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erschienen in der Vierteljahreszeitschrift "DIE BRÜCKE"
Ausgabe Nr. 145 (www.bruecke-saarbruecken.de)

Gerd Bedszent

Das Kosovo - Vom gesamtjugoslawischen Armenhaus zur Hochburg der Mafia

Der UN-Sicherheitsrat müsse zügig eine Entscheidung über die Unabhängigkeit des Kosovo treffen. Das forderte der US-Präsident George W. Bush bei seinem kürzlich erfolgten Besuch in der albanischen Hauptstadt Tirana: "Unabhängigkeit ist das Ergebnis. (...) Wenn offensichtlich ist, daß eine Vereinbarung nicht relativ zügig zustande kommt, dann müssen wir nach meiner Einschätzung die Resolution vorantreiben. Das heißt: eine Frist setzen." Mit diesem Affront gegen Serbien und Rußland legte Bush die Zündschnur an einen erneuten militärischen Konflikt auf dem Balkan.

Albanien ist das einzige europäische Land, in dem der US-Präsident nicht mit Protestdemonstrationen, sondern mit Salutschüssen und frenetischem Beifall empfangen wurde. Großalbanische Nationalisten streben eine Vereinigung mit der seit dem Krieg von 1999 faktisch unter NATO-Protektorat stehenden ex-jugoslawischen Provinz Kosovo an und betrachten deren Unabhängigkeit als ersten Schritt hin zu diesem Ziel. Mit Rückendeckung Rußlands beharrt dagegen die serbische Regierung auf dem Verbleib des “autonomen” Kosovo im serbischen Staatsverband. Beide Seiten berufen sich auf die Historie.

Für Serbien gilt das Kosovo (zu deutsch: Amselfeld) nicht zu Unrecht als Kerngebiet des mittelalterlichen Feudalstaates, den sich im 14. Jahrhundert das Osmanische Reich einverleibte. Allerdings war das Kosovo schon damals multiethnisch - wie der gesamte Balkan. An der Seite des serbischen Ritterheeres kämpften in der Entscheidungschlacht des Jahres 1389 auch Kontingente anderer Völkerschaften.

Die Albaner betrachten sich als ethnische Nachkommen der Illyrer, die in der Antike einen Großteil des Balkan besiedelten, bezeichnen die Einverleibung des Kosovo in das Königreich Serbien als Folge des 1. und 2. Balkankrieges im Jahre 1911 als Eroberung.

Die albanische Bevölkerung des Kosovo spielte im serbischen (ab 1929 jugoslawischen) Königreich tatsächlich eine untergeordnete Rolle; es gab Unterdrückungsmaßnahmen und Vertreibungen. 1941 fiel dieses Königreich allerdings den angreifenden deutschen und italienischen Truppen zum Opfer.

Im Krieg und Bürgerkrieg siegte die kommunistisch geführte Partisanenarmee; das Kosovo wurde autonomes Gebiet der Republik Serbien im Rahmen der neu konstituierten Föderativen Sozialistischen Republik Jugoslawien. Auf Seiten der faschistischen Besatzer hatte eine SS-Division “Skanderbeg” gekämpft, die sich ausschließlich aus Albanern rekrutierte und schon damals eine brutale ethnische Säuberung des Kosovo betrieb. Andere Kosovo-Albaner hatten dagegen in den Reihen der multiethnischen Partisanenarmee des kroatischen Kommunisten Tito gestanden.

Im Zuge einer gesamtjugoslawischen Aussöhnungspolitik verzichteten Titos Partisanen nach dem Krieg weitgehend auf Racheakte, akzeptierten die albanischsprachige Bevölkerungsmehrheit des Kosovo. Während der Zeit des dann folgenden sozialistischen  Modernisierungsversuches war das Kosovo zusammen mit Bosnien und Mazedonien allerdings das “Armenhaus Jugoslawiens”. Obwohl jährlich Milliardensummen aus dem Haushalt der reicheren Teilrepubliken abgezweigt und in einen Fond zur Förderung der unterentwickelten Regionen eingezahlt wurden, gelang es nicht, das Wirtschaftsgefälle zwischen den jugoslawischen Teilrepubliken nachhaltig auszugleichen. Das Kosovo blieb eine Armutsregion am finanziellen Tropf der Belgrader Zentrale.

Nachdem sich Ende der achtziger Jahre herauskristallisierte, daß die Modernisierung unter sozialistischem Vorzeichen gescheitert war, leitete die Sezession der reichen Teilrepubliken Slowenien und Kroatien den blutigen Zerfall des jugoslawischen Staates ein. Das Ausbleiben der Zahlungen aus den abgespaltenen Republiken führte zur weiteren Verarmung der schon vorher unterentwickelten Regionen. Massenhafte Arbeitslosigkeit beförderte u. a. im Kosovo die Entstehung einer kriminellen Schattenwirtschaft, die sich mit der großalbanisch-nationalistischen “Kosovo-Befreiungsarmee” UCK schließlich einen militärischen Arm schuf.

Der Bürgerkrieg der UCK-Freischärler gegen die jugoslawische Polizei und Armee lieferte 1999 den Anlaß für das  militärische Eingreifen der NATO. Nach einem barbarischen Bombenkrieg gegen Städte und Dörfer zog sich die jugoslawische Armee schließlich aus dem Kosovo zurück. Die daraufhin eskalierenden nationalistischen Exzesse führten zu einer fast vollständigen Vertreibung der nicht-albanischen Bevölkerungsgruppen. Lediglich in einigen von den Besatzern abgeschirmten Enklaven wurde der ethnischen Säuberung Einhalt geboten. Diese “serbischen” Siedlungen (in denen übrigens auch viele Albanern leben) sind seitdem die einzigen Territorien des Kosovo, in denen ein Zusammenleben verschiedener Bevölkerungsgruppen weiter möglich ist.

Die faktische Sezession aus dem rest-jugoslawischen Staatsverband erwies sich für die kosovo-albanischen Nationalisten als wirtschaftliches Desaster. Die bereits stark angeschlagene Industrie brach fast völlig zusammen, da infolge der politischen Trennung die vorher noch funktionierenden Vertriebs- und Absatznetze zerrissen. Andererseits war eine angestrebte Zusammenarbeit mit dem benachbarten albanischen Staat kaum praktizierbar, da dessen Wirtschaft schon in den neunziger Jahre weitgehend zusammengebrochen, die Reste von mafiösen Clans übernommen waren. Tausende Einwohner des albanischen “Mutterlandes” siedelten in das Kosovo über, eigneten sich dort zumeist Ländereien vertriebener nicht-albanischer Dorfbewohner an. Der seitdem schwelende Dauerkonflikt mit den Einwohnern serbischer Enklaven hat keinen politischen Hintergrund, sondern ist letztlich eine Folge nackter Raubsucht.

In Gestalt gewesener UCK-Kämpfer hat die organisierte Kriminalität seit 1999 im Kosovo die politische Macht inne - das Territorium entwickelte sich seitdem zu einem Eldorado für Kriminelle aller Schattierungen. Die UCK und ihre Nachfolgestrukturen finanzieren sich im wesentlichen durch Schutzgelderpressung, Rauschgift- und Frauenhandel. Kundschaft dieser kriminellen Unternehmen sind dabei nicht zuletzt die Soldaten der Besatzungstruppen, deren Aufgabe eigentlich darin bestünde, in diesem Zusammenbruchsterritorium die Funktion einer Ordnungsmacht wahrzunehmen.

Einen weitere trübe Finanzquelle der derzeitigen Machthaber ist die Religion. In der Tito-Ära war das Kosovo weitgehend laizistisch - wie damals ganz Jugoslawien. Seit 1999 strömen - überwiegend aus Malaysia - Missionsgelder ins Land. In den meisten Dörfern wurden mittlerweile Moscheen errichtet - jahrhundertealte Bauwerke der serbisch-orthodoxen Kirche hingegen erbarmungslos geschleift.

Bei den derzeitigen kriminellen Zuständen im Kosovo handelt es sich nicht um ein vorübergehendes Phänomen, sondern um das Resultat eines gesamtgesellschaftlichen Zerfallsprozesses, der noch keineswegs abgeschlossen ist. Wenn es keine Möglichkeit des regulären Broterwerbes gibt, bleibt als Alternative eben nur die Teilnahme an der Schattenwirtschaft - also der Mafia. Oder aber die Ausplünderung anderer Bevölkerungsgruppen, die von nationalistischen und religiösen Scharfmachern als “feindlich” und daher als außerhalb der Gesetze und der moralischen Normen stehend erklärt worden sind.

Die Rede des US-Präsidenten in Tirana ist kein Ausrutscher, sondern Symptom der kriminellen Verwilderung des Systems westlicher Moderne, reiht sich nahtlos ein in eine Politik, blutige Warlords und Banden marodierender Krimineller als bezahlte Handlanger zu vernutzen.