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erschienen in der Wochenzeitung "Freitag"
am 03.08.2007

Robert Kurz

DIE PROFITBAHN ROLLT

Vom öffentlichen Dienst zum Global Player und Investoren-Objekt

Als die ehemalige Bundesbahn 1994 zur Bahn AG in Staatsbesitz umgewandelt wurde, war damit nicht nur die formale Voraussetzung für eine Privatisierung geschaffen. Auch inhaltlich orientierte sich das neue Management radikal um: weg von der flächendeckenden Versorgungsleistung einer öffentlichen Infrastruktur, hin zur Profitmaximierung eines rein marktbezogenen „Mobilitätsunternehmens“. Das war politisch gewollt im Zuge der neoliberalen Ökonomisierung aller Lebensbereiche. Bahnchef Mehdorn träumt vom Börsengang wie ein postmoderner Junkie vom großen Coup. „Aus der Eisenbahn wird ein Global Player“, so die Selbstbezichtigung in einer Werbekampagne. Seit 2002 glänzte die Bahn AG im Übernahme-Poker. Nach dem Logistik-Konzern Schenker wurden weitere Unternehmen aus der Luft- und Seefahrt-Branche geschluckt. Die seit Anfang 2007 in der EU geltende juristische Liberalisierung des Schienen-Güterverkehrs ermöglichte die Übernahme großer Teile der britischen und spanischen Güterbahnen. Mehdorn schwelgt großspurig in weiteren Expansionszielen, als ginge es um eine Mobilitäts-Weltmeisterschaft „für Deutschland“.

Die Kehrseite: Während der Umsatz auf 30 Milliarden Euro verdoppelt und der Gewinn rasant gesteigert wurde, ging der Personalabbau in den letzten zehn Jahren noch schneller weiter; die Zahl der Beschäftigten sank trotz Expansion um weitere 50.000. Die Arbeitshetze steigerte sich so dramatisch, wie sich der Service verschlechterte. Damit verbundene Sicherheitsmängel werden in Kauf genommen. In derselben Zeit schrumpfte das ohnehin seit langem reduzierte Schienennetz in der BRD noch einmal um 5000 Kilometer bzw. mehr als 10 Prozent. Gleichzeitig ist die Schienen-Infrastruktur chronisch unterfinanziert und bis zur Schmerzgrenze überlastet, was zu weiteren Störungen und Sicherheitsproblemen führt. Ganz ähnlich übrigens wie bei den Strommasten der privatisierten Energiekonzerne, die mangels ausreichender Infrastruktur-Investitionen diverse europaweite Black-Outs „produzieren“ durften.

Jetzt hat die Bundesregierung unter der Federführung von SPD-Minister Tiefensee als nächsten Schritt den Gesetzentwurf für die Teilprivatisierung der Bahn AG bis Ende 2008 verabschiedet. 49 Prozent der Aktien sollen an Investoren wie Blackstone oder die Deutsche Bank verscherbelt werden. Schlüsselproblem ist das Schienennetz, das laut Grundgesetz Artikel 87 e Eigentum des Bundes sein muss. Tiefensee will dieses „Handicap“ mit einer abenteuerlichen Konstruktion umgehen: Das Netz soll formal Bundeseigentum bleiben, jedoch gleichzeitig zunächst für 15 Jahre der Bahn AG zur freien Bewirtschaftung und Bilanzierung überlassen werden, wobei die Kriterien für die Netzqualität unscharf bleiben. Die weitgehend gescheiterte britische Bahn-Privatisierung lässt grüßen: Dort hat die börsennotierte Firma Railtrack das Schienennetz derart verkommen lassen, dass zahlreiche Katastrophen mit vielen Todesopfern zu beklagen waren; Railtreck ist inzwischen pleite gegangen. Tiefensees Absicherung gegen solche Tendenzen ist dürftig: Während der Bund weiterhin jährlich 2,5 Milliarden Euro für den Erhalt der Gleise überweist, soll erst nach besagten 15 Jahren entschieden werden, ob die Bahn AG für ausreichende Netzqualität sorgt. Und selbst im negativen Fall muss der Bund bei einer Rückübertragung 8 Milliarden Euro an den Bahnkonzern als „Wertausgleich“ zahlen, zum Dank für die Vernachlässigung.

Kein Wunder, dass ein Investment-Banker in der „Wirtschaftswoche“ sinnierte, das Bahn-Engagement könne für Investoren, die sich „clever anstellen“, sehr profitabel sein. Andererseits wird beklagt, dass bei Minderheitsbeteiligungen Finanzinvestoren „unrentable Strecken“ nicht in ausreichendem Maße still legen könnten. Schon mokiert sich das „Handelsblatt“ über politische, gewerkschaftliche und ökologische „Ansprüche“, dass „jedes Kuhdorf“ Anschluss haben müsse; unter solchen Vorgaben sei die Bahn für einen Börsengang „so ungeeignet wie die Caritas“. Wenn derart unverschämt Druck gemacht werden kann, liegt das an den politischen Vorgaben selbst: Privatisierung geht nur ganz oder gar nicht, und die Weichen dafür sind längst gestellt. Die Klagen von Grünen-Politikern über eine Selbstenteignung des Bundes sind unglaubwürdig, denn Rot-Grün hat schon die Vorarbeit für die jetzige Entwicklung geleistet. Es ist auch kein Zufall, dass ein SPD-Minister die Speerspitze beim Ausverkauf der Bahn bildet. Die Liquidierung der öffentlichen Dienste ist Programm. Während die Stimmung angeheizt wird gegen die Lokführergewerkschaft, die trotz Separatforderung im Unterschied zu Transnet ernsthaft Front machen will gegen Unterbezahlung und Leistungshetze, läuft die „Erwirtschaftung von Renditen“ auf eine grundsätzliche Einschränkung der Mobilität für die Bevölkerung hinaus. Was ist schon ein Lokführerstreik gegen den anvisierten Börsengang der Bahn? Der letzte Schritt wäre die Vollprivatisierung, und dann könnte der Übernahme-Player Bahn AG selbst übernommen und ausgeschlachtet werden.