Startseite Krise und Kritik der Warengesellschaft


erschienen in der Wochenzeitung "Freitag"
am 29.06.2007

Robert Kurz

EINE HISTORISCHE NIEDERLAGE

Das Lehrstück Telekom wird Schule machen

Nach wochenlangem Streik hat die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di bei der Deutschen Telekom 6,5 Prozent Lohnsenkung und 4 Stunden Arbeitszeitverlängerung ohne Lohnausgleich „erkämpft“. Zu allem Überfluss werden auch noch die Pausen gekürzt. Es ist nur eine unwesentliche Milderung, dass für 18 Monate Ausgleichszahlungen vorgesehen sind. Mehr als ein Hauch von Unglaubwürdigkeit enthält der Kündigungsschutz bis 2012, weil gleichzeitig die Garantie, dass die ausgelagerte Servicegesellschaft nicht verkauft wird, nur bis 2010 reicht. Und bei einer durchaus möglichen Zerschlagung der Telekom etwa durch Finanzinvestoren würden sich diese an keine Vereinbarungen mehr halten. Konzernchef Obermann hat sich auf der ganzen Linie durchgesetzt. Die gewerkschaftliche Ausgangsposition war auch deshalb miserabel, weil Ver.di zuvor schon mit den Telekom-Konkurrenten selber niedrigere Tarife ausgehandelt hatte. So war es klar, dass das Lohnniveau beim ehemaligen öffentlichen Monopolbetrieb nicht gehalten werden konnte.

Es ist eine historische Niederlage, deren Tragweite absehbar ist und weit über die Branche hinausreicht. Wenn die ursprünglich geplante Lohnsenkung von 9 auf 6,5 Prozent vermindert wurde, dann hat das mit einem traditionellen „Kompromiss“ nichts mehr zu tun. Es ist das Signal, dass es zukünftig nur noch um den Grad der Verschlechterungen geht. Was sich in diesem Sinne schon bei den rot-roten Landesregierungen als Logik der makroökonomischen staatlichen Krisenverwaltung gezeigt hatte, droht nun auf breiter Front die betriebswirtschaftliche Ebene zu erfassen. Obermann hat hier unter dem Druck des Großaktionärs Blackstone eine entscheidende Bresche geschlagen; das Telekom-Lehrstück wird Schule machen. Reif geschossen für ähnliche Maßnahmen sind damit zuerst die ehemaligen öffentlichen Dienste Bahn und Post. Als nächstes dürfte es den Briefbereich der Post treffen, der noch mehr als die Telekom von Niedriglohnkonkurrenz bedrängt wird.

Wenn sich Gewerkschaften und linke Parteien eine gelingende Kapitalverwertung zur Voraussetzung des eigenen Handelns machen, können sie unter den veränderten Bedingungen von 3. industrieller Revolution, schwacher Realakkumulation sowie globalisierten Arbeits- und Kapitalmärkten nur noch staatliche und betriebswirtschaftliche Krisenmitverwaltung gegen die eigene Klientel betreiben. In Marxschen Begriffen ausgedrückt handelt es sich um den Übergang vom Vorrang des relativen Mehrwerts (indirekte Beteiligung der Lohnabhängigen an der Produktivitätssteigerung), der noch das „Wirtschaftswunder“ getragen hatte, zur Notstandslogik des absoluten Mehrwerts (Lohnabbau, Leistungshetze, Arbeitszeitverlängerung trotz Massenarbeitslosigkeit).

Es wirkt wie Hohn, wenn der Telekom-Betriebsratsvorsitzende Wilhelm Wegner der „Wirtschaftswoche“ erklärt, die Belegschaft sollte „ein Gespür bekommen, was für sie dabei herausgekommen ist“, denn man müsse „das Ohr am Kunden haben“. Das wird die Argumentation für die nächsten Einschnitte sein. Ironischerweise hätten gerade die Beschäftigten von Telekom, Post und Bahn im Unterschied zu anderen Branchen durchaus die Macht, die kapitalistischen Nervenadern zu unterbrechen und realen Druck auszuüben. Aber der Wille dazu muss fehlen, wenn man sich selber die Sorgen um die „Personalkostenseite“ zu eigen macht, weil die gesellschaftliche Alternative fehlt. Vordergründig bildet der Telekom-Abschluss den Kontrapunkt zur Metall-Tarifrunde, in der die Beschäftigten der exportlastigen Sektoren nach einer langen Durststrecke nahezu kampflos bescheidene Zuwächse erzielen konnten. Auch diese Spaltung liegt im Trend: In den letzten 10 Jahren ist die Lohnschere laut OECD hierzulande stärker auseinander gegangen als in allen westlichen Industrieländern und klafft heute fast so weit wie in Polen oder Südkorea. Wenn die defizitäre Weltkonjunktur wie zu erwarten abflaut oder gar abstürzt, wird nicht der Metall-, sondern der Telekom-Abschluss den Weg weisen in eine hemmungslose Absenkung des Einkommens- und Lebensniveaus.