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aus: KRISIS 15
Roswitha Scholz
DIE MASKE DES ROTEN TODES
Kasinokapitalismus, Frauenbewegung und Dekonstruktion
»Fürst Prospero aber war glücklich und furchtlos und
weise. Als sein Land schon halb entvölkert, befahl er tausend gesunde
und frohgemute Ritter und Damen seines Hofes zu sich, und mit ihnen zog
er sich in die tiefe Abgeschiedenheit eines seiner befestigten Schlösser
zurück. Dies war ein geräumiges und prächtiges Bauwerk, erschaffen
nach des Fürsten eigenem überspannten, doch erlesenen Geschmack.
Eine gewaltige, hochragende Mauer faßte es ein. Diese Mauer hatte
Tore von Eisen. Nachdem sich die Höflinge hineinbegeben hatten, holten
sie Schmelzöfen und mächtige Hämmer und schmiedeten die Riegel.
Sie beschlossen, den plötzlichen Regungen von Verzweiflung oder Raserei
von drinnen weder Eingang noch Ausgang zu gewähren. Das Schloß
war reichlich mit Proviant versehen. Solcherart gerüstet, mochten die
Höflinge der Ansteckung wohl Trotz bieten. Die Welt draußen konnte
für sich selbst sorgen! Inzwischen wäre es töricht, sich
zu grämen und zu grübeln. Der Prinz hatte alle Vorkehrungen zur
Sinnenlust getroffen. Da waren Spaßmacher und Stehgreifdichter, da
waren Ballettänzer und Musikanten, da war Schönheit, da war Wein.
All dies und Sicherheit war im Schloß. Draußen war der Rote
Tod. Es war gegen Ende des fünften oder sechsten Monats seines abgeschiedenen
Daseins und als die Pestilenz am schlimmsten im Lande wütete, da lud
Fürst Prospero seine tausend Freunde zu einem Maskenball von außergewöhnlicher
Pracht«
(Edgar Allan Poe: Die Maske des Roten Todes)
Vorbemerkung
Dieser Text wurde im ersten Halbjahr 1994 geschrieben. Nachfolgendes Material
und nachfolgende Diskussionen wurden nur punktuell und unsystematisch berücksichtigt.
Es war ursprünglich nicht vorgesehen, diesen Artikel in der »Krisis«
zu veröffentlichen, da er sich in erster Linie an ein Frauenbewegungs-Publikum
richtet. Versuche, ihn (in einer kürzeren Fassung) in entsprechenden
Publikationsorganen unterzubringen, waren zwar nicht ganz erfolglos; das Thema
wurde als »wichtig« erachtet. Da eine feste Zusage jedoch noch
aussteht und der Aufsatz auf aktuelle zeitgeistige Tendenzen Bezug nimmt (die
Veröffentlichung also nicht auf die lange Bank geschoben werden sollte),
habe ich mich dazu entschlossen, ihn erst einmal in der »Krisis«
zu publizieren.
Obgleich der Text eine Kritik an bestimmten Strömungen der Frauenbewegung
und neueren Tendenzen in der feministischen Theoriebildung/Forschung darstellt,
kann er in vielerlei Hinsicht auch als Zeitgeistkritik generell gelesen werden,
die auch neuere Strömungen radikaler Opposition miteinschließt
(ich habe darauf gelegentlich hingewiesen). Es braucht wohl nicht extra darauf
aufmerksam gemacht werden, daß es mindestens genauso viele (wohlstandschauvinistische)
Fürsten Properos wie Fürstinnen Properas gibt, die im Mittelpunkt
meines Räsonnements stehen.
Das erneute Auftreten der Pest in Indien als Folge von Modernisierungsprozessen
hat der von mir metaphorisch als Anfangs- und Schluß-Motto verwendeten
Erzählung von Edgar Allan Poe im nachhinein einen mehr als makabren Hintergrund
verliehen. Ich habe mich gefragt, ob unter diesen Umständen ein Bezug
auf »Die Maske des Roten Todes« nicht Wirkungen haben könnte,
die meinen Intentionen diametral entgegenstehen (das betrifft vor allem implizite
Ausgrenzungsbestrebungen gegenüber Nichtweißen bzw. Nichteuropäern).
Nachdem diese Geschichte meines Erachtens jedoch bestimmte Facetten der postmodernen
Befindlichkeit literarisch ausgezeichnet auf den Punkt bringt, habe ich mich
schließlich doch dazu entschlossen, sie als »Aufhänger«
meiner Thesen zu belassen.
Seit Ende der achtziger Jahre hat sich in in Frauenbewegung und feministischer
Theorie einiges verändert. Prominente Konzepte im theoretischen Feminismus
wie etwa der Marxismus, die Psychoanalyse oder auch der Ansatz der »Bielefelderinnen«
sind in den Hintergrund gerückt, stattdessen traten diskurstheoretische
und interaktionistische Ansätze ins Rampenlicht. Diese neueren Theorierichtungen
werden nun in den Medien und bei den Frauenbewegten begierig aufgenommen.
Es fragt sich, in welchem Verhältnis diese Neuorientierungen zu den (welt)gesellschaftlichen
Veränderungen und Turbulenzen seit den achtziger Jahren stehen, und weshalb
sich die konstruktivistischen Konzepte, bei gleichzeitiger Zunahme anthropologisch-biologistischer
Deutungsmuster in der Gesellschaft, gerade seit
Anfang der neunziger Jahre so großen Interesses erfreuen. Auf diese
Fragen versuchen die nachfolgenden Überlegungen Antworten zu finden,
z.T. auf spekulative Weise, wobei auf die Motivation und Intention der »postmodernen«
Subjekte und des »postmodernen« Publikums besonderes Augenmerk
gelegt wird. Vor allem im Schlußteil meiner Überlegungen gehe ich
sodann noch auf meines Erachtens fruchtbarere (theoretische) Perspektiven
ein, als sie die konstruktivistischen Konzepte bieten. Deren Grundgedanken
sollen jedoch zunächst einmal kurz dargestellt werden.
Vor allem Judith Butlers Buch »Das Unbehagen der Geschlechter«
hat Furore gemacht. Sie kritisiert darin die bislang vorgenommene Unterscheidung
zwischen »sex« und »gender«. Im Anschluß an
verschiedene TheoretikerInnen, vor allem aber an Foucault, entwickelt sie
eine Perspektive, die »sex« völlig in »gender«
aufgehen läßt, da auch das »biologische« Geschlecht,
ja der Körper überhaupt ein Diskursprodukt seien. Geschlecht und
Geschlechtsidentität werden damit durch Bezeichnungsprozesse gesetzt,
und Männlichkeit und Weiblichkeit sind kulturelle Konstrukte, denen durch
die diskurstheoretische Dekonstruktion buchstäblich zu Leibe gerückt
werden soll. Da für Butler »Geschlecht« nur eine performative,
keine expressive Kategorie ist, d.h. sie (rituell immer wieder) dargestellt
werden muß, sieht sie in einer internen Subversion des Geschlechterdualismus,
wie sie in lesbischen und schwulen Subkulturen durch wiederholende parodistische
Praktiken ihrer Meinung nach anzutreffen ist, einen Weg, die Geschlechtsidentität
radikal unglaubwürdig zu machen (vgl. Butler 1991).
Auch die EthnomethodologInnen betrachten Männlichkeit und Weiblichkeit
als kulturelle Konstrukte, wenngleich aus einer anderen Theorietradition kommend
als Butler. Die eigene Kultur wird hier wie eine fremde betrachtet, um so
den kulturellen Selbstverständlichkeiten im Alltag (und wie sich das
Alltagsbewußtsein in Wissenschaft und Theorie niederschlägt) auf
die Spur zu kommen. »Geschlecht« ist auch hier nicht etwas, was
wir sind, sondern etwas, was wir »tun«. Auch ethnomethodologische
Konzepte lassen »sex« gerne in »gender« verschwinden,
da Geschlecht interaktiv als soziales Konstrukt hergestellt werden muß
- es wird auch von »Interaktionsarbeit« gesprochen - und nicht
bzw. nicht gänzlich aus der biologischen Verfaßtheit abgeleitet
werden kann. Deshalb ist die Transsexuellenforschung ein beliebtes Feld der
ethnomethodologischen Gender-Forschung.
Auf der wissenschaftlichen und theoretischen Ebene steht für manche Verfechterinnen
dieses Ansatzes somit ebenfalls die »Dekonstruktion« des geschlechtlichen
Klassifikationsvorgangs an, d.h. die binäre Grundstruktur muß in
Frage gestellt werden. Politisch-praktisch hingegen tut sich dieser Ansatz
schwer: Es bleibt nichts anderes übrig, als in gängiger Weise auf
Differenz oder Gleichheit, je nach Situation, zu pochen, da es nun einmal
eine reale Geschlechterhierarchie gibt, - obwohl beide Strategien gewissermaßen
auf eine Realreifikation von Geschlechtlichkeit (im politischen Alltag) hinauslaufen,
wie schon die Organisation der Frauenbewegung als Frauenbewegung überhaupt;
letzteres gilt auch für das Konzept von Butler (vgl. Gildemeister/Wetterer
1992).
Es fragt sich nun, warum gerade seit Ende der achtziger Jahre die konstruktivistischen
Gender-Konzepte einen Höhenflug in der bundesrepublikanischen Frauenforschung
erleben. Ja man hat geradezu den Eindruck, daß diese Ansätze gleichsam
eine Falltüre eingerannt haben, und das, obwohl für die ethnomethodologische
Position in der Bundesrepublik noch 1992 eine »Rezeptionssperre«
konstatiert wurde (Gildemeister/Wetterer 1992, S. 203). Dies kann kaum allein
durch die überschwengliche Freude von großen Teilen der Frauenbewegung
und -forschung erklärt werden, nun durch anspruchsvolle theoretische
Konzepte krude Entwürfe der »Neuen Weiblichkeit« aus dem
Rennen geworfen zu haben. Um nicht von vornherein falsch verstanden zu werden:
Ich bestreite keineswegs, daß Geschlecht, Männlichkeit und Weiblichkeit,
kulturell/sozial und historisch konstituiert sind und nicht unvermittelt aus
den - womöglich noch ontologisch gesetzten - biologischen Gegebenheiten
abgeleitet werden können (dazu später); problematisch erscheint
mir vielmehr die derzeitige Hypostasierung kulturtheoretischer Fragestellungen
bei weiten Teilen der Frauen- bzw. Genderforschung.
Gerade in den konstruktivistischen Ansätzen ist soziale Wirklichkeit
nämlich nur noch insofern interessant, als sie sich auf die Frage nach
der formalen »Herstellung von (Zwei-)Geschlechtlichkeit« bezieht,
während in der Frauenforschung generell ökonomische, politische,
aber auch gewisse sozialpsychologische Fragestellungen und eine damit einhergehende
gesellschaftspolitische und -theoretische Ausrichtung an Bedeutung verloren
haben. Damit korrespondiert eine Tendenz, daß das »gesellschaftliche
Naturverhältnis, Armut und Ausbeutung in der Dritten Welt, Kriegs- und
Friedenspolitiken (...) allenfalls als Spezialthemen einiger Expertinnen wahrgenommen
(werden); sie sind nicht mehr kollektive Anliegen der Frauenbewegung«
(Holland-Cunz, 1994, S. 25). Es scheint fast so, als würde in
den konstruktivistischen Ansätzen mit der Negation der »unschuldigen«
Annahme einer physiologischen Differenz zwischen Männern und Frauen (aus
der meiner Meinung nach keineswegs ein geschlechtsmetaphysisches überhistorisches
Wesen folgt) die Kenntnisnahme beunruhigender (welt)gesellschaftlicher Probleme,
die auch vor der eigenen Haustür nicht haltmachen, gleich miteskamotiert.
Der hier außerdem sichtbar werdende »invertierte Biologismus«
- »invertiert« insofern, als diese Konzepte anscheinend davon
ausgehen, daß nicht einmal körperliche Unterschiede zwischen den
Geschlechtern existieren dürfen, da diese notwendig soziale nach sich
zögen (so Nagl-Docekal 1993 in Bezug auf das Butlersche Konzept) - könnte
leicht durch seine Überspanntheit gewissermaßen diskursgesetzlich
eine Gegentendenz anthropologischer oder biologistischer Sichtweisen befördern,
die bereits jetzt im Zuge rechtskonservativer und rechtsradikaler Tendenzen
im Schwange sind.
Gerade auch die massenhaften Kritiken, die mittlerweile als Reaktion auf Butler
die Existenz des Körpers vehement einklagen, könnten dabei ein Durchgangsstadium
zu einem neuen anthropologisch-biologistischen Denken sein, das in ein paar
Jahren womöglich beim Mainstream des »Diskurses« wieder fröhliche
Urständ feiert. Mitte der Neunziger hat sich die Stimmung in der Bundesrepublik
zwar gebessert, nicht jedoch die strukturell-objektive Lage. Ein Dauerproblem
wird z.B. auch in Zukunft die Existenzsicherung von Arbeitslosen sein. Es
bleibt abzuwarten, wie sich dies dauerhaft auf die gesellschaftliche Gesamtatmosphäre
auswirken wird. In den folgenden Überlegungen geht es mir weniger um
eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den konstruktivistischen Konzepten,
sondern es scheint mir überfällig, den zeitgeschichtlichen Bezügen
und materiellen Hintergründen für ihre Blitzkarriere nachzugehen
und sie in diesen Kontext zu stellen.
Jugend, Kasinokapitalismus und »(De)konstruktion«
Die Woche: Norman Mailer bezeichnete Sie in seinem großen »Esquire«-Artikel
als »beste lebende Künstlerin«. Ihr Kommentar?
Madonna: Danke, Norman Mailer.
Die Woche: Er schrieb auch, daß ihn die Einrichtung Ihres Apartements
abstieß, weil Mussolini sich dort wohlgefühlt hätte.
Madonna: Er dachte, er hätte mich damit beleidigt. Tatsächlich empfand
ich es aber ebenfalls als Kompliment. Ich liebe faschistisches Design.
Die Woche: Ist das Ihr Ernst?
Madonna: Oh, ja! Ich mag auch faschistische Architektur.
Die Woche: Es gibt so viele Städte in Europa, die durch faschistische
Bauten entstellt wurden (...)
Madonna: Nicht nur in Europa. In Mexiko gibt es einige wunderschöne faschistische
Bauwerke.
Die Woche: Aber wie können Sie das Bauwerk von seiner Bedeutung trennen?
Man kann sich so ein Gebäude doch nie ansehen, ohne nicht auch zu wissen,
für was es steht.
Madonna: Ihre bestimmte Arroganz fasziniert mich. Mich ziehen viele Dinge
an, die einen negativen Beigeschmack haben. Etwa Gewalt oder Brutalität.
Andererseits faszinieren mich Romantik und Sentiment. Dinge genau entgegengesetzter
Natur (von wegen, wenn der Faschismus/Nationalsozialismus betrachtet wird,
R.S.). Ich glaube, es ist am besten, wenn man von allem etwas nimmt.
(Interview: Detlef Diederichsen. In: Die Woche Nr. 43/21. Oktober 1994).
Landwehr/Rumpf konstatieren, daß in Seminaren an der Universität
vor allem junge Studentinnen sich von den neueren konstruktivistischen Ansätzen
angezogen fühlen, im Gegensatz zu den älteren Professorinnen und
Dozentinnen, und begründen dies mit dem anderen Erfahrungshintergrund
der jüngeren Generation. U.a. auch durch die Existenz und den Kampf der
Frauenbewegung hätten sich in den letzten Jahrzehnten die Geschlechterbeziehungen
verändert. Diese würden von jüngeren Feministinnen nun nicht
mehr in demselben Maß wie früher als Kampfplatz erlebt (vgl. Landwehr/Rumpf
1993, S.3 f).
Ich denke, daß diese Erklärung höchstens zum Teil zutrifft
und entschieden zu kurz greift. Der Erfahrungshintergrund der jungen Erwachsenen,
die heute an den Universitäten anzutreffen sind, ist der patriarchale
Kasinokapitalismus der achtziger und neunziger Jahre, der noch bis vor kurzem
buchstäblich rauschende Triumphe feierte. Er setzte sich aus Leo, der
Prominentenparties besucht, Benettonklamotten, Thomas Gottschalk, RTL, Sat
1 usw. zusammen und nicht zuletzt aus einer fast im Konsumrausch kirre gewordenen
Erwachsenenwelt, die nicht mehr nach Italien in den Urlaub fuhr, sondern ihn
in den USA oder Australien verbrachte, die in Luxuslokalen das erlesenste
Gericht und den teuersten Wein bestellte, die in jedem Zimmer ein Videogerät
benötigte, die Kaviar- und Krimsektparties feierte usw., und all dies
auch dann, wenn es der Geldbeutel keineswegs erlaubte. Die Talmi-Wirklichkeit
wurde mit der Wirklichkeit überhaupt verwechselt. Entfremdung, Leiden
und Empfindung wurden gerade in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre
durch Medienspektakel, Yuppieboom und Luxusgehabe betäubt. Die »neue
Oberflächlichkeit« bestimmte weithin den Zeitgeist, obwohl oder
gerade weil das Ozonloch, der saure Regen, die »neue Armut« usw.
immer mehr auf sich aufmerksam machten. Faktisch nahm die Gewalt gegen Frauen
zu, und Frauen sind trotz guter Ausbildung und zunehmender Berufstätigkeit
im Gegensatz zu den Männern bis heute vorrangig für Haushalt und
Kinder zuständig. Dennoch fand sich in der Offentlichkeit die optimistische
Einschätzung, daß Frauen unaufhaltsam »langsam aber gewaltig«
kommen.
Diese Vorstellung erweist sich heute als Illusion, der realitätsfernen
Talmi-Wahrnehmung der achtziger Jahre selbst geschuldet, die die Veränderungen
der letzten Jahrzehnte überbewertete und sie schon fast fürs Ganze
nahm. Die sogenannte »Frauenfrage« droht heute wieder zum »Nebenwiderspruch«
zu verkommen, ob der sich zuspitzenden ökonomischen Krise und der Zunahme
von Rassismus, Rechtsradikalismus und Nationalismus (vgl. »beiträge«
35, 1993). Darüber kann auch der konkurrenzorientierte CSU-Feminismus
einer Mathilde Berghofer-Weichner nicht hinwegtäuschen. Schon längst
dämmert es den ZeitgenossInnen, daß es doch nicht bloß die
Medienwirklichkeit gibt, Fragen des Stils und des teuren Outfits. Die Mode
der »neuen Bescheidenheit« und des »Morbiden« in den
neunziger Jahren ist leider nicht mehr bloß Mode, hier wird vielmehr
aus der Not eine Tugend gemacht.
Diese Entwicklung ist aber, was die feministische Theoriebildung angeht, noch
nicht beim akademischen Feminismus angekommen. Ökonomische und soziale
Problemlagen werden eher empiristisch und theorielos mit »ihren Auswirkungen
auf Frauen« abgehandelt. So erleben Theoriekonzepte ä la Butler
Hochkonjunktur, und es nimmt nicht Wunder, daß sich die im Kasinokapitalismus
mit seiner Discowirklichkeit sozialisierte junge Generation emphatisch darauf
bezieht; bietet dieser körperlose, subjektentleerte und die Wirklichkeit
in letzter Instanz entwirklichende Ansatz doch ähnliche Betäubungs-
und Eskapismusmöglichkeiten wie die Filme der neuen Fernsehsender und
der Videoverleihe, allerdings dem Uni-Publikum angemessen in äußerst
elaborierter Form. Er nährt mit seiner Bühnensprache - es wird von
Inszenierung, Parodie, Maskerade u.ä. gesprochen - die Vorstellung von
der Welt als einem mehr oder minder schönen Schein, wobei »bestimmte
kulturelle Konfigurationen der Geschlechtsidentität die Stelle des >Wirklichen<
(in Anführungszeichen! R.S.) eingenommen haben« (Butler 1991, S.
60).
Barbara Duden berichtet von ihren Erfahrungen mit jungen Studentinnen an der
Universität: »Was mich besorgt, ist eine Studentin, mit der ich
neulich sprach. Sie versucht dem Text Butlers Vertrauen zu schenken: weil
er von einer Frau geschrieben ist und ihr, wie sie sagt, als Medizin dient,
um ihr Unwohlsein in Alltag zusammen mit ihrer Körperlichkeit abzulegen«
(Duden 1993, S.33, Anmerk. 12). Der Antrieb, gegen die keineswegs verschwundene
Geschlechterhierarchie anzugehen, kann auf diese Weise verloren gehen. Da
Männlichkeit und Weiblichkeit im Grunde als Fiktionen wahrgenommen werden,
wird das »Unbehagen der Geschlechter«, vor allem aber das »Unbehagen
an den Geschlechtern« womöglich gleich mitfiktionalisiert und somit
schließlich eskamotiert. Gerade darin aber liegt das Gefährliche
des Butlerschen Textes, besonders in der heutigen Zeit, wo sich die Emphase
der bereits weitreichend als verwirklicht geglaubten Emanzipation selbst als
Fiktion erweist. »Madonna« gar wird (zumindest was ihre Präsentation
in den achtziger Jahren angeht) von manchen als »dekonstruktivistisches
Wunder« gefeiert, das »Weiblichkeit« angeblich durch parodistische
Darbietung und die damit verbundene provokativ zur Schau getragene Geldfixiertheit
lächerlich macht und ad absurdum führt. Dabei drängt sich der
Verdacht auf, daß viele allzu postmoderne Individuen in ihrem gestylten
Alltag eher die Simulation simulieren als mit der zwangsgeschlechtlichen Realität
zu spielen, der sie tatsächlich (ohne Anführungszeichen!) selbst
noch unterliegen.
Theorien mit einer Fiktionalisierungsrhetorik scheinen postmoderne Jugendliche,
deren Erfahrungshintergrund der überdrehte Partykapitalismus der achtziger
Jahre ist, besonders anzusprechen. Deshalb kann es auch nicht einfach um ein
»Wahr- und Ernstnehmen ... der theoriepolitischen Orientierungsinteressen
der jüngeren Generation« gehen, wie Landwehr/Rumpf (1993, S. 4)
dies fordern, denn diese Generation scheint zumindest zum Teil nicht gewillt
zu sein, sich selbst ernst zu nehmen. Stattdessen müßten deren
Interessen kritisch und ohne falsches Verständnis »wahr- und ernstgenommen«
werden.
Ähnliches gilt für Butler selbst
mit ihren theoretischen und politischen Clownerie-Strategien. Fairerweise
muß jedoch gesagt werden, daß ihr Buch 1990 erstmalig erschien,
noch weitgehend unbehelligt von den sich erst danach abzeichnenden epochalen
Umbrüchen; und insofern ist es in der Tat bereits jetzt als Zeitdokument(1)
der achtziger Jahre ernstzunehmen. Das gleichzeitig hochgekommene Konzept
der Ethnomethodologie gibt es zwar nicht erst seit gestern; seine euphorische
Aufnahme im Rahmen der Frauenbewegung in den neunziger Jahren kommt jedoch
nicht von ungefähr und paßt in den aus den Achtzigern herübergekommenen
Simulations-Zeitgeist. Zum Beispiel bedienen sich auch die ethnomethodologischen
Konzepte teilweise einer Bühnensprache: es wird von »performance«
(so etwa bei Goffman, wenngleich in anderer Bedeutung als bei Butler) und
von Inszenierung gesprochen, und es wird im Prinzip von freiflottierenden
Symbolen ausgegangen, die in der Interaktion Männer und Frauen erst zu
solchen machen. Damit wird auch hier dem Eindruck der Fiktionalität Vorschub
geleistet, auch wenn diese Ansätze immer wieder betonen, daß der
Alltag aber auch wirklich »wirklich« und die symbolische Konstruktion
in ihm unhintergehbar ist (somit die Butlersche Subversionsstrategie als verfehlt
angesehen wird). Dies trifft selbst dann noch zu, wenn etwa »Gefühle«
mit hereingenommen werden, da diese dann ebenfalls gleichsam bloß Ausfluß
der »Konstruktion« sind und somit einen prinzipiell verschiebbaren
und lockeren Charakter zu haben scheinen, z.B. indem sie bloß »als
ein Ergebnis eigenen Handelns« begriffen werden (Gildemeister/Wetterer
1992, S. 247; vgl. auch Hagemann-White 1993, S.77)(2).
Meiner Ansicht nach ist jedoch insbesondere Butlers Konzept eine Hypothek
der achtziger Jahre, als die auslaufende (wohlfahrtsstaatliche) Prosperität
in den hochentwickelten Industrienationen bereits ihren Verelendungsschatten
warf infolge von strukturellen und epochalen Verändungen auf dem gesamten
Globus (z.B. Vertiefung der Kluft zwischen arm und reich in der sogenannten
»Ersten Welt« und zwischen dieser und der »Dritten Welt«),
und als sich eine rechtskonservative Wende - nicht nur in der Bundesrepublik
- ankündigte, die seinerzeit allerdings noch niemand richtig ernst nahm.
Butler als exponierte Figur ist damit gleichsam eine Art Fürstin Prospera,
die den närrischen Rückzug von vielen in eine Scheinwelt »bezeichnet«
und »symbolisiert«, wie er sich eben auch bei nicht wenigen Teilen
der Frauenbewegung mit ihrer Emanzipationsillusion auf der vom Wohlfahrtsstaat
gesponserten Institutionalisierungsinsel zeigte. Dieser Rückzug kann
gleichzeitig auch mit einer Flucht in den unhinterfragten »schnöden
Alltag« einhergehen, wie ihn sich die EthnomethodologInnen zum Gegenstand
machen.
Besonders deutlich zeigt sich diese Haltung in der Simulanz-
und Benettonjugend der achtziger Jahre. Bodo Morshäuser(3)
schreibt: »Achtzigerjahrejugendliche ...hatten nicht das Ziel der Identität.
Lieber orientierten sie sich an französischen Inspirationsphilosophen,
die hundert Gründe nannten, warum das Subjekt vorbei und Geschichte sei.
Mode wurden Simulationstheorien, in denen kein gesellschaftliches Subjekt
mehr vorkam, sondern ferngesteuerte Steuerbürger, die sich anpassungssüchtig
verhielten, ohne daß man es ihnen noch sagen mußte. Eine Maschine,
die von selbst lief, wurde beschrieben. Gemeint war das, was in den Sechzigern
und Siebzigern >Gesellschaft< hieß. Achtzigerjahrejugendliche
machten den Begriff Identität und was mit ihm gemeint war lächerlich.
Gleichzeitig entdeckten Rechte diesen Begriff als positive Metapher. (...)
Die Symbole wurden (bei den Achtzigerjahrejugendlichen, R.S.) ihrer Inhalte
beraubt und als Zeichen verstanden. Der Vorsprung dessen, der weiß,
daß es ein Spiel ist, während die anderen reagieren, als sei es
Ernst, war ein typischer Vorsprung des Achtzigerjahrejugendlichen gegenüber
Älteren. Die sagten: >Das ist ja ein Hakenkreuz!< Jüngere
daraufhin: >Das ist nur ein Hakenkreuz, nein, es steht nur für ein
Hakenkreuz; ein frei verfügbares Zeichen, wer es ernst nimmt, ist selber
schuld.< Ältere daraufhin: >Das ist wirklich ein Hakenkreuz!<
Antwort der Jüngeren: >Dann hol dir einen drauf runter, wenn es dich
so antörnt«< (Morshäuser 1993, S. 42f bzw. 44f; siehe dazu
auch den obigen Interview-Ausschnitt mit Madonna, dem Star des »neuen
Feminismus« und so mancher aus der »hedonistischen Linken«,
die derartige Haltungen offensichtlich heute noch aufrechterhält). Kann
das, was Morshäuser hier schreibt, nicht dem »Zeitgeist«
nach auch auf das Konzept von Judith Butler und zum Teil auch der EthnomethodologInnen
und deren eifrige Lektüre durch die jüngere Generation angewendet
werden?
Zwar verspricht in gewisser Weise das Wort »Konstruktion« (gerade
auch bei den verbliebenen »Restoppositionellen« der Gesellschaft)
ähnlich wie die Termini »Verdinglichung« in den Siebzigern
und »Lebenswelt« in den Achtzigern zum Wort der Neunziger-Dekade
zu werden. Dennoch ist andererseits die Zeichenzeit (zumindest in ihrer »unschuldigen«
Achtziger-Jahre-Variante) in den Neunzigern objektiv vorbei. Seit 1989 hat
sich bekanntlich so allerhand verändert: die »Realität«
als solche rückt wieder ins Bewußtsein und zeigt allzu deutlich,
daß sie »wirklich« aus Fleisch und Blut besteht: in den
vielfältigen Bürgerkriegen rund um den Erdball und in rassistischen
und antisemitischen Übergriffen, die eben keineswegs bloß Medienereignisse
darstellen. Die ökonomische Lage verschlechtert sich zusehends. Rechte,
ethnonationalistische und fundamentalistische Tendenzen breiten sich aus.
Die »Nation« feiert überall und besonders auch in Deutschland
nach der »Wiedervereinigung« fröhliche Urständ.
In diesem Zusammenhang gewinnen auch »Männlichkeit« und »Weiblichkeit«
wieder eine »inhaltsschwere« Bedeutung: Mittlerweile ist nach
der albernen und überzogenen Feier der »Swinging Singles«
allenthalben weinerlich vom Zerfall der Familie die Rede, und nicht nur der
Ex-Präsidentschaftskandidat Heitmann wünscht sich die Frauen wieder
an den heimischen Herd. Auch bei vielen ehemaligen Linken und Progressiven
ist plötzlich anthropologisch-biologistisches Gedankengut zu finden.
Damit verbundene ontologisiernde Grundannahmen u.a. hinsichtlich des Geschlechterverhältnisses
sind schon längst kein Tabu mehr. Verwiesen wird dabei etwa auf die mißglückte
Erziehung bei den Sprößlingen der 68er- und der Protestgenerationen
danach, die als empirischer Beleg dafür dienen soll, daß eben doch
nicht alles »gesellschaftlich« bedingt ist (so z.B bei dem mittlerweile
vieldiskutierten Schneider 1993, S.139 f).
Daß bei den Eltern auch entgegen ihrer Intention unbewußt
noch immer alte Geschlechtsfixierungen vorhanden sind, und die Kinder dies
gewissermaßen osmotisch aufnehmen, bleibt in derartigen Argumentationen
meistens außer Betracht. Ebensowenig wird reflektiert, daß auch
sonst in der Werbung, in Filmen usw. (also auf der symbolischen Ebene) nach
wie vor geschlechtstypische Bilder existieren, die ihre Wirkung nicht verfehlen
dürften. Die Ignoranz in dieser Hinsicht ist umso bemerkenswerter, wenn
man bedenkt, daß ansonsten Gewaltexzesse in den Medien und die Zunahme
realer Gewalt durchaus in einen Zusammenhang gebracht werden. Und schon erhebt
auch im Feminismus, dem es in den Nebelregionen des Sprachsystems mittlerweile
schwindelig geworden ist, eine neu-alte Geschlechtermetaphysik ihr Haupt,
indem z.B. der bereits in den Feuilletons vielbeachtete »lärmende
Essentialismus« einer Camille Paglia als bedenkenswert begrüßt
wird(4).
In nicht allzu ferner Zeit könnte es so vielleicht in biologistischer
oder zumindest anthropologischer Diktion auch für den Mainstream (einer
dann noch existierenden emanzipatorisch ausgerichteten Frauen- bzw. Genderforschung?)
in der Theoriebildung heißen: Neulich, als Männlichkeit und Weiblichkeit
keine Bedeutung hatten; analog zur Artikelüberschrift von Morshäusers
Aufsatz: »Neulich, als das Hakenkreuz keine Bedeutung hatte«,
also nur ein Zeichen war. Bekanntlich sind das rassistische und das misogyne
Ressentiment eng miteinander verwandt (was natürlich nicht heißt,
daß Frauen deswegen nicht rassistisch sind), und es darf erwartet werden,
daß sich diese Verknüpfung in Zukunft noch mehr als bisher zeigt.
Nicht nur an den massenhaften Vergewaltigungen in Ex-Jugoslawien (die mitnichten
bloß »die Serben« begehen) wird dieser Zusammenhang heute
ersichtlich. Bis es auch hierzulande soweit ist, könnte sich der Feminismus
unter kräftiger Mithilfe des »Dekonstruktionsgebots« Butlerscher
Provenienz selbst in die Luft gejagt haben, und dann wäre kein Widerstand
mehr gegen biologistische Deutungen der Wirklichkeit und keine Politik gegen
Sexismus, Rassismus und Antisemitismus gerade seitens jener Teile der Frauenbewegung
mehr gegeben, denen an einer Kritik der Geschlechterpolarität gelegen
ist. Paradoxerweise hätte die »Dekonstruktion« dann gerade
demjenigen erneut zum Leben verholfen, gegen das sie einst in allzu überspannter
Weise angetreten war, indem sogar die bloß physische Differenz zwischen
Männern und Frauen nicht mehr sein durfte. Es wäre allerdings ebenfalls
zu fragen, inwieweit konstruktivistische Konzepte nicht gerade auch Abgrenzungsbedürfnissen
gegenüber »anderen Frauen« gelegen kommen (dazu später).
Gegenüber all den neuen und barbarischen Tendenzen in der (Welt-)gesellschaft
strampelt der Butlersche Ansatz nur hilflos in der Luft und droht sich gegen
sich selbst zu wenden. Schwule und Lesben, denen nach Butler vor allem die
Rolle zukäme, das kulturelle System der Zweigeschlechtlichkeit im Spiel
mit den Symbolen zu durchkreuzen, sind bekanntlich selbst Ziele rechtsradikaler
Angriffe, und auch italienische Rechte machen z.B. massiv gegen Homosexuelle
mobil, wie breit durch die Presse ging. Damit will ich nicht sagen, daß
Schwule und Lesben nicht an die Offentlichkeit treten bzw. daß »Bi«-Anteile
versteckt werden sollen - im Gegenteil, dies ist vielleicht gerade heute wichtiger
denn je. Ich bezweifle aber, ob der vergagte Ansatz von Butler und die ihm
entsprechende Strategie einer »Queer-Politik« in ihrer Oberflächlichkeit
geeignet sind, an der zwangs-heterosexuellen und patriarchalen Realität
mit all ihren Implikationen tatsächlich etwas verändern zu können.
Ebenso kraftlos wirkt das interaktionistische Konzept (so bei Gildemeister/Wetterer
1992, S. 247 ff.), dessen politisch-praktische Vorschläge im Feminismus
eher aufgesetzt wirken und nicht einmal eine Verankerung in der Theorie selbst
haben, ja dieser geradezu widersprechen.
In gewisser Weise unterstützt unbeabsichtigt ein entkörpertes
De-Konstruktionsdenken barbarische zeit»geist«ige Tendenzen sogar
bzw. entspricht diesen. Es mag zunächst ungeheuerlich klingen, aber korrespondieren
derartige Ansätze nicht gewissermaßen untergrund-wasserartig mit
neueren »postmodernen« Formen von Jugendgewalt, hauptsächlich
ausgeübt von männlichen Jugendlichen? Allenthalben wird in den Massenmedien
davon berichtet, daß diese Gewalt keine Grenze mehr kennt: auch wenn
der/die andere längst am Boden liegt und sich als Besiegte/r zu erkennen
gibt, wird weitergeprügelt, bis Blut fließt. »Es gibt zahlreiche
Täter, die das Gefühl haben, als seien sie >selbst< an ihren
Handlungen eigentlich gar nicht mehr beteiligt. Es kommt ihnen so vor, als
schlügen sie nicht wirklich andere tot, als sei das alles >nur Fernsehen<.
In der Unfähigkeit, zwischen Realität und Film zu unterscheiden,
erfahren die Theorien der Simulation eine absurde Bestätigung«
(Enzensberger,1993, S. 69f.)(5).
Fast scheint es so, als würden diese Jugendlichen die Existenz des Körpers
und seiner Empfindungen nicht mehr kennen und müßten sich gerade
deshalb seiner in martialischen Aktionen versichern. Sie behandeln ihn tatsächlich
so, als hätte er nur Zeichenqualität und als wäre er bloß
ein Diskursprodukt, ohne physische und psychische Grundlage. Sicherlich entspricht
so etwas keinesfalls der Intention konstruktivistischer Theoretikerinnen im
Feminismus. Butler beschäftigt sich gar nicht mit den Veränderungen
der sozialen Wirklichkeit durch neue Medien; ihr Ansatz ist allerdings meiner
Meinung nach bereits Ausdruck und Effekt dieser Veränderungen, wenngleich
auch keineswegs ausschließlich, weil das patriarchalisch-warenförmige
Gesamt-Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse dabei in Rechnung
gestellt werden müßte, das bei manchen offensichtlich Entwirklichungstendenzen
hervorbringt.
In diesem Zusammenhang könnten auch die neuen biologistischen Tendenzen
als Flucht aus einer durch Beschleunigungsprozesse im Zeitalter gigantischer
Informationsnetzwerke fluide gewordenen Wirklichkeit (Virilio 1992), in der
nichts mehr niet- und nagelfest ist, gedeutet werden; gewissermaßen
als objektiver Gegenpol zur Butlerschen Theorie, die sich diese Fluidität
unreflektiert und unkritisch gerade zu eigen macht. Daß bei Butler »Realität
und Film« zusammenschnurren, kommt z.B. an folgender Stelle zum Ausdruck:
»Die These, daß die Geschlechtsidentität eine Konstruktion
ist, behauptet nicht deren Scheinhaftigkeit oder Künstlichkeit, denn
diese Begriffe sind Bestandteile eines binären Systems, in dem ihnen
das >Reale< und Authentische gegenüberstehen« (Butler 1991,
S.60).
Butler betreibt hier eine Radikalfiktionalisierung von Wirklichkeit. Sie scheint
wild entschlossen, mit der Realität radikal aufzuräumen, indem sich
sogar noch der Schein als bloße Kehrseite der Realität gewissermaßen
als Schein entlarvt. Demnach ist die Show dann nicht weniger wirklich als
die Wirklichkeit und die Wirklichkeit nicht weniger künstlich als die
Show, was heißt, daß in »Wirklichkeit« alles zur Show
wird, wenn sich »wahr« und »falsch« in Luft aufgelöst
haben. Somit ist dann letztlich auch die eigene »Show«-Strategie
schon immer »legitimiert«. Butler bewerkstelligt dies, indem sie
das Problem von »Realität« als uninteressant und irrelevant
ansieht und es ihr dann nurmehr um die »Genealogie der Geschlechter-Ontologie«
geht, und in diesem Zusammenhang um die scheinbare Natürlichkeit von
Geschlecht und Geschlechtsidentität (wobei sie das »scheinbar«
in der Formulierung tunlichst vermeidet, obwohl sie sodann von »Geschlecht
und Geschlechtsidentität« als »regulierenden(n) Fiktionen«
spricht (Butler 1991, S. 60 f.).
Ein »Trick« besteht auch darin, daß Butler das »>Reale<
und Authentische« (siehe obiges Zitat) in eine Reihe stellt; daß
etwas historisch real und dennoch nicht im ontologischen Sinn »authentisch«
sein kann, ist damit ausgeschlossen (vgl. hierzu auch die Kritik von Lorey
1993 an Butler, im Anschluß an Foucault, insbes. S.16 ff). Bei der Lektüre
des »Unbehagens« stellt sich bei der Leserin das Unbehagen ein:
»Das bildest du dir alles nur ein. Aber dich - »dich» gibt
es ja im Grunde auch gar nicht!«.
In beiden Fällen, bei der postmodernen Jugendgewalt
wie bei dem Anklang, den konstruktivistische Konzepte besonders bei jüngeren
Studentinnen finden, scheint sich ein allgemeiner gesellschaftlicher Trend
zur Fühl- und Empfindungslosigkeit widerzuspiegeln, der sich auch in
der Suche nach Abenteuern, Kitzel und Spaß in der »Erlebnisgesellschaft«
(Gerhard Schulze) zeigt. Dieser Trend kann sich z.B. auch in der Teilnahme
an transvestitischen(6) Maskenbällen äußern,
und sei es auch nur am Schreibtisch.
Dabei wirken Butlers Ansatz und zum Teil auch derjenige der EthnomethodologInnen
gleichzeitig auf fatale Weise beruhigend, sollte sich doch ein »Unbehagen«
zeigen, was die in den 90er Jahren immergleichen Schlagzeilen des Tages angeht:
Bürgerkriege, Umweltkatastrophen, Strahlenexperimente an amerikanischen
Strafgefangenen und Behinderten, Jugendgewalt und antisemitische und rassistische
Übergriffe gleich um die Ecke usw.? Macht nichts. Wie gut, daß
Frau eigentlich gar keinen Körper hat, er nur Diskursprodukt und kulturelles
Konstrukt ist, und dies für andere ebenso gilt! Und was die Gentechnologie
angeht, da ist es ja nun wirklich nicht mehr so wichtig, ob es Männer
und Frauen körperlich real gibt oder nicht. Auch wenn Männer und
Frauen psychisch, physisch und sozial hergezüchtet werden wie Hollandtomaten,
was macht das schon, die soziale Wirklichkeit ist eh immer bloß sozial/kulturell/diskursiv
produziert. Und wem dies was ausmacht, der ist selber schuld. Wo ist denn
da der Maßstab?
Die Ästhetisierung der Radikalopposition
Die Achtzigerjahrejugendlichen waren wohl die Vorhut: Postmoderne und konstruktivistische
Theorien fanden in der Bundesrepublik erst Anfang der Neunziger vermehrt Anklang
im akademischen Betrieb und in der Frauenforschung, die wohl jetzt endgültig
zur Genderforschung mutiert. Ein Blick in die Kataloge von Fischer und Suhrkamp
genügt dazu. Der Erfahrungshintergrund der Achtzigerjahrejugendlichen
ist einer, in dem Erfahrungen durch immer weitere Medialisierung und Computerisierung
(7), vor allem aber Kommerzialisierung der Gesellschaft in
den Hintergrund gerückt sind bzw. zumindest nicht mehr zur Kenntnis genommen
werden (wollen). Nicht ungern lassen sich nun - meiner Beobachtung nach -
etliche (ehemalige) BewegungsaktivistInnen aus den noch existierenden Restmilieus
der früheren Protestbewegungen, so auch der Frauenbewegung, von poststrukturalistischen
Ideen ä la Butler und von den Ideologien der Achtzigerjahrejugendlichen
anregen. Mittlerweile sind postmoderne Theorien ein mehr oder weniger dickes
Standbein vieler Radikaloppositioneller in den 90ern überhaupt.
Symptomatisch hierfür ist auch das Erscheinen der Zeitschrift »Die
Beute« seit dem Frühjahr 1994. Obwohl sich postmoderne Theorien,
was ihre gesellschaftsverändernde »progressive« Kraft angeht,
spätestens seit »Rostock« als nicht ganz unproblematisch
erwiesen haben, wird hier noch einmal versucht, dem rechten Zeitgeist sozusagen
im Gewand oppositioneller Zeitgeistigkeit ein peppiges »Trotz alledem«
entgegenzusetzen. (Alt-)linkes und postmodernes Gedankengut werden dementsprechend
gleichermaßen und in Kombination präsentiert.
Es fragt sich aber, ob die Haltung der oppositionellen Zeitgeistigkeit nicht
unmittelbar den gegebenen gesellschaftlichen Verhältnissen entspricht,
anstatt diesen ganz besonders raffiniert zu widersprechen: jedenfalls in einer
Zeit der »Erlebnisgesellschaft«, des »Glücksspiels«
und der Erfindung (von was auch immer: des »Politischen«, des
»Pornographischen« und tausend anderer Dinge mehr), in der weithin
das »Leben als Kunstwerk« (Michel Foucault) gilt, in der angenommen
wird, daß jeder ein Künstler ist bzw. sein könnte (Joseph
Beuys), und in der Theoriekonzepte Hochkonjunktur haben, die behaupten: »Wir
alle spielen Theater« (Erving Goffman) und/oder den Menschen nach dem
Motto »Der Mensch ist von Natur aus künstlich« (Helmut Plessner)
sozusagen zum »Homo theatralicus« ontologisieren.
Zwar ist es mehr als löblich, wenn versteinerten altlinken, linksliberalen
und feministisch-konservativen Positionen eine Absage erteilt wird; ob es
sich allerdings empfiehlt, dies im Styling einer forschen und flotten Zeitgeistigkeit
zu tun, bezweifle ich - zumal sich die Strategien der Überaffirmation,
die ich gerade im Gesamtkonzept der »Beute« immer noch erkennen
will, als eine Spielart der Achtzigerjahre-Opposition selbst als verfehlt,
ja z.T. sogar als zynisch (siehe dazu ebenfalls den obigen Ausschnitt des
Madonna-Interviews) und den gesellschaftlichen Verhältnissen als zuträglich
erwiesen haben. Auch diese »Strategie« ist demnach schon Geschichte.
Andererseits ist »Die Beute« schon paradoxes Produkt dieser Erkenntnis,
wenn sie z.B. die Überwindung der Kommunikationslosigkeit zwischen politischer
und künstlerischer Oppositon in den Neunzigern anstrebt (vgl. »Die
Beute« 1/1994, S. 7) und eine entsprechende Veröffentlichungspraxis
betreibt. Insofern spiegelt sich in ihr das »unglückliche Bewußtsein«
des oppositionellen Anspruchs im Epochenwechsel zum postsozialistischen Zeitalter
(es sei ihr allerdings zugestanden, daß ein »glücklicheres«
zu erreichen alles andere als leicht ist).
Aufs Ganze gesehen verliert sich »Die Beute« allerdings in den
atmosphärischen Schwingungen des kasinokapitalistischen Universums, das
sie noch linkshedonistisch veredelt, ohne ihm ernsthaft etwas entgegenzusetzen.
Auf diese Weise nimmt sie - insbesondere auch habituell - am postmodernen
Maskenball teil. Es scheint fast so, als sollte die in den Subkulturen der
achtziger Jahre mitinitiierte Zukunft noch einmal eingeholt und in noch größerem
Maßstab zelebriert werden, nachdem sie sich (auch in fragwürdigen
Formen) verallgemeinert hat. Mit diesen Einwänden sollen hier keineswegs
hedonistische Haltungen (wie auch postmoderne Theorien überhaupt) prinzipialistisch
verworfen und pauschal verurteilt, wohl aber solche kritisiert werden, die
mit ihrer Einbettung in einen protestantisch-vulgärhedonistischen Konsumkapitalismus
- auch wider besseres Wissen - rechnen und daraus ideologischen, materiellen
und auch »ständischen« Gewinn zu erzielen suchen. Ein derartiger
Hedonismus droht sich dann gerade in den Neunzigern - entgegen seinem eigenen
Anspruch - gegen sich selbst zu wenden; noch in der Radikalopposition lebt
er so auf Kosten der »Anderen«, gegen deren Ausgrenzung er inhaltlich
so energisch eintritt. In diesem Zusammenhang besteht auch die Gefahr, an
einer mittlerweile grassierenden Ästhetisierung des Grauens und des Bösen
(vgl. dazu den gerade in seiner Analyse einer Ästhetisierung des Schreckens
erhellenden Aufsatz von Jacob 1994) in ökonomisch zunehmend prekär
werdenden Zeiten mitzuwirken.
So schreibt auch einer, der sich wohl selbst im »Beute«-Dunstkreis
bewegt und dort auch schon veröffentlicht hat, in einem anderen Zusammenhang
(an dem nicht von ungefähr auch »Beute«-MacherInnen beteiligt
waren): »Die >Boheme<, von der ich spreche, ist ein Segment des
>neuen Kleinbürgertums<, das in sogenannten kreativen Berufen mehr
oder weniger Geld verdient. Es lebt von seinem kulturellen Kapital (Geschmack,
Ahnung, Wissen, Querköpfigkeit, gute Laune) und stemmt sich mit aller
Kraft gegen eine Ent- und Umwertung dessen, was es angehäuft hat. Auch
das spielt bei der Entstehung solcher Wohlfahrtsausschüsse (einem Zusammenschluß
von linken Künstlern, Intellektuellen, Politgruppen angesichts der Rechtsentwicklung,
R.S.) eine Rolle. Schließlich ist bei aller Begeisterung für die
Selbstreflexivität solcher Ansätze (gemeint ist die Repolitisierung
der linken Achtzigerjahre-Boheme-Szene, die zuvor die soziale/politische Dimension
weithin unberücksichtigt ließ, R.S.) darauf zu achten, daß
die Handlungsfähigkeit erhalten bleibt bzw. zustande kommt, die entsolidarisierten
Kulturarbeitern nicht in den Schoß fällt. Die Betonung der Fähigkeit
zu tanzen bei dieser und anderen Veranstaltungen, die Hans Nieswand >Jam-cum-Symposium<
nannte, scheint mir fast überflüssig: Wenn sich aus diesen Wohlfahrtsausschüssen
etwas entwickelt, dem man den komischen Namen >Bewegung< besser nicht
gibt, dann wird man diesen Leuten das Tanzen wahrscheinlich als einziges nicht
mehr beibringen müssen« (Diederichsen 1994, S. 21).
Freilich gibt es in Wirklichkeit ohnehin keine so schroffe
Gegenüberstellung von Achtzigerjahrejugendlichen und »Älteren«,
wie sie hier zu Darstellungszwecken angenommen wurde. Die »Älteren«
haben die Simulationsatmosphäre ja selbst mitgestaltet: »Ich erinnere
mich, wie plötzlich die Schminke wieder aufkam. Es muß in den späten
Siebzigern gewesen sein, und der Mund sass nun mondän mitten im Gesicht,
als käme er dauernd aus dem Kino: Frauenbewusste offerierten ihn provokant
als eine Scham; das war frevelhaft und wirkte wie eine offene Wunde des verratenen
Selbstverständnisses. Das wandelte in Sack und Asche. Das geschönte
Frauenbild ging wie ein Seufzer der Erleichterung durch die Bewegung, weil
die sich eine >weibliche Ästhetik< umsonst gewünscht hat,
als praktikable Anleitung. Flugs sass das neue Weib, das aus der Werbung ewig
lockt, wieder in den Seminaren und Parties ein« (Schaad 1993, S. 83).
Manche bildeten sich nun ein, durch »Eigenbesetzung«(8)
der patriarchalen Bilder etwas anderes zu sein und feierten dies als Befreiung;
ohne zu realisieren, daß damit auch »alte« zwangsidentitäre
Momente (und entsprechende Gefühlslagen) freiwillig wieder übernommen
wurden, wenngleich auch die konservativ-liberale Yuppie-Ära einen neuen
»Frauentyp« verlangte, in dem der alte »aufgehoben«
war und in dieser Amalgamierung neue (scheinbar frei gewählte) Zwänge
sichtbar wurden: »Die Frau, die alles will« - wie es in der Eduscho-Werbung
heißt, und die sich in der Realität permanent überfordert
fühlt. Nicht umsonst wabert die Identitätsfrage im Feminismus (und
bei den Frauen selbst) schon seit langem. Dennoch wurde noch vielfach, wie
es in einem Beitrag der »Beute« durchaus zutreffend heißt,
»die Anforderung an Frauen, vielfältig und flexibel, Mutter und
Vater, Kumpel und Freundin, Geliebte und Kampfgefährte, Karriere- und
Putzfrau in einer Person zu sein, als Teil der sexistischen Arbeitsteilung
begriffen und zurückgewiesen. Heute hingegen könnte frau mit Butler
glauben, hinter dieser Anforderung das Licht der Freiheit aufblitzen zu sehen«
(Eichhorn 1994, S. 43).
Alt(frauen)bewegte nach dem Zusammenbruch des Ostblocks
Die »Design-Entwicklung«, von der Schaad spricht, und die insgesamt
gesehen in den Achtzigern noch stark von »Inhalten« (Ökologieproblematik,
Suche nach alternativen Lebensformen usw.) getragen war, erreichte Anfang
der Neunziger einen gewissen Höhepunkt. Die neuen sozialen Bewegungen
(Ökologie- Friedens-, Alternativ-, Frauenbewegung) stellten zwar noch
eine zeitlang den Gegenpol zur Yuppieatmosphäre dar, wobei die achtziger
Jahre aber »eher als ein Jahrzehnt des Tiefgangs (...) eines der Oberfläche
(waren)« (Morshäuser 1993, S.41). Davon blieben die Bewegungsmilieus
auch im Innern nicht unberührt. Vielleicht ist auch dies eine Konsequenz
jener falschen Unmittelbarkeit, von der diese Bewegungen ohnehin schon immer
geprägt waren.
Im Hintergrund stand dabei grundsätzlich immer noch das alte linke Theoriegebäude.
Der Zusammenbruch des real existierenden Sozialismus Ende der achtziger Jahre
und das Obsoletwerden der dazugehörigen Theorien schmerzte deshalb gar
sehr und wollte betäubt werden. Der Kollaps des Marxismus machte die
ehemaligen ProtestlerInnen erst einmal weitgehend mundtot und stürzte
sie in eine Identitätskrise. Auch dies scheint mir ein Grund für
die Beliebtheit von Theorien zu sein, die mit einer Fiktionalitätsrhetorik
operieren: Der von der Geschichte überrumpelte postmoderne Biedermeier
schlüpft eben zuhause nicht mehr nur gerne in die Pantoffeln und zieht
sich in die nun als Wert neuentdeckte »Familie« und/oder überhaupt
in die Privatsphäre zurück, er besucht auch gern Maskenbälle,
zumal dann, wenn der Maskenball wie bei Butler auch noch als »politisch«
verkauft wird und daher geschickt in die alte Bewegungsidentität mit
den neuen postmodernen Biedermeierbedürfnissen integriert werden kann.
Selbst wenn sich die Achtzigerjahrebewegten und ihre UnterstützerInnen
an den Universitäten, die die intellektuelle Begleitmusik lieferten,
nicht selten schon selbst von marxistischem und sozialistischem Gedankengut
entfernten, mehr oder minder diffus waren Bezüge darauf dennoch häufig
zu finden. Der Verlust dieses gesellschaftstheoretisch-politischen Bezugssystems
spielt offensichtlich bei dem seit Jahren beobachtbaren bzw. von manchen auch
nur befürchteten »Siechtum des Westfeminismus« (so bei Thürmer-Rohr
1993, S.192), der wohl stark von »linken« Ideen (auch unbewußt)
lebte, eine wichtige Rolle.
Dabei fällt besonders bei Butler auf, wie sehr sie in einigen zentralen
Punkten indirekt dem Marxismus verhaftet ist. Dies hat auch Hilge Landwehr
bemerkt: »Butlers theoretische Konzeption ließe sich als schlichte
Umkehrung einer vulgärmarxistischen Lesart des Basis-Überbau-Modells
beschreiben: Dort ist die Basis das Verhältnis des Menschen zur Natur,
die jeweilige Arbeitsorganisation (bestimmt durch das Verhältnis von
Produktivkräften und Produktionsverhältnissen), das alle anderen
Verhältnisse der Form nach bestimmt. Bei Butler ist das, was vorher Basis
war, nur noch Überbau des Überbaus: nicht mehr die Art, wie sich
der Mensch ins Verhältnis zur Natur setzt, kann thematisiert werden,
sondern in ihrer Perspektive dient die Konstruktion eines Naturbegriffs (in
der Unterkategorie des Körpers) lediglich dem Verselbstverständlichen
und Bestätigen der im Diskurs getroffenen Unterscheidungen. Diese - bzw.
alle Formen der Repräsentation überhauptnehmen die Theoriestelle
der >Basis< ein« (Landwehr 1993, S.16).
Bei Butler wird so nicht nur ein »invertierter Biologismus« sichtbar,
sondern in gewissem Sinne auch ein »invertierter Marxismus«. Der
»Wert als automatisches Subjekt« wird jetzt vom Sprachsystem und
vom Diskurs-Gott verdrängt. Und selbst eine Art revolutionäres Subjekt
ist zur Stelle: die schwulen und lesbischen Subkulturen sollen durch das institutionalisierte
»Spiel mit den Identitäten« das kulturelle System der Zweigeschlechtlichkeit
»aufmischen«. Ein »messianischer Zug«, was die Infragestellung
der Geschlechtsidentität angeht, und »romantischere« Neigungen
als sie bei Foucault festgestellt werden können, sind Butler so denn
auch schon bescheinigt worden (Trettip 1992, S.77; Hirschauer 1993, S. 58).
Daß dabei im Butlerschen Konzept ein Innenleben oder dergleichen faktisch
storniert ist und letztlich doch nur der äußere Habitus zählt,
spricht die Alt(frauen)bewegten an, wenngleich vielleicht ein diffuses Unbehagen
zurückbleibt. Die gebrannten Kinder scheuen nun eben das Feuer und denken
sich die Welt gern als Zeichen (wie es tendenziell auch ethnomethodologische
Ansätze im Feminismus nahelegen), mit denen gespielt werden kann.
Butler integriert so in der (impliziten) abstrakten Negation geschickt einige
Grundannahmen des Marxschen Konzepts - und dies weithin ohne geschichtsphilosophische
Zumutungen (die Ex-Bewegten könnten so womöglich mit ihrer eigenen
Biographie konfrontiert werden), die als Basistheoreme selbst noch die Diskurse
der achtziger Jahre bestimmten, und sei es auch nur in der bewußten
Abgrenzung. Diese Theoreme und der mit ihnen verbundene, nun schal gewordene
Impetus stecken den blaßgewordenen (Ex-)bewegten offenbar (unbewußt)
noch tief in den jetzt nicht mehr vorhandenen Knochen. Und was das Butlersche
Konzept dabei besonders angenehm macht: Es tut all dies mit immensem und ernsthaftem
Argumentationsaufwand in einer Art und Weise, die ins Unverbindliche führt,
die »letztlich nur das Imaginäre der Realität« (Maihofer,
zit. n. Lorey 1993, S. 21, Anmerk. 11) aufzeigt und so der RezipientIn den
Eindruck vermittelt, daß die Welt aus Träumen und Schäumen
besteht. Ihre deutsche Sekundantin Barbara Vinken hat tatsächlich einen
Aufsatz geschrieben mit dem Titel »Der Stoff, aus dem die Körper
sind« (Vinken 1993 a).
Ein wahres Antidepressivum also, wenn sich die feministischen Träume
einer Gesellschaftsveränderung endgültig auch als solche erwiesen
haben, die frau schon seit spätestens der zweiten Hälfte der achtziger
Jahre im Institutionalisierungs-Alltag zu beerdigen begann, und wenn überdies
die »Aussichten auf den Bürgerkrieg«, die drohende ökologische
und ökonomische Katastrophe ängstigend wirken und der »molekulare
Bügerkrieg« (Rechtsradikalismus, Jugendgewalt, Amokläufe u.ä.)
sichtbar wird in nächster Nähe (Enzensberger 1993). Damit aber zeichnet
sich jetzt schon ab, daß das Butlersche Konzept den Gang aller Marxismen
und Ismen gehen wird, und daß sich die Annahme, die Realität sei
schon immer bloß imaginär, selbst als imaginär erweisen wird.
In einer in jedweder Hinsicht unsicheren Zeit flüchtet man/frau sich
also nicht bloß in New-Age- und Psycho-Nischen, sondern auch in einer
Art falschen Mittelbarkeit in einen esoterischen Poststrukturalismus, wo einem
scheinbar niemand etwas kann.
Maskerade der Geschlechter und Entfremdung
Butlers Konzept tut den gesellschaftlichen Verhältnissen nicht weh,
es lenkt den Protest in Bahnen, auf denen er sich selbst dementieren kann.
Geschlechtsspezifische Benachteiligungen können mit diesem Konzept nicht
mehr ernsthaft skandaliert werden. Insofern ist meines Erachtens gerade Butler
gegen allen Augenschein zentraler Bestandteil des »Backlash«.
Die Popularität Butlers lebt auch von der momentan beobachtbaren oberflächlichen
Akzeptanz von Schwulen und Lesben in der Gesellschaft, die aber gleichzeitig
mit einem Erstarken von autoritären Haltungen und kontrolltheoretischen
Annahmen in Öffentlichkeit und Theorie einhergeht. Die derzeit moderne
»Maskerade der Geschlechter« (Barbara Vinken), auch bei Heterosexuellen
in den US-amerikanischen und europäischen Metropolen, sollte deshalb
skeptischer aufgenommen werden, wie auch die teilweise Adaption jeweils gegengeschlechtlicher
Symbolismen bei Männern und Frauen im Alltag insgesamt. Modelesben und
Modeschwule können den Herrenanzug oder das »kleine Schwarze«
schnell wieder ausziehen, wenn die Mode sich ändert - und das kann bekanntlich
schnell gehen. Welche »Ältere« erinnerte sich nicht an das
Schicksal so mancher Bewegungslesbe in den Siebzigern? Die Verwendung gegengeschlechtlicher
Accessoires schützt ebensowenig vor Homophobie wie die gewohnheitsmäßige
Fernreise und das Chinesisch-Essen-Gehen oder der Besitz eines Perserteppichs
vor rassistischen Einstellungen bewahren.
Umso problematischer ist es, daß Butler derartige Haltungen theoretisch-suggestiv
noch stützt. Mit ihrem Konzept versinkt sie bloß im transvestitischen
»Nirwana des Geldes« (Kurz 1994) und affirmiert im Endeffekt den
falschen Glitzer und Glamour einer weitgehend durchkommerzialisierten Welt,
ohne die sich wieder verstärkende Diskriminierung von Frauen, Schwulen
und Lesben wirklich anzutasten und gegen sie Widerstand zu leisten, verbunden
mit dem politisch offensiven Ziel, die vorherrschende patriarchale Zwangsheterosexualität
grundsätzlich zu erschüttern. Nicht nur Madonna erfüllt so
das Butlersche Programm, sondern ebenso die völlig unreflektierte Medientravestie
einer Mary, wenn sie für Zentiskonfitüre Werbung macht und so gesehen,
da sie sich einem breiten Publikum als Fernseh-Ulk offeriert, den Gipfel Butlerscher
»Subversionskunst« darstellt. Auch noch in postmodernen Zeiten
ist es aber etwas anderes, wenn sie Meyer heißt und an der nächsten
Haustür wohnt.
Entfremdung als Produkt patriarchal-zwangsheterosexueller Vergesellschaftungsmechanismen
ist für Butler kein Thema. Entfremdung gerinnt bei ihr vielmehr zur Theorie,
indem sie praktisch nur noch das Outfit, den Habitus, die Parodie, die Inszenierung
usw. in der performativ-rituellen Dimension gelten läßt, anstatt
sie kritisch ins Visier zu nehmen, was freilich dem postmodernen Geist prinzipiell
widerspricht, dem eine clowneske Scheinauflösung der Geschlechterpolarität
in der bunten Warenwelt genug ist. Besonders deutlich wird diese Tendenz auch
an dem intellektuellen »Tutti-Frutti-Feminismus« der Butlerapologetin
Barbara Vinken, die in den neueren Kreationen der Modeschöpfer das ironische
Spiel mit den Geschlechterrollen bejubelt und genau in diesem Zusammenhang
die »Maskerade der Geschlechter« in den Metropolen der westlichen
Länder hochlobt (Vinken 1993 b).
Butler und Vinken interessiert es dabei von ihrer ganzen theoretischen Ausrichtung
her einfach nicht, daß die geschlechtlichen Kulturmuster - auch bei
den Parodierenden selbst - noch tief in der Psyche von Männern und Frauen
verankert sind und dies auch in neuen Formen zum Ausdruck kommen kann. Das
»Geschlecht« kann eben nicht wie ein Hemd gewechselt werden, wie
es der Rezipientln nach der Lektüre des diskurstheoretisch- dekonstruktivistischen
Ansatzes
erscheint, auch wenn Butler sich trotz aller inflationär gebrauchten
Bühnensprache fast schon gewohnheitsmäßig in ihren Texten
gegen voluntaristische Ausdeutungen verwahrt und auf die Notwendigkeit einer
weithin entsubjektivierten institutionalisierten Praxis pocht. Aber auch in
dieser Diktion ist Geschlechtsidentität nicht einfach bloß performativ
konstituiert (vgl. auch Benhabib 1993 a, S. 107 ff.). Deshalb wäre es
u.a. erforderlich, auf Konzepte in der psychoanalytischen Tradition mit gesellschaftstheoretisch-kritischer
Absicht (z.B. Chodorow 1985; Benjamin 1990) zurückzugreifen, die momentan
etwas in den Hintergrund gerückt sind, weil in ihnen Geschlechtlichkeit
keinen ganz so fluiden Charakter besitzt wie es konstruktivistische Konzepte
nahelegen, die dem Beliebigkeitsglauben des postmodernen Publikums mehr entgegenkommen.
Wenn sich auch die Familien- und Lebensverhältnisse in den letzten 30
Jahren verändert haben: Kinder bleiben in der Regel nach der Trennung/Scheidung
beim mütterlichen Elternteil (der nun beide Elternfunktionen zu übernehmen
hat), und der Vater rückt noch mehr in die Ferne, als dies in vorpostmodernen
Zeiten der Fall war. Untersuchungen auf psychoanalytischer Grundlage, die
den veränderten Lebenslagen Rechnung tragen (ohne dabei in das konservativ-modische
Lamento über den Untergang der traditionellen Familie zu verfallen) wären
gerade im Zusammenhang mit den neuen postmodernen Formen von Jugendgewalt
notwendig, die immer noch hauptsächlich von männlichen Jugendlichen
ausgeübt wird, und mit der Rolle von Frauen/Mädchen dabei (vgl.
hierzu auch Meyer 1993).
In diesem Kontext und im Zuge einer allgemeinen Remaskulinisierung der Gesellschaft
wäre auch die großangelegte Studie zur psychischen Disposition
soldatischer Männer in der Moderne, Theweleits »Männerphantasien«,
von heutiger Warte aus erneut zu rezipieren und dabei auch die Frage nach
der leiblich-körperlichen Dimension zu stellen. Denn, so Theweleit in
einem Taz-Interview: »Zu Fragen des Körpers und der >Geschlechterdifferenz<
herrscht im Moment allerdings theoretische Funkstille im (groß)deutschen
Raum« (Theweleit 1994).
Die Psychoanalyse war lange Zeit selbst an der Setzung der zwangsheterosexuellen
Norm beteiligt. Mittlerweile gibt es jedoch Bestrebungen, Alternativen zu
einer »Psychoanalyse in der Missionarsstellung« (Benjamin 1992,
S.833) zu formulieren, die einer möglichen Vielfalt von sexuellen Orientierungen
Rechnung tragen, ohne dabei jedoch in den Fehler zu verfallen, die tiefe Verwurzelung
von Männer- und Frauenbildern in psychischen Tiefenschichten für
nichtexistent zu erklären, wie dies in den konstruktivischen (auch bei
ethnomethodologischen) Konzepten der Fall ist (mit Einschränkungen gibt
hierzu Rauchfleich 1994 wichtige Hinweise). Zwar gibt es - just auch als Reaktion
auf auf das entkörperte Konzept von Butler - inzwischen genügend
Bemühungen, die körperliche Dimension wieder ins Spiel zu bringen,
dies allerdings selbst oft nur wieder im Kontext eines neuen »Phänomenologismus«
foucaultistischer oder eben phänomenologischer Provenienz, der nur an
der Frage des »Wie« interessiert ist und in seinem positivistischen
Reduktionismus die tiefenpsychologische Perspektive außer acht läßt
(vgl. dazu z.B. die einschlägigen Aufsätze in den Feministischen
Studien 2,1993).
»Entfremdung« wird aber auch im ethnomethodologischen Ansatz geradezu
zur Methode: Die Entfremdung in der eigenen Kultur, den hochentwickelten Industrienationen,
wird in Form der Verfremdung durch den (vermeintlich) äußeren Blick
instrumentalisiert. Der eigene Alltag erscheint jetzt auf der Leinwand und
wird »vorgeführt«. Er wird qua Methode in ein unwirkliches
Licht getaucht und soll somit auch »talmihaft« wirken. So wird
auch hier letztlich mit dem »Kinoeffekt« gearbeitet. Diese Exotisierung
des Alltags und des eigenen »Seins« wird durch die Betonungs des
»Tuns« selbst bei im Alltag automatisch ablaufenden Identifikationsvorgängen
und damit verbundenen emotionalen Abläufen noch verstärkt, was der
Sprache nach den Eindruck der Äußerlichseins vermittelt. Und diese
Veräußerlichungen und das damit zusammenhängende Fiktionalisierungserlebnis
gefallen den Achtzigerjahrejugendlichen und Altbewegten nun natürlich
gar sehr, wird doch auch dadurch der Anschein von Beliebigkeit gewonnen und
die Möglichkeit zur Maskerade gewittert.
Nicht nur bei Butler, in einer subjektlos-strukturalistischen
Perspektive, sondern insbesondere im ethnomethodologischen Ansatz muß
handlungstheoretisch fundiert auf einer mikrosoziologischen Ebene unentwegt
»getan«, »gemacht«, »hergestellt« u.ä.
werden. Der vielen »Arbeiten« in der Frauenforschung nicht müde
(Hausarbeit, Gefühlsarbeit, Beziehungsarbeit) kommt hier noch eine weitere
»Arbeit« hinzu (wenn dem »Materialismus« eine Absage
erteilt wird, dann hier bestimmt nicht!): die Interaktionsarbeit, die beim
»Doing gender«, auch wenn es unbewußt abläuft, geleistet
werden muß (weitere Anregungen: wie wär's mit Atmungsarbeit, Verdauungsarbeit,
Schlafarbeit usw., die ewge Seligkeit wäre frau beim Protestantengott
dann gewiß sicher!). Man könnte schon fast den Eindruck gewinnen,
daß nach der strukturellen Verknappung der Erwerbsarbeit in den letzten
Jahren nun in anderen Bereichen Himmelsanrechte erworben werden müßten
in der bundesrepublikanischen Frauenforschung. Auch dies sagt den Altbewegten
sehr zu, waren sie doch jahrelang bemüht, die weibliche Reproduktions»arbeit«
in den Marxschen Ansatz einzubauen, für den »Arbeit« das
Gattungsmerkmal schlechthin darstellt(9).
Die Herstellungsemphase der Ethnomethodologie erinnert tatsächlich in
vielem an die industrielle Produktion, die sogar noch auf automatisch ablaufende
Prozesse übertragen wird. Nebenbei gesagt: damit wird auch der Anspruch
konterkariert, die eigene Kultur aus dem Blickwinkel einer fremden zu betrachten.
Bekanntlich haben/hatten keineswegs alle nichteuropäischen/vormodernen
Gesellschaften einen derartigen »Aktivitätsfimmel« wie die
westliche. Dieser mußte ihnen vielmehr nicht selten gewaltsam okroyiert
werden (vgl. Gronemeyer 1991). Die Ethomomethodologie fühlt sich aber
der Sprache nach offensichtlich der protestantischen Ethik verpflichtet, die
für die Herausbildung kapitalistischer Strukturen in der christlich-abendländischen
Kultur zu einer Zeit eine wichtige Rolle spielte, als sich nicht zufällig
das moderne System der Zweigeschlechtlichkeit gleichermaßen herauszubilden
begann. Deshalb stünde gerade einmal die »Dekonstruktion«
der ontologisierten »Arbeit«, des ewigen »Tuns« und
»Machens« als eines historisch-kulturell gewordenen Fetischs an,
der von einem begrenzten kulturellen Einzugsbereich ausgehend eine fatale,
in der Menschheitsgeschichte beispiellose Wirkmächtigkeit erhielt und
in einen zerstörerischen Machbarkeitswahn ausartete.
Die oberflächliche Distanzierung vom Alltag tut der postmodernen RezipientIn
dieses Ansatzes allerdings gut in einer Zeit, in der die weltgesellschaftlichen
Entwicklungen diesen Alltag auch in den hochentwickelten Industrienationen
nicht mehr wie bisher verschonen. Dabei kann die Distanzierung vom Alltag
paradoxerweise einhergehen mit der gleichzeitigen Flucht in ihn: Es soll Leute
geben, die schon längst die alltägliche Zeitungslektüre verweigern.
Gewinnt man bei Butler den Eindruck, daß sie die Medienwirklichkeit
mit der Wirklichkeit schlechthin gleichsetzt, so hat die Lektüre des
interaktionistischen Ansatzes den umgekehrten Effekt: dort wird der Alltag
schon qua Methode mediatisiert. Am Ende kommt das Gleiche heraus: die Welt
wird zum Kino.
Demgegenüber ginge es darum, Entfremdung zu kritisieren, ja ihre Erfahrung
und das »Leiden« daran überhaupt erst wieder zuzulassen,
anstatt sie auch noch zur Theorie bzw. zur Methode gerinnen zu lassen. So
konstatiert z.B. Elisabeth List: »Moderne professionelle Arbeit - nicht
nur im Wissenschaftsbetrieb und in der Wirtschaft, sondern auch im Bereich
Architektur und Planung - setzt die traditionelle Arbeitsteilung zwischen
den Geschlechtern, insbesondere die Zuständigkeit von Frauen für
die Sorgen des Alltags, noch immer als Selbstverständlichkeit voraus.
Ihr unreflektierter Androzentrismus - so ließe sich die feministische
Kritik resümieren - ist die Ursache nicht nur der Geschlechterblindheit
der modernen Wissenschaftskultur, sondern auch ihrer Lebensweltvergessenheit,
ihrer Verleugnung von Kontingenz und Leiblichkeit als wesentliche Momente
der menschlichen Lebenssituation« (List 1993 a, S. 140).
Diese androzentrische Leib- und Lebensweltvergessenheit führt schließlich
auch über die darüber wiederum vermittelten patriarchalen Vergesellschaftungsmodi
Kommerzialisierung, Computerisierung, Mediatisierung etc. offenbar zumindest
teilweise zu einer Auflösung des Realitätsbewußtseins und
-empfindens. Es kommt zu einem »Prozeß der Fiktionalisierung von
Wirklichkeit«, wie Axel Honneth (der dabei gleichzeitig die postmodernen
Sozialtheorien kritisiert) im Anschluß an Baudrillard feststellt, und
es kommt zu einer »Zerstörung der kommunikativen Infrastruktur
der Lebenswelt«, die mit Individualisierungstendenzen einhergeht (Honneth
1994, S.14 ff.). Derartige Entwicklungen lassen in jüngster Zeit auch
den Feminismus und die feministische Theorie nicht unberührt, wie die
konstruktivistischen Theorien und ihre breite Rezeption zeigen, ohne daß
deswegen die hierarchische Geschlechterordnung als gesellschaftliches Basisprinzip
aus den Angeln gehoben worden wäre; diese wird eher sogar noch mitfiktionalisiert.
In diesem Zusammenhang verdienen noch andere Aspekte als die bisher behandelten
zur Erklärung der Popularität konstruktivistischer Konzepte Beachtung:
es ist auffällig, daß diese Konzepte ausgerechnet in den ersten
Jahren der Neunziger-Dekade der theoretische Renner in der Frauenbewegung
waren, parallel zu den rechtsradikalen Gewaltserien, die die Medien beherrschten.
Dies ist möglicherweise darin begründet, daß die vielbeschworene
Ego-, Ellenbogen-
und Erlebnisgesellschaft gerade zu diesem Zeitpunkt ihre vorläufige Zuspitzung
erfährt, im Zuge der verstärkten Propagierung neoliberaler Politik
und Ideologie seit 1989. Vor allem Butlers Konzept stellt so gesehen den Höhepunkt
der »Befreiung im Singular« dar, einer Tendenz, die der weißen
Frauenbewegung schon vor einigen Jahren bescheinigt worden ist (Thürmer-Rohr
1990). Denn obwohl Butler dies von sich weisen würde, setzt sie in ihrem
Konzept stillschweigend einen Ȋsthetischen Begriff ... der individuellen
Freiheit« voraus, dessen Anwendung Honneth bei postmodernen Sozialtheorien
generell feststellt, und der die »spielerische Entfaltung individueller
Differenzen« und somit auch das Spiel mit den Geschlechtsidentitäten
erst ermöglicht (Honneth 1994, S. 15 ff.). Es ist zu vermuten, daß
die postmoderne RezipientIn des Butlerschen Textes insbesondere auf diese
unterschwellige Botschaft reagiert. Bei Butler äußert sich die
»Befreiung im Singular« auch darin, daß sie den Bezug auf
die Kategorie »Frau« in der Dekonstruktion theoretisch zu verunmöglichen
trachtet (wie übrigens auch Gildemeister/Wetterer 1992): »Meiner
Ansicht nach müssen die Risse zwischen und unter den Frauen gerade geschützt
und aufgewertet werden, ja, man sollte diese ständige Spaltung als grundlosen
Grund der feministischen Theorie sogar bejahen« (Butler 1993, S.50).
In der Dekonstruktion des Subjekts und der Zweigeschlechtlichkeit,
bei der die Konstitution des Selbst keine Rolle spielt und das »Ich«
nurmehr eine Rand-»Existenz« führt (siehe dazu die Kritik
an Butler von Benhabib 1993 a, S. 107 ff.), findet beim postmodernen Publikum
so betrachtet scheinbar paradoxerweise die höchste Feier des Egos statt.
Selbst»verlust« und eine radikale Ichbezogenheit gehen Hand in
Hand wie bei der (rechten) Gewaltjugend, wenn auch freilich auf jeweils andere
Weise(10). Vor diesem Hintergrund gewinnt frau unweigerlich
auch den Eindruck: die Welt kann untergehen, die Fürstinnen Prosperas
der weißen Frauenbewegung befassen sich in der ersten Hälfte der
Neunziger intensiv mit ihren Egos, wie die heftige Resonanz auf die konstruktivistischen
Konzepte bezeugt; auch wenn andererseits auf der empirischen und praktischen
Ebene konstatiert wird, daß die Handlungs»spiel«räume
ob der ökonomischen Krise geringer werden. Beides fällt ja auch
zusammen im Bestreben nach »individueller Autonomie«. Die gleichzeitig
stattfindende Auseinandersetzung mit dem eigenen Rassismus in der (weißen)
Frauenbewegung spätestens seit 1989 findet dabei bezeichnenderweise häufig
nur aus dem Blickwinkel der Wahrung und Achtung der »Differenzen«
statt.
Dekonstruktion und (Ethno-)fundamentalismus
Konstruktivistische Konzepte gelten für gewöhnlich als »rassismusgefeit«,
ja mit ihnen wird sogar die Künstlichkeit der Kategorie »Rasse«
selbst nicht selten nachgewiesen; sie scheinen für den Nachweis des »Unsinns«
kollektiver Identitätsvorstellungen besonders geeignet zu sein und stehen
für »den Antifundamentalismus« schlechthin. Im obigen Zitat
von Butler wird jedoch deutlich, daß das Beharren auf einem identitären
Fundamentalismus (sowohl individuell als auch von verschiedenen Frauengruppen)
unabdingbare Voraussetzung ihres dekonstruktivistischen Ansatzes ist. Denn
bloß wenn individuell und kollektiv auf eine »prinzipielle Andersartigkeit«
gepocht wird, ist Butler dazu in der Lage, allen die Zunge herauszustrecken
und zu sagen: Seht ihr, die universelle Kategorie Frau gibt es eben gar nicht!
Nur so verliert der Terminus »Frauen« seine fixierte Gestalt und
wird in Butlers euphemistischer Terminologie »in einen Schauplatz ständiger
Offenheit und Umdeutbarkeit (verwandelt)« (Butler 1993, S. 50).
In der gegenwärtigen gesellschaftlichen Lage bedeutet dies allerdings
eher, daß vor allem ethnofundamentalistische Konflikte und der »molekulare
Bürgerkrieg« sogar noch angefeuert werden, wenn ausschließlich
»Differenzen« herauspräpariert werden dürfen und Gemeinsamkeiten
geradezu als Bedrohung erlebt werden - wobei es sicher etwas anderes ist,
ob die »Erniedrigten und Beleidigten« auf ihre »ethnische
Differenz« pochen oder etwa die deutsche Rechte. Die Einigung auf eine
überindividuelle bzw. interfraktionelle gemeinsame Grundlage sieht Butler,
die selbstredend einen »demokratischen« Anspruch hat, in ihrem
maßstabslosen Konzept im Grunde gar nicht vor, würde diese doch
»diskurslogisch« nur wiederum Protest hervorrufen; vielmehr soll
der Terminus »Frauen« bei ihr in letzter Instanz im beständigen
Diskurs selbst ad absurdum geführt werden. In gewisser Weise lebt ihr
Antifundamentalismus also geradezu vom Fundamentalismus, der sich »spielerisch«
immerzu selbst widersprechen soll.
Gleichermaßen ist das interaktionistische Konzept auf die »Konstruktion«
der Anderen als »ganz Andere« dringend angewiesen: »Die
Minangkabau auf Sumatra, die Hopies im Südwesten der USA, das balinesische
Volk sind vielzitierte Beispiele für Kulturen mit einer Geschlechterordnung,
die nicht auf der Dominanz der Männer beruht. Interessant sind auch Kulturen,
in denen nicht nur zwei, sondern mehrere Geschlechterkategorien unterschieden
werden, zwischen denen die Menschen auch wechseln können (...) Wenn wir
(...) Mann- und Frau-Werden als Produkt von Sozialisation, also einer symbolisch-sprachlichen
Aneigung der Zweigeschlechtlichkeit, in unserer Gesellschaft ansehen, dann
können wir uns von den vorgegebenen Mustern und Modellen der Geschlechterdifferenz
distanzieren, können nach Alternativen Ausschau halten« (Brück
u.a. 1992, S.89; vgl. dazu ähnlich Gildemeister/Wetterer 1992, S. 208).
Es kann hier nicht darum gehen, eine absolute Gleichförmigkeit der Geschlechterbeziehungen
zu allen Zeiten und rund um den Erdball zu behaupten. Ebensowenig soll ein
partikularer Erklärungswert von konstruktivistischen Konzepten für
die feministische Theoriebildung bestritten werden, sofern diese sich nicht
allein auf das kulturalistische Paradigma beruft. Tut sie dies aber dennoch,
so droht in der überspannten historistischen und kulturrelativistischen
Perspektive die Radikalexotisierung der »Anderen«. Offensichtlich
wird eine solche Tendenz in dem Zitat von Brück u.a., indem theoretisch
das sprachliche Symbolsystem in kulturrelativistischer Sicht zur Basis genommen
wird (auch Butler sieht die sprachliche Praxis als maßgeblich für
die Geschlechterkonstitution an; auf die Unterschiede in beiden Konzepten
kann hier jedoch nicht eingegangen werden). Nur auf diese Weise und durch
die damit zusammenhängende Hintergrundannahme einer »schon immer«
prinzipiellen Anders»heit« der Anderen wird in ethnomethodologischen
feministischen Ansätzen die heiß ersehnte Möglichkeit einer
Distanzierung von den hiesigen Geschlechtsrollenmustern für die weiße
Fürstin Prospera und die Suche nach Alternativen erreicht. Ausgeblendet
bleibt dabei, daß eine derartige Distanzierung in nicht-modernen Gesellschaften
(und nicht nur in ihnen) gar nicht möglich ist und gar nicht zur Disposition
steht wie in manchen gesellschaftlichen Sphären der hochindustrialisierten
Länder. Wie weiland die Befreiungsbewegungen in der »Dritten Welt«
von der »neuen Linken« in den Siebzigern und die »Menstruationshütte«
von differenzorientierten, rückwärtsgewandten Strömungen im
Feminismus Anfang der achtziger Jahre für ihre Zwecke benutzt wurden,
so instrumentalisiert nun die weiße Fürstin Prospera der neunziger
Jahre die »Anderen« im interaktionistischen Zugriff wieder einmal
für ihre Ziele.
Dementsprechend findet sich in den Neunzigern kaum noch eine Diskussion zum
Thema »Geschlechterdifferenz«, in der nicht einer/eine aufsteht
und eine »fremde Gesellschaft« oder einen »fremden Stamm«
aus dem Sack holt, bei denen sich aber auch wirklich alles »ganz anders«
verhält, um den postmodernen Beliebigkeitsmythos zu untermauern. Zeitgerecht
findet dabei eine Radikalexotisierung der »Anderen« jedoch nicht
mehr durch Naturalisierungen statt, wie sie seit dem 18. Jahrhundert immer
wieder betrieben wurden, sondern durch eine mittlerweile häufig konstatierte
»Kulturalisierung des Sozialen« in der Gesellschaft und den dazugehörigen
Sozialwissenschaften überhaupt. Um die radikale Bedeutungslosigkeit des
»kleinen Unterschieds« zu behaupten, muß der »große
kulturelle Unterschied« her. Auch wenn die Intention eine andere ist,
objektiv liegen derartige Ansätze so mit kulturellen Differenzannahmen,
wie sie auch bei der »neuen Rechten« anzutreffen sind, im Trend.
Gewiß: ein gewaltiger Unterschied (neben anderen) zwischen rechten und
feministischen Konzepten liegt natürlich darin, daß ein ontologisierendes
Verständnis von »der Frau« im dekonstruktivisttschen Feminismus
gerade bekämpft wird. Nichtsdestoweniger verficht die weiße Fürstin
Prospera mit ihrem Dekonstruktionsbegehren aber nicht minder eurozentrisch-westliche
Interessen.
Es ist bezeichnend, daß Konzepte einer (mitunter ontologisierten) »neuen
Weiblichkeit«, die in den Achtzigern die Mainstream-Diskussion dominierten
(und meines Erachtens ebenso zu kritisieren wären, was allerdings nicht
Thema dieses Artikels ist) in den Neunzigern nicht viel Kredit haben. Wie
ist das möglich? Für gewöhnlich wurden gerade diese Ansätze
mit der »neuen Rechten« in Verbindung gebracht. Nach dieser Logik
hätte die »neue Weiblichkeit« im Feminismus der Neunziger
erst recht eine zentrale Rolle spielen müssen. Während »Konkret«
bei den Vorbereitungen zu dem Kongreß »Was tun« vom Sommer
1993 die wohl eher rhetorisch gemeinte Frage »Die deutsche Frauenbewegung,
ein etwas anderer BDM?« stellte (die später wieder verworfen wurde),
erlebten die konstruktivistischen Konzepte aber ausgerechnet im selben Jahr,
in dem auch die rassistischen Gewaltserien nicht mehr abrissen, ihren Durchbruch
in der Bundesrepublik und fanden breite Resonanz. Und schließlich gelten
sie mittlerweile in der (gerade auch postmodern-feministisch orientierten)
Linken als der »letzte Schrei« überhaupt, versetzt mit etwas
marxistischem Materialismus etwa Alterhusserscher Provenienz.
Vielleicht aber ist die neue Dirndl- und Trachtenjankermode und die Ein»gemeindung«
dekonstruktivistischer Konzepte, die als »typisch amerikanisch«
gelten, gar kein so großer gesellschaftlicher Widerspruch, wie es zunächst
erscheint? Schließlich kann mit derartigen Ansätzen in Krisenzeiten
auch Ab- (und Ausgrenzungs-?) Bedürfnissen der weißen und deutschen
Frauenbewegung, die bislang selber im großen und ganzen bloß formale,
partikulare und punktuelle Erfolge erzielt hat, gegenüber »den
anderen Frauen« entsprochen werden. Unter diesen Umständen schlägt
sich selbst so manche kopfwiegend eher zur »Differenz« neigende
Feministin unbewußt (!?) strategisch auf die Butlersche Seite; schließlich
entspricht ihre Differenzvorstellung ja auch nicht mehr ganz dem der altmütterlichen
Schürze. Womöglich kommen die neuen konstruktivistischen Konzepte
aus »den USA« dem neudeutschen Interesse an defensiver Besitzstandswahrung,
das von einer tiefen Konkurrenzorientierung (selbst unter weißen Frauen,
die einen deutschen Paß besitzen) geprägt ist, viel mehr entgegen,
als die »alten« Vorstellungen einer »neuen Weiblichkeit«?
Die zeitweilige »Rezeptionssperre« gegenüber amerikanischen
Theoriekonzepten im bundesrepublikanischen Feminimus bis Anfang der Neunziger,
in denen nicht zuletzt auch verstärkt antiamerikanische Töne in
der Öffentlichkeit zu vernehmen sind, könnte so gesehen gerade deshalb
aufgehoben worden sein, weil diese Konzepte jetzt womöglich neuartigen
völkischen Bestrebungen zupaß kommen, die sich nun auch noch im
postmodern chicen und hippen Gewand präsentieren können. Unter diesen
Bedingungen halte ich es übrigens keineswegs für ausgeschlossen,
daß sich auch bei den Rechten zeitgemäß höchst unterschiedliche
Positionen zur »Geschlechterfrage« herausbilden, die in einem
Scheindiskurs verhandelt werden. In diesem Zusammenhang wäre auch zu
überlegen, inwiefern die Diskussion um die »Dekonstruktion«
trotz weltweiter Bürgerkriegs-Szenarios in den USA vielleicht eine andere
Bedeutung hat als hierzulande, wo sie eher in die Gefahr geraten könnte,
letztlich ganz im Gegensatz zu ihrer momentanen Intention bei zwangsinstitutionellen
Annahmen etwa Gehlenscher Prägung zu landen. Bei Schäuble z.B.,
der ja gewiß nicht die Institutionalisierung transvestitischer Verhältnisse
will wie Butler, sondern eben auf die der altbürgerlichen family aus
ist, wird das jetzt schon deutlich (vgl. Schäuble 1994, insbes. S. 110
ff).
Dabei geht frau natürlich das Risko ein, daß mit der Dekonstruktion
der Kategorie »Frauen)« auch die Trägerin des Interesses
an »Besitzstandswahrung« tendenziell verschütt zu gehen droht.
Vielleicht ist es vor allem auch diese ambivalente Situation, die die momentane
Maulsperre der (weißen) Frauenbewegung bewirkt. Sollte das reduktionistische
Streben nach Besitzstandswahrung der Fürstin Prospera gar bewirken, daß
sich die Frauenbewegung wie ein Lemming ins Meer stürzt, oder daß
sie sich zumindest mit einer Marginal-Existenz zufrieden gibt, um so womöglich
im Verlauf der weiteren gesellschaftlichen Entwicklung endgültig wieder
mit dem post-neu-deutschen Mannesstolz an einem Strick zu ziehen und post-postmoderne
Theorien der Geschlechterdifferenz (mit-)zukreieren?
Dabei liegt es übrigens wohl eher in der Fallinie der objektiven gesellschaftlichen
Krisenentwicklung, daß die seit einigen Jahren im Feminismus propagierte
Forderung, es müßten Geschlecht, Klasse, Ethnie/Nation in der politischen
Praxis wie in der Forschung gleichermaßen berücksichtigt werden,
schließlich zum »Sieg« der Ethnie/Nation führt (und
von welcher dürfte wohl klar sein) und die Dimension »Geschlecht«
jenseits von ethnisch-völkischen Interessen völlig unter die Räder
kommt. Ich denke, daß die Kategorie Geschlecht (und zwar ganz egal in
welcher Klasse, »Ethnie« usw.), wenngleich auf einem neuen gesellschaftlichen
Nivau, am leichtesten wieder unsichtbar gemacht werden kann, da sie letztendlich
als das »selbstverständlichste« und »natürlichste«
Sozialverhältnis überhaupt gilt, auch wenn dieses Verständnis
in den letzten Jahren grundsätzlich angekratzt zu sein schien. Dies kann
auch dadurch geschehen, daß die »Frauenfrage« nurmehr auf
einer »symbolischen« Ebene ständig präsent ist, daß
sie gerade auf dieser (gewissermaßen auf kleiner Flamme) kocht, während
sich real hinsichtlich des Geschlechterverhältnisses in Politik und Gesellschaft
nicht mehr viel tut (wie dies momentan schon beobachtet werden kann).
Meines Erachtens wird die Verabschiedung der Frauenbewegung vom universellen
Konzept »Frau« in den letzten Jahren zu vorschnell und zu oberflächlich
mit den (oftmals sehr berechtigten) Einwänden von »anderen Frauen«
(schwarzen Frauen, jüdischen Frauen, Frauen aus der »Dritten Welt«
usw.) in Verbindung gebracht. Vermutlich wären diese Einwände kaum
auf Gehör gestoßen, hätten sie nicht auch dem Bedürfnis
der Fürstin Prospera nach »Differenzierung« (und implizit
auch Separierung?) entsprochen. Ein universalistisches Konzept von »der
Frau«, wie es vor allem in der ersten Hälfte der achtziger Jahre
noch weitgehend Konsens war, hätte in den Neunzigern in viel größerem
Maße dazu verpflichtet, sich mit den »anderen Frauen« solidarisch
zu zeigen, wenn ein schäbiger Asylkompromiß ausgehandelt wird und
rassistische Gewalttaten um sich greifen, als dies tatsächlich der Fall
war. So aber konnte frau auf Demos müde ein unauffälliges Transparent
mit sich schleppen: »Frauenspezifische Gründe müssen als Asylgrund
anerkannt werden«, oder sich nicht selten bloß in »Eigenbeschäftigung«
im gegenseitigen Vorwurf des »Rassismus« gefallen, weil »die
Anderen« in ihrem (ganz) »Anderssein« nicht anerkannt und
zugleich die Konstruktionen eines »Andersseins« nicht durchschaut
würden.
Wenn es »die Frau« im Grunde schon in der »eigenen Kultur«
und Gesellschaft nicht gibt, dann können die »fremden Frauen«
(selbst solche, die längst in der Bundesrepublik leben, aber sogenannten
ethnischen Minderheiten angehören), besonders wenn sie auf ihrer »ethnischen
Identität« bestehen, erst recht als eine Art Marswesen behandelt
werden, denen gegenüber frau in der »Dominanzkultur« (Birgit
Rommelspacher) eigentlich zu nichts verpflichtet ist (frau vergleiche demgegenüber
einmal das Engagement von Feministinnen anläßlich von Tschernobyl
in den Achtzigern und noch beim Golfkrieg!). Derartige Interpretationen sind
selbst in wohlmeinenden Versionen der Insistenz auf einer abstrakten Andersheit
der »Anderen« angelegt, sofern sie von einer absoluten Alterität
ausgehen, die von Respekt getragen sein will. Denn diese Positionen können
ebenso leicht umgekehrt werden und sich so gegen sich selbst wenden, wenn
der normative Unterbau ausgewechselt wird.
Nicht selten wird das schlaffe politische Engagement von Feministinnen gegen
Rechtsextremimus und Rassismus mehr oder weniger implizit mit einem Mittäter-Schuldbewußtsein
von weißen Frauen begründet, nach der krausen Logik: weil Frauen
nicht bloß Opfer, sondern schon immer auch (rassistische) Mittäter
im Patriarchat waren, deswegen kann ich nichts tun und bleibe also Mittäter.
Wegen der Einwände der »anderen Frauen« fühle frau sich
»verwirrt«. »Verwirrung« muß zwar nicht, kann
aber auch eine Abwehrhaltung sein, um eigene »unkoschere« Intentionen
auch vor sich selber nicht zugeben zu müssen. Frau ist dann wie gelähmt,
kann nichts tun, »die Dinge« nehmen ihren Lauf und »es«
fügt sich dann vielleicht so, daß es nicht ganz gegen ihren eigenen
Vorteil ist. In diesem Zusammenhang wäre auch die Mittäterschafts-Emphase,
ja der Mittäterschafts-Narzißmus (um nicht zu sagen die Mittäterschafts-Lust),
die sich seit Mitte der achtziger Jahre in der Frauenbewegung eingebürgert
haben, vor allem auch was den Komplex Frauen - Rechtsextremismus/Rassismus
in der Frauenforschung der neunziger Jahre angeht, einmal kritisch zu untersuchen.
Gerade in der ständigen hysterischen Betonung der Mittäterschaft
von Frauen wird die Mittäterschafts-These von Thürmer-Rohr nochmals
auf absurde Weise bestätigt. Es drängt sich der böse Verdacht
auf, daß in dieser Situation dekonstruktivistische Konzepte gerade recht
kommen, die Differenzen zwischen Frauen zu ihrem Fundament machen, die Spaltungen
und Risse zwischen Frauen bewahren und aufwerten wollen und der Praxis der
Entsolidarisierung den theoretischen Segen geben. Sie entlasten psychisch
vor allem in ihrer strukturalistisch-subjektlosen Form und machen dabei Veränderungen
im Grunde nur noch auf der spielerischen Zeichenebene denkbar, jenseits jedweden
der Realität angemessenen Engagements - sogar was die ernsthaften gesellschaftlichen
Interessen der Fürstin Prospera selbst betrifft.
Es geht mir keineswegs um eine neuerliche differenz-indifferente (abstrakt-universalistische)
Argumentation im Feminismus, die »die Anderen« mit kolonialer
Geste unter das (trotz Frauenunterdrückung immer noch privilegierte)
Eigene subsumiert; wohl aber um eine Kritik radikal exotisierender und einseitig
Differenzen betonender Positionen, in denen - wie mir scheint - Gemeinsamkeiten
ebenso weg»konstruiert« werden, wie vormals Differenzen wegkonstruiert«
wurden, und aus denen die Fürstin Prospera heute wiederum Kapital zu
schlagen versucht, indem die Einwände »der Anderen« sogar
noch mitverarbeitet werden. Auch sollte es zu denken geben, daß von
der lange Jahre gehegten Vorstellung einer universellen Kategorie »Frau«
in der Frauenbewegung nun einfach das glatte Gegenteil »wahr«
sein soll. Eine Äußerung von Habermas verändernd, der einmal
gesagt hat, erkenntnismäßig seien in der Nacht der Totalität
alle Kühe schwarz, könnte somit gesagt werden: in der Nacht der
(im übrigen selbst immer noch universalistisch verfahrenden) Theorie
des symbolischen Spachsystems und der Dekonstruktion sind alle Kühe verschieden;
nur noch weiß, gelb, blau, schwarz, rosa usw.
Die vordergründige Identitätsverneinung in den konstruktivistischen
Konzepten erweist sich so in mancherlei Hinsicht womöglich eher als Rettung
der »eigenen« unsicheren Fledder-Identität der weißen
Fürstin Prospera in ihrer traurig patriarchalen Gestalt, die in postmodern-krisenhafter
Zeit ihre Interessen als Konkurrenzinteressen zu wahren versucht. Es ist also
nicht bloß so, daß Identität zur Waffe werden kann, wie in
den Neunzigern zu Recht häufig konstatiert wird, sondern ebenso deren
(scheinbare) Negation in der kokonhaft eingesponnenen Verpuppung der postmodern-publikumswirksamen
Konzepte gerade Butlerscher Machart, die den (vermeintlich unblutigen und
»kostenlosen«) Kampf in der Passivität zu ermöglichen
scheinen. Dabei wird gleichzeitig versucht, die Partystimmung der Achtziger
in nunmehr bloß noch verkrampfter und kurzatmiger Weise noch einmal
zu simulieren.
Nach der (De)konstruktion ...
In den bisherigen Überlegungen ging es mir um das Eingebettetsein der
konstruktivistischen Konzepte in den zeitgeschichtlichen Rahmen der »Achtzigerjahreparty«
(Morshäuser 1993) und ihrer Verlängerung in die Neunziger hinein.
Was diese Konzepte heute so attraktiv macht, ist gerade der (scheinbar paradoxe)
Umstand, daß sie weder für die Analyse (welt-)gesellschaftlicher
Zusammenhänge und der daraus hervorgehenden ökologischen, ökonomischen
und sozialen Probleme etwas hergeben, noch daß sie der Erfahrungsdimension
Rechnung tragen (wie etwa noch standpunkttheoretische Ansätze im Feminismus
der achtziger Jahre), freilich die simulativen Pseudoerfahrungen der achtziger
und neunziger Jahre abgezogen, hinter denen sich die (feministischen) Subjekte
ob der bedrohlich erlebten Realerfahrungen gern verschanzen. Das Interesse,
das die konstruktivistischen Ansätze momentan erregen, und die Diskussionen,
die sie entfachen, scheinen mir zu einem großen Teil geradezu eine Abwehr
der gewaltigen gesellschaftstheoretischen Herausforderungen zu sein, die sich
spätestens seit 1989 stellen und auf die der theoretische Feminismus
mit großer Praxisferne und die Frauenbewegung mit einer Art Totstellreflex
reagiert. Mehr noch: gleichzeitig kommen in ihnen geradezu die Konflikte,
Ängste, ja zum Teil auch die Perfidien usw. in der neunziger Dekade zum
Ausdruck; allerdings, wie vom werten Publikum gewünscht: in entdramatisierter
und verklausulierter Form.
Es fragt sich nun, welche Theoriekonzepte/Denkbewegungen/Überlegungen
neben den bereits erwähnten zumindest ansatzweise Antworten auf die großen
gesellschaftlichen Fragen geben könnten. Darauf kann hier selbstverständlich
nur stichpunktartig und fragmentarisch eingegangen werden. Es ginge zunächst
einmal auf einer sehr grundsätzlichen Ebene um eine Neubestimmung des
Mensch-Naturverhältnisses und damit zusammenhängend des Geschlechterverhältnisses,
um die ökologisch-gesellschaftliche Ebene emanzipatorisch in den Blick
nehmen zu können und die mittlerweile modische Perspektive zu vermeiden,
»die« Natur nahezu ausschließlich unter kulturtheoretischen/kulturnominalistischen
Aspekten zu betrachten (und somit tendenziell zu fiktionalisieren), ohne dabei
in ontologisierende Sichtweisen zurückzufallen. Dabei müßte
auch »sex« als analytische Kategorie berücksichtigt und in
der bundesrepublikanischen Forschung überhaupt erst einmal eingeführt
werden.
Hierzu gibt Barbara Holland-Cunz in ihrem neuen Buch »Soziales Subjekt
Natur« (Holland-Cunz 1994) entscheidende Hinweise. Sie schreibt: »Ich
halte (...) die marginalisierte Kategorie >sex< (...) für eine
wesentliche kategoriale Möglichkeit, um das Materiale, den Körper,
seine zeitliche und räumliche Endlichkeit, seine nicht ausschließlich
gesellschaftlich definierte Logik und Funktionsweise, seinen vermittelten
Zusammenhang mit nichtmenschlicher Natur, seine Identität und Nicht-Identität
mit außermenschlicher >Natürlichkeit< in feministische Theoriebildung
zu reimplementieren, zu reintegrieren. Würde >sex< in einer nicht-ontologisierenden
Weise konzeptionalisiert, so könnte über diesen Begriff vielleicht
der Zugang zu einer analytischen nicht-analogisierenden Vermittlung von Natur-
und Geschlechterverhältnis geschaffen werden (...) Im Anschluß
an Jaggar und Grimshaw möchte ich (...) vorschlagen, >sex< nicht
als biologistisches Ablagerungsfeld für Naturalisierungen, sondern als
mit >gender< dialektisch vermittelten Begriff wiedereinzuführen:
in dem menschliche, historisch gewordene Körperlichkeit gesellschaftlicher
Subjekte denkbar wird; in dem die Teilhabe >des< Menschen an Natur und
Gesellschaft vermittelbar wäre; als Ausbalancierung gegen einen ausschließlich
konstruktivistischen Begriff >gender<; als Ort der Theoretisierung nicht
>der< Natur, aber des Naturverhältnisses der Individuen, gleichsam
zu sich selbst« (Holland-Cunz 1994, S. 206 bzw. 208). Eine derart differenzierte
Position ist meines Erachtens auch deshalb notwendig, um dem anschwellenden
Anthropologie- und Biologiediskurs theoretisch anspruchsvoll und plausibel
etwas entgegensetzen zu können, also »Natur« auf nicht-reaktionäre
Weise wieder ins Spiel zu bringen.
Gerade in der hier propagierten ökologisch-historischen Perspektive müßte
in der Situation der neunziger Jahre dabei gleichzeitig gezeigt werden, daß
die momentan beliebten »dematerialisiernden (De)konstruktivismen«
(Holland-Cunz 1994, S. 208) und die zur gleichen Zeit als deren anderer Pol
vorfindbaren Biologismen und Anthropologismen zwei Seiten ein- und derselben
gesellschaftlichen Medaille einer ins Krisenstadium eingetretenen Postmoderne
sind. Anthropologische Sichtweisen haben derzeit gewiß auch deswegen
großen Erfolg, weil der kraftlos gewordene akademische Routinebetrieb
in den Gesellschafts- und Geisteswissenschaften (auch in der Frauenforschung)
zu den Gewaltserien, den Bürgerkriegsszenaros und dem »molekularen
Bürgerkrieg« nur wenig gehaltvolles zu sagen hat. Die bloß
(de)konstruktivistische Argumentation (auch hinsichtlich der Nation, des Rassismus
usw.) richtet hier gewiß nicht viel aus. Vielmehr müßten
auch objektive Strukturen (in ihrem andro- und eurozentrischen Gewordensein)
mitberücksichtigt werden.
Dieser Zusammenhang und die damit verbundene Frage nach der (welt-)gesellschaftlichen
Krisendynamik, die spätestens seit Ende der achtziger Jahre sichtbar
wird, lenkt die Aufmerksamkeit noch auf eine andere Dimension: nämlich
auf die Ware-Geld-Beziehung und ihre geschlechtlichen Bezüge, die mit
den bisherigen Überlegungen zu Entfremdung, Entleiblichung, »Natur«vergessenheit
und der damit verbundenen Abspaltung des historisch entstandenen sogenannten
»Weiblichen« in der Moderne verknüpft werden müßten.
Es existieren nämlich mittlerweile in dieser Hinsicht durchaus theoretische
Konzepte, die zur Klärung neuerer (welt-)gesellschaftlicher Entwicklungen
(Zusammenbruch des Ostblocks, Bürgerkriegsentwicklungen usw.) entscheidendes
beitragen können und über eine altmarxistische Kritik hinausgehen,
ja ihr entsagen, u.a. indem auch der »Realsozialismus« als warenproduzierendes
System erkannt und darüber sein Niedergang im Kontext globaler Krisenprozesse
erklärt wird, die schließlich zu den Bürgerkriegsszenarios
führen (vgl. Kurz 1994). In diesem Zusammenhang wären auch die Arbeiten
der »Bielefelderinnen« erneut zu rezipieren, wenngleich dabei
auch tendenzielle Biologismen und rückwärtsgewandte Bestrebungen
kritisiert werden müßten. Viele der Veränderungen in der letzten
Zeit (weitere Verslumung, Entstehung von Mafiastrukturen, Zunahme von Rassismus
und Sexismus usw. rund um den Globus) haben diese Forscherinnen von der Grobtendenz
her bereits in den 80er Jahren vorausgesehen (vgl. Bennholdt-Thomsen; Mies;
Werlhof 1988).
Insbesondere die Thematisierung der Ware-Geld-Beziehung unterliegt schon seit
der zweiten Hälfte der achtziger Jahre im Zuge der »Perhorreszierung
jeder übergreifenden Denkgebärde« ( Dieckmann 1994, S. 19)
in postmodernen Theoriekonzepten, vor allem aber seit dem Zusammenbruch des
Ostblocks, einer »Rezeptionssperre«, wie Gildemeister/Wetterer
dies für das »Doing gender« noch 1992 behaupteten. Gerade
auch in den konstruktivistischen Konzepten wird ein inhaltsloses Denken propagiert
und sind nur Denkhaltungen erlaubt, sofern sie die Unmöglichkeit eines
Wahrheitsanspuchs »legitimieren« und sich dem Imperialismus des
»Wie« beugen. Und gerade in dieser Inhaltslosigkeit entsprechen
sie den Theoriebedürfnissen der Fürstin Prospera in den neunziger
Jahren, die sich in die glitzernde Warenwelt hinein (schein-)emanzipiert hat,
ohne sich noch groß um »Qualitäten« zu kümmern.
So kritisieren auch Irmgard und Maria Schaffrin eine postmoderne
»Fürstin-Prospera-Haltung« in der weißen Frauenbewegung:
»Weil Autonomie heute nur Waren-vermittelt zu haben ist, hat sich bei
vielen Feministinnen ein Streben nach >Besitzstandswahrung< durchgesetzt.
Sie klammern sich an >ökonomische Unabhängigkeit< und es scheint
ausreichend, wenn Frauen den Wert ihrer Arbeitskraft in Geld, sprich Lohn
realisieren können, um sich ihr autonomes feministisches Leben zu leisten.
Die Frage, ob ihre Lohnarbeit einen konkret nützlichen Wert für
die Gesellschaft hat, verliert anscheinend zunehmend an Bedeutung. Auftrieb
dagegen bekommt die Beschäftigung mit den Marktmechanismen, die mittels
Nachfrage bestätigen, ob der Aufwand sich ge>lohnt< hat. Dieses
individuelle Autonomiestreben akzeptiert Lohnarbeit gleichgültig gegenüber
der gesellschaftlichen Tätigkeit und gegenüber der Natur sowie ohne
Rücksicht auf den Inhalt. Ganz einfach zum kurzfristigen Selbstzweck
(...) Sämtliche Kritik des Geldes und des Kapitals (als Geld schaffendes
Geld) ist auf dem Misthaufen der Geschichte gelandet. Die antikapitalistische
Brille ist, Göttin sei Dank, abgelegt. Frau sieht so gut wie gar nichts
mehr von den inneren Verhältnissen der kapitalistischen Warenproduktion«
(Schaffrin 1993, S. 28 bzw. 29)(11).
In diesem Zusammenhang muß auf eine Paradoxie aufmerksam gemacht werden,
die BeobachterInnen des Zeitgeists irritieren könnte. Das oben erwähnte
Buch von Robert Kurz »Der Kollaps der Modernisierung« hat zur
gleichen Zeit »Popularität« erlangt wie Butlers Schrift »Das
Unbehagen der Geschlechter«. Dies ist insofern erklärbar, als zwischen
beiden eine Reihe von Gemeinsamkeiten bestehen, von denen ich nur einige benennen
möchte: Beide bedienen sich einer subjektentleerten strukturalistischen
Perspektive (wenngleich dies Kurz aus einer anderen »Systemperspektive«
tut als die strukturalistische Tradition, auch in ihren poststrukturalistischen
Metamorphosen); was bei Butler der Diskurs zur Produktion von Geschlecht und
Geschlechtsidentität ist, ist bei Kurz »der Wert« als automatisches
Subjekt, der in seiner historisch-gesellschaftlichen Dynamik (jenseits eines
altmaxistischen Klassenkampfdenkens) für die gegenwärtigen weltgesellschaftlichen
Probleme »verantwortlich« zeichnet. Damit tragen heute beide -
auf jeweils andere Weise - zur Handlungsentlastung bei; zweifellos haben beide
stilistisch und inhaltlich einen Hang zur Uberspanntheit und Überziehung;
und ohne Frage tragen beide den Bedürfnissen eines »erlebnishungrigen«
Publikums Rechnung (für Butler siehe oben).
Kurz bewerkstelligt dies durch einen spannend-gruseligen
Schreibstil, der eine Gänsehaut entstehen läßt. Insofern trägt
auch er einem postmodernen Verfilmungsbedürfnis der Realität Rechnung.
Es handelt sich um eine Art »Reality-Schreibe«. Aber genau dies
ist wohl auch ein Grund, weswegen er eben nicht in derselben Weise wie Butler
einen Paradigmenwechsel in analogen Diskussionen bewirkt hat (die in ihrer
Totalitätsperspektive ohnehin als unzeitgemäß gelten und im
Gesamtdiskurs weithin marginalisiert sind). Bei Kurz fällt nämlich
die Darstellung des Entsetzens mit dem wirklich erlebten Entsetzen beim Publikum
zusammen, im Gegensatz zum Reality-TV, das die dort gezeigte Realität
dennoch als künstliche erscheinen läßt (vgl. zum Verhältnis
Reality-TV - Publikum Jacob 1994, S. 64 bzw. 74). Hier gibt es nebenbei gesagt
in einem gewissen Sinne auch Parallelen zu ethnomethodologischen Ansätzen
(im Feminismus), die dem »Publikum« seinen (weniger aufregenden)
Alltag »harmlos« aber nichtsdestoweniger aufregend in der Transsexuellenperspektive
schildern und ihm dadurch gerade den Schrecken auf anderen Ebenen nehmen (vor
allem auf der materiellen); wie gezeigt ist ja gerade dies ein Geheimnis ihres
derzeitigen Erfolgs. Das Entsetzen läßt sich bei Kurz im Gegensatz
zum Reality-TV nicht mehr distanziert konsumieren und entzieht sich der Möglichkeit
des bloßen ästhetischen Genießens. Der soziale Abstieg kann
mittlerweile jede/n betreffen, und diese Angst sitzt tief in den Knochen.
Und genau die damit bezeichneten (realen) gesellschaftlichen Tendenzen im
»Kollaps der Modernisierung« treiben in Richtung des Butlerschen
Maskenballs, der nun allenthalben attraktiver ist, weil er sich im Gegensatz
zu Kurzens »abgehobener« Theorie und zugleich empiriegesättigter
Analyse in das erfahrungsarme, kosmische Allwasser eines ätherischen
Dekonstruktionsbegehrens verflüchtigt, bei dem sich immer noch recht
gut gepflegt (wenngleich auch jetzt billigerer) Sekt schlürfen läßt(12).
Weite Teile der feministischen Theorie und der Frauenbewegung haben spätestens
seit der zweiten Hälfte der achtziger Jahre einen linken Universalismus
sehr zu recht gegeißelt und tun dies auch weiterhin. Es fragt sich allerdings,
ob dies überhaupt noch nötig ist. Denn spätestens seit dem
Zusammenbruch des Ostblocks ist linke Theoriebildung ohnehin, egal ob sie
dem östlichen Modell des Staatssozialismus verpflichtet war oder nicht,
gründlich desavouiert, sogar bis hin zu den »Bielefelderinnen«,
die eigentlich schon aus dem Rechts-Links-Schema ausscheren. Bei Texten aus
Frauenbewegung und feministischer Theorie entsteht jedoch nicht selten der
Eindruck, als ob hier immer noch der Hauptfeind stünde. Wie oft soll
dieser Tote eigentlich noch ermordet werden? Eine derartige Haltung verkennt,
daß längst das Differente, Nichtidentische, gewissermaßen
frei flottierend, sein buchstäblich blutiges Unwesen treibt; entsprechend
ist auch das »Wesenhafte«, die Suche nach dem »Wesen«
einer Sache, der »Essentialismus« u.ä. in postmodernen Konzepten
Buhmann Nummer eins. Und gerade insofern bilden der Antiessentialismus und
der auf Differenz und Identität beharrende Fundamentalismus eine paradoxe
(welt-)gesellschaftliche Einheit; denn das (männliche) Aufklärungssubjekt
(und mit ihm manchmal auch die kulturelle Zweigeschlechtlichkeit, wie bei
Butler), soll in der postmodernen Vorstellung nur dekonstruiert, aber nicht
aufgehoben werden.
Sehr zugespitzt formuliert könnte sogar, in Abwandlung eines berühmten
Horkheimer-Zitats, gesagt werden: Wer vom dekonstruierten Subjekt spricht,
sollte auch von neuen gewalttätigen Tendenzen wie Ethnonationalismus,
Rassismus und Antisemitismus nicht schweigen. Die Postmoderne mündet
eben nicht einfach in ein glückliches Zeitalter, dessen Subjekte nun
endlich von den rigiden Ich-Grenzen befreit sind (so klingt es ein wenig bei
Keupp 1994), sondern auch in gewalttätige Übergriffe und kriegerische
Auseinandersetzungen. So stellt Brigitte Rauschenbach schon für die noch
nicht ausgereifte postmoderne Entwicklung in der Theoriebildung der sechziger
Jahre fest: »Drei Jahre nach dem Mauerfall scheint es offensichtlich,
daß im Wettstreit der Paradigmen der Differenzdiskurs Kritiker und Verächter
philosophisch und politisch ins Unrecht gesetzt hat. (...) Heute läßt
sich fragen, ob die Freisetzung blutiger Aggressionen beim Zerbersten der
sozialistisch genormten Ancien regimes eine neue Epoche der Bürgerkriege
wahrmacht, die das Denken der Differenz vor einem Vierteljahrhundert verhieß,
als es den Terror der Versöhnung anklagte. Eine fast visionäre diagnostische
Kraft läßt sich dem Differenzdiskurs offensichtlich nicht absprechen«
(Rauschenbach 1993, S. 69).
Die Geste des westlichen Universalismus, das Konzept von »der Frau«
in Frauenbewegung und feministischer Theorie, hat sich als eurozentrisch enttarnt.
Genauso müssen jedoch auch derzeit beobachtbare Exotisierungs- und Selbstexotisierungsprozesse
mißtrauisch machen, die in der Umkehrbewegung zu einer für sich
stehenden Endlosdifferenzierung und ins Bodenlose führen. Zur bisherigen
Kritik von weiten Teilen der feministischen Theorie an der »Identitäslogik«
(Adorno), an der »Logik des eins« (Luce Irigaray) innerhalb und
außerhalb des Feminismus, müßte deshalb ebenso die Kritik
an einer »Trennungs- und Differenzlogik« kommen, die nur die abstrakte
Negation der lange vorherrschenden Identitätslogik darstellt, deren Entsprechungen
wiederum die neuen und blutigen weltgesellschaftlichen Entwicklungen sind.
Dabei ginge es darum, das Identische, den Begriff und das Nichtidentische,
Differente ohne Vereinseitigungen in ein neues Verhältnis zueinander
zu setzen, also sowohl dem Übergreifend-Allgemeinen sein Recht zu lassen
als auch dem Partikular-Besonderen, das sich dem subsumierenden Zugriff und
der dialektischen Vereinnahmung entzieht und nun nicht mehr als bloß
»Abgeleitetes« eine Sekundärexistenz führt (wie es »das
Weibliche« in der christlich-abendländischen Entwicklung überhaupt
tat).
In diesem Zusammenhang wäre Adorno noch einmal vom
heutigen Standpunkt aus zu rezipieren, der in seiner »Negativen Dialektik«
schon viel von der postmodernen Entwicklung vorweggenommen hat, ohne deshalb
jedoch »dem Begriff« zu entsagen (vgl. dazu auch die feministischen
Uberlegungen von Annedore Prengel, die allerdings, was zu kritisieren wäre,
genauso wie Adorno selbst in letzter Instanz dem Aufklärungsstandpunkt
verhaftet bleibt - vgl. Prengel 1990). Nötig wäre dabei allerdings
eben auch ein neuer, gewissermaßen postmoderner und postmarxistischer
Begriff der Ware-Geld-Beziehung und eine neue Vorstellung von »Totalität«,
die die epochalen Umbrüche der letzten Zeit zu erfassen vermögen,
wie Robert Kurz in dem Buch »Der Kollaps der Modernisierung« ausgeführt
hat, wenngleich hier zunächst auch eine Kritik am andro- und eurozentrischen
Blickwinkel zu leisten wäre (Kurz 1994).
Mir erscheint jedenfalls die Vereinnahmung und Gleichsetzung der »anderen«
Frauen mit der »weißen, westlichen Frau« in Verbindung mit
rassistischen Haltungen, wie sie in feministischen Texten häufig noch
als Generallinie unterstellt wird, im postkolonialen und postsozialistischen
Zeitalter seit 1989 längst nicht mehr das Hauptproblem zu sein, wo es
eher darum geht, die »Anderen« auszugrenzen, sie als gänzlich
different zu konzipieren und in Zeiten einer großen ökonomischen
Krise genau mit diesem Argument schließlich vor die Mauern zu verweisen.
Womöglich hat sich das Blatt längst schon gewendet? Vielleicht atmet
die Fürstin Prospera womöglich insgeheim innerlich schon auf - und
das glücklicherweise auch noch unter dem Druck der »anderen«
Frauen, wie bequem! - nicht mehr kolonialisierend sein zu müssen, um
des eigenen (materiellen) Wohlbefindens willen. Frau möge in ihre feministische
Gruppe (und in sich selbst) einmal aufmerksamer hineinhorchen(13).
Das Problematisieren von »Differenzen« in postmodernen (feministischen)
Konzepten und die Infragestellung des autonomen männlichen und westlichen
Subjekts haben gewiß die (Denk-)möglichkeit einer Aufhebung dieses
Subjekts und seines »Anderen« (und damit auch des in christlich-abendländischen
Gesellschaften vorfindbaren Systems der Zweigeschlechtlichkeit) in Aussicht
gestellt. Aber sie drohen dabei im »Nirwana des Geldes« zu versacken.
Es kann nicht darum gehen, diese Konzepte wiederum in falscher Unmittelbarkeit
einfach als »falsch« und indiskutabel abzutun. So ist es z.B.
natürlich nicht uninteressant und irrelevant, wie sich das symbolische
System der Zweigeschlechtlichkeit im Alltag reproduziert. Insofern wäre
das interaktionistische Konzept in seinen feministischen Varianten, das ich
durchaus den postmodernen Ansätzen zuschlagen würde (wie es sich
z.T. auch selbst darstellt, z.B. indem es die »Dekonstruktion«
auf seine Fahnen schreibt), nicht einfach zu verwerfen. Im Bewußtsein
seiner Defizite wäre es vielmehr als ein Moment feministischer Forschungstätigkeit
zu integrieren - nicht mehr und nicht weniger! Denn »Aufhebung«
bedeutet mehr und anderes, als es die bloße Dekonstruktions-Perspektive
in ihrer Zeichenbesessenheit verspricht, die mit der »materialen«
gesellschaftlichen Praxis und deren Veränderung per se schon immer Probleme
hat.
Das hieße z.B. ganz praktisch die selbstverständliche Beteiligung
der Männer an Haushalt, Kindererziehung usw. oder die ganz alltäglich
gewordene Möglichkeit von gleichgeschlechtlichen Beziehungen; des weiteren
den alltäglich gewordenen Umgang und Kontakt mit Menschen anderer Hautfarbe
auch in Intimbeziehungen usw. Und dem hätte zunächst auch eine feministische
Zielsetzung in der Theorie zu entsprechen, indem sie vor allem die materielle
Dimension (in ökologischer wie sozialer Perspektive) wieder hereinnimmt
und (kulturelle) Differenzen wie auch Gemeinsamkeiten gleichermaßen
berücksichtigt, die sich im gesellschaftlichen Prozeß auch verändern
können. Dies bedeutet, »den Begriff« und ein zusammenhängendes
Denken sowohl anzuerkennen als auch seine beschränkte Reichweite gleichzeitig
deutlich zu sehen. Meines Erachtens hat sich feministische Theorie und Forschung
schon immer auf realgesellschaftliche Verhältnisse und Prozesse und auf
die sie mitkonstituierenden Subjekte zu beziehen; sie sollte sich weder in
der szientistischen Pose gefallen, die in der feministischen Forschung ebenfalls
immer beliebter wird, noch in einer postmodern zynischen Haltung, die sich,
vermeintlich feinsinnig, schenkelpatschend und lachend von der »Emanzipation«
emanzipiert hat.
Auf eine »radikale... und nihilistische.. >Dereifikation< des
Realen« (List 1993 b, S. 19) und damit des in westlichen Gesellschaften
vorfindbaren Systems der Zweigeschlechtlichkeit, die sich in eine warenförmig-patriarchal
strukturierte und hysterisch gewordene Michael-Jackson-Welt hineinzudekonstruieren
gewillt ist, habe ich jedenfalls keine Lust. Welche Wendung dieser Zug überdies
nehmen könnte, wird schon jetzt in der Werbung am Parfüm-Mann der
achtziger Jahre deutlich, der - zunächst noch geschniegelt, dandyhaft
und androgyn - sich immer mehr zur Arno-Breker-Figur entwickelt im Zuge einer
allgemein zunehmenden Ästhetisierung des Grauens, des Krieges und des
sozialen Elends, parallel zum Erstarken rechter Ideologie und rechtsradikaler
Gewalt. Vielleicht ist gerade auch diese Figur das Scharnier zwischen der
Rechtswende bzw. der damit verbundenen rechtskonservativen Familienideologie
einerseits und einer gleichzeitig modernen »Maskerade der Geschlechter«
andererseits, deren theoretischer Ausdruck sich vor allem im Butlerschem Dekonstruktionsbegehren
findet, das jegliche (geschlechtliche) Realität in die dünne Luft
des Spachsystems auflöst. Womöglich handelt es sich bei beiden Tendenzen
gar nicht um einen einfachen und platten gesellschaftlichen Gegensatz, wie
es der oberflächlichen Betrachtung zunächst erscheinen mag.
Gegenüber all dem halte ich es mit Seyla Benhabib, die in der Tradition
der Kritischen Theorie die Meinung vertritt: »Ohne jeden Zweifel kann
es Zeiten geben, in denen die eigene Kultur, Gesellschaft und Tradition so
verdinglicht oder von so brutalen Kräften beherrscht sind, in denen die
Diskussionen und das Gespräch so versiegt sind oder einfach unmöglich
gemacht wurden, daß die Gesellschaftskritik ins gesellschaftliche Exil
gedrängt wird. (...) Die Gesellschaftskritik im Exil bezieht aber keine
>Position im Niemandsland<, sondern eine >Position außerhalb
der Stadtmauern<, wo immer diese Mauern und Grenzen verlaufen mögen.
So mag es kein Zufall sein, daß feministischen Denkerinnen und Theoretikerinnen
von Hypathia bis Diotima und von Olympe de Gouges bis zu Rosa Luxemburg ihrer
Berufung folgten und ihre Heimat verließen, um sich jenseits der Stadtmauern
niederzulassen« (Benhabib 1993 b, S. 23 bzw. 25). So sehe ich mich heute
gezwungen, mich nicht jenseits der Stadtmauern,
aber jenseits der Schloßmauern der Fürstin Prospera niederzulassen
- denn was manche Frauenbewegte und Frauenforscherinnen immer noch nicht richtig
wahrhaben wollen, ist längst eingetreten; das »Drinnensein«
schützt bei den »Aussichten auf den Bürgerkrieg« nämlich
überhaupt nicht, auch wenn die momentane konjunkturelle »Scheinblüte«
(Engels 1994, S. 138) im Bereich der Ökonomie so manches Simulationsherz
wieder ein wenig höher schlagen läßt.
In diesem Sinne kann »Die Maske des Roten Todes« von Edgar Allan
Poe, der selbst ein Vorläufer der heute wieder beliebten Ästhetisierung
des Grauens war, als eine Parabel der Postmoderne gelesen werden:
»Doch nun waren es zwölf Schläge, die die
Glocke der Uhr erschallen lassen sollte; und so geschah es vielleicht, daß
mehr Gedanken sich mit mehr Zeit einschlichen in das Sinnen der Nachdenklichen
unter denen, die sich ergötzten. Und so geschah es vielleicht auch, daß
viele Personen aus der Menge - ehe noch der letzte Hall des letzten Glockenschlags
in tiefstem Schweigen versunken - Muße fanden, eine maskierte Gestalt
zu gewahren, der die Beachtung nicht eines einzigen Menschen zuvor gegolten.
Und kaum hatte sich die Nachricht von diesem neuen Gast im Flüsterton
verbreitet, erhob sich schon aus der gesamten Gesellschaft ein Raunen oder
Murmeln, Mißbilligung und Staunen bekundend - dann schließlich
Schaudern, Grauen und Entsetzen.
Wo sich in Scharen Truggebilde häufen, wie ich sie hier gezeichnet, mag
man mit Fug vermuten, daß keine alltägliche Erscheinung solch Aufregung
hätte bewirken können. Die Maskenfreiheit dieser Nacht war wahrhaft
schrankenlos; doch hatte die bewußte Gestalt noch einen Herodes übertroffen
und war selbst über die Grenzen der unbestimmten Wohlanständigkeit
des Fürsten hinausgegangen. Es gibt in den Herzen der Leichtsinnigen
Saiten, die ohne Gefühlsbewegung nicht berührt werden können.
Ja, sogar für die unrettbar Verlorenen, denen Leben und Tod gleichwie
ein Scherz sind, gibt es Dinge, über die sie nicht zu scherzen wagen.
(...) Die Gestalt war groß und hager und von Kopf bis Fuß in die
Tücher des Grabes gehüllt. Die Maske, die ihr Gesicht verbarg, war
bis aufs Haar dem Antlitz eines Leichnams nachgebildet, daß es selbst
bei genauester Prüfung schwerfiele, die Täuschung zu gewahren. Und
doch hätte all dies von dem närrischen Volk umher ertragen, wenn
nicht sogar gebilligt werden können. Doch war der Vermummte so weit gegangen,
die Gestalt des Roten Todes anzunehmen, sein Gewand war blutbefleckt - und
seine breite Stirn wie auch das ganze Gesicht mit dem scharlachroten Schrecken
besprenkelt.
Fürst Prospero (stürzte), wütend vor Zorn und Scham über
seine flüchtige Feigheit, durch die sechs Zimmer, während niemand
ihm folgte, da alle von lähmendem Entsetzen erfaßt waren. Er schwang
den Dolch und war der zurückweichenden Gestalt voll rasender Wut bis
auf drei oder vier Schritt nahe gekommen, als sich diese, nachdem sie bereits
am Ende des samtenen Zimmers angelangt war, plötzlich umwandte und ihrem
Verfolger entgegentrat. Ein gellender Schrei - und der Dolch fiel blitzend
auf den schwarzen Teppich, auf den auch Fürst Prospero auf der Stelle
tot herniedersank. Da stürmte auf einmal eine Schar von Gästen mit
dem wilden Mut der Verzweiflung in das schwarze Gemach, und während sie
den Maskierten packten, dessen große Gestalt aufrecht und reglos im
Schatten der Ebenholzuhr stand, keuchten sie in unaussprechlichen Grausen,
als sie bemerkten, daß die Grabgewänder und die Leichenmaske, die
sie mit roher Gewalt ergriffen, keine greifbare Form in sich bargen.
Und nun war die Gegenwart des Roten Todes gewiß.
Wie ein Dieb war er in tiefer Nacht gekommen.«
(Edgar Allen Poe: Die Maske des Roten Todes).
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Fußnoten
1) Auch Barbara Duden betrachtet in den
Feministischen Studien (Nr. 2, 1993) den Butlerschen Text als »Zeitdokument«.
Sie tut dies im Gegensatz zu mir jedoch von der Position der Körperhistorikerin
aus.
2) Anders ist dies bei Gesa Lindemann: Wenn
sie bei der Konstruktion von Zweigeschlechtlichkeit vehement auf die Berücksichtigung
von »Leiblichkeit« pocht, insistiert sie gleichermaßen darauf,
daß in der Forschung ebenso die Dimension des »Ich bin es«
einbezogen werden muß (Lindemann 1993). Das Fiktionalisierungserlebnis
kann sich bei der RezipientIn jedoch auch hier einstellen, weil Lindemann
dies im Kontext der Transsexuellenforschung behauptet und sie dadurch, egal
ob gewollt oder nicht, dem Beliebigkeitsbedürfnis des postmodernen Publikums
entgegenkommt. Wie eingangs schon gesagt, stelle ich nicht in Abrede, daß
Geschlecht, aber auch Körper, Gefühl usw. immer einen kulturell-historisch
jeweils spezifischen Charakter aufweisen. Mir geht es hier nur darum, daß
der derzeitige Rezeptionsboom der interaktionistischen Konzepte vermutlich
viel mit der postmodenen Befindlichkeit zu tun hat; und genau diesem Zusammenhang
will ich nachgehen.
3) Außer der erwähnten Polemik
von Barbara Duden hat mich auch die Lektüre des Artikels »Neulich,
als das Hakenkreuz keine Bedeutung hatte« (Morshäuser 1993) zu
diesem Aufsatz angeregt. Trotzdem teile ich mitnichten alle seine Positionen,
am allerwenigsten seinen affirmativen Bezug auf die »Nation«,
der in anderen seiner Publikationen zum Ausdruck kommt.
4) Siehe dazu die »verständnisvolle«
Besprechung Paglias von Dagmar Reese in den Feministischen Studien 1, 1994.
Zwar bemerkt sie: »Gegenüber denen, die in den Gegenständen
nur noch zirkulierende Zeichen erblicken, besteht sie (Paglia, R.S.) auf der
Faktizität sinnlicher Erfahrung und wissenschaftlicher Empirie und der
Integration der Natur- in die Geisteswissenschaften - vielleicht auch ein
Zeichen dafür, daß in die wohlfahrtsstaatlichen Industrienationen
in den achtziger Jahren jenes soziale Elend wieder eingebrochen ist, das bis
dahin erfolgreich in die Dritte Welt und in die Ghettos hatte verdrängt
werden können. Wo sichtbar wird, daß die multikulturelle Gesellschaft
nicht in der Idylle von französischem Wein und italienischer Pasta aufgeht,
sondern harte soziale Verteilungskämpfe impliziert, gewinnen materielle
Tatbestände neu an Gewicht. Die Schranken gesellschaftlicher Veränderbarkeit
werden bewußter, und in die unzähligen bunten kulturellen Nischen
der siebziger und achtziger Jahre fährt ein kalter Wind. Diese veränderte
politische Stimmungslage spricht aus den Büchern Camille Paglias. Die
Macht, die Camille Paglia der Körperlichkeit, der Biologie zumißt,
betont die Grenzen des politisch Machbaren« (Reese 1994, S. 126). Obwohl
Reese Paglias »zeitgeistige« Bedeutung ermißt, nimmt sie
sodann weitgehend inhaltlich Partei für sie. Reese ist für mich
ein gutes Beispiel dafür, daß der Ärger über die (de)konstruktivistischen
Ansätze nicht in der abstrakten Negation landen sollte, zu der frau wohl
Lust hätte. Stattdessen müßten beide Positionen in ihrer zeitgeschichtlichen
Identität und damit wechselseitigen Bedingtheit aufgezeigt werden. Dabei
käme es dann allerdings mehr darauf an, die »materiellen Tatbestände«
auf der richtigen Ebene, nämlich der ökonomischen und sozialen bzw.
ökologischen, in ihrer patriarchalen Gesellschaftlichkeit in den Blick
zu nehmen, anstatt sie ideologisch-reaktionär in eine aufgeblasene Geschlechtermetaphysik
fahren zu lassen bzw. für eine solche Position Verständnis zu zeigen.
Wird eine solche Kritik - wider besseres Wissen (siehe obiges Zitat) - unterlassen
und rezensiert frau Paglias Schriften als gar nicht so abwegig, dann arbeitet
frau dem rechtskonservativen Zeitgeist zu.
5) Wenn ich im weiteren manchmal auf Enzensbergers
Essayband »Aussichten auf den Bürgerkrieg« verweise, der
meines Erachtens in vielerlei Hinsicht wertvolle Einsichten bietet, so heißt
dies nicht, daß ich diesem Text in allen Punkten zustimme. Der Rückgriff
auf Annahmen der politischen Anthropologie z.B. steht selbstverständlich
meinen Auffassungen diametral entgegen. Auch die Ansicht, um noch ein anderes
Beispiel zu nennen, »die Deutschen« sollten sich ob des »molekularen
Bürgerkriegs« im Inneren hauptsächlich um sich selbst kümmern,
halte ich in mehrerlei Hinsicht für problematisch. Darauf kann ich hier
aber nicht weiter eingehen.
6) Mit dem Gebrauch des Adjektivs »transvestitisch«
ist bei mir natürlich keine diskriminierende Absicht gegenüber Transvestiten
verbunden; kritisiert werden soll damit aber sehr wohl eine theoretische und
politische Ausrichtung im Feminismus, die es nicht mehr für nötig
hält, die Infragestellung der Zwangsheterosexualität mit der Kritik
an der patriarchal-kapitalistischen Gesellschaft zu verbinden.
7) Meine Kritik an der »Entfremdung«,
vermittelt über die neuen Technologien/Medien, impliziert keine pauschale
Technikfeindlichkeit. Meiner Meinung nach besteht das Problem vielmehr in
der instrumentellen Nutzung von Technik/Medien in einem patriarchalen, warenproduzierenden
Kontext zu kommerziellen Zwecken und in den daraus resultierenden Wirkungen
auf die Subjekte. Dabei werden Technologien ganz unabhängig davon entwickelt,
ob sie den Menschen und einer historisch gewordenen Natur zuträglich
sind oder nicht (z.B. die Kernkraft). In diesem Sinne wäre zwischen verschiedenen
Technologien unter qualitativen Gesichtspunkten zu unterscheiden.
8) Mit dieser Kritik soll freilich nicht
einer »pfäffischen« Askesehaltung das Wort geredet werden.
Die Haltung, von der Schaad spricht, kann gewiß auch als Antwort auf
eine rigide »Szenemoral« und einen damit zusammenhängenden
Zwang zur »Männerunterhemdenästhetik« in der damaligen
Zeit gesehen werden. Freilich kann es z.B. auch Spaß machen und gewinnbringend
sein, sich zu schminken; dies findet jedoch nun einmal unvermeidlich in patriarchalen
Verhältnissen statt. Der Pfad zwischen der an sich sehr berechtigten
Forderung, auch selbstverständlich eine erotische Ausstrahlung haben
zu dürfen, und dem Zwang, eine erotische Ausstrahlung haben zu müssen,
um anerkannt zu sein, ist in der postmodernen Männergesellschaft für
Frauen schmal. Problematisch ist es deshalb, wenn der patriarchale Kontext,
die kommerzielle und immer noch androzentrische Gesellschaft, nicht mitreflektiert
werden und frau sich wirklich einbildet, sie mache dies nur für sich
selbst, und sie habe sich der patriarchalen Internalisierungen dabei schon
längst entledigt. Dann gibt sie sich mit dem postmodernen Stand der Emanzipation
zufrieden und behindert ihre eigene Entwicklung sowie gesellschaftliche Veränderungen
überhaupt; mehr noch, sie arbeitet damit vielleicht sogar der Rehabilitierung
alter Weiblichkeitsmuster, verbunden mit neuen Zwängen, und somit der
Fortsetzung des Patriarchats in neuem Gewand unkritisch noch zu. Anders wäre
es, wenn Männer gleichermaßen und ebenso selbstverständlich
»Schönheit«, erotische Ausstrahlung etc. wie Frauen für
sich reklamieren könnten, und zwar jenseits eines traditionellen Don-Juanismus
und eines postmodernen Dandytums, die sich nur diejenigen Seiten der »Weiblichkeit«
herauspicken, die ihnen passen, und ansonsten der alten patriarchalen Männlichkeit
treu bleiben, wie es heute nicht selten zu beobachten ist (womöglich
noch unterlegt mit dem Argument, schließlich habe ja auch jeder Mann
»das Weibliche« in sich und werde unterdrückt, weswegen Sexismus
und Frauenverachtung doch eigentlich gar kein Problem seien!). Auch wenn es
unbequem ist, derartige Ambivalenzen und das dabei entstehende Unbehagen müssen
ausgehalten werden; das damit verbundene Ungemach des »falschen Tons«
darf nicht verdrängt werden. Es gibt eben kein richtiges Leben im falschen,
wie Adorno schon wußte. Die Schwierigkeit, dieser Einsicht Rechnung
zu tragen, ohne ein rigides, kontraproduktives feministisches Über-Ich
zu installieren, das jeglichen Alltag unmöglich und unerträglich
machen würde, ist mir bewußt.
9) Es soll damit auf keinen Fall gesagt
werden, daß der Reproduktionsbereich frei von Anstrengung wäre
- im Gegenteil, gerade die Nichtbegrenzbarkeit von Tätigkeiten, »Gefühlen«
usw. in diesem Bereich befördert bekanntlich das Burn-out-Syndrom erheblich.
Dennoch handelt es sich bei der Erwerbsarbeit und den Tätigkeiten im
Reproduktionsbereich um jeweils verschiedene Handlungslogiken. Hausarbeit,
Kindererziehung usw. können deshalb mit dem Terminus »Arbeit«
meiner Ansicht nach nur unzureichend erfaßt werden (vgl. in diesem Zusammenhang
auch die feministische Kritik am Arbeitsbegriff, wenn er auf den Reproduktionsbereich
übertragen wird, bei Eckart 1988 und Klinger 1990, S. 115).
10) Enzensberger weist in dem schon erwähnten
Essayband auf die Wichtigkeit der Überlegungen von Hannah Arendt in dem
Klassiker »Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft« für
die heutige Zeit hin, vor allem, was die Bedeutung der »Selbstlosigkeit«
(im Sinne von Selbstverlust, nicht zu verwechseln mit der altruistischen Selbstlosigkeit)
angeht. Und in der Tat lohnt es sich, die Überlegungen von Hannah Arendt
zu »Egozentrismus«, »Selbstverlust« und zum Phänomen
der aus »atomisierten Individuen« bestehenden »Masse«
in der Zeit zwischen den Weltkriegen noch einmal nachzuvollziehen (Arendt
1986, insbesondere auch S. 510 f.). Dabei müßten allerdings auch
die Unterschiede zur heutigen Ego-, Ellbogen- und »Erlebnisgesellschaft«
der Postmoderne herausgearbeitet werden (z.T. tut dies Enzensberger 1993).
11) Diese Haltung der Besitzstandswahrung
war auch beim Frauenstreiktag zu spüren. So verständlich und berechtigt
eine solche Haltung in gewisser Weise auch ist, sie legitimiert eine Gleichgültigkeit
gegenüber dem Inhalt von Tätigkeiten und gegenüber der Natur
noch lange nicht. Meines Erachtens müßten sich Feministinnen gerade
auch seit dem Zusammenbruch des Ostblocks in viel stärkerem Maße
als bisher Gedanken darüber machen, wie die Zukunft unter qualitativen
Gesichtspunkten aussehen soll, anstatt fast ausschließlich eine Defensivpolitik
zu betreiben.
12) In diesem Zusammenhang ist vielleicht
auch die erstaunliche Karriere von schwarzer Popmusik, vor allem von Hiphop,
als Medien- und Theoretisierungsgegenstand (und eine auch damit einhergehende
»Popularität« von postmodernen Theorien) zu sehen, die von
bestimmten popkulturellen Szenen aus in die breite Medienöffentlichkeit
der neunziger Jahre gelangt sind. Insbesondere die verstärkte Auseinandersetzung
mit schwarzer Popmusik in radikaloppositionellen Szenen der Neunziger scheint
mir ein Indiz dafür zu sein, daß die Beschäftigung mit dem
»Nützlichen« (Kampf gegen den Rassismus) mit dem »Angenehmen«
(Musik, Tanz, Asthetik) verbunden werden soll. Eine Thematisierung von »Rassismus«
auf dieser Ebene ist allemal »geiler« als sich z.B. mit der schnöden
und traurigen Realität von verschiedenen Asylbewerberinnen und deren
Herkunftsländern auseinanderzusetzen, die vielleicht ganz und gar »ungeile«
Befürchtungen hinsichtlich der eigenen Zukunft aktivieren. Im Gegensatz
dazu sind die szenisch zusammengeschnittenen, mitunter fröhlich-hedonistisch
vorgestellten Ghettos »der« Schwarzen in »den USA«
viel leichter libidinös besetzbar (und damit auch »verdrängungsgeeigneter«).
Auf diese Weise läßt sich die »Achtzigerjahreparty«
sogar noch in bewußter Konfrontation mit Rassismus und Elend fortsetzen.
Diese Kritik soll natürlich nicht besagen, daß eine Auseinandersetzung
mit Rassismus nicht auch auf dem Wege der Beschäftigung mit schwarzer
Popmusik möglich ist; problematisch wird es aber, wenn dabei »das«
Ghetto »der Schwarzen« in den USA ästhetisch klischiert als
(kommerzieller) Genußgegenstand aufbereitet wird, und wenn die tatsächliche
soziale Wirklichkeit und das Elend in den Ghettos in den Hintergrund rückt
(wesentliches zu diesem Gedankengang hinsichtlich Popmusik-Rassismus-ästhetische
Zurichtung habe ich dem sehr lesenswerten Artikel »Sympathy for the
devil« von Günther Jacob 1994 entnommen). Vor allem diese modisch-postmoderne
Beschäftigung mit schwarzer Popmusik und die auch damit verbundene Beliebtheit
poststrukturalistischer Theorien scheint mir ein Schnittpunkt zwischen einer
neuen »falschen Unmittelbarkeit« einerseits und einer »falschen
Mittelbarkeit« (nämlich dem mitunter einseitigen Abdriften in die
poststrukturalistische »Theorie-Stratosphäre«) in den Neunzigern
überhaupt zu sein.
13) Die Notwendigkeit von Solidarität,
gerade auch dann, wenn frau nicht unmittelbar selbst betroffen ist, jenseits
von »tyrannische(r) Fürsorge, Bevormundung und insbesondere Objektivierung
der anderen«, und ein damit verbundenes Engagement, ist auch Thema des
Aufsatzes von Farideh Akashe-Böhme »Über die Dialektik von
Solidarität und Selbstbestimmung. Frauen in geteilten Welten«.
Dabei sieht sie auch, daß sich u.a. die »gesellschaftlichen Antagonismen
auch in der Frauenbewegung spiegeln«. Sie plädiert dafür,
»Probleme zunächst als partikulare ernst zu nehmen, um dann
aber zu sehen, in welcher Weise Frauen als Frauen besonders betroffen sind«
(Akashe-Böhme 1994, S. 98 bzw. 92, Hervorheb. im Orig.). Interessant
- und auch ermutigend - ist in diesem Zusammenhang ebenfalls, daß es
mittlerweile in den USA Diskussionen gibt, in denen nicht mehr nur die »Differenzen«
betont werden, sondern auch die Frage nach Gemeinsamkeiten gestellt wird (vgl.
Boetcher Joeres 1994).
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