Startseite Krise und Kritik der Warengesellschaft


erschienen im Neuen Deutschland
am 26.10.2007

Robert Kurz

DAS GESPENST DER INFLATION

Das alltägliche Realitätsprinzip im Kapitalismus ist der Geldbeutel. Längst haben es alle gespürt: Das Leben wird immer teurer. Nach der Einführung des Euro kosteten zum Beispiel Bekleidung oder das Essen in der Gastronomie erheblich mehr. Damals sprach man beruhigend von der bloß „gefühlten Inflation“, weil die Statistik nicht mit der praktischen Erfahrung übereinstimmen wollte. Mit der offiziellen Inflationsrate verhält es sich freilich wie mit der offiziellen Arbeitslosenstatistik: sie ist geschönt, denn wichtige Bedarfsgüter werden nicht in die Kernrate einberechnet, darunter ein Teil der Lebensmittel- und Energiekosten. Inzwischen sind die Preise für Rohstoffe geradezu explodiert. Der Ölpreis hat mit dem historischen Rekordhoch von 90 Dollar pro Barrel die Schmerzgrenze getoppt. Für Anfang 2008 werden von den Energiekonzernen Preiserhöhungen von bis zu 10 Prozent angekündigt, die von den Industrie- und Dienstleistungssektoren auf breiter Front weitergegeben werden. In derselben Größenordnung ziehen die Lebensmittelpreise an, von Milchprodukten bis zum Bier.

Bundesbankpräsident Axel Weber hat „Inflationsalarm“ gegeben: Bis Ende 2007 könnte die offizielle Teuerungsrate bei 3 Prozent liegen, der höchste Wert seit 13 Jahren. Für die USA spricht der Finanzguru Douglas Casey davon, dass die „realistische“ Inflation jetzt schon 6 bis 10 Prozent ausmachen würde. Als Begründung wird die erhöhte Nachfrage der Schwellenländer im Zuge der einseitigen Export-Globalisierung angegeben. Aber es handelt sich keineswegs bloß um das Verhältnis von Angebot und Nachfrage auf dem Weltmarkt. Die erhöhte Nachfrage ist „finanzgetrieben“, das heißt von einem enormen globalen Geldmengenwachstum im zweistelligen Bereich. Die ursprüngliche neoliberale Doktrin des „Monetarismus“, der eine strikte Begrenzung der Geldmenge vorsah, hat längst ausgedient. Rund um den Globus füttern die Notenbanken seit Jahren die boomende Defizitkonjunktur über historisch niedrige Leitzinsen mit einer Schwemme billigen Geldes. Die Inflationsraten blieben niedrig, solange die von Finanzblasen genährte „asset inflation“ (Vermögensinflation) nicht als reale Nachfrage erschien. In demselben Maße aber, wie mit dem Blasengeld, das keine reale Wertschöpfung repräsentiert, seit etwa 2000 riesige Güterströme bewegt werden, kehrt das Gespenst der Inflation zurück.

Damit stellt sich erneut die von der Wissenschaft schon abgehakte Frage nach dem Wesen des Geldes. Für Marx war das Geld die „ausgesonderte Ware“ als allgemeines Äquivalent, das sich letztlich nicht von der Wertsubstanz entkoppeln kann. Angesichts der scheinbar damit nicht mehr übereinstimmenden empirischen „Demonetarisierung“ des Goldes in der Nachkriegsgeschichte wurde die Marxsche Theorie vom substantiellen Warencharakter des Geldes auch unter Marxisten angezweifelt. Die säkulare Inflationsgeschichte des 20. Jahrhunderts verwies aber eigentlich darauf, dass der fortschreitenden gesellschaftlichen Entleerung der Warenproduktion von ihrer Arbeitssubstanz, die sich mit der mikroelektronischen Revolution zugespitzt hat, eine „Entsubstantialisierung“ und damit eine Krise des Geldes entspricht. Weil als Resultat der schwelenden Finanzkrise plötzlich die lange vernachlässigte Funktion des Geldes als „Wertaufbewahrungsmittel“ abgefragt wird, beginnt auch der Preis des schon abgeschriebenen Goldes zu explodieren. Die „Entwertung des Werts“ und damit die Grenze des modernen warenproduzierenden Systems tritt nun auch auf der Ebene des heiligen Geldes in Erscheinung.