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aus: KRISIS 15

Roswitha Scholz

DIE MASKE DES ROTEN TODES
Kasinokapitalismus, Frauenbewegung und Dekonstruktion

»Fürst Prospero aber war glücklich und furchtlos und weise. Als sein Land schon halb entvölkert, befahl er tausend gesunde und frohgemute Ritter und Damen seines Hofes zu sich, und mit ihnen zog er sich in die tiefe Abgeschiedenheit eines seiner befestigten Schlösser zurück. Dies war ein geräumiges und prächtiges Bauwerk, erschaffen nach des Fürsten eigenem überspannten, doch erlesenen Geschmack. Eine gewaltige, hochragende Mauer faßte es ein. Diese Mauer hatte Tore von Eisen. Nachdem sich die Höflinge hineinbegeben hatten, holten sie Schmelzöfen und mächtige Hämmer und schmiedeten die Riegel. Sie beschlossen, den plötzlichen Regungen von Verzweiflung oder Raserei von drinnen weder Eingang noch Ausgang zu gewähren. Das Schloß war reichlich mit Proviant versehen. Solcherart gerüstet, mochten die Höflinge der Ansteckung wohl Trotz bieten. Die Welt draußen konnte für sich selbst sorgen! Inzwischen wäre es töricht, sich zu grämen und zu grübeln. Der Prinz hatte alle Vorkehrungen zur Sinnenlust getroffen. Da waren Spaßmacher und Stehgreifdichter, da waren Ballettänzer und Musikanten, da war Schönheit, da war Wein. All dies und Sicherheit war im Schloß. Draußen war der Rote Tod. Es war gegen Ende des fünften oder sechsten Monats seines abgeschiedenen Daseins und als die Pestilenz am schlimmsten im Lande wütete, da lud Fürst Prospero seine tausend Freunde zu einem Maskenball von außergewöhnlicher Pracht«
(Edgar Allan Poe: Die Maske des Roten Todes)

Vorbemerkung

Dieser Text wurde im ersten Halbjahr 1994 geschrieben. Nachfolgendes Material und nachfolgende Diskussionen wurden nur punktuell und unsystematisch berücksichtigt. Es war ursprünglich nicht vorgesehen, diesen Artikel in der »Krisis« zu veröffentlichen, da er sich in erster Linie an ein Frauenbewegungs-Publikum richtet. Versuche, ihn (in einer kürzeren Fassung) in entsprechenden Publikationsorganen unterzubringen, waren zwar nicht ganz erfolglos; das Thema wurde als »wichtig« erachtet. Da eine feste Zusage jedoch noch aussteht und der Aufsatz auf aktuelle zeitgeistige Tendenzen Bezug nimmt (die Veröffentlichung also nicht auf die lange Bank geschoben werden sollte), habe ich mich dazu entschlossen, ihn erst einmal in der »Krisis« zu publizieren.
Obgleich der Text eine Kritik an bestimmten Strömungen der Frauenbewegung und neueren Tendenzen in der feministischen Theoriebildung/Forschung darstellt, kann er in vielerlei Hinsicht auch als Zeitgeistkritik generell gelesen werden, die auch neuere Strömungen radikaler Opposition miteinschließt (ich habe darauf gelegentlich hingewiesen). Es braucht wohl nicht extra darauf aufmerksam gemacht werden, daß es mindestens genauso viele (wohlstandschauvinistische) Fürsten Properos wie Fürstinnen Properas gibt, die im Mittelpunkt meines Räsonnements stehen.
Das erneute Auftreten der Pest in Indien als Folge von Modernisierungsprozessen hat der von mir metaphorisch als Anfangs- und Schluß-Motto verwendeten Erzählung von Edgar Allan Poe im nachhinein einen mehr als makabren Hintergrund verliehen. Ich habe mich gefragt, ob unter diesen Umständen ein Bezug auf »Die Maske des Roten Todes« nicht Wirkungen haben könnte, die meinen Intentionen diametral entgegenstehen (das betrifft vor allem implizite Ausgrenzungsbestrebungen gegenüber Nichtweißen bzw. Nichteuropäern). Nachdem diese Geschichte meines Erachtens jedoch bestimmte Facetten der postmodernen Befindlichkeit literarisch ausgezeichnet auf den Punkt bringt, habe ich mich schließlich doch dazu entschlossen, sie als »Aufhänger« meiner Thesen zu belassen.

Seit Ende der achtziger Jahre hat sich in in Frauenbewegung und feministischer Theorie einiges verändert. Prominente Konzepte im theoretischen Feminismus wie etwa der Marxismus, die Psychoanalyse oder auch der Ansatz der »Bielefelderinnen« sind in den Hintergrund gerückt, stattdessen traten diskurstheoretische und interaktionistische Ansätze ins Rampenlicht. Diese neueren Theorierichtungen werden nun in den Medien und bei den Frauenbewegten begierig aufgenommen. Es fragt sich, in welchem Verhältnis diese Neuorientierungen zu den (welt)gesellschaftlichen Veränderungen und Turbulenzen seit den achtziger Jahren stehen, und weshalb sich die konstruktivistischen Konzepte, bei gleichzeitiger Zunahme anthropologisch-biologistischer Deutungsmuster in der Gesellschaft, gerade seit
Anfang der neunziger Jahre so großen Interesses erfreuen. Auf diese Fragen versuchen die nachfolgenden Überlegungen Antworten zu finden, z.T. auf spekulative Weise, wobei auf die Motivation und Intention der »postmodernen« Subjekte und des »postmodernen« Publikums besonderes Augenmerk gelegt wird. Vor allem im Schlußteil meiner Überlegungen gehe ich sodann noch auf meines Erachtens fruchtbarere (theoretische) Perspektiven ein, als sie die konstruktivistischen Konzepte bieten. Deren Grundgedanken sollen jedoch zunächst einmal kurz dargestellt werden.
Vor allem Judith Butlers Buch »Das Unbehagen der Geschlechter« hat Furore gemacht. Sie kritisiert darin die bislang vorgenommene Unterscheidung zwischen »sex« und »gender«. Im Anschluß an verschiedene TheoretikerInnen, vor allem aber an Foucault, entwickelt sie eine Perspektive, die »sex« völlig in »gender« aufgehen läßt, da auch das »biologische« Geschlecht, ja der Körper überhaupt ein Diskursprodukt seien. Geschlecht und Geschlechtsidentität werden damit durch Bezeichnungsprozesse gesetzt, und Männlichkeit und Weiblichkeit sind kulturelle Konstrukte, denen durch die diskurstheoretische Dekonstruktion buchstäblich zu Leibe gerückt werden soll. Da für Butler »Geschlecht« nur eine performative, keine expressive Kategorie ist, d.h. sie (rituell immer wieder) dargestellt werden muß, sieht sie in einer internen Subversion des Geschlechterdualismus, wie sie in lesbischen und schwulen Subkulturen durch wiederholende parodistische Praktiken ihrer Meinung nach anzutreffen ist, einen Weg, die Geschlechtsidentität radikal unglaubwürdig zu machen (vgl. Butler 1991).
Auch die EthnomethodologInnen betrachten Männlichkeit und Weiblichkeit als kulturelle Konstrukte, wenngleich aus einer anderen Theorietradition kommend als Butler. Die eigene Kultur wird hier wie eine fremde betrachtet, um so den kulturellen Selbstverständlichkeiten im Alltag (und wie sich das Alltagsbewußtsein in Wissenschaft und Theorie niederschlägt) auf die Spur zu kommen. »Geschlecht« ist auch hier nicht etwas, was wir sind, sondern etwas, was wir »tun«. Auch ethnomethodologische Konzepte lassen »sex« gerne in »gender« verschwinden, da Geschlecht interaktiv als soziales Konstrukt hergestellt werden muß - es wird auch von »Interaktionsarbeit« gesprochen - und nicht bzw. nicht gänzlich aus der biologischen Verfaßtheit abgeleitet werden kann. Deshalb ist die Transsexuellenforschung ein beliebtes Feld der ethnomethodologischen Gender-Forschung.
Auf der wissenschaftlichen und theoretischen Ebene steht für manche Verfechterinnen dieses Ansatzes somit ebenfalls die »Dekonstruktion« des geschlechtlichen Klassifikationsvorgangs an, d.h. die binäre Grundstruktur muß in Frage gestellt werden. Politisch-praktisch hingegen tut sich dieser Ansatz schwer: Es bleibt nichts anderes übrig, als in gängiger Weise auf Differenz oder Gleichheit, je nach Situation, zu pochen, da es nun einmal eine reale Geschlechterhierarchie gibt, - obwohl beide Strategien gewissermaßen auf eine Realreifikation von Geschlechtlichkeit (im politischen Alltag) hinauslaufen, wie schon die Organisation der Frauenbewegung als Frauenbewegung überhaupt; letzteres gilt auch für das Konzept von Butler (vgl. Gildemeister/Wetterer 1992).
Es fragt sich nun, warum gerade seit Ende der achtziger Jahre die konstruktivistischen Gender-Konzepte einen Höhenflug in der bundesrepublikanischen Frauenforschung erleben. Ja man hat geradezu den Eindruck, daß diese Ansätze gleichsam eine Falltüre eingerannt haben, und das, obwohl für die ethnomethodologische Position in der Bundesrepublik noch 1992 eine »Rezeptionssperre« konstatiert wurde (Gildemeister/Wetterer 1992, S. 203). Dies kann kaum allein durch die überschwengliche Freude von großen Teilen der Frauenbewegung und -forschung erklärt werden, nun durch anspruchsvolle theoretische Konzepte krude Entwürfe der »Neuen Weiblichkeit« aus dem Rennen geworfen zu haben. Um nicht von vornherein falsch verstanden zu werden: Ich bestreite keineswegs, daß Geschlecht, Männlichkeit und Weiblichkeit, kulturell/sozial und historisch konstituiert sind und nicht unvermittelt aus den - womöglich noch ontologisch gesetzten - biologischen Gegebenheiten abgeleitet werden können (dazu später); problematisch erscheint mir vielmehr die derzeitige Hypostasierung kulturtheoretischer Fragestellungen bei weiten Teilen der Frauen- bzw. Genderforschung.
Gerade in den konstruktivistischen Ansätzen ist soziale Wirklichkeit nämlich nur noch insofern interessant, als sie sich auf die Frage nach der formalen »Herstellung von (Zwei-)Geschlechtlichkeit« bezieht, während in der Frauenforschung generell ökonomische, politische, aber auch gewisse sozialpsychologische Fragestellungen und eine damit einhergehende gesellschaftspolitische und -theoretische Ausrichtung an Bedeutung verloren haben. Damit korrespondiert eine Tendenz, daß das »gesellschaftliche Naturverhältnis, Armut und Ausbeutung in der Dritten Welt, Kriegs- und Friedenspolitiken (...) allenfalls als Spezialthemen einiger Expertinnen wahrgenommen (werden); sie sind nicht mehr kollektive Anliegen der Frauenbewegung« (Holland-Cunz, 1994, S. 25). Es scheint fast so, als würde in
den konstruktivistischen Ansätzen mit der Negation der »unschuldigen« Annahme einer physiologischen Differenz zwischen Männern und Frauen (aus der meiner Meinung nach keineswegs ein geschlechtsmetaphysisches überhistorisches Wesen folgt) die Kenntnisnahme beunruhigender (welt)gesellschaftlicher Probleme, die auch vor der eigenen Haustür nicht haltmachen, gleich miteskamotiert. Der hier außerdem sichtbar werdende »invertierte Biologismus« - »invertiert« insofern, als diese Konzepte anscheinend davon ausgehen, daß nicht einmal körperliche Unterschiede zwischen den Geschlechtern existieren dürfen, da diese notwendig soziale nach sich zögen (so Nagl-Docekal 1993 in Bezug auf das Butlersche Konzept) - könnte leicht durch seine Überspanntheit gewissermaßen diskursgesetzlich eine Gegentendenz anthropologischer oder biologistischer Sichtweisen befördern, die bereits jetzt im Zuge rechtskonservativer und rechtsradikaler Tendenzen im Schwange sind.
Gerade auch die massenhaften Kritiken, die mittlerweile als Reaktion auf Butler die Existenz des Körpers vehement einklagen, könnten dabei ein Durchgangsstadium zu einem neuen anthropologisch-biologistischen Denken sein, das in ein paar Jahren womöglich beim Mainstream des »Diskurses« wieder fröhliche Urständ feiert. Mitte der Neunziger hat sich die Stimmung in der Bundesrepublik zwar gebessert, nicht jedoch die strukturell-objektive Lage. Ein Dauerproblem wird z.B. auch in Zukunft die Existenzsicherung von Arbeitslosen sein. Es bleibt abzuwarten, wie sich dies dauerhaft auf die gesellschaftliche Gesamtatmosphäre auswirken wird. In den folgenden Überlegungen geht es mir weniger um eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den konstruktivistischen Konzepten, sondern es scheint mir überfällig, den zeitgeschichtlichen Bezügen und materiellen Hintergründen für ihre Blitzkarriere nachzugehen und sie in diesen Kontext zu stellen.


Jugend, Kasinokapitalismus und »(De)konstruktion«

Die Woche: Norman Mailer bezeichnete Sie in seinem großen »Esquire«-Artikel als »beste lebende Künstlerin«. Ihr Kommentar?
Madonna: Danke, Norman Mailer.

Die Woche: Er schrieb auch, daß ihn die Einrichtung Ihres Apartements abstieß, weil Mussolini sich dort wohlgefühlt hätte.
Madonna: Er dachte, er hätte mich damit beleidigt. Tatsächlich empfand ich es aber ebenfalls als Kompliment. Ich liebe faschistisches Design.

Die Woche: Ist das Ihr Ernst?
Madonna: Oh, ja! Ich mag auch faschistische Architektur.

Die Woche: Es gibt so viele Städte in Europa, die durch faschistische Bauten entstellt wurden (...)
Madonna: Nicht nur in Europa. In Mexiko gibt es einige wunderschöne faschistische Bauwerke.

Die Woche: Aber wie können Sie das Bauwerk von seiner Bedeutung trennen? Man kann sich so ein Gebäude doch nie ansehen, ohne nicht auch zu wissen, für was es steht.
Madonna: Ihre bestimmte Arroganz fasziniert mich. Mich ziehen viele Dinge an, die einen negativen Beigeschmack haben. Etwa Gewalt oder Brutalität. Andererseits faszinieren mich Romantik und Sentiment. Dinge genau entgegengesetzter Natur (von wegen, wenn der Faschismus/Nationalsozialismus betrachtet wird, R.S.). Ich glaube, es ist am besten, wenn man von allem etwas nimmt.

(Interview: Detlef Diederichsen. In: Die Woche Nr. 43/21. Oktober 1994).

Landwehr/Rumpf konstatieren, daß in Seminaren an der Universität vor allem junge Studentinnen sich von den neueren konstruktivistischen Ansätzen angezogen fühlen, im Gegensatz zu den älteren Professorinnen und Dozentinnen, und begründen dies mit dem anderen Erfahrungshintergrund der jüngeren Generation. U.a. auch durch die Existenz und den Kampf der Frauenbewegung hätten sich in den letzten Jahrzehnten die Geschlechterbeziehungen verändert. Diese würden von jüngeren Feministinnen nun nicht mehr in demselben Maß wie früher als Kampfplatz erlebt (vgl. Landwehr/Rumpf 1993, S.3 f).
Ich denke, daß diese Erklärung höchstens zum Teil zutrifft und entschieden zu kurz greift. Der Erfahrungshintergrund der jungen Erwachsenen, die heute an den Universitäten anzutreffen sind, ist der patriarchale Kasinokapitalismus der achtziger und neunziger Jahre, der noch bis vor kurzem buchstäblich rauschende Triumphe feierte. Er setzte sich aus Leo, der Prominentenparties besucht, Benettonklamotten, Thomas Gottschalk, RTL, Sat 1 usw. zusammen und nicht zuletzt aus einer fast im Konsumrausch kirre gewordenen Erwachsenenwelt, die nicht mehr nach Italien in den Urlaub fuhr, sondern ihn in den USA oder Australien verbrachte, die in Luxuslokalen das erlesenste Gericht und den teuersten Wein bestellte, die in jedem Zimmer ein Videogerät benötigte, die Kaviar- und Krimsektparties feierte usw., und all dies auch dann, wenn es der Geldbeutel keineswegs erlaubte. Die Talmi-Wirklichkeit wurde mit der Wirklichkeit überhaupt verwechselt. Entfremdung, Leiden und Empfindung wurden gerade in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre durch Medienspektakel, Yuppieboom und Luxusgehabe betäubt. Die »neue Oberflächlichkeit« bestimmte weithin den Zeitgeist, obwohl oder gerade weil das Ozonloch, der saure Regen, die »neue Armut« usw. immer mehr auf sich aufmerksam machten. Faktisch nahm die Gewalt gegen Frauen zu, und Frauen sind trotz guter Ausbildung und zunehmender Berufstätigkeit im Gegensatz zu den Männern bis heute vorrangig für Haushalt und Kinder zuständig. Dennoch fand sich in der Offentlichkeit die optimistische Einschätzung, daß Frauen unaufhaltsam »langsam aber gewaltig« kommen.
Diese Vorstellung erweist sich heute als Illusion, der realitätsfernen Talmi-Wahrnehmung der achtziger Jahre selbst geschuldet, die die Veränderungen der letzten Jahrzehnte überbewertete und sie schon fast fürs Ganze nahm. Die sogenannte »Frauenfrage« droht heute wieder zum »Nebenwiderspruch« zu verkommen, ob der sich zuspitzenden ökonomischen Krise und der Zunahme von Rassismus, Rechtsradikalismus und Nationalismus (vgl. »beiträge« 35, 1993). Darüber kann auch der konkurrenzorientierte CSU-Feminismus einer Mathilde Berghofer-Weichner nicht hinwegtäuschen. Schon längst dämmert es den ZeitgenossInnen, daß es doch nicht bloß die Medienwirklichkeit gibt, Fragen des Stils und des teuren Outfits. Die Mode der »neuen Bescheidenheit« und des »Morbiden« in den neunziger Jahren ist leider nicht mehr bloß Mode, hier wird vielmehr aus der Not eine Tugend gemacht.
Diese Entwicklung ist aber, was die feministische Theoriebildung angeht, noch nicht beim akademischen Feminismus angekommen. Ökonomische und soziale Problemlagen werden eher empiristisch und theorielos mit »ihren Auswirkungen auf Frauen« abgehandelt. So erleben Theoriekonzepte ä la Butler Hochkonjunktur, und es nimmt nicht Wunder, daß sich die im Kasinokapitalismus mit seiner Discowirklichkeit sozialisierte junge Generation emphatisch darauf bezieht; bietet dieser körperlose, subjektentleerte und die Wirklichkeit in letzter Instanz entwirklichende Ansatz doch ähnliche Betäubungs- und Eskapismusmöglichkeiten wie die Filme der neuen Fernsehsender und der Videoverleihe, allerdings dem Uni-Publikum angemessen in äußerst elaborierter Form. Er nährt mit seiner Bühnensprache - es wird von Inszenierung, Parodie, Maskerade u.ä. gesprochen - die Vorstellung von der Welt als einem mehr oder minder schönen Schein, wobei »bestimmte kulturelle Konfigurationen der Geschlechtsidentität die Stelle des >Wirklichen< (in Anführungszeichen! R.S.) eingenommen haben« (Butler 1991, S. 60).
Barbara Duden berichtet von ihren Erfahrungen mit jungen Studentinnen an der Universität: »Was mich besorgt, ist eine Studentin, mit der ich neulich sprach. Sie versucht dem Text Butlers Vertrauen zu schenken: weil er von einer Frau geschrieben ist und ihr, wie sie sagt, als Medizin dient, um ihr Unwohlsein in Alltag zusammen mit ihrer Körperlichkeit abzulegen« (Duden 1993, S.33, Anmerk. 12). Der Antrieb, gegen die keineswegs verschwundene Geschlechterhierarchie anzugehen, kann auf diese Weise verloren gehen. Da Männlichkeit und Weiblichkeit im Grunde als Fiktionen wahrgenommen werden, wird das »Unbehagen der Geschlechter«, vor allem aber das »Unbehagen an den Geschlechtern« womöglich gleich mitfiktionalisiert und somit schließlich eskamotiert. Gerade darin aber liegt das Gefährliche des Butlerschen Textes, besonders in der heutigen Zeit, wo sich die Emphase der bereits weitreichend als verwirklicht geglaubten Emanzipation selbst als Fiktion erweist. »Madonna« gar wird (zumindest was ihre Präsentation in den achtziger Jahren angeht) von manchen als »dekonstruktivistisches Wunder« gefeiert, das »Weiblichkeit« angeblich durch parodistische Darbietung und die damit verbundene provokativ zur Schau getragene Geldfixiertheit lächerlich macht und ad absurdum führt. Dabei drängt sich der Verdacht auf, daß viele allzu postmoderne Individuen in ihrem gestylten Alltag eher die Simulation simulieren als mit der zwangsgeschlechtlichen Realität zu spielen, der sie tatsächlich (ohne Anführungszeichen!) selbst noch unterliegen.
Theorien mit einer Fiktionalisierungsrhetorik scheinen postmoderne Jugendliche, deren Erfahrungshintergrund der überdrehte Partykapitalismus der achtziger Jahre ist, besonders anzusprechen. Deshalb kann es auch nicht einfach um ein »Wahr- und Ernstnehmen ... der theoriepolitischen Orientierungsinteressen der jüngeren Generation« gehen, wie Landwehr/Rumpf (1993, S. 4) dies fordern, denn diese Generation scheint zumindest zum Teil nicht gewillt zu sein, sich selbst ernst zu nehmen. Stattdessen müßten deren Interessen kritisch und ohne falsches Verständnis »wahr- und ernstgenommen« werden.
Ähnliches gilt für Butler selbst mit ihren theoretischen und politischen Clownerie-Strategien. Fairerweise muß jedoch gesagt werden, daß ihr Buch 1990 erstmalig erschien, noch weitgehend unbehelligt von den sich erst danach abzeichnenden epochalen Umbrüchen; und insofern ist es in der Tat bereits jetzt als Zeitdokument(1) der achtziger Jahre ernstzunehmen. Das gleichzeitig hochgekommene Konzept der Ethnomethodologie gibt es zwar nicht erst seit gestern; seine euphorische Aufnahme im Rahmen der Frauenbewegung in den neunziger Jahren kommt jedoch nicht von ungefähr und paßt in den aus den Achtzigern herübergekommenen Simulations-Zeitgeist. Zum Beispiel bedienen sich auch die ethnomethodologischen Konzepte teilweise einer Bühnensprache: es wird von »performance« (so etwa bei Goffman, wenngleich in anderer Bedeutung als bei Butler) und von Inszenierung gesprochen, und es wird im Prinzip von freiflottierenden Symbolen ausgegangen, die in der Interaktion Männer und Frauen erst zu solchen machen. Damit wird auch hier dem Eindruck der Fiktionalität Vorschub geleistet, auch wenn diese Ansätze immer wieder betonen, daß der Alltag aber auch wirklich »wirklich« und die symbolische Konstruktion in ihm unhintergehbar ist (somit die Butlersche Subversionsstrategie als verfehlt angesehen wird). Dies trifft selbst dann noch zu, wenn etwa »Gefühle« mit hereingenommen werden, da diese dann ebenfalls gleichsam bloß Ausfluß der »Konstruktion« sind und somit einen prinzipiell verschiebbaren und lockeren Charakter zu haben scheinen, z.B. indem sie bloß »als ein Ergebnis eigenen Handelns« begriffen werden (Gildemeister/Wetterer 1992, S. 247; vgl. auch Hagemann-White 1993, S.77)(2).
Meiner Ansicht nach ist jedoch insbesondere Butlers Konzept eine Hypothek der achtziger Jahre, als die auslaufende (wohlfahrtsstaatliche) Prosperität in den hochentwickelten Industrienationen bereits ihren Verelendungsschatten warf infolge von strukturellen und epochalen Verändungen auf dem gesamten Globus (z.B. Vertiefung der Kluft zwischen arm und reich in der sogenannten »Ersten Welt« und zwischen dieser und der »Dritten Welt«), und als sich eine rechtskonservative Wende - nicht nur in der Bundesrepublik - ankündigte, die seinerzeit allerdings noch niemand richtig ernst nahm. Butler als exponierte Figur ist damit gleichsam eine Art Fürstin Prospera, die den närrischen Rückzug von vielen in eine Scheinwelt »bezeichnet« und »symbolisiert«, wie er sich eben auch bei nicht wenigen Teilen der Frauenbewegung mit ihrer Emanzipationsillusion auf der vom Wohlfahrtsstaat gesponserten Institutionalisierungsinsel zeigte. Dieser Rückzug kann gleichzeitig auch mit einer Flucht in den unhinterfragten »schnöden Alltag« einhergehen, wie ihn sich die EthnomethodologInnen zum Gegenstand machen.
Besonders deutlich zeigt sich diese Haltung in der Simulanz- und Benettonjugend der achtziger Jahre. Bodo Morshäuser(3) schreibt: »Achtzigerjahrejugendliche ...hatten nicht das Ziel der Identität. Lieber orientierten sie sich an französischen Inspirationsphilosophen, die hundert Gründe nannten, warum das Subjekt vorbei und Geschichte sei. Mode wurden Simulationstheorien, in denen kein gesellschaftliches Subjekt mehr vorkam, sondern ferngesteuerte Steuerbürger, die sich anpassungssüchtig verhielten, ohne daß man es ihnen noch sagen mußte. Eine Maschine, die von selbst lief, wurde beschrieben. Gemeint war das, was in den Sechzigern und Siebzigern >Gesellschaft< hieß. Achtzigerjahrejugendliche machten den Begriff Identität und was mit ihm gemeint war lächerlich. Gleichzeitig entdeckten Rechte diesen Begriff als positive Metapher. (...) Die Symbole wurden (bei den Achtzigerjahrejugendlichen, R.S.) ihrer Inhalte beraubt und als Zeichen verstanden. Der Vorsprung dessen, der weiß, daß es ein Spiel ist, während die anderen reagieren, als sei es Ernst, war ein typischer Vorsprung des Achtzigerjahrejugendlichen gegenüber Älteren. Die sagten: >Das ist ja ein Hakenkreuz!< Jüngere daraufhin: >Das ist nur ein Hakenkreuz, nein, es steht nur für ein Hakenkreuz; ein frei verfügbares Zeichen, wer es ernst nimmt, ist selber schuld.< Ältere daraufhin: >Das ist wirklich ein Hakenkreuz!< Antwort der Jüngeren: >Dann hol dir einen drauf runter, wenn es dich so antörnt«< (Morshäuser 1993, S. 42f bzw. 44f; siehe dazu auch den obigen Interview-Ausschnitt mit Madonna, dem Star des »neuen Feminismus« und so mancher aus der »hedonistischen Linken«, die derartige Haltungen offensichtlich heute noch aufrechterhält). Kann das, was Morshäuser hier schreibt, nicht dem »Zeitgeist« nach auch auf das Konzept von Judith Butler und zum Teil auch der EthnomethodologInnen und deren eifrige Lektüre durch die jüngere Generation angewendet werden?
Zwar verspricht in gewisser Weise das Wort »Konstruktion« (gerade auch bei den verbliebenen »Restoppositionellen« der Gesellschaft) ähnlich wie die Termini »Verdinglichung« in den Siebzigern und »Lebenswelt« in den Achtzigern zum Wort der Neunziger-Dekade zu werden. Dennoch ist andererseits die Zeichenzeit (zumindest in ihrer »unschuldigen« Achtziger-Jahre-Variante) in den Neunzigern objektiv vorbei. Seit 1989 hat sich bekanntlich so allerhand verändert: die »Realität« als solche rückt wieder ins Bewußtsein und zeigt allzu deutlich, daß sie »wirklich« aus Fleisch und Blut besteht: in den vielfältigen Bürgerkriegen rund um den Erdball und in rassistischen und antisemitischen Übergriffen, die eben keineswegs bloß Medienereignisse darstellen. Die ökonomische Lage verschlechtert sich zusehends. Rechte, ethnonationalistische und fundamentalistische Tendenzen breiten sich aus. Die »Nation« feiert überall und besonders auch in Deutschland nach der »Wiedervereinigung« fröhliche Urständ.
In diesem Zusammenhang gewinnen auch »Männlichkeit« und »Weiblichkeit« wieder eine »inhaltsschwere« Bedeutung: Mittlerweile ist nach der albernen und überzogenen Feier der »Swinging Singles« allenthalben weinerlich vom Zerfall der Familie die Rede, und nicht nur der Ex-Präsidentschaftskandidat Heitmann wünscht sich die Frauen wieder an den heimischen Herd. Auch bei vielen ehemaligen Linken und Progressiven ist plötzlich anthropologisch-biologistisches Gedankengut zu finden. Damit verbundene ontologisiernde Grundannahmen u.a. hinsichtlich des Geschlechterverhältnisses sind schon längst kein Tabu mehr. Verwiesen wird dabei etwa auf die mißglückte Erziehung bei den Sprößlingen der 68er- und der Protestgenerationen danach, die als empirischer Beleg dafür dienen soll, daß eben doch nicht alles »gesellschaftlich« bedingt ist (so z.B bei dem mittlerweile vieldiskutierten Schneider 1993, S.139 f).
Daß bei den Eltern auch entgegen ihrer Intention unbewußt noch immer alte Geschlechtsfixierungen vorhanden sind, und die Kinder dies gewissermaßen osmotisch aufnehmen, bleibt in derartigen Argumentationen meistens außer Betracht. Ebensowenig wird reflektiert, daß auch sonst in der Werbung, in Filmen usw. (also auf der symbolischen Ebene) nach wie vor geschlechtstypische Bilder existieren, die ihre Wirkung nicht verfehlen dürften. Die Ignoranz in dieser Hinsicht ist umso bemerkenswerter, wenn man bedenkt, daß ansonsten Gewaltexzesse in den Medien und die Zunahme realer Gewalt durchaus in einen Zusammenhang gebracht werden. Und schon erhebt auch im Feminismus, dem es in den Nebelregionen des Sprachsystems mittlerweile schwindelig geworden ist, eine neu-alte Geschlechtermetaphysik ihr Haupt, indem z.B. der bereits in den Feuilletons vielbeachtete »lärmende Essentialismus« einer Camille Paglia als bedenkenswert begrüßt wird(4).
In nicht allzu ferner Zeit könnte es so vielleicht in biologistischer oder zumindest anthropologischer Diktion auch für den Mainstream (einer dann noch existierenden emanzipatorisch ausgerichteten Frauen- bzw. Genderforschung?) in der Theoriebildung heißen: Neulich, als Männlichkeit und Weiblichkeit keine Bedeutung hatten; analog zur Artikelüberschrift von Morshäusers Aufsatz: »Neulich, als das Hakenkreuz keine Bedeutung hatte«, also nur ein Zeichen war. Bekanntlich sind das rassistische und das misogyne Ressentiment eng miteinander verwandt (was natürlich nicht heißt, daß Frauen deswegen nicht rassistisch sind), und es darf erwartet werden, daß sich diese Verknüpfung in Zukunft noch mehr als bisher zeigt. Nicht nur an den massenhaften Vergewaltigungen in Ex-Jugoslawien (die mitnichten bloß »die Serben« begehen) wird dieser Zusammenhang heute ersichtlich. Bis es auch hierzulande soweit ist, könnte sich der Feminismus unter kräftiger Mithilfe des »Dekonstruktionsgebots« Butlerscher Provenienz selbst in die Luft gejagt haben, und dann wäre kein Widerstand mehr gegen biologistische Deutungen der Wirklichkeit und keine Politik gegen Sexismus, Rassismus und Antisemitismus gerade seitens jener Teile der Frauenbewegung mehr gegeben, denen an einer Kritik der Geschlechterpolarität gelegen ist. Paradoxerweise hätte die »Dekonstruktion« dann gerade demjenigen erneut zum Leben verholfen, gegen das sie einst in allzu überspannter Weise angetreten war, indem sogar die bloß physische Differenz zwischen Männern und Frauen nicht mehr sein durfte. Es wäre allerdings ebenfalls zu fragen, inwieweit konstruktivistische Konzepte nicht gerade auch Abgrenzungsbedürfnissen gegenüber »anderen Frauen« gelegen kommen (dazu später).
Gegenüber all den neuen und barbarischen Tendenzen in der (Welt-)gesellschaft strampelt der Butlersche Ansatz nur hilflos in der Luft und droht sich gegen sich selbst zu wenden. Schwule und Lesben, denen nach Butler vor allem die Rolle zukäme, das kulturelle System der Zweigeschlechtlichkeit im Spiel mit den Symbolen zu durchkreuzen, sind bekanntlich selbst Ziele rechtsradikaler Angriffe, und auch italienische Rechte machen z.B. massiv gegen Homosexuelle mobil, wie breit durch die Presse ging. Damit will ich nicht sagen, daß Schwule und Lesben nicht an die Offentlichkeit treten bzw. daß »Bi«-Anteile versteckt werden sollen - im Gegenteil, dies ist vielleicht gerade heute wichtiger denn je. Ich bezweifle aber, ob der vergagte Ansatz von Butler und die ihm entsprechende Strategie einer »Queer-Politik« in ihrer Oberflächlichkeit geeignet sind, an der zwangs-heterosexuellen und patriarchalen Realität mit all ihren Implikationen tatsächlich etwas verändern zu können. Ebenso kraftlos wirkt das interaktionistische Konzept (so bei Gildemeister/Wetterer 1992, S. 247 ff.), dessen politisch-praktische Vorschläge im Feminismus eher aufgesetzt wirken und nicht einmal eine Verankerung in der Theorie selbst haben, ja dieser geradezu widersprechen.
In gewisser Weise unterstützt unbeabsichtigt ein entkörpertes De-Konstruktionsdenken barbarische zeit»geist«ige Tendenzen sogar bzw. entspricht diesen. Es mag zunächst ungeheuerlich klingen, aber korrespondieren derartige Ansätze nicht gewissermaßen untergrund-wasserartig mit neueren »postmodernen« Formen von Jugendgewalt, hauptsächlich ausgeübt von männlichen Jugendlichen? Allenthalben wird in den Massenmedien davon berichtet, daß diese Gewalt keine Grenze mehr kennt: auch wenn der/die andere längst am Boden liegt und sich als Besiegte/r zu erkennen gibt, wird weitergeprügelt, bis Blut fließt. »Es gibt zahlreiche Täter, die das Gefühl haben, als seien sie >selbst< an ihren Handlungen eigentlich gar nicht mehr beteiligt. Es kommt ihnen so vor, als schlügen sie nicht wirklich andere tot, als sei das alles >nur Fernsehen<. In der Unfähigkeit, zwischen Realität und Film zu unterscheiden, erfahren die Theorien der Simulation eine absurde Bestätigung« (Enzensberger,1993, S. 69f.)(5).
Fast scheint es so, als würden diese Jugendlichen die Existenz des Körpers und seiner Empfindungen nicht mehr kennen und müßten sich gerade deshalb seiner in martialischen Aktionen versichern. Sie behandeln ihn tatsächlich so, als hätte er nur Zeichenqualität und als wäre er bloß ein Diskursprodukt, ohne physische und psychische Grundlage. Sicherlich entspricht so etwas keinesfalls der Intention konstruktivistischer Theoretikerinnen im Feminismus. Butler beschäftigt sich gar nicht mit den Veränderungen der sozialen Wirklichkeit durch neue Medien; ihr Ansatz ist allerdings meiner Meinung nach bereits Ausdruck und Effekt dieser Veränderungen, wenngleich auch keineswegs ausschließlich, weil das patriarchalisch-warenförmige Gesamt-Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse dabei in Rechnung gestellt werden müßte, das bei manchen offensichtlich Entwirklichungstendenzen hervorbringt.
In diesem Zusammenhang könnten auch die neuen biologistischen Tendenzen als Flucht aus einer durch Beschleunigungsprozesse im Zeitalter gigantischer Informationsnetzwerke fluide gewordenen Wirklichkeit (Virilio 1992), in der nichts mehr niet- und nagelfest ist, gedeutet werden; gewissermaßen als objektiver Gegenpol zur Butlerschen Theorie, die sich diese Fluidität unreflektiert und unkritisch gerade zu eigen macht. Daß bei Butler »Realität und Film« zusammenschnurren, kommt z.B. an folgender Stelle zum Ausdruck: »Die These, daß die Geschlechtsidentität eine Konstruktion ist, behauptet nicht deren Scheinhaftigkeit oder Künstlichkeit, denn diese Begriffe sind Bestandteile eines binären Systems, in dem ihnen das >Reale< und Authentische gegenüberstehen« (Butler 1991, S.60).
Butler betreibt hier eine Radikalfiktionalisierung von Wirklichkeit. Sie scheint wild entschlossen, mit der Realität radikal aufzuräumen, indem sich sogar noch der Schein als bloße Kehrseite der Realität gewissermaßen als Schein entlarvt. Demnach ist die Show dann nicht weniger wirklich als die Wirklichkeit und die Wirklichkeit nicht weniger künstlich als die Show, was heißt, daß in »Wirklichkeit« alles zur Show wird, wenn sich »wahr« und »falsch« in Luft aufgelöst haben. Somit ist dann letztlich auch die eigene »Show«-Strategie schon immer »legitimiert«. Butler bewerkstelligt dies, indem sie das Problem von »Realität« als uninteressant und irrelevant ansieht und es ihr dann nurmehr um die »Genealogie der Geschlechter-Ontologie« geht, und in diesem Zusammenhang um die scheinbare Natürlichkeit von Geschlecht und Geschlechtsidentität (wobei sie das »scheinbar« in der Formulierung tunlichst vermeidet, obwohl sie sodann von »Geschlecht und Geschlechtsidentität« als »regulierenden(n) Fiktionen« spricht (Butler 1991, S. 60 f.).
Ein »Trick« besteht auch darin, daß Butler das »>Reale< und Authentische« (siehe obiges Zitat) in eine Reihe stellt; daß etwas historisch real und dennoch nicht im ontologischen Sinn »authentisch« sein kann, ist damit ausgeschlossen (vgl. hierzu auch die Kritik von Lorey 1993 an Butler, im Anschluß an Foucault, insbes. S.16 ff). Bei der Lektüre des »Unbehagens« stellt sich bei der Leserin das Unbehagen ein: »Das bildest du dir alles nur ein. Aber dich - »dich» gibt es ja im Grunde auch gar nicht!«.
In beiden Fällen, bei der postmodernen Jugendgewalt wie bei dem Anklang, den konstruktivistische Konzepte besonders bei jüngeren Studentinnen finden, scheint sich ein allgemeiner gesellschaftlicher Trend zur Fühl- und Empfindungslosigkeit widerzuspiegeln, der sich auch in der Suche nach Abenteuern, Kitzel und Spaß in der »Erlebnisgesellschaft« (Gerhard Schulze) zeigt. Dieser Trend kann sich z.B. auch in der Teilnahme an transvestitischen(6) Maskenbällen äußern, und sei es auch nur am Schreibtisch.
Dabei wirken Butlers Ansatz und zum Teil auch derjenige der EthnomethodologInnen gleichzeitig auf fatale Weise beruhigend, sollte sich doch ein »Unbehagen« zeigen, was die in den 90er Jahren immergleichen Schlagzeilen des Tages angeht: Bürgerkriege, Umweltkatastrophen, Strahlenexperimente an amerikanischen Strafgefangenen und Behinderten, Jugendgewalt und antisemitische und rassistische Übergriffe gleich um die Ecke usw.? Macht nichts. Wie gut, daß Frau eigentlich gar keinen Körper hat, er nur Diskursprodukt und kulturelles Konstrukt ist, und dies für andere ebenso gilt! Und was die Gentechnologie angeht, da ist es ja nun wirklich nicht mehr so wichtig, ob es Männer und Frauen körperlich real gibt oder nicht. Auch wenn Männer und Frauen psychisch, physisch und sozial hergezüchtet werden wie Hollandtomaten, was macht das schon, die soziale Wirklichkeit ist eh immer bloß sozial/kulturell/diskursiv produziert. Und wem dies was ausmacht, der ist selber schuld. Wo ist denn da der Maßstab?


Die Ästhetisierung der Radikalopposition

Die Achtzigerjahrejugendlichen waren wohl die Vorhut: Postmoderne und konstruktivistische Theorien fanden in der Bundesrepublik erst Anfang der Neunziger vermehrt Anklang im akademischen Betrieb und in der Frauenforschung, die wohl jetzt endgültig zur Genderforschung mutiert. Ein Blick in die Kataloge von Fischer und Suhrkamp genügt dazu. Der Erfahrungshintergrund der Achtzigerjahrejugendlichen ist einer, in dem Erfahrungen durch immer weitere Medialisierung und Computerisierung (7), vor allem aber Kommerzialisierung der Gesellschaft in den Hintergrund gerückt sind bzw. zumindest nicht mehr zur Kenntnis genommen werden (wollen). Nicht ungern lassen sich nun - meiner Beobachtung nach - etliche (ehemalige) BewegungsaktivistInnen aus den noch existierenden Restmilieus der früheren Protestbewegungen, so auch der Frauenbewegung, von poststrukturalistischen Ideen ä la Butler und von den Ideologien der Achtzigerjahrejugendlichen anregen. Mittlerweile sind postmoderne Theorien ein mehr oder weniger dickes Standbein vieler Radikaloppositioneller in den 90ern überhaupt.
Symptomatisch hierfür ist auch das Erscheinen der Zeitschrift »Die Beute« seit dem Frühjahr 1994. Obwohl sich postmoderne Theorien, was ihre gesellschaftsverändernde »progressive« Kraft angeht, spätestens seit »Rostock« als nicht ganz unproblematisch erwiesen haben, wird hier noch einmal versucht, dem rechten Zeitgeist sozusagen im Gewand oppositioneller Zeitgeistigkeit ein peppiges »Trotz alledem« entgegenzusetzen. (Alt-)linkes und postmodernes Gedankengut werden dementsprechend gleichermaßen und in Kombination präsentiert.
Es fragt sich aber, ob die Haltung der oppositionellen Zeitgeistigkeit nicht unmittelbar den gegebenen gesellschaftlichen Verhältnissen entspricht, anstatt diesen ganz besonders raffiniert zu widersprechen: jedenfalls in einer Zeit der »Erlebnisgesellschaft«, des »Glücksspiels« und der Erfindung (von was auch immer: des »Politischen«, des »Pornographischen« und tausend anderer Dinge mehr), in der weithin das »Leben als Kunstwerk« (Michel Foucault) gilt, in der angenommen wird, daß jeder ein Künstler ist bzw. sein könnte (Joseph Beuys), und in der Theoriekonzepte Hochkonjunktur haben, die behaupten: »Wir alle spielen Theater« (Erving Goffman) und/oder den Menschen nach dem Motto »Der Mensch ist von Natur aus künstlich« (Helmut Plessner) sozusagen zum »Homo theatralicus« ontologisieren.
Zwar ist es mehr als löblich, wenn versteinerten altlinken, linksliberalen und feministisch-konservativen Positionen eine Absage erteilt wird; ob es sich allerdings empfiehlt, dies im Styling einer forschen und flotten Zeitgeistigkeit zu tun, bezweifle ich - zumal sich die Strategien der Überaffirmation, die ich gerade im Gesamtkonzept der »Beute« immer noch erkennen will, als eine Spielart der Achtzigerjahre-Opposition selbst als verfehlt, ja z.T. sogar als zynisch (siehe dazu ebenfalls den obigen Ausschnitt des Madonna-Interviews) und den gesellschaftlichen Verhältnissen als zuträglich erwiesen haben. Auch diese »Strategie« ist demnach schon Geschichte.
Andererseits ist »Die Beute« schon paradoxes Produkt dieser Erkenntnis, wenn sie z.B. die Überwindung der Kommunikationslosigkeit zwischen politischer und künstlerischer Oppositon in den Neunzigern anstrebt (vgl. »Die Beute« 1/1994, S. 7) und eine entsprechende Veröffentlichungspraxis betreibt. Insofern spiegelt sich in ihr das »unglückliche Bewußtsein« des oppositionellen Anspruchs im Epochenwechsel zum postsozialistischen Zeitalter (es sei ihr allerdings zugestanden, daß ein »glücklicheres« zu erreichen alles andere als leicht ist).
Aufs Ganze gesehen verliert sich »Die Beute« allerdings in den atmosphärischen Schwingungen des kasinokapitalistischen Universums, das sie noch linkshedonistisch veredelt, ohne ihm ernsthaft etwas entgegenzusetzen. Auf diese Weise nimmt sie - insbesondere auch habituell - am postmodernen Maskenball teil. Es scheint fast so, als sollte die in den Subkulturen der achtziger Jahre mitinitiierte Zukunft noch einmal eingeholt und in noch größerem Maßstab zelebriert werden, nachdem sie sich (auch in fragwürdigen Formen) verallgemeinert hat. Mit diesen Einwänden sollen hier keineswegs hedonistische Haltungen (wie auch postmoderne Theorien überhaupt) prinzipialistisch verworfen und pauschal verurteilt, wohl aber solche kritisiert werden, die mit ihrer Einbettung in einen protestantisch-vulgärhedonistischen Konsumkapitalismus - auch wider besseres Wissen - rechnen und daraus ideologischen, materiellen und auch »ständischen« Gewinn zu erzielen suchen. Ein derartiger Hedonismus droht sich dann gerade in den Neunzigern - entgegen seinem eigenen Anspruch - gegen sich selbst zu wenden; noch in der Radikalopposition lebt er so auf Kosten der »Anderen«, gegen deren Ausgrenzung er inhaltlich so energisch eintritt. In diesem Zusammenhang besteht auch die Gefahr, an einer mittlerweile grassierenden Ästhetisierung des Grauens und des Bösen (vgl. dazu den gerade in seiner Analyse einer Ästhetisierung des Schreckens erhellenden Aufsatz von Jacob 1994) in ökonomisch zunehmend prekär werdenden Zeiten mitzuwirken.
So schreibt auch einer, der sich wohl selbst im »Beute«-Dunstkreis bewegt und dort auch schon veröffentlicht hat, in einem anderen Zusammenhang (an dem nicht von ungefähr auch »Beute«-MacherInnen beteiligt waren): »Die >Boheme<, von der ich spreche, ist ein Segment des >neuen Kleinbürgertums<, das in sogenannten kreativen Berufen mehr oder weniger Geld verdient. Es lebt von seinem kulturellen Kapital (Geschmack, Ahnung, Wissen, Querköpfigkeit, gute Laune) und stemmt sich mit aller Kraft gegen eine Ent- und Umwertung dessen, was es angehäuft hat. Auch das spielt bei der Entstehung solcher Wohlfahrtsausschüsse (einem Zusammenschluß von linken Künstlern, Intellektuellen, Politgruppen angesichts der Rechtsentwicklung, R.S.) eine Rolle. Schließlich ist bei aller Begeisterung für die Selbstreflexivität solcher Ansätze (gemeint ist die Repolitisierung der linken Achtzigerjahre-Boheme-Szene, die zuvor die soziale/politische Dimension weithin unberücksichtigt ließ, R.S.) darauf zu achten, daß die Handlungsfähigkeit erhalten bleibt bzw. zustande kommt, die entsolidarisierten Kulturarbeitern nicht in den Schoß fällt. Die Betonung der Fähigkeit zu tanzen bei dieser und anderen Veranstaltungen, die Hans Nieswand >Jam-cum-Symposium< nannte, scheint mir fast überflüssig: Wenn sich aus diesen Wohlfahrtsausschüssen etwas entwickelt, dem man den komischen Namen >Bewegung< besser nicht gibt, dann wird man diesen Leuten das Tanzen wahrscheinlich als einziges nicht mehr beibringen müssen« (Diederichsen 1994, S. 21).
Freilich gibt es in Wirklichkeit ohnehin keine so schroffe Gegenüberstellung von Achtzigerjahrejugendlichen und »Älteren«, wie sie hier zu Darstellungszwecken angenommen wurde. Die »Älteren« haben die Simulationsatmosphäre ja selbst mitgestaltet: »Ich erinnere mich, wie plötzlich die Schminke wieder aufkam. Es muß in den späten Siebzigern gewesen sein, und der Mund sass nun mondän mitten im Gesicht, als käme er dauernd aus dem Kino: Frauenbewusste offerierten ihn provokant als eine Scham; das war frevelhaft und wirkte wie eine offene Wunde des verratenen Selbstverständnisses. Das wandelte in Sack und Asche. Das geschönte Frauenbild ging wie ein Seufzer der Erleichterung durch die Bewegung, weil die sich eine >weibliche Ästhetik< umsonst gewünscht hat, als praktikable Anleitung. Flugs sass das neue Weib, das aus der Werbung ewig lockt, wieder in den Seminaren und Parties ein« (Schaad 1993, S. 83).
Manche bildeten sich nun ein, durch »Eigenbesetzung«(8) der patriarchalen Bilder etwas anderes zu sein und feierten dies als Befreiung; ohne zu realisieren, daß damit auch »alte« zwangsidentitäre Momente (und entsprechende Gefühlslagen) freiwillig wieder übernommen wurden, wenngleich auch die konservativ-liberale Yuppie-Ära einen neuen »Frauentyp« verlangte, in dem der alte »aufgehoben« war und in dieser Amalgamierung neue (scheinbar frei gewählte) Zwänge sichtbar wurden: »Die Frau, die alles will« - wie es in der Eduscho-Werbung heißt, und die sich in der Realität permanent überfordert fühlt. Nicht umsonst wabert die Identitätsfrage im Feminismus (und bei den Frauen selbst) schon seit langem. Dennoch wurde noch vielfach, wie es in einem Beitrag der »Beute« durchaus zutreffend heißt, »die Anforderung an Frauen, vielfältig und flexibel, Mutter und Vater, Kumpel und Freundin, Geliebte und Kampfgefährte, Karriere- und Putzfrau in einer Person zu sein, als Teil der sexistischen Arbeitsteilung begriffen und zurückgewiesen. Heute hingegen könnte frau mit Butler glauben, hinter dieser Anforderung das Licht der Freiheit aufblitzen zu sehen« (Eichhorn 1994, S. 43).


Alt(frauen)bewegte nach dem Zusammenbruch des Ostblocks

Die »Design-Entwicklung«, von der Schaad spricht, und die insgesamt gesehen in den Achtzigern noch stark von »Inhalten« (Ökologieproblematik, Suche nach alternativen Lebensformen usw.) getragen war, erreichte Anfang der Neunziger einen gewissen Höhepunkt. Die neuen sozialen Bewegungen (Ökologie- Friedens-, Alternativ-, Frauenbewegung) stellten zwar noch eine zeitlang den Gegenpol zur Yuppieatmosphäre dar, wobei die achtziger Jahre aber »eher als ein Jahrzehnt des Tiefgangs (...) eines der Oberfläche (waren)« (Morshäuser 1993, S.41). Davon blieben die Bewegungsmilieus auch im Innern nicht unberührt. Vielleicht ist auch dies eine Konsequenz jener falschen Unmittelbarkeit, von der diese Bewegungen ohnehin schon immer geprägt waren.
Im Hintergrund stand dabei grundsätzlich immer noch das alte linke Theoriegebäude. Der Zusammenbruch des real existierenden Sozialismus Ende der achtziger Jahre und das Obsoletwerden der dazugehörigen Theorien schmerzte deshalb gar sehr und wollte betäubt werden. Der Kollaps des Marxismus machte die ehemaligen ProtestlerInnen erst einmal weitgehend mundtot und stürzte sie in eine Identitätskrise. Auch dies scheint mir ein Grund für die Beliebtheit von Theorien zu sein, die mit einer Fiktionalitätsrhetorik operieren: Der von der Geschichte überrumpelte postmoderne Biedermeier schlüpft eben zuhause nicht mehr nur gerne in die Pantoffeln und zieht sich in die nun als Wert neuentdeckte »Familie« und/oder überhaupt in die Privatsphäre zurück, er besucht auch gern Maskenbälle, zumal dann, wenn der Maskenball wie bei Butler auch noch als »politisch« verkauft wird und daher geschickt in die alte Bewegungsidentität mit den neuen postmodernen Biedermeierbedürfnissen integriert werden kann.
Selbst wenn sich die Achtzigerjahrebewegten und ihre UnterstützerInnen an den Universitäten, die die intellektuelle Begleitmusik lieferten, nicht selten schon selbst von marxistischem und sozialistischem Gedankengut entfernten, mehr oder minder diffus waren Bezüge darauf dennoch häufig zu finden. Der Verlust dieses gesellschaftstheoretisch-politischen Bezugssystems spielt offensichtlich bei dem seit Jahren beobachtbaren bzw. von manchen auch nur befürchteten »Siechtum des Westfeminismus« (so bei Thürmer-Rohr 1993, S.192), der wohl stark von »linken« Ideen (auch unbewußt) lebte, eine wichtige Rolle.
Dabei fällt besonders bei Butler auf, wie sehr sie in einigen zentralen Punkten indirekt dem Marxismus verhaftet ist. Dies hat auch Hilge Landwehr bemerkt: »Butlers theoretische Konzeption ließe sich als schlichte Umkehrung einer vulgärmarxistischen Lesart des Basis-Überbau-Modells beschreiben: Dort ist die Basis das Verhältnis des Menschen zur Natur, die jeweilige Arbeitsorganisation (bestimmt durch das Verhältnis von Produktivkräften und Produktionsverhältnissen), das alle anderen Verhältnisse der Form nach bestimmt. Bei Butler ist das, was vorher Basis war, nur noch Überbau des Überbaus: nicht mehr die Art, wie sich der Mensch ins Verhältnis zur Natur setzt, kann thematisiert werden, sondern in ihrer Perspektive dient die Konstruktion eines Naturbegriffs (in der Unterkategorie des Körpers) lediglich dem Verselbstverständlichen und Bestätigen der im Diskurs getroffenen Unterscheidungen. Diese - bzw. alle Formen der Repräsentation überhauptnehmen die Theoriestelle der >Basis< ein« (Landwehr 1993, S.16).
Bei Butler wird so nicht nur ein »invertierter Biologismus« sichtbar, sondern in gewissem Sinne auch ein »invertierter Marxismus«. Der »Wert als automatisches Subjekt« wird jetzt vom Sprachsystem und vom Diskurs-Gott verdrängt. Und selbst eine Art revolutionäres Subjekt ist zur Stelle: die schwulen und lesbischen Subkulturen sollen durch das institutionalisierte »Spiel mit den Identitäten« das kulturelle System der Zweigeschlechtlichkeit »aufmischen«. Ein »messianischer Zug«, was die Infragestellung der Geschlechtsidentität angeht, und »romantischere« Neigungen als sie bei Foucault festgestellt werden können, sind Butler so denn auch schon bescheinigt worden (Trettip 1992, S.77; Hirschauer 1993, S. 58). Daß dabei im Butlerschen Konzept ein Innenleben oder dergleichen faktisch storniert ist und letztlich doch nur der äußere Habitus zählt, spricht die Alt(frauen)bewegten an, wenngleich vielleicht ein diffuses Unbehagen zurückbleibt. Die gebrannten Kinder scheuen nun eben das Feuer und denken sich die Welt gern als Zeichen (wie es tendenziell auch ethnomethodologische Ansätze im Feminismus nahelegen), mit denen gespielt werden kann.
Butler integriert so in der (impliziten) abstrakten Negation geschickt einige Grundannahmen des Marxschen Konzepts - und dies weithin ohne geschichtsphilosophische Zumutungen (die Ex-Bewegten könnten so womöglich mit ihrer eigenen Biographie konfrontiert werden), die als Basistheoreme selbst noch die Diskurse der achtziger Jahre bestimmten, und sei es auch nur in der bewußten Abgrenzung. Diese Theoreme und der mit ihnen verbundene, nun schal gewordene Impetus stecken den blaßgewordenen (Ex-)bewegten offenbar (unbewußt) noch tief in den jetzt nicht mehr vorhandenen Knochen. Und was das Butlersche Konzept dabei besonders angenehm macht: Es tut all dies mit immensem und ernsthaftem Argumentationsaufwand in einer Art und Weise, die ins Unverbindliche führt, die »letztlich nur das Imaginäre der Realität« (Maihofer, zit. n. Lorey 1993, S. 21, Anmerk. 11) aufzeigt und so der RezipientIn den Eindruck vermittelt, daß die Welt aus Träumen und Schäumen besteht. Ihre deutsche Sekundantin Barbara Vinken hat tatsächlich einen Aufsatz geschrieben mit dem Titel »Der Stoff, aus dem die Körper sind« (Vinken 1993 a).
Ein wahres Antidepressivum also, wenn sich die feministischen Träume einer Gesellschaftsveränderung endgültig auch als solche erwiesen haben, die frau schon seit spätestens der zweiten Hälfte der achtziger Jahre im Institutionalisierungs-Alltag zu beerdigen begann, und wenn überdies die »Aussichten auf den Bürgerkrieg«, die drohende ökologische und ökonomische Katastrophe ängstigend wirken und der »molekulare Bügerkrieg« (Rechtsradikalismus, Jugendgewalt, Amokläufe u.ä.) sichtbar wird in nächster Nähe (Enzensberger 1993). Damit aber zeichnet sich jetzt schon ab, daß das Butlersche Konzept den Gang aller Marxismen und Ismen gehen wird, und daß sich die Annahme, die Realität sei schon immer bloß imaginär, selbst als imaginär erweisen wird. In einer in jedweder Hinsicht unsicheren Zeit flüchtet man/frau sich also nicht bloß in New-Age- und Psycho-Nischen, sondern auch in einer Art falschen Mittelbarkeit in einen esoterischen Poststrukturalismus, wo einem scheinbar niemand etwas kann.


Maskerade der Geschlechter und Entfremdung

Butlers Konzept tut den gesellschaftlichen Verhältnissen nicht weh, es lenkt den Protest in Bahnen, auf denen er sich selbst dementieren kann. Geschlechtsspezifische Benachteiligungen können mit diesem Konzept nicht mehr ernsthaft skandaliert werden. Insofern ist meines Erachtens gerade Butler gegen allen Augenschein zentraler Bestandteil des »Backlash«. Die Popularität Butlers lebt auch von der momentan beobachtbaren oberflächlichen Akzeptanz von Schwulen und Lesben in der Gesellschaft, die aber gleichzeitig mit einem Erstarken von autoritären Haltungen und kontrolltheoretischen Annahmen in Öffentlichkeit und Theorie einhergeht. Die derzeit moderne »Maskerade der Geschlechter« (Barbara Vinken), auch bei Heterosexuellen in den US-amerikanischen und europäischen Metropolen, sollte deshalb skeptischer aufgenommen werden, wie auch die teilweise Adaption jeweils gegengeschlechtlicher Symbolismen bei Männern und Frauen im Alltag insgesamt. Modelesben und Modeschwule können den Herrenanzug oder das »kleine Schwarze« schnell wieder ausziehen, wenn die Mode sich ändert - und das kann bekanntlich schnell gehen. Welche »Ältere« erinnerte sich nicht an das Schicksal so mancher Bewegungslesbe in den Siebzigern? Die Verwendung gegengeschlechtlicher Accessoires schützt ebensowenig vor Homophobie wie die gewohnheitsmäßige Fernreise und das Chinesisch-Essen-Gehen oder der Besitz eines Perserteppichs vor rassistischen Einstellungen bewahren.
Umso problematischer ist es, daß Butler derartige Haltungen theoretisch-suggestiv noch stützt. Mit ihrem Konzept versinkt sie bloß im transvestitischen »Nirwana des Geldes« (Kurz 1994) und affirmiert im Endeffekt den falschen Glitzer und Glamour einer weitgehend durchkommerzialisierten Welt, ohne die sich wieder verstärkende Diskriminierung von Frauen, Schwulen und Lesben wirklich anzutasten und gegen sie Widerstand zu leisten, verbunden mit dem politisch offensiven Ziel, die vorherrschende patriarchale Zwangsheterosexualität grundsätzlich zu erschüttern. Nicht nur Madonna erfüllt so das Butlersche Programm, sondern ebenso die völlig unreflektierte Medientravestie einer Mary, wenn sie für Zentiskonfitüre Werbung macht und so gesehen, da sie sich einem breiten Publikum als Fernseh-Ulk offeriert, den Gipfel Butlerscher »Subversionskunst« darstellt. Auch noch in postmodernen Zeiten ist es aber etwas anderes, wenn sie Meyer heißt und an der nächsten Haustür wohnt.
Entfremdung als Produkt patriarchal-zwangsheterosexueller Vergesellschaftungsmechanismen ist für Butler kein Thema. Entfremdung gerinnt bei ihr vielmehr zur Theorie, indem sie praktisch nur noch das Outfit, den Habitus, die Parodie, die Inszenierung usw. in der performativ-rituellen Dimension gelten läßt, anstatt sie kritisch ins Visier zu nehmen, was freilich dem postmodernen Geist prinzipiell widerspricht, dem eine clowneske Scheinauflösung der Geschlechterpolarität in der bunten Warenwelt genug ist. Besonders deutlich wird diese Tendenz auch an dem intellektuellen »Tutti-Frutti-Feminismus« der Butlerapologetin Barbara Vinken, die in den neueren Kreationen der Modeschöpfer das ironische Spiel mit den Geschlechterrollen bejubelt und genau in diesem Zusammenhang die »Maskerade der Geschlechter« in den Metropolen der westlichen Länder hochlobt (Vinken 1993 b).
Butler und Vinken interessiert es dabei von ihrer ganzen theoretischen Ausrichtung her einfach nicht, daß die geschlechtlichen Kulturmuster - auch bei den Parodierenden selbst - noch tief in der Psyche von Männern und Frauen verankert sind und dies auch in neuen Formen zum Ausdruck kommen kann. Das »Geschlecht« kann eben nicht wie ein Hemd gewechselt werden, wie es der Rezipientln nach der Lektüre des diskurstheoretisch- dekonstruktivistischen Ansatzes
erscheint, auch wenn Butler sich trotz aller inflationär gebrauchten Bühnensprache fast schon gewohnheitsmäßig in ihren Texten gegen voluntaristische Ausdeutungen verwahrt und auf die Notwendigkeit einer weithin entsubjektivierten institutionalisierten Praxis pocht. Aber auch in dieser Diktion ist Geschlechtsidentität nicht einfach bloß performativ konstituiert (vgl. auch Benhabib 1993 a, S. 107 ff.). Deshalb wäre es u.a. erforderlich, auf Konzepte in der psychoanalytischen Tradition mit gesellschaftstheoretisch-kritischer Absicht (z.B. Chodorow 1985; Benjamin 1990) zurückzugreifen, die momentan etwas in den Hintergrund gerückt sind, weil in ihnen Geschlechtlichkeit keinen ganz so fluiden Charakter besitzt wie es konstruktivistische Konzepte nahelegen, die dem Beliebigkeitsglauben des postmodernen Publikums mehr entgegenkommen.
Wenn sich auch die Familien- und Lebensverhältnisse in den letzten 30 Jahren verändert haben: Kinder bleiben in der Regel nach der Trennung/Scheidung beim mütterlichen Elternteil (der nun beide Elternfunktionen zu übernehmen hat), und der Vater rückt noch mehr in die Ferne, als dies in vorpostmodernen Zeiten der Fall war. Untersuchungen auf psychoanalytischer Grundlage, die den veränderten Lebenslagen Rechnung tragen (ohne dabei in das konservativ-modische Lamento über den Untergang der traditionellen Familie zu verfallen) wären gerade im Zusammenhang mit den neuen postmodernen Formen von Jugendgewalt notwendig, die immer noch hauptsächlich von männlichen Jugendlichen ausgeübt wird, und mit der Rolle von Frauen/Mädchen dabei (vgl. hierzu auch Meyer 1993).
In diesem Kontext und im Zuge einer allgemeinen Remaskulinisierung der Gesellschaft wäre auch die großangelegte Studie zur psychischen Disposition soldatischer Männer in der Moderne, Theweleits »Männerphantasien«, von heutiger Warte aus erneut zu rezipieren und dabei auch die Frage nach der leiblich-körperlichen Dimension zu stellen. Denn, so Theweleit in einem Taz-Interview: »Zu Fragen des Körpers und der >Geschlechterdifferenz< herrscht im Moment allerdings theoretische Funkstille im (groß)deutschen Raum« (Theweleit 1994).
Die Psychoanalyse war lange Zeit selbst an der Setzung der zwangsheterosexuellen Norm beteiligt. Mittlerweile gibt es jedoch Bestrebungen, Alternativen zu einer »Psychoanalyse in der Missionarsstellung« (Benjamin 1992, S.833) zu formulieren, die einer möglichen Vielfalt von sexuellen Orientierungen Rechnung tragen, ohne dabei jedoch in den Fehler zu verfallen, die tiefe Verwurzelung von Männer- und Frauenbildern in psychischen Tiefenschichten für nichtexistent zu erklären, wie dies in den konstruktivischen (auch bei ethnomethodologischen) Konzepten der Fall ist (mit Einschränkungen gibt hierzu Rauchfleich 1994 wichtige Hinweise). Zwar gibt es - just auch als Reaktion auf auf das entkörperte Konzept von Butler - inzwischen genügend Bemühungen, die körperliche Dimension wieder ins Spiel zu bringen, dies allerdings selbst oft nur wieder im Kontext eines neuen »Phänomenologismus« foucaultistischer oder eben phänomenologischer Provenienz, der nur an der Frage des »Wie« interessiert ist und in seinem positivistischen Reduktionismus die tiefenpsychologische Perspektive außer acht läßt (vgl. dazu z.B. die einschlägigen Aufsätze in den Feministischen Studien 2,1993).
»Entfremdung« wird aber auch im ethnomethodologischen Ansatz geradezu zur Methode: Die Entfremdung in der eigenen Kultur, den hochentwickelten Industrienationen, wird in Form der Verfremdung durch den (vermeintlich) äußeren Blick instrumentalisiert. Der eigene Alltag erscheint jetzt auf der Leinwand und wird »vorgeführt«. Er wird qua Methode in ein unwirkliches Licht getaucht und soll somit auch »talmihaft« wirken. So wird auch hier letztlich mit dem »Kinoeffekt« gearbeitet. Diese Exotisierung des Alltags und des eigenen »Seins« wird durch die Betonungs des »Tuns« selbst bei im Alltag automatisch ablaufenden Identifikationsvorgängen und damit verbundenen emotionalen Abläufen noch verstärkt, was der Sprache nach den Eindruck der Äußerlichseins vermittelt. Und diese Veräußerlichungen und das damit zusammenhängende Fiktionalisierungserlebnis gefallen den Achtzigerjahrejugendlichen und Altbewegten nun natürlich gar sehr, wird doch auch dadurch der Anschein von Beliebigkeit gewonnen und die Möglichkeit zur Maskerade gewittert.
Nicht nur bei Butler, in einer subjektlos-strukturalistischen Perspektive, sondern insbesondere im ethnomethodologischen Ansatz muß handlungstheoretisch fundiert auf einer mikrosoziologischen Ebene unentwegt »getan«, »gemacht«, »hergestellt« u.ä. werden. Der vielen »Arbeiten« in der Frauenforschung nicht müde (Hausarbeit, Gefühlsarbeit, Beziehungsarbeit) kommt hier noch eine weitere »Arbeit« hinzu (wenn dem »Materialismus« eine Absage erteilt wird, dann hier bestimmt nicht!): die Interaktionsarbeit, die beim »Doing gender«, auch wenn es unbewußt abläuft, geleistet werden muß (weitere Anregungen: wie wär's mit Atmungsarbeit, Verdauungsarbeit, Schlafarbeit usw., die ewge Seligkeit wäre frau beim Protestantengott dann gewiß sicher!). Man könnte schon fast den Eindruck gewinnen, daß nach der strukturellen Verknappung der Erwerbsarbeit in den letzten Jahren nun in anderen Bereichen Himmelsanrechte erworben werden müßten in der bundesrepublikanischen Frauenforschung. Auch dies sagt den Altbewegten sehr zu, waren sie doch jahrelang bemüht, die weibliche Reproduktions»arbeit« in den Marxschen Ansatz einzubauen, für den »Arbeit« das Gattungsmerkmal schlechthin darstellt(9).
Die Herstellungsemphase der Ethnomethodologie erinnert tatsächlich in vielem an die industrielle Produktion, die sogar noch auf automatisch ablaufende Prozesse übertragen wird. Nebenbei gesagt: damit wird auch der Anspruch konterkariert, die eigene Kultur aus dem Blickwinkel einer fremden zu betrachten. Bekanntlich haben/hatten keineswegs alle nichteuropäischen/vormodernen Gesellschaften einen derartigen »Aktivitätsfimmel« wie die westliche. Dieser mußte ihnen vielmehr nicht selten gewaltsam okroyiert werden (vgl. Gronemeyer 1991). Die Ethomomethodologie fühlt sich aber der Sprache nach offensichtlich der protestantischen Ethik verpflichtet, die für die Herausbildung kapitalistischer Strukturen in der christlich-abendländischen Kultur zu einer Zeit eine wichtige Rolle spielte, als sich nicht zufällig das moderne System der Zweigeschlechtlichkeit gleichermaßen herauszubilden begann. Deshalb stünde gerade einmal die »Dekonstruktion« der ontologisierten »Arbeit«, des ewigen »Tuns« und »Machens« als eines historisch-kulturell gewordenen Fetischs an, der von einem begrenzten kulturellen Einzugsbereich ausgehend eine fatale, in der Menschheitsgeschichte beispiellose Wirkmächtigkeit erhielt und in einen zerstörerischen Machbarkeitswahn ausartete.
Die oberflächliche Distanzierung vom Alltag tut der postmodernen RezipientIn dieses Ansatzes allerdings gut in einer Zeit, in der die weltgesellschaftlichen Entwicklungen diesen Alltag auch in den hochentwickelten Industrienationen nicht mehr wie bisher verschonen. Dabei kann die Distanzierung vom Alltag paradoxerweise einhergehen mit der gleichzeitigen Flucht in ihn: Es soll Leute geben, die schon längst die alltägliche Zeitungslektüre verweigern. Gewinnt man bei Butler den Eindruck, daß sie die Medienwirklichkeit mit der Wirklichkeit schlechthin gleichsetzt, so hat die Lektüre des interaktionistischen Ansatzes den umgekehrten Effekt: dort wird der Alltag schon qua Methode mediatisiert. Am Ende kommt das Gleiche heraus: die Welt wird zum Kino.
Demgegenüber ginge es darum, Entfremdung zu kritisieren, ja ihre Erfahrung und das »Leiden« daran überhaupt erst wieder zuzulassen, anstatt sie auch noch zur Theorie bzw. zur Methode gerinnen zu lassen. So konstatiert z.B. Elisabeth List: »Moderne professionelle Arbeit - nicht nur im Wissenschaftsbetrieb und in der Wirtschaft, sondern auch im Bereich Architektur und Planung - setzt die traditionelle Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern, insbesondere die Zuständigkeit von Frauen für die Sorgen des Alltags, noch immer als Selbstverständlichkeit voraus. Ihr unreflektierter Androzentrismus - so ließe sich die feministische Kritik resümieren - ist die Ursache nicht nur der Geschlechterblindheit der modernen Wissenschaftskultur, sondern auch ihrer Lebensweltvergessenheit, ihrer Verleugnung von Kontingenz und Leiblichkeit als wesentliche Momente der menschlichen Lebenssituation« (List 1993 a, S. 140).
Diese androzentrische Leib- und Lebensweltvergessenheit führt schließlich auch über die darüber wiederum vermittelten patriarchalen Vergesellschaftungsmodi Kommerzialisierung, Computerisierung, Mediatisierung etc. offenbar zumindest teilweise zu einer Auflösung des Realitätsbewußtseins und -empfindens. Es kommt zu einem »Prozeß der Fiktionalisierung von Wirklichkeit«, wie Axel Honneth (der dabei gleichzeitig die postmodernen Sozialtheorien kritisiert) im Anschluß an Baudrillard feststellt, und es kommt zu einer »Zerstörung der kommunikativen Infrastruktur der Lebenswelt«, die mit Individualisierungstendenzen einhergeht (Honneth 1994, S.14 ff.). Derartige Entwicklungen lassen in jüngster Zeit auch den Feminismus und die feministische Theorie nicht unberührt, wie die konstruktivistischen Theorien und ihre breite Rezeption zeigen, ohne daß deswegen die hierarchische Geschlechterordnung als gesellschaftliches Basisprinzip aus den Angeln gehoben worden wäre; diese wird eher sogar noch mitfiktionalisiert.
In diesem Zusammenhang verdienen noch andere Aspekte als die bisher behandelten zur Erklärung der Popularität konstruktivistischer Konzepte Beachtung: es ist auffällig, daß diese Konzepte ausgerechnet in den ersten Jahren der Neunziger-Dekade der theoretische Renner in der Frauenbewegung waren, parallel zu den rechtsradikalen Gewaltserien, die die Medien beherrschten. Dies ist möglicherweise darin begründet, daß die vielbeschworene Ego-, Ellenbogen-
und Erlebnisgesellschaft gerade zu diesem Zeitpunkt ihre vorläufige Zuspitzung erfährt, im Zuge der verstärkten Propagierung neoliberaler Politik und Ideologie seit 1989. Vor allem Butlers Konzept stellt so gesehen den Höhepunkt der »Befreiung im Singular« dar, einer Tendenz, die der weißen Frauenbewegung schon vor einigen Jahren bescheinigt worden ist (Thürmer-Rohr 1990). Denn obwohl Butler dies von sich weisen würde, setzt sie in ihrem Konzept stillschweigend einen »ästhetischen Begriff ... der individuellen Freiheit« voraus, dessen Anwendung Honneth bei postmodernen Sozialtheorien generell feststellt, und der die »spielerische Entfaltung individueller Differenzen« und somit auch das Spiel mit den Geschlechtsidentitäten erst ermöglicht (Honneth 1994, S. 15 ff.). Es ist zu vermuten, daß die postmoderne RezipientIn des Butlerschen Textes insbesondere auf diese unterschwellige Botschaft reagiert. Bei Butler äußert sich die »Befreiung im Singular« auch darin, daß sie den Bezug auf die Kategorie »Frau« in der Dekonstruktion theoretisch zu verunmöglichen trachtet (wie übrigens auch Gildemeister/Wetterer 1992): »Meiner Ansicht nach müssen die Risse zwischen und unter den Frauen gerade geschützt und aufgewertet werden, ja, man sollte diese ständige Spaltung als grundlosen Grund der feministischen Theorie sogar bejahen« (Butler 1993, S.50).
In der Dekonstruktion des Subjekts und der Zweigeschlechtlichkeit, bei der die Konstitution des Selbst keine Rolle spielt und das »Ich« nurmehr eine Rand-»Existenz« führt (siehe dazu die Kritik an Butler von Benhabib 1993 a, S. 107 ff.), findet beim postmodernen Publikum so betrachtet scheinbar paradoxerweise die höchste Feier des Egos statt. Selbst»verlust« und eine radikale Ichbezogenheit gehen Hand in Hand wie bei der (rechten) Gewaltjugend, wenn auch freilich auf jeweils andere Weise(10). Vor diesem Hintergrund gewinnt frau unweigerlich auch den Eindruck: die Welt kann untergehen, die Fürstinnen Prosperas der weißen Frauenbewegung befassen sich in der ersten Hälfte der Neunziger intensiv mit ihren Egos, wie die heftige Resonanz auf die konstruktivistischen Konzepte bezeugt; auch wenn andererseits auf der empirischen und praktischen Ebene konstatiert wird, daß die Handlungs»spiel«räume ob der ökonomischen Krise geringer werden. Beides fällt ja auch zusammen im Bestreben nach »individueller Autonomie«. Die gleichzeitig stattfindende Auseinandersetzung mit dem eigenen Rassismus in der (weißen) Frauenbewegung spätestens seit 1989 findet dabei bezeichnenderweise häufig nur aus dem Blickwinkel der Wahrung und Achtung der »Differenzen« statt.


Dekonstruktion und (Ethno-)fundamentalismus

Konstruktivistische Konzepte gelten für gewöhnlich als »rassismusgefeit«, ja mit ihnen wird sogar die Künstlichkeit der Kategorie »Rasse« selbst nicht selten nachgewiesen; sie scheinen für den Nachweis des »Unsinns« kollektiver Identitätsvorstellungen besonders geeignet zu sein und stehen für »den Antifundamentalismus« schlechthin. Im obigen Zitat von Butler wird jedoch deutlich, daß das Beharren auf einem identitären Fundamentalismus (sowohl individuell als auch von verschiedenen Frauengruppen) unabdingbare Voraussetzung ihres dekonstruktivistischen Ansatzes ist. Denn bloß wenn individuell und kollektiv auf eine »prinzipielle Andersartigkeit« gepocht wird, ist Butler dazu in der Lage, allen die Zunge herauszustrecken und zu sagen: Seht ihr, die universelle Kategorie Frau gibt es eben gar nicht! Nur so verliert der Terminus »Frauen« seine fixierte Gestalt und wird in Butlers euphemistischer Terminologie »in einen Schauplatz ständiger Offenheit und Umdeutbarkeit (verwandelt)« (Butler 1993, S. 50).
In der gegenwärtigen gesellschaftlichen Lage bedeutet dies allerdings eher, daß vor allem ethnofundamentalistische Konflikte und der »molekulare Bürgerkrieg« sogar noch angefeuert werden, wenn ausschließlich »Differenzen« herauspräpariert werden dürfen und Gemeinsamkeiten geradezu als Bedrohung erlebt werden - wobei es sicher etwas anderes ist, ob die »Erniedrigten und Beleidigten« auf ihre »ethnische Differenz« pochen oder etwa die deutsche Rechte. Die Einigung auf eine überindividuelle bzw. interfraktionelle gemeinsame Grundlage sieht Butler, die selbstredend einen »demokratischen« Anspruch hat, in ihrem maßstabslosen Konzept im Grunde gar nicht vor, würde diese doch »diskurslogisch« nur wiederum Protest hervorrufen; vielmehr soll der Terminus »Frauen« bei ihr in letzter Instanz im beständigen Diskurs selbst ad absurdum geführt werden. In gewisser Weise lebt ihr Antifundamentalismus also geradezu vom Fundamentalismus, der sich »spielerisch« immerzu selbst widersprechen soll.
Gleichermaßen ist das interaktionistische Konzept auf die »Konstruktion« der Anderen als »ganz Andere« dringend angewiesen: »Die Minangkabau auf Sumatra, die Hopies im Südwesten der USA, das balinesische Volk sind vielzitierte Beispiele für Kulturen mit einer Geschlechterordnung, die nicht auf der Dominanz der Männer beruht. Interessant sind auch Kulturen, in denen nicht nur zwei, sondern mehrere Geschlechterkategorien unterschieden werden, zwischen denen die Menschen auch wechseln können (...) Wenn wir (...) Mann- und Frau-Werden als Produkt von Sozialisation, also einer symbolisch-sprachlichen Aneigung der Zweigeschlechtlichkeit, in unserer Gesellschaft ansehen, dann können wir uns von den vorgegebenen Mustern und Modellen der Geschlechterdifferenz distanzieren, können nach Alternativen Ausschau halten« (Brück u.a. 1992, S.89; vgl. dazu ähnlich Gildemeister/Wetterer 1992, S. 208).
Es kann hier nicht darum gehen, eine absolute Gleichförmigkeit der Geschlechterbeziehungen zu allen Zeiten und rund um den Erdball zu behaupten. Ebensowenig soll ein partikularer Erklärungswert von konstruktivistischen Konzepten für die feministische Theoriebildung bestritten werden, sofern diese sich nicht allein auf das kulturalistische Paradigma beruft. Tut sie dies aber dennoch, so droht in der überspannten historistischen und kulturrelativistischen Perspektive die Radikalexotisierung der »Anderen«. Offensichtlich wird eine solche Tendenz in dem Zitat von Brück u.a., indem theoretisch das sprachliche Symbolsystem in kulturrelativistischer Sicht zur Basis genommen wird (auch Butler sieht die sprachliche Praxis als maßgeblich für die Geschlechterkonstitution an; auf die Unterschiede in beiden Konzepten kann hier jedoch nicht eingegangen werden). Nur auf diese Weise und durch die damit zusammenhängende Hintergrundannahme einer »schon immer« prinzipiellen Anders»heit« der Anderen wird in ethnomethodologischen feministischen Ansätzen die heiß ersehnte Möglichkeit einer Distanzierung von den hiesigen Geschlechtsrollenmustern für die weiße Fürstin Prospera und die Suche nach Alternativen erreicht. Ausgeblendet bleibt dabei, daß eine derartige Distanzierung in nicht-modernen Gesellschaften (und nicht nur in ihnen) gar nicht möglich ist und gar nicht zur Disposition steht wie in manchen gesellschaftlichen Sphären der hochindustrialisierten Länder. Wie weiland die Befreiungsbewegungen in der »Dritten Welt« von der »neuen Linken« in den Siebzigern und die »Menstruationshütte« von differenzorientierten, rückwärtsgewandten Strömungen im Feminismus Anfang der achtziger Jahre für ihre Zwecke benutzt wurden, so instrumentalisiert nun die weiße Fürstin Prospera der neunziger Jahre die »Anderen« im interaktionistischen Zugriff wieder einmal für ihre Ziele.
Dementsprechend findet sich in den Neunzigern kaum noch eine Diskussion zum Thema »Geschlechterdifferenz«, in der nicht einer/eine aufsteht und eine »fremde Gesellschaft« oder einen »fremden Stamm« aus dem Sack holt, bei denen sich aber auch wirklich alles »ganz anders« verhält, um den postmodernen Beliebigkeitsmythos zu untermauern. Zeitgerecht findet dabei eine Radikalexotisierung der »Anderen« jedoch nicht mehr durch Naturalisierungen statt, wie sie seit dem 18. Jahrhundert immer wieder betrieben wurden, sondern durch eine mittlerweile häufig konstatierte »Kulturalisierung des Sozialen« in der Gesellschaft und den dazugehörigen Sozialwissenschaften überhaupt. Um die radikale Bedeutungslosigkeit des »kleinen Unterschieds« zu behaupten, muß der »große kulturelle Unterschied« her. Auch wenn die Intention eine andere ist, objektiv liegen derartige Ansätze so mit kulturellen Differenzannahmen, wie sie auch bei der »neuen Rechten« anzutreffen sind, im Trend. Gewiß: ein gewaltiger Unterschied (neben anderen) zwischen rechten und feministischen Konzepten liegt natürlich darin, daß ein ontologisierendes Verständnis von »der Frau« im dekonstruktivisttschen Feminismus gerade bekämpft wird. Nichtsdestoweniger verficht die weiße Fürstin Prospera mit ihrem Dekonstruktionsbegehren aber nicht minder eurozentrisch-westliche Interessen.
Es ist bezeichnend, daß Konzepte einer (mitunter ontologisierten) »neuen Weiblichkeit«, die in den Achtzigern die Mainstream-Diskussion dominierten (und meines Erachtens ebenso zu kritisieren wären, was allerdings nicht Thema dieses Artikels ist) in den Neunzigern nicht viel Kredit haben. Wie ist das möglich? Für gewöhnlich wurden gerade diese Ansätze mit der »neuen Rechten« in Verbindung gebracht. Nach dieser Logik hätte die »neue Weiblichkeit« im Feminismus der Neunziger erst recht eine zentrale Rolle spielen müssen. Während »Konkret« bei den Vorbereitungen zu dem Kongreß »Was tun« vom Sommer 1993 die wohl eher rhetorisch gemeinte Frage »Die deutsche Frauenbewegung, ein etwas anderer BDM?« stellte (die später wieder verworfen wurde), erlebten die konstruktivistischen Konzepte aber ausgerechnet im selben Jahr, in dem auch die rassistischen Gewaltserien nicht mehr abrissen, ihren Durchbruch in der Bundesrepublik und fanden breite Resonanz. Und schließlich gelten sie mittlerweile in der (gerade auch postmodern-feministisch orientierten) Linken als der »letzte Schrei« überhaupt, versetzt mit etwas marxistischem Materialismus etwa Alterhusserscher Provenienz.
Vielleicht aber ist die neue Dirndl- und Trachtenjankermode und die Ein»gemeindung« dekonstruktivistischer Konzepte, die als »typisch amerikanisch« gelten, gar kein so großer gesellschaftlicher Widerspruch, wie es zunächst erscheint? Schließlich kann mit derartigen Ansätzen in Krisenzeiten auch Ab- (und Ausgrenzungs-?) Bedürfnissen der weißen und deutschen Frauenbewegung, die bislang selber im großen und ganzen bloß formale, partikulare und punktuelle Erfolge erzielt hat, gegenüber »den anderen Frauen« entsprochen werden. Unter diesen Umständen schlägt sich selbst so manche kopfwiegend eher zur »Differenz« neigende Feministin unbewußt (!?) strategisch auf die Butlersche Seite; schließlich entspricht ihre Differenzvorstellung ja auch nicht mehr ganz dem der altmütterlichen Schürze. Womöglich kommen die neuen konstruktivistischen Konzepte aus »den USA« dem neudeutschen Interesse an defensiver Besitzstandswahrung, das von einer tiefen Konkurrenzorientierung (selbst unter weißen Frauen, die einen deutschen Paß besitzen) geprägt ist, viel mehr entgegen, als die »alten« Vorstellungen einer »neuen Weiblichkeit«?
Die zeitweilige »Rezeptionssperre« gegenüber amerikanischen Theoriekonzepten im bundesrepublikanischen Feminimus bis Anfang der Neunziger, in denen nicht zuletzt auch verstärkt antiamerikanische Töne in der Öffentlichkeit zu vernehmen sind, könnte so gesehen gerade deshalb aufgehoben worden sein, weil diese Konzepte jetzt womöglich neuartigen völkischen Bestrebungen zupaß kommen, die sich nun auch noch im postmodern chicen und hippen Gewand präsentieren können. Unter diesen Bedingungen halte ich es übrigens keineswegs für ausgeschlossen, daß sich auch bei den Rechten zeitgemäß höchst unterschiedliche Positionen zur »Geschlechterfrage« herausbilden, die in einem Scheindiskurs verhandelt werden. In diesem Zusammenhang wäre auch zu überlegen, inwiefern die Diskussion um die »Dekonstruktion« trotz weltweiter Bürgerkriegs-Szenarios in den USA vielleicht eine andere Bedeutung hat als hierzulande, wo sie eher in die Gefahr geraten könnte, letztlich ganz im Gegensatz zu ihrer momentanen Intention bei zwangsinstitutionellen Annahmen etwa Gehlenscher Prägung zu landen. Bei Schäuble z.B., der ja gewiß nicht die Institutionalisierung transvestitischer Verhältnisse will wie Butler, sondern eben auf die der altbürgerlichen family aus ist, wird das jetzt schon deutlich (vgl. Schäuble 1994, insbes. S. 110 ff).
Dabei geht frau natürlich das Risko ein, daß mit der Dekonstruktion der Kategorie »Frauen)« auch die Trägerin des Interesses an »Besitzstandswahrung« tendenziell verschütt zu gehen droht. Vielleicht ist es vor allem auch diese ambivalente Situation, die die momentane Maulsperre der (weißen) Frauenbewegung bewirkt. Sollte das reduktionistische Streben nach Besitzstandswahrung der Fürstin Prospera gar bewirken, daß sich die Frauenbewegung wie ein Lemming ins Meer stürzt, oder daß sie sich zumindest mit einer Marginal-Existenz zufrieden gibt, um so womöglich im Verlauf der weiteren gesellschaftlichen Entwicklung endgültig wieder mit dem post-neu-deutschen Mannesstolz an einem Strick zu ziehen und post-postmoderne Theorien der Geschlechterdifferenz (mit-)zukreieren?
Dabei liegt es übrigens wohl eher in der Fallinie der objektiven gesellschaftlichen Krisenentwicklung, daß die seit einigen Jahren im Feminismus propagierte Forderung, es müßten Geschlecht, Klasse, Ethnie/Nation in der politischen Praxis wie in der Forschung gleichermaßen berücksichtigt werden, schließlich zum »Sieg« der Ethnie/Nation führt (und von welcher dürfte wohl klar sein) und die Dimension »Geschlecht« jenseits von ethnisch-völkischen Interessen völlig unter die Räder kommt. Ich denke, daß die Kategorie Geschlecht (und zwar ganz egal in welcher Klasse, »Ethnie« usw.), wenngleich auf einem neuen gesellschaftlichen Nivau, am leichtesten wieder unsichtbar gemacht werden kann, da sie letztendlich als das »selbstverständlichste« und »natürlichste« Sozialverhältnis überhaupt gilt, auch wenn dieses Verständnis in den letzten Jahren grundsätzlich angekratzt zu sein schien. Dies kann auch dadurch geschehen, daß die »Frauenfrage« nurmehr auf einer »symbolischen« Ebene ständig präsent ist, daß sie gerade auf dieser (gewissermaßen auf kleiner Flamme) kocht, während sich real hinsichtlich des Geschlechterverhältnisses in Politik und Gesellschaft nicht mehr viel tut (wie dies momentan schon beobachtet werden kann).
Meines Erachtens wird die Verabschiedung der Frauenbewegung vom universellen Konzept »Frau« in den letzten Jahren zu vorschnell und zu oberflächlich mit den (oftmals sehr berechtigten) Einwänden von »anderen Frauen« (schwarzen Frauen, jüdischen Frauen, Frauen aus der »Dritten Welt« usw.) in Verbindung gebracht. Vermutlich wären diese Einwände kaum auf Gehör gestoßen, hätten sie nicht auch dem Bedürfnis der Fürstin Prospera nach »Differenzierung« (und implizit auch Separierung?) entsprochen. Ein universalistisches Konzept von »der Frau«, wie es vor allem in der ersten Hälfte der achtziger Jahre noch weitgehend Konsens war, hätte in den Neunzigern in viel größerem Maße dazu verpflichtet, sich mit den »anderen Frauen« solidarisch zu zeigen, wenn ein schäbiger Asylkompromiß ausgehandelt wird und rassistische Gewalttaten um sich greifen, als dies tatsächlich der Fall war. So aber konnte frau auf Demos müde ein unauffälliges Transparent mit sich schleppen: »Frauenspezifische Gründe müssen als Asylgrund anerkannt werden«, oder sich nicht selten bloß in »Eigenbeschäftigung« im gegenseitigen Vorwurf des »Rassismus« gefallen, weil »die Anderen« in ihrem (ganz) »Anderssein« nicht anerkannt und zugleich die Konstruktionen eines »Andersseins« nicht durchschaut würden.
Wenn es »die Frau« im Grunde schon in der »eigenen Kultur« und Gesellschaft nicht gibt, dann können die »fremden Frauen« (selbst solche, die längst in der Bundesrepublik leben, aber sogenannten ethnischen Minderheiten angehören), besonders wenn sie auf ihrer »ethnischen Identität« bestehen, erst recht als eine Art Marswesen behandelt werden, denen gegenüber frau in der »Dominanzkultur« (Birgit Rommelspacher) eigentlich zu nichts verpflichtet ist (frau vergleiche demgegenüber einmal das Engagement von Feministinnen anläßlich von Tschernobyl in den Achtzigern und noch beim Golfkrieg!). Derartige Interpretationen sind selbst in wohlmeinenden Versionen der Insistenz auf einer abstrakten Andersheit der »Anderen« angelegt, sofern sie von einer absoluten Alterität ausgehen, die von Respekt getragen sein will. Denn diese Positionen können ebenso leicht umgekehrt werden und sich so gegen sich selbst wenden, wenn der normative Unterbau ausgewechselt wird.
Nicht selten wird das schlaffe politische Engagement von Feministinnen gegen Rechtsextremimus und Rassismus mehr oder weniger implizit mit einem Mittäter-Schuldbewußtsein von weißen Frauen begründet, nach der krausen Logik: weil Frauen nicht bloß Opfer, sondern schon immer auch (rassistische) Mittäter im Patriarchat waren, deswegen kann ich nichts tun und bleibe also Mittäter. Wegen der Einwände der »anderen Frauen« fühle frau sich »verwirrt«. »Verwirrung« muß zwar nicht, kann aber auch eine Abwehrhaltung sein, um eigene »unkoschere« Intentionen auch vor sich selber nicht zugeben zu müssen. Frau ist dann wie gelähmt, kann nichts tun, »die Dinge« nehmen ihren Lauf und »es« fügt sich dann vielleicht so, daß es nicht ganz gegen ihren eigenen Vorteil ist. In diesem Zusammenhang wäre auch die Mittäterschafts-Emphase, ja der Mittäterschafts-Narzißmus (um nicht zu sagen die Mittäterschafts-Lust), die sich seit Mitte der achtziger Jahre in der Frauenbewegung eingebürgert haben, vor allem auch was den Komplex Frauen - Rechtsextremismus/Rassismus in der Frauenforschung der neunziger Jahre angeht, einmal kritisch zu untersuchen.
Gerade in der ständigen hysterischen Betonung der Mittäterschaft von Frauen wird die Mittäterschafts-These von Thürmer-Rohr nochmals auf absurde Weise bestätigt. Es drängt sich der böse Verdacht auf, daß in dieser Situation dekonstruktivistische Konzepte gerade recht kommen, die Differenzen zwischen Frauen zu ihrem Fundament machen, die Spaltungen und Risse zwischen Frauen bewahren und aufwerten wollen und der Praxis der Entsolidarisierung den theoretischen Segen geben. Sie entlasten psychisch vor allem in ihrer strukturalistisch-subjektlosen Form und machen dabei Veränderungen im Grunde nur noch auf der spielerischen Zeichenebene denkbar, jenseits jedweden der Realität angemessenen Engagements - sogar was die ernsthaften gesellschaftlichen Interessen der Fürstin Prospera selbst betrifft.
Es geht mir keineswegs um eine neuerliche differenz-indifferente (abstrakt-universalistische) Argumentation im Feminismus, die »die Anderen« mit kolonialer Geste unter das (trotz Frauenunterdrückung immer noch privilegierte) Eigene subsumiert; wohl aber um eine Kritik radikal exotisierender und einseitig Differenzen betonender Positionen, in denen - wie mir scheint - Gemeinsamkeiten ebenso weg»konstruiert« werden, wie vormals Differenzen wegkonstruiert« wurden, und aus denen die Fürstin Prospera heute wiederum Kapital zu schlagen versucht, indem die Einwände »der Anderen« sogar noch mitverarbeitet werden. Auch sollte es zu denken geben, daß von der lange Jahre gehegten Vorstellung einer universellen Kategorie »Frau« in der Frauenbewegung nun einfach das glatte Gegenteil »wahr« sein soll. Eine Äußerung von Habermas verändernd, der einmal gesagt hat, erkenntnismäßig seien in der Nacht der Totalität alle Kühe schwarz, könnte somit gesagt werden: in der Nacht der (im übrigen selbst immer noch universalistisch verfahrenden) Theorie des symbolischen Spachsystems und der Dekonstruktion sind alle Kühe verschieden; nur noch weiß, gelb, blau, schwarz, rosa usw.
Die vordergründige Identitätsverneinung in den konstruktivistischen Konzepten erweist sich so in mancherlei Hinsicht womöglich eher als Rettung der »eigenen« unsicheren Fledder-Identität der weißen Fürstin Prospera in ihrer traurig patriarchalen Gestalt, die in postmodern-krisenhafter Zeit ihre Interessen als Konkurrenzinteressen zu wahren versucht. Es ist also nicht bloß so, daß Identität zur Waffe werden kann, wie in den Neunzigern zu Recht häufig konstatiert wird, sondern ebenso deren (scheinbare) Negation in der kokonhaft eingesponnenen Verpuppung der postmodern-publikumswirksamen Konzepte gerade Butlerscher Machart, die den (vermeintlich unblutigen und »kostenlosen«) Kampf in der Passivität zu ermöglichen scheinen. Dabei wird gleichzeitig versucht, die Partystimmung der Achtziger in nunmehr bloß noch verkrampfter und kurzatmiger Weise noch einmal zu simulieren.


Nach der (De)konstruktion ...

In den bisherigen Überlegungen ging es mir um das Eingebettetsein der konstruktivistischen Konzepte in den zeitgeschichtlichen Rahmen der »Achtzigerjahreparty« (Morshäuser 1993) und ihrer Verlängerung in die Neunziger hinein. Was diese Konzepte heute so attraktiv macht, ist gerade der (scheinbar paradoxe) Umstand, daß sie weder für die Analyse (welt-)gesellschaftlicher Zusammenhänge und der daraus hervorgehenden ökologischen, ökonomischen und sozialen Probleme etwas hergeben, noch daß sie der Erfahrungsdimension Rechnung tragen (wie etwa noch standpunkttheoretische Ansätze im Feminismus der achtziger Jahre), freilich die simulativen Pseudoerfahrungen der achtziger und neunziger Jahre abgezogen, hinter denen sich die (feministischen) Subjekte ob der bedrohlich erlebten Realerfahrungen gern verschanzen. Das Interesse, das die konstruktivistischen Ansätze momentan erregen, und die Diskussionen, die sie entfachen, scheinen mir zu einem großen Teil geradezu eine Abwehr der gewaltigen gesellschaftstheoretischen Herausforderungen zu sein, die sich spätestens seit 1989 stellen und auf die der theoretische Feminismus mit großer Praxisferne und die Frauenbewegung mit einer Art Totstellreflex reagiert. Mehr noch: gleichzeitig kommen in ihnen geradezu die Konflikte, Ängste, ja zum Teil auch die Perfidien usw. in der neunziger Dekade zum Ausdruck; allerdings, wie vom werten Publikum gewünscht: in entdramatisierter und verklausulierter Form.
Es fragt sich nun, welche Theoriekonzepte/Denkbewegungen/Überlegungen neben den bereits erwähnten zumindest ansatzweise Antworten auf die großen gesellschaftlichen Fragen geben könnten. Darauf kann hier selbstverständlich nur stichpunktartig und fragmentarisch eingegangen werden. Es ginge zunächst einmal auf einer sehr grundsätzlichen Ebene um eine Neubestimmung des Mensch-Naturverhältnisses und damit zusammenhängend des Geschlechterverhältnisses, um die ökologisch-gesellschaftliche Ebene emanzipatorisch in den Blick nehmen zu können und die mittlerweile modische Perspektive zu vermeiden, »die« Natur nahezu ausschließlich unter kulturtheoretischen/kulturnominalistischen Aspekten zu betrachten (und somit tendenziell zu fiktionalisieren), ohne dabei in ontologisierende Sichtweisen zurückzufallen. Dabei müßte auch »sex« als analytische Kategorie berücksichtigt und in der bundesrepublikanischen Forschung überhaupt erst einmal eingeführt werden.
Hierzu gibt Barbara Holland-Cunz in ihrem neuen Buch »Soziales Subjekt Natur« (Holland-Cunz 1994) entscheidende Hinweise. Sie schreibt: »Ich halte (...) die marginalisierte Kategorie >sex< (...) für eine wesentliche kategoriale Möglichkeit, um das Materiale, den Körper, seine zeitliche und räumliche Endlichkeit, seine nicht ausschließlich gesellschaftlich definierte Logik und Funktionsweise, seinen vermittelten Zusammenhang mit nichtmenschlicher Natur, seine Identität und Nicht-Identität mit außermenschlicher >Natürlichkeit< in feministische Theoriebildung zu reimplementieren, zu reintegrieren. Würde >sex< in einer nicht-ontologisierenden Weise konzeptionalisiert, so könnte über diesen Begriff vielleicht der Zugang zu einer analytischen nicht-analogisierenden Vermittlung von Natur- und Geschlechterverhältnis geschaffen werden (...) Im Anschluß an Jaggar und Grimshaw möchte ich (...) vorschlagen, >sex< nicht als biologistisches Ablagerungsfeld für Naturalisierungen, sondern als mit >gender< dialektisch vermittelten Begriff wiedereinzuführen: in dem menschliche, historisch gewordene Körperlichkeit gesellschaftlicher Subjekte denkbar wird; in dem die Teilhabe >des< Menschen an Natur und Gesellschaft vermittelbar wäre; als Ausbalancierung gegen einen ausschließlich konstruktivistischen Begriff >gender<; als Ort der Theoretisierung nicht >der< Natur, aber des Naturverhältnisses der Individuen, gleichsam zu sich selbst« (Holland-Cunz 1994, S. 206 bzw. 208). Eine derart differenzierte Position ist meines Erachtens auch deshalb notwendig, um dem anschwellenden Anthropologie- und Biologiediskurs theoretisch anspruchsvoll und plausibel etwas entgegensetzen zu können, also »Natur« auf nicht-reaktionäre Weise wieder ins Spiel zu bringen.
Gerade in der hier propagierten ökologisch-historischen Perspektive müßte in der Situation der neunziger Jahre dabei gleichzeitig gezeigt werden, daß die momentan beliebten »dematerialisiernden (De)konstruktivismen« (Holland-Cunz 1994, S. 208) und die zur gleichen Zeit als deren anderer Pol vorfindbaren Biologismen und Anthropologismen zwei Seiten ein- und derselben gesellschaftlichen Medaille einer ins Krisenstadium eingetretenen Postmoderne sind. Anthropologische Sichtweisen haben derzeit gewiß auch deswegen großen Erfolg, weil der kraftlos gewordene akademische Routinebetrieb in den Gesellschafts- und Geisteswissenschaften (auch in der Frauenforschung) zu den Gewaltserien, den Bürgerkriegsszenaros und dem »molekularen Bürgerkrieg« nur wenig gehaltvolles zu sagen hat. Die bloß (de)konstruktivistische Argumentation (auch hinsichtlich der Nation, des Rassismus usw.) richtet hier gewiß nicht viel aus. Vielmehr müßten auch objektive Strukturen (in ihrem andro- und eurozentrischen Gewordensein) mitberücksichtigt werden.
Dieser Zusammenhang und die damit verbundene Frage nach der (welt-)gesellschaftlichen Krisendynamik, die spätestens seit Ende der achtziger Jahre sichtbar wird, lenkt die Aufmerksamkeit noch auf eine andere Dimension: nämlich auf die Ware-Geld-Beziehung und ihre geschlechtlichen Bezüge, die mit den bisherigen Überlegungen zu Entfremdung, Entleiblichung, »Natur«vergessenheit und der damit verbundenen Abspaltung des historisch entstandenen sogenannten »Weiblichen« in der Moderne verknüpft werden müßten. Es existieren nämlich mittlerweile in dieser Hinsicht durchaus theoretische Konzepte, die zur Klärung neuerer (welt-)gesellschaftlicher Entwicklungen (Zusammenbruch des Ostblocks, Bürgerkriegsentwicklungen usw.) entscheidendes beitragen können und über eine altmarxistische Kritik hinausgehen, ja ihr entsagen, u.a. indem auch der »Realsozialismus« als warenproduzierendes System erkannt und darüber sein Niedergang im Kontext globaler Krisenprozesse erklärt wird, die schließlich zu den Bürgerkriegsszenarios führen (vgl. Kurz 1994). In diesem Zusammenhang wären auch die Arbeiten der »Bielefelderinnen« erneut zu rezipieren, wenngleich dabei auch tendenzielle Biologismen und rückwärtsgewandte Bestrebungen kritisiert werden müßten. Viele der Veränderungen in der letzten Zeit (weitere Verslumung, Entstehung von Mafiastrukturen, Zunahme von Rassismus und Sexismus usw. rund um den Globus) haben diese Forscherinnen von der Grobtendenz her bereits in den 80er Jahren vorausgesehen (vgl. Bennholdt-Thomsen; Mies; Werlhof 1988).
Insbesondere die Thematisierung der Ware-Geld-Beziehung unterliegt schon seit der zweiten Hälfte der achtziger Jahre im Zuge der »Perhorreszierung jeder übergreifenden Denkgebärde« ( Dieckmann 1994, S. 19) in postmodernen Theoriekonzepten, vor allem aber seit dem Zusammenbruch des Ostblocks, einer »Rezeptionssperre«, wie Gildemeister/Wetterer dies für das »Doing gender« noch 1992 behaupteten. Gerade auch in den konstruktivistischen Konzepten wird ein inhaltsloses Denken propagiert und sind nur Denkhaltungen erlaubt, sofern sie die Unmöglichkeit eines Wahrheitsanspuchs »legitimieren« und sich dem Imperialismus des »Wie« beugen. Und gerade in dieser Inhaltslosigkeit entsprechen sie den Theoriebedürfnissen der Fürstin Prospera in den neunziger Jahren, die sich in die glitzernde Warenwelt hinein (schein-)emanzipiert hat, ohne sich noch groß um »Qualitäten« zu kümmern.
So kritisieren auch Irmgard und Maria Schaffrin eine postmoderne »Fürstin-Prospera-Haltung« in der weißen Frauenbewegung: »Weil Autonomie heute nur Waren-vermittelt zu haben ist, hat sich bei vielen Feministinnen ein Streben nach >Besitzstandswahrung< durchgesetzt. Sie klammern sich an >ökonomische Unabhängigkeit< und es scheint ausreichend, wenn Frauen den Wert ihrer Arbeitskraft in Geld, sprich Lohn realisieren können, um sich ihr autonomes feministisches Leben zu leisten. Die Frage, ob ihre Lohnarbeit einen konkret nützlichen Wert für die Gesellschaft hat, verliert anscheinend zunehmend an Bedeutung. Auftrieb dagegen bekommt die Beschäftigung mit den Marktmechanismen, die mittels Nachfrage bestätigen, ob der Aufwand sich ge>lohnt< hat. Dieses individuelle Autonomiestreben akzeptiert Lohnarbeit gleichgültig gegenüber der gesellschaftlichen Tätigkeit und gegenüber der Natur sowie ohne Rücksicht auf den Inhalt. Ganz einfach zum kurzfristigen Selbstzweck (...) Sämtliche Kritik des Geldes und des Kapitals (als Geld schaffendes Geld) ist auf dem Misthaufen der Geschichte gelandet. Die antikapitalistische Brille ist, Göttin sei Dank, abgelegt. Frau sieht so gut wie gar nichts mehr von den inneren Verhältnissen der kapitalistischen Warenproduktion« (Schaffrin 1993, S. 28 bzw. 29)(11).
In diesem Zusammenhang muß auf eine Paradoxie aufmerksam gemacht werden, die BeobachterInnen des Zeitgeists irritieren könnte. Das oben erwähnte Buch von Robert Kurz »Der Kollaps der Modernisierung« hat zur gleichen Zeit »Popularität« erlangt wie Butlers Schrift »Das Unbehagen der Geschlechter«. Dies ist insofern erklärbar, als zwischen beiden eine Reihe von Gemeinsamkeiten bestehen, von denen ich nur einige benennen möchte: Beide bedienen sich einer subjektentleerten strukturalistischen Perspektive (wenngleich dies Kurz aus einer anderen »Systemperspektive« tut als die strukturalistische Tradition, auch in ihren poststrukturalistischen Metamorphosen); was bei Butler der Diskurs zur Produktion von Geschlecht und Geschlechtsidentität ist, ist bei Kurz »der Wert« als automatisches Subjekt, der in seiner historisch-gesellschaftlichen Dynamik (jenseits eines altmaxistischen Klassenkampfdenkens) für die gegenwärtigen weltgesellschaftlichen Probleme »verantwortlich« zeichnet. Damit tragen heute beide - auf jeweils andere Weise - zur Handlungsentlastung bei; zweifellos haben beide stilistisch und inhaltlich einen Hang zur Uberspanntheit und Überziehung; und ohne Frage tragen beide den Bedürfnissen eines »erlebnishungrigen« Publikums Rechnung (für Butler siehe oben).
Kurz bewerkstelligt dies durch einen spannend-gruseligen Schreibstil, der eine Gänsehaut entstehen läßt. Insofern trägt auch er einem postmodernen Verfilmungsbedürfnis der Realität Rechnung. Es handelt sich um eine Art »Reality-Schreibe«. Aber genau dies ist wohl auch ein Grund, weswegen er eben nicht in derselben Weise wie Butler einen Paradigmenwechsel in analogen Diskussionen bewirkt hat (die in ihrer Totalitätsperspektive ohnehin als unzeitgemäß gelten und im Gesamtdiskurs weithin marginalisiert sind). Bei Kurz fällt nämlich die Darstellung des Entsetzens mit dem wirklich erlebten Entsetzen beim Publikum zusammen, im Gegensatz zum Reality-TV, das die dort gezeigte Realität dennoch als künstliche erscheinen läßt (vgl. zum Verhältnis Reality-TV - Publikum Jacob 1994, S. 64 bzw. 74). Hier gibt es nebenbei gesagt in einem gewissen Sinne auch Parallelen zu ethnomethodologischen Ansätzen (im Feminismus), die dem »Publikum« seinen (weniger aufregenden) Alltag »harmlos« aber nichtsdestoweniger aufregend in der Transsexuellenperspektive schildern und ihm dadurch gerade den Schrecken auf anderen Ebenen nehmen (vor allem auf der materiellen); wie gezeigt ist ja gerade dies ein Geheimnis ihres derzeitigen Erfolgs. Das Entsetzen läßt sich bei Kurz im Gegensatz zum Reality-TV nicht mehr distanziert konsumieren und entzieht sich der Möglichkeit des bloßen ästhetischen Genießens. Der soziale Abstieg kann mittlerweile jede/n betreffen, und diese Angst sitzt tief in den Knochen. Und genau die damit bezeichneten (realen) gesellschaftlichen Tendenzen im »Kollaps der Modernisierung« treiben in Richtung des Butlerschen Maskenballs, der nun allenthalben attraktiver ist, weil er sich im Gegensatz zu Kurzens »abgehobener« Theorie und zugleich empiriegesättigter Analyse in das erfahrungsarme, kosmische Allwasser eines ätherischen Dekonstruktionsbegehrens verflüchtigt, bei dem sich immer noch recht gut gepflegt (wenngleich auch jetzt billigerer) Sekt schlürfen läßt(12).
Weite Teile der feministischen Theorie und der Frauenbewegung haben spätestens seit der zweiten Hälfte der achtziger Jahre einen linken Universalismus sehr zu recht gegeißelt und tun dies auch weiterhin. Es fragt sich allerdings, ob dies überhaupt noch nötig ist. Denn spätestens seit dem Zusammenbruch des Ostblocks ist linke Theoriebildung ohnehin, egal ob sie dem östlichen Modell des Staatssozialismus verpflichtet war oder nicht, gründlich desavouiert, sogar bis hin zu den »Bielefelderinnen«, die eigentlich schon aus dem Rechts-Links-Schema ausscheren. Bei Texten aus Frauenbewegung und feministischer Theorie entsteht jedoch nicht selten der Eindruck, als ob hier immer noch der Hauptfeind stünde. Wie oft soll dieser Tote eigentlich noch ermordet werden? Eine derartige Haltung verkennt, daß längst das Differente, Nichtidentische, gewissermaßen frei flottierend, sein buchstäblich blutiges Unwesen treibt; entsprechend ist auch das »Wesenhafte«, die Suche nach dem »Wesen« einer Sache, der »Essentialismus« u.ä. in postmodernen Konzepten Buhmann Nummer eins. Und gerade insofern bilden der Antiessentialismus und der auf Differenz und Identität beharrende Fundamentalismus eine paradoxe (welt-)gesellschaftliche Einheit; denn das (männliche) Aufklärungssubjekt (und mit ihm manchmal auch die kulturelle Zweigeschlechtlichkeit, wie bei Butler), soll in der postmodernen Vorstellung nur dekonstruiert, aber nicht aufgehoben werden.
Sehr zugespitzt formuliert könnte sogar, in Abwandlung eines berühmten Horkheimer-Zitats, gesagt werden: Wer vom dekonstruierten Subjekt spricht, sollte auch von neuen gewalttätigen Tendenzen wie Ethnonationalismus, Rassismus und Antisemitismus nicht schweigen. Die Postmoderne mündet eben nicht einfach in ein glückliches Zeitalter, dessen Subjekte nun endlich von den rigiden Ich-Grenzen befreit sind (so klingt es ein wenig bei Keupp 1994), sondern auch in gewalttätige Übergriffe und kriegerische Auseinandersetzungen. So stellt Brigitte Rauschenbach schon für die noch nicht ausgereifte postmoderne Entwicklung in der Theoriebildung der sechziger Jahre fest: »Drei Jahre nach dem Mauerfall scheint es offensichtlich, daß im Wettstreit der Paradigmen der Differenzdiskurs Kritiker und Verächter philosophisch und politisch ins Unrecht gesetzt hat. (...) Heute läßt sich fragen, ob die Freisetzung blutiger Aggressionen beim Zerbersten der sozialistisch genormten Ancien regimes eine neue Epoche der Bürgerkriege wahrmacht, die das Denken der Differenz vor einem Vierteljahrhundert verhieß, als es den Terror der Versöhnung anklagte. Eine fast visionäre diagnostische Kraft läßt sich dem Differenzdiskurs offensichtlich nicht absprechen« (Rauschenbach 1993, S. 69).
Die Geste des westlichen Universalismus, das Konzept von »der Frau« in Frauenbewegung und feministischer Theorie, hat sich als eurozentrisch enttarnt. Genauso müssen jedoch auch derzeit beobachtbare Exotisierungs- und Selbstexotisierungsprozesse mißtrauisch machen, die in der Umkehrbewegung zu einer für sich stehenden Endlosdifferenzierung und ins Bodenlose führen. Zur bisherigen Kritik von weiten Teilen der feministischen Theorie an der »Identitäslogik« (Adorno), an der »Logik des eins« (Luce Irigaray) innerhalb und außerhalb des Feminismus, müßte deshalb ebenso die Kritik an einer »Trennungs- und Differenzlogik« kommen, die nur die abstrakte Negation der lange vorherrschenden Identitätslogik darstellt, deren Entsprechungen wiederum die neuen und blutigen weltgesellschaftlichen Entwicklungen sind. Dabei ginge es darum, das Identische, den Begriff und das Nichtidentische, Differente ohne Vereinseitigungen in ein neues Verhältnis zueinander zu setzen, also sowohl dem Übergreifend-Allgemeinen sein Recht zu lassen als auch dem Partikular-Besonderen, das sich dem subsumierenden Zugriff und der dialektischen Vereinnahmung entzieht und nun nicht mehr als bloß »Abgeleitetes« eine Sekundärexistenz führt (wie es »das Weibliche« in der christlich-abendländischen Entwicklung überhaupt tat).
In diesem Zusammenhang wäre Adorno noch einmal vom heutigen Standpunkt aus zu rezipieren, der in seiner »Negativen Dialektik« schon viel von der postmodernen Entwicklung vorweggenommen hat, ohne deshalb jedoch »dem Begriff« zu entsagen (vgl. dazu auch die feministischen Uberlegungen von Annedore Prengel, die allerdings, was zu kritisieren wäre, genauso wie Adorno selbst in letzter Instanz dem Aufklärungsstandpunkt verhaftet bleibt - vgl. Prengel 1990). Nötig wäre dabei allerdings eben auch ein neuer, gewissermaßen postmoderner und postmarxistischer Begriff der Ware-Geld-Beziehung und eine neue Vorstellung von »Totalität«, die die epochalen Umbrüche der letzten Zeit zu erfassen vermögen, wie Robert Kurz in dem Buch »Der Kollaps der Modernisierung« ausgeführt hat, wenngleich hier zunächst auch eine Kritik am andro- und eurozentrischen Blickwinkel zu leisten wäre (Kurz 1994).
Mir erscheint jedenfalls die Vereinnahmung und Gleichsetzung der »anderen« Frauen mit der »weißen, westlichen Frau« in Verbindung mit rassistischen Haltungen, wie sie in feministischen Texten häufig noch als Generallinie unterstellt wird, im postkolonialen und postsozialistischen Zeitalter seit 1989 längst nicht mehr das Hauptproblem zu sein, wo es eher darum geht, die »Anderen« auszugrenzen, sie als gänzlich different zu konzipieren und in Zeiten einer großen ökonomischen Krise genau mit diesem Argument schließlich vor die Mauern zu verweisen. Womöglich hat sich das Blatt längst schon gewendet? Vielleicht atmet die Fürstin Prospera womöglich insgeheim innerlich schon auf - und das glücklicherweise auch noch unter dem Druck der »anderen« Frauen, wie bequem! - nicht mehr kolonialisierend sein zu müssen, um des eigenen (materiellen) Wohlbefindens willen. Frau möge in ihre feministische Gruppe (und in sich selbst) einmal aufmerksamer hineinhorchen(13).
Das Problematisieren von »Differenzen« in postmodernen (feministischen) Konzepten und die Infragestellung des autonomen männlichen und westlichen Subjekts haben gewiß die (Denk-)möglichkeit einer Aufhebung dieses Subjekts und seines »Anderen« (und damit auch des in christlich-abendländischen Gesellschaften vorfindbaren Systems der Zweigeschlechtlichkeit) in Aussicht gestellt. Aber sie drohen dabei im »Nirwana des Geldes« zu versacken. Es kann nicht darum gehen, diese Konzepte wiederum in falscher Unmittelbarkeit einfach als »falsch« und indiskutabel abzutun. So ist es z.B. natürlich nicht uninteressant und irrelevant, wie sich das symbolische System der Zweigeschlechtlichkeit im Alltag reproduziert. Insofern wäre das interaktionistische Konzept in seinen feministischen Varianten, das ich durchaus den postmodernen Ansätzen zuschlagen würde (wie es sich z.T. auch selbst darstellt, z.B. indem es die »Dekonstruktion« auf seine Fahnen schreibt), nicht einfach zu verwerfen. Im Bewußtsein seiner Defizite wäre es vielmehr als ein Moment feministischer Forschungstätigkeit zu integrieren - nicht mehr und nicht weniger! Denn »Aufhebung« bedeutet mehr und anderes, als es die bloße Dekonstruktions-Perspektive in ihrer Zeichenbesessenheit verspricht, die mit der »materialen« gesellschaftlichen Praxis und deren Veränderung per se schon immer Probleme hat.
Das hieße z.B. ganz praktisch die selbstverständliche Beteiligung der Männer an Haushalt, Kindererziehung usw. oder die ganz alltäglich gewordene Möglichkeit von gleichgeschlechtlichen Beziehungen; des weiteren den alltäglich gewordenen Umgang und Kontakt mit Menschen anderer Hautfarbe auch in Intimbeziehungen usw. Und dem hätte zunächst auch eine feministische Zielsetzung in der Theorie zu entsprechen, indem sie vor allem die materielle Dimension (in ökologischer wie sozialer Perspektive) wieder hereinnimmt und (kulturelle) Differenzen wie auch Gemeinsamkeiten gleichermaßen berücksichtigt, die sich im gesellschaftlichen Prozeß auch verändern können. Dies bedeutet, »den Begriff« und ein zusammenhängendes Denken sowohl anzuerkennen als auch seine beschränkte Reichweite gleichzeitig deutlich zu sehen. Meines Erachtens hat sich feministische Theorie und Forschung schon immer auf realgesellschaftliche Verhältnisse und Prozesse und auf die sie mitkonstituierenden Subjekte zu beziehen; sie sollte sich weder in der szientistischen Pose gefallen, die in der feministischen Forschung ebenfalls immer beliebter wird, noch in einer postmodern zynischen Haltung, die sich, vermeintlich feinsinnig, schenkelpatschend und lachend von der »Emanzipation« emanzipiert hat.
Auf eine »radikale... und nihilistische.. >Dereifikation< des Realen« (List 1993 b, S. 19) und damit des in westlichen Gesellschaften vorfindbaren Systems der Zweigeschlechtlichkeit, die sich in eine warenförmig-patriarchal strukturierte und hysterisch gewordene Michael-Jackson-Welt hineinzudekonstruieren gewillt ist, habe ich jedenfalls keine Lust. Welche Wendung dieser Zug überdies nehmen könnte, wird schon jetzt in der Werbung am Parfüm-Mann der achtziger Jahre deutlich, der - zunächst noch geschniegelt, dandyhaft und androgyn - sich immer mehr zur Arno-Breker-Figur entwickelt im Zuge einer allgemein zunehmenden Ästhetisierung des Grauens, des Krieges und des sozialen Elends, parallel zum Erstarken rechter Ideologie und rechtsradikaler Gewalt. Vielleicht ist gerade auch diese Figur das Scharnier zwischen der Rechtswende bzw. der damit verbundenen rechtskonservativen Familienideologie einerseits und einer gleichzeitig modernen »Maskerade der Geschlechter« andererseits, deren theoretischer Ausdruck sich vor allem im Butlerschem Dekonstruktionsbegehren findet, das jegliche (geschlechtliche) Realität in die dünne Luft des Spachsystems auflöst. Womöglich handelt es sich bei beiden Tendenzen gar nicht um einen einfachen und platten gesellschaftlichen Gegensatz, wie es der oberflächlichen Betrachtung zunächst erscheinen mag.
Gegenüber all dem halte ich es mit Seyla Benhabib, die in der Tradition der Kritischen Theorie die Meinung vertritt: »Ohne jeden Zweifel kann es Zeiten geben, in denen die eigene Kultur, Gesellschaft und Tradition so verdinglicht oder von so brutalen Kräften beherrscht sind, in denen die Diskussionen und das Gespräch so versiegt sind oder einfach unmöglich gemacht wurden, daß die Gesellschaftskritik ins gesellschaftliche Exil gedrängt wird. (...) Die Gesellschaftskritik im Exil bezieht aber keine >Position im Niemandsland<, sondern eine >Position außerhalb der Stadtmauern<, wo immer diese Mauern und Grenzen verlaufen mögen. So mag es kein Zufall sein, daß feministischen Denkerinnen und Theoretikerinnen von Hypathia bis Diotima und von Olympe de Gouges bis zu Rosa Luxemburg ihrer Berufung folgten und ihre Heimat verließen, um sich jenseits der Stadtmauern niederzulassen« (Benhabib 1993 b, S. 23 bzw. 25). So sehe ich mich heute gezwungen, mich nicht jenseits der Stadtmauern,
aber jenseits der Schloßmauern der Fürstin Prospera niederzulassen - denn was manche Frauenbewegte und Frauenforscherinnen immer noch nicht richtig wahrhaben wollen, ist längst eingetreten; das »Drinnensein« schützt bei den »Aussichten auf den Bürgerkrieg« nämlich überhaupt nicht, auch wenn die momentane konjunkturelle »Scheinblüte« (Engels 1994, S. 138) im Bereich der Ökonomie so manches Simulationsherz wieder ein wenig höher schlagen läßt.
In diesem Sinne kann »Die Maske des Roten Todes« von Edgar Allan Poe, der selbst ein Vorläufer der heute wieder beliebten Ästhetisierung des Grauens war, als eine Parabel der Postmoderne gelesen werden:

»Doch nun waren es zwölf Schläge, die die Glocke der Uhr erschallen lassen sollte; und so geschah es vielleicht, daß mehr Gedanken sich mit mehr Zeit einschlichen in das Sinnen der Nachdenklichen unter denen, die sich ergötzten. Und so geschah es vielleicht auch, daß viele Personen aus der Menge - ehe noch der letzte Hall des letzten Glockenschlags in tiefstem Schweigen versunken - Muße fanden, eine maskierte Gestalt zu gewahren, der die Beachtung nicht eines einzigen Menschen zuvor gegolten. Und kaum hatte sich die Nachricht von diesem neuen Gast im Flüsterton verbreitet, erhob sich schon aus der gesamten Gesellschaft ein Raunen oder Murmeln, Mißbilligung und Staunen bekundend - dann schließlich Schaudern, Grauen und Entsetzen.

Wo sich in Scharen Truggebilde häufen, wie ich sie hier gezeichnet, mag man mit Fug vermuten, daß keine alltägliche Erscheinung solch Aufregung hätte bewirken können. Die Maskenfreiheit dieser Nacht war wahrhaft schrankenlos; doch hatte die bewußte Gestalt noch einen Herodes übertroffen und war selbst über die Grenzen der unbestimmten Wohlanständigkeit des Fürsten hinausgegangen. Es gibt in den Herzen der Leichtsinnigen Saiten, die ohne Gefühlsbewegung nicht berührt werden können. Ja, sogar für die unrettbar Verlorenen, denen Leben und Tod gleichwie ein Scherz sind, gibt es Dinge, über die sie nicht zu scherzen wagen. (...) Die Gestalt war groß und hager und von Kopf bis Fuß in die Tücher des Grabes gehüllt. Die Maske, die ihr Gesicht verbarg, war bis aufs Haar dem Antlitz eines Leichnams nachgebildet, daß es selbst bei genauester Prüfung schwerfiele, die Täuschung zu gewahren. Und doch hätte all dies von dem närrischen Volk umher ertragen, wenn nicht sogar gebilligt werden können. Doch war der Vermummte so weit gegangen, die Gestalt des Roten Todes anzunehmen, sein Gewand war blutbefleckt - und seine breite Stirn wie auch das ganze Gesicht mit dem scharlachroten Schrecken besprenkelt.

Fürst Prospero (stürzte), wütend vor Zorn und Scham über seine flüchtige Feigheit, durch die sechs Zimmer, während niemand ihm folgte, da alle von lähmendem Entsetzen erfaßt waren. Er schwang den Dolch und war der zurückweichenden Gestalt voll rasender Wut bis auf drei oder vier Schritt nahe gekommen, als sich diese, nachdem sie bereits am Ende des samtenen Zimmers angelangt war, plötzlich umwandte und ihrem Verfolger entgegentrat. Ein gellender Schrei - und der Dolch fiel blitzend auf den schwarzen Teppich, auf den auch Fürst Prospero auf der Stelle tot herniedersank. Da stürmte auf einmal eine Schar von Gästen mit dem wilden Mut der Verzweiflung in das schwarze Gemach, und während sie den Maskierten packten, dessen große Gestalt aufrecht und reglos im Schatten der Ebenholzuhr stand, keuchten sie in unaussprechlichen Grausen, als sie bemerkten, daß die Grabgewänder und die Leichenmaske, die sie mit roher Gewalt ergriffen, keine greifbare Form in sich bargen.

Und nun war die Gegenwart des Roten Todes gewiß. Wie ein Dieb war er in tiefer Nacht gekommen.«


(Edgar Allen Poe: Die Maske des Roten Todes).


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Fußnoten

1) Auch Barbara Duden betrachtet in den Feministischen Studien (Nr. 2, 1993) den Butlerschen Text als »Zeitdokument«. Sie tut dies im Gegensatz zu mir jedoch von der Position der Körperhistorikerin aus.

2) Anders ist dies bei Gesa Lindemann: Wenn sie bei der Konstruktion von Zweigeschlechtlichkeit vehement auf die Berücksichtigung von »Leiblichkeit« pocht, insistiert sie gleichermaßen darauf, daß in der Forschung ebenso die Dimension des »Ich bin es« einbezogen werden muß (Lindemann 1993). Das Fiktionalisierungserlebnis kann sich bei der RezipientIn jedoch auch hier einstellen, weil Lindemann dies im Kontext der Transsexuellenforschung behauptet und sie dadurch, egal ob gewollt oder nicht, dem Beliebigkeitsbedürfnis des postmodernen Publikums entgegenkommt. Wie eingangs schon gesagt, stelle ich nicht in Abrede, daß Geschlecht, aber auch Körper, Gefühl usw. immer einen kulturell-historisch jeweils spezifischen Charakter aufweisen. Mir geht es hier nur darum, daß der derzeitige Rezeptionsboom der interaktionistischen Konzepte vermutlich viel mit der postmodenen Befindlichkeit zu tun hat; und genau diesem Zusammenhang will ich nachgehen.

3) Außer der erwähnten Polemik von Barbara Duden hat mich auch die Lektüre des Artikels »Neulich, als das Hakenkreuz keine Bedeutung hatte« (Morshäuser 1993) zu diesem Aufsatz angeregt. Trotzdem teile ich mitnichten alle seine Positionen, am allerwenigsten seinen affirmativen Bezug auf die »Nation«, der in anderen seiner Publikationen zum Ausdruck kommt.

4) Siehe dazu die »verständnisvolle« Besprechung Paglias von Dagmar Reese in den Feministischen Studien 1, 1994. Zwar bemerkt sie: »Gegenüber denen, die in den Gegenständen nur noch zirkulierende Zeichen erblicken, besteht sie (Paglia, R.S.) auf der Faktizität sinnlicher Erfahrung und wissenschaftlicher Empirie und der Integration der Natur- in die Geisteswissenschaften - vielleicht auch ein Zeichen dafür, daß in die wohlfahrtsstaatlichen Industrienationen in den achtziger Jahren jenes soziale Elend wieder eingebrochen ist, das bis dahin erfolgreich in die Dritte Welt und in die Ghettos hatte verdrängt werden können. Wo sichtbar wird, daß die multikulturelle Gesellschaft nicht in der Idylle von französischem Wein und italienischer Pasta aufgeht, sondern harte soziale Verteilungskämpfe impliziert, gewinnen materielle Tatbestände neu an Gewicht. Die Schranken gesellschaftlicher Veränderbarkeit werden bewußter, und in die unzähligen bunten kulturellen Nischen der siebziger und achtziger Jahre fährt ein kalter Wind. Diese veränderte politische Stimmungslage spricht aus den Büchern Camille Paglias. Die Macht, die Camille Paglia der Körperlichkeit, der Biologie zumißt, betont die Grenzen des politisch Machbaren« (Reese 1994, S. 126). Obwohl Reese Paglias »zeitgeistige« Bedeutung ermißt, nimmt sie sodann weitgehend inhaltlich Partei für sie. Reese ist für mich ein gutes Beispiel dafür, daß der Ärger über die (de)konstruktivistischen Ansätze nicht in der abstrakten Negation landen sollte, zu der frau wohl Lust hätte. Stattdessen müßten beide Positionen in ihrer zeitgeschichtlichen Identität und damit wechselseitigen Bedingtheit aufgezeigt werden. Dabei käme es dann allerdings mehr darauf an, die »materiellen Tatbestände« auf der richtigen Ebene, nämlich der ökonomischen und sozialen bzw. ökologischen, in ihrer patriarchalen Gesellschaftlichkeit in den Blick zu nehmen, anstatt sie ideologisch-reaktionär in eine aufgeblasene Geschlechtermetaphysik fahren zu lassen bzw. für eine solche Position Verständnis zu zeigen. Wird eine solche Kritik - wider besseres Wissen (siehe obiges Zitat) - unterlassen und rezensiert frau Paglias Schriften als gar nicht so abwegig, dann arbeitet frau dem rechtskonservativen Zeitgeist zu.

5) Wenn ich im weiteren manchmal auf Enzensbergers Essayband »Aussichten auf den Bürgerkrieg« verweise, der meines Erachtens in vielerlei Hinsicht wertvolle Einsichten bietet, so heißt dies nicht, daß ich diesem Text in allen Punkten zustimme. Der Rückgriff auf Annahmen der politischen Anthropologie z.B. steht selbstverständlich meinen Auffassungen diametral entgegen. Auch die Ansicht, um noch ein anderes Beispiel zu nennen, »die Deutschen« sollten sich ob des »molekularen Bürgerkriegs« im Inneren hauptsächlich um sich selbst kümmern, halte ich in mehrerlei Hinsicht für problematisch. Darauf kann ich hier aber nicht weiter eingehen.

6) Mit dem Gebrauch des Adjektivs »transvestitisch« ist bei mir natürlich keine diskriminierende Absicht gegenüber Transvestiten verbunden; kritisiert werden soll damit aber sehr wohl eine theoretische und politische Ausrichtung im Feminismus, die es nicht mehr für nötig hält, die Infragestellung der Zwangsheterosexualität mit der Kritik an der patriarchal-kapitalistischen Gesellschaft zu verbinden.

7) Meine Kritik an der »Entfremdung«, vermittelt über die neuen Technologien/Medien, impliziert keine pauschale Technikfeindlichkeit. Meiner Meinung nach besteht das Problem vielmehr in der instrumentellen Nutzung von Technik/Medien in einem patriarchalen, warenproduzierenden Kontext zu kommerziellen Zwecken und in den daraus resultierenden Wirkungen auf die Subjekte. Dabei werden Technologien ganz unabhängig davon entwickelt, ob sie den Menschen und einer historisch gewordenen Natur zuträglich sind oder nicht (z.B. die Kernkraft). In diesem Sinne wäre zwischen verschiedenen Technologien unter qualitativen Gesichtspunkten zu unterscheiden.

8) Mit dieser Kritik soll freilich nicht einer »pfäffischen« Askesehaltung das Wort geredet werden. Die Haltung, von der Schaad spricht, kann gewiß auch als Antwort auf eine rigide »Szenemoral« und einen damit zusammenhängenden Zwang zur »Männerunterhemdenästhetik« in der damaligen Zeit gesehen werden. Freilich kann es z.B. auch Spaß machen und gewinnbringend sein, sich zu schminken; dies findet jedoch nun einmal unvermeidlich in patriarchalen Verhältnissen statt. Der Pfad zwischen der an sich sehr berechtigten Forderung, auch selbstverständlich eine erotische Ausstrahlung haben zu dürfen, und dem Zwang, eine erotische Ausstrahlung haben zu müssen, um anerkannt zu sein, ist in der postmodernen Männergesellschaft für Frauen schmal. Problematisch ist es deshalb, wenn der patriarchale Kontext, die kommerzielle und immer noch androzentrische Gesellschaft, nicht mitreflektiert werden und frau sich wirklich einbildet, sie mache dies nur für sich selbst, und sie habe sich der patriarchalen Internalisierungen dabei schon längst entledigt. Dann gibt sie sich mit dem postmodernen Stand der Emanzipation zufrieden und behindert ihre eigene Entwicklung sowie gesellschaftliche Veränderungen überhaupt; mehr noch, sie arbeitet damit vielleicht sogar der Rehabilitierung alter Weiblichkeitsmuster, verbunden mit neuen Zwängen, und somit der Fortsetzung des Patriarchats in neuem Gewand unkritisch noch zu. Anders wäre es, wenn Männer gleichermaßen und ebenso selbstverständlich »Schönheit«, erotische Ausstrahlung etc. wie Frauen für sich reklamieren könnten, und zwar jenseits eines traditionellen Don-Juanismus und eines postmodernen Dandytums, die sich nur diejenigen Seiten der »Weiblichkeit« herauspicken, die ihnen passen, und ansonsten der alten patriarchalen Männlichkeit treu bleiben, wie es heute nicht selten zu beobachten ist (womöglich noch unterlegt mit dem Argument, schließlich habe ja auch jeder Mann »das Weibliche« in sich und werde unterdrückt, weswegen Sexismus und Frauenverachtung doch eigentlich gar kein Problem seien!). Auch wenn es unbequem ist, derartige Ambivalenzen und das dabei entstehende Unbehagen müssen ausgehalten werden; das damit verbundene Ungemach des »falschen Tons« darf nicht verdrängt werden. Es gibt eben kein richtiges Leben im falschen, wie Adorno schon wußte. Die Schwierigkeit, dieser Einsicht Rechnung zu tragen, ohne ein rigides, kontraproduktives feministisches Über-Ich zu installieren, das jeglichen Alltag unmöglich und unerträglich machen würde, ist mir bewußt.

9) Es soll damit auf keinen Fall gesagt werden, daß der Reproduktionsbereich frei von Anstrengung wäre - im Gegenteil, gerade die Nichtbegrenzbarkeit von Tätigkeiten, »Gefühlen« usw. in diesem Bereich befördert bekanntlich das Burn-out-Syndrom erheblich. Dennoch handelt es sich bei der Erwerbsarbeit und den Tätigkeiten im Reproduktionsbereich um jeweils verschiedene Handlungslogiken. Hausarbeit, Kindererziehung usw. können deshalb mit dem Terminus »Arbeit« meiner Ansicht nach nur unzureichend erfaßt werden (vgl. in diesem Zusammenhang auch die feministische Kritik am Arbeitsbegriff, wenn er auf den Reproduktionsbereich übertragen wird, bei Eckart 1988 und Klinger 1990, S. 115).

10) Enzensberger weist in dem schon erwähnten Essayband auf die Wichtigkeit der Überlegungen von Hannah Arendt in dem Klassiker »Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft« für die heutige Zeit hin, vor allem, was die Bedeutung der »Selbstlosigkeit« (im Sinne von Selbstverlust, nicht zu verwechseln mit der altruistischen Selbstlosigkeit) angeht. Und in der Tat lohnt es sich, die Überlegungen von Hannah Arendt zu »Egozentrismus«, »Selbstverlust« und zum Phänomen der aus »atomisierten Individuen« bestehenden »Masse« in der Zeit zwischen den Weltkriegen noch einmal nachzuvollziehen (Arendt 1986, insbesondere auch S. 510 f.). Dabei müßten allerdings auch die Unterschiede zur heutigen Ego-, Ellbogen- und »Erlebnisgesellschaft« der Postmoderne herausgearbeitet werden (z.T. tut dies Enzensberger 1993).

11) Diese Haltung der Besitzstandswahrung war auch beim Frauenstreiktag zu spüren. So verständlich und berechtigt eine solche Haltung in gewisser Weise auch ist, sie legitimiert eine Gleichgültigkeit gegenüber dem Inhalt von Tätigkeiten und gegenüber der Natur noch lange nicht. Meines Erachtens müßten sich Feministinnen gerade auch seit dem Zusammenbruch des Ostblocks in viel stärkerem Maße als bisher Gedanken darüber machen, wie die Zukunft unter qualitativen Gesichtspunkten aussehen soll, anstatt fast ausschließlich eine Defensivpolitik zu betreiben.

12) In diesem Zusammenhang ist vielleicht auch die erstaunliche Karriere von schwarzer Popmusik, vor allem von Hiphop, als Medien- und Theoretisierungsgegenstand (und eine auch damit einhergehende »Popularität« von postmodernen Theorien) zu sehen, die von bestimmten popkulturellen Szenen aus in die breite Medienöffentlichkeit der neunziger Jahre gelangt sind. Insbesondere die verstärkte Auseinandersetzung mit schwarzer Popmusik in radikaloppositionellen Szenen der Neunziger scheint mir ein Indiz dafür zu sein, daß die Beschäftigung mit dem »Nützlichen« (Kampf gegen den Rassismus) mit dem »Angenehmen« (Musik, Tanz, Asthetik) verbunden werden soll. Eine Thematisierung von »Rassismus« auf dieser Ebene ist allemal »geiler« als sich z.B. mit der schnöden und traurigen Realität von verschiedenen Asylbewerberinnen und deren Herkunftsländern auseinanderzusetzen, die vielleicht ganz und gar »ungeile« Befürchtungen hinsichtlich der eigenen Zukunft aktivieren. Im Gegensatz dazu sind die szenisch zusammengeschnittenen, mitunter fröhlich-hedonistisch vorgestellten Ghettos »der« Schwarzen in »den USA« viel leichter libidinös besetzbar (und damit auch »verdrängungsgeeigneter«). Auf diese Weise läßt sich die »Achtzigerjahreparty« sogar noch in bewußter Konfrontation mit Rassismus und Elend fortsetzen. Diese Kritik soll natürlich nicht besagen, daß eine Auseinandersetzung mit Rassismus nicht auch auf dem Wege der Beschäftigung mit schwarzer Popmusik möglich ist; problematisch wird es aber, wenn dabei »das« Ghetto »der Schwarzen« in den USA ästhetisch klischiert als (kommerzieller) Genußgegenstand aufbereitet wird, und wenn die tatsächliche soziale Wirklichkeit und das Elend in den Ghettos in den Hintergrund rückt (wesentliches zu diesem Gedankengang hinsichtlich Popmusik-Rassismus-ästhetische Zurichtung habe ich dem sehr lesenswerten Artikel »Sympathy for the devil« von Günther Jacob 1994 entnommen). Vor allem diese modisch-postmoderne Beschäftigung mit schwarzer Popmusik und die auch damit verbundene Beliebtheit poststrukturalistischer Theorien scheint mir ein Schnittpunkt zwischen einer neuen »falschen Unmittelbarkeit« einerseits und einer »falschen Mittelbarkeit« (nämlich dem mitunter einseitigen Abdriften in die poststrukturalistische »Theorie-Stratosphäre«) in den Neunzigern überhaupt zu sein.

13) Die Notwendigkeit von Solidarität, gerade auch dann, wenn frau nicht unmittelbar selbst betroffen ist, jenseits von »tyrannische(r) Fürsorge, Bevormundung und insbesondere Objektivierung der anderen«, und ein damit verbundenes Engagement, ist auch Thema des Aufsatzes von Farideh Akashe-Böhme »Über die Dialektik von Solidarität und Selbstbestimmung. Frauen in geteilten Welten«. Dabei sieht sie auch, daß sich u.a. die »gesellschaftlichen Antagonismen auch in der Frauenbewegung spiegeln«. Sie plädiert dafür, »Probleme zunächst als partikulare ernst zu nehmen, um dann aber zu sehen, in welcher Weise Frauen als Frauen besonders betroffen sind« (Akashe-Böhme 1994, S. 98 bzw. 92, Hervorheb. im Orig.). Interessant - und auch ermutigend - ist in diesem Zusammenhang ebenfalls, daß es mittlerweile in den USA Diskussionen gibt, in denen nicht mehr nur die »Differenzen« betont werden, sondern auch die Frage nach Gemeinsamkeiten gestellt wird (vgl. Boetcher Joeres 1994).