den Kultur- und Wissenschaftsbetrieb oder die Sozialverbände. Gewerkschaften, die sich selbst zu Service-Unternehmen erklärt haben und „kundenorientiertes Qualitätsmanagement“ schulen, können da keine Ausnahme machen.

Wie oben, so unten: Auch die berühmte Basis besteht weitgehend aus entsolidarisierten Ich-AGs. Die kotzgelbe Farbe des ökonomistischen Liberalismus hat alle Fahnen der politischen und sozialen Identität im Krisenkapitalismus durchtränkt. Und wenn sonst nichts mehr geht, dann geht eben die Korruption, in der die BRD einen guten Platz im globalen Mittelfeld einnimmt. Alle empören sich darüber wohlfeil; und alle sind käuflich, sobald sich die Gelegenheit bietet, weil in Wahrheit niemand an den selbsttragenden „regulären“ Aufschwung glaubt. Also bitte keine künstliche moralische Aufregung, als läge das Problem in der menschlichen Unzulänglichkeit der austauschbaren Personage. Der gallige und mehr denn je ins Schwarze treffende Marxsche Begriff der „Charaktermaske“ war nicht im Sinne einer Gutmenschen-Ethik gemeint.