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erschienen im Neuen Deutschland
am 29.06.2007

Robert Kurz

VOLKSKAPITALISMUS

Es war schon eine Illusion der alten Arbeiterbewegung, dass die soziale Unterdrückung im Kapitalismus nicht auf den gesellschaftlichen Fetisch-Formen von Wert und „abstrakter Arbeit“ (Marx) beruht, sondern allein auf der subjektiven „Verfügungsgewalt“ der Kapitalisten qua Privateigentum am Sach- und Geldkapital. Der juristische Ausdruck des Kapitalverhältnisses wurde verwechselt mit seinem Wesen. Deshalb glaubte man, auf Basis der unüberwundenen Formen des modernen warenproduzierenden Systems wäre der Staat als „Generalunternehmer“ unter Führung der „Arbeiterpartei“ die Lösung. Der Staatskapitalismus ist historisch gescheitert. Dieselbe Illusion, nur seitenverkehrt, zeigt sich aber auch in der immer wieder aufgewärmten westlichen Idee eines „Volkskapitalismus“: Statt durch das Staatseigentum an den Produktionsmitteln soll die so genannte „soziale Gerechtigkeit“ durch eine Beteiligung der Massen am privaten Kapitaleigentum realisiert werden. Mit diesem alten Hut will jetzt der SPD-Vorsitzende Beck aus dem demoskopischen Tief herauskommen, indem er einen breit gestreuten „Deutschlandfonds“ zwecks Kapitaleigentum „für alle“ propagiert. Im Gegenzug favorisiert CSU-Chef Stoiber die Beteiligung der Belegschaften am jeweiligen Einzelunternehmen durch „Investivlöhne“.

Zu Wirtschaftswunderzeiten firmierte dieses Konzept unter dem Namen der „Volksaktie“ und wurde teilweise beim VW-Konzern unter hoher Staatsbeteiligung realisiert. Die NS-Gründung VW warf so noch im nachhinein für die deutsche „Volksgemeinschaft“ eine gewisse Weltmarkt-Dividende ab; viele Familien gewannen ein paar tausend Extra-Mark. Die hohen Wachstumsraten machten dieses Zuckerbrot möglich. Aber die Volksaktie war eine nebensächliche Angelegenheit; in erster Linie trug die Steigerung der Reallöhne zum Konsum-Wohlstand bei. Jetzt soll die Erinnerung an die Volksaktie zwecks Volksberuhigung politisch instrumentalisiert werden. In Krisenzeiten der 3. industriellen Revolution und der Globalisierung sieht die Sache allerdings anders aus. Was im Nachkriegs-Boom nicht in Erscheinung trat, wird jetzt zum Hauptkriterium, nämlich Kapitalbeteiligung als Risikobeteiligung. Beck will das in national-sozialer Manier auf der volkswirtschaftlichen Ebene erreichen, Stoiber in neoliberaler Manier auf der betriebswirtschaftlichen Ebene. In beiden Fällen geht es darum, die Menschen auf Gedeih und Verderb an die Funktionen der Kapitalverwertung zu fesseln.

Die Propaganda von den Individuen als „Unternehmern ihrer Arbeitskraft“ soll so „volkskapitalistisch“ flankiert werden. Aber Kapitalismus geht nur als Lohnabhängigkeit zwecks Mehrwertproduktion, egal in welcher juristischen Eigentumsform. Schon die vereinzelten „Belegschaftsunternehmen“ oder die Alternativ-Klitschen hatten nichts als Selbstausbeutung zur Folge. Eine breite Beteiligung an der Finanzblasen-Ökonomie, mit der man auch in den Gewerkschaften liebäugelt, würde heute nur zur Risiko-Mitverantwortung für sinkende Reallöhne und steigende Leistungshetze führen. Ein stolzer Preis für ein symbolisches Mini-Kapitaleigentum, das sich jederzeit in Luft auflösen kann. Das zeigte die Telekom-Privatisierung, die ja unter gütigem Werbespot-Zuspruch des Schauspielers Krug auch als eine Art Volksaktie gehandelt wurde. Viele Telekom-Beschäftigte können ein Lied davon singen, wie man sich so fühlt als Kleineigentümer von Aktien, die fast nichts mehr wert sind, während Ver.di gerade eine satte Lohnkürzung samt Arbeitszeitverlängerung ausgehandelt hat.