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Robert Kurz

WELTMACHT UND WELTGELD

Die ökonomische Funktion der US-Militärmaschine im globalen Kapitalismus und die Hintergründe der neuen Finanzkrise

Vorbemerkung: Der folgende Text wurde im November 2007 für die linke Debattenzeitschrift „Widerspruch“ (Zürich) geschrieben und ist dort Anfang Januar 2008 erschienen. Im Zeichen der laufenden Finanzkrise und des jüngsten Börsencrashs gewinnt er ungeahnte Aktualität.

Wenn seit 1989 vom „Epochenbruch“ gesprochen wird, ist damit meistens der Untergang der DDR und des Staatssozialismus in Russland und Osteuropa gemeint; in der Folge das Ende des Kalten Krieges zwischen den Blöcken und das Erlöschen der dazugehörigen „heißen“ Stellvertreterkriege in den Hinterhöfen des Weltmarkts. Der vermeintliche Sieg des Kapitalismus, so die damaligen Freiheits-Euphoriker, sollte zusammen mit der allgemeinen Vergatterung auf „Marktwirtschaft“ und der Konstitution eines einheitlichen globalen Wirtschaftsraums nach westlichem Muster eine neue Epoche der globalen Prosperität, der Abrüstung und des Friedens einläuten. Diese Erwartung hat sich als völlig blauäugig erwiesen. In den vergangenen 17 Jahren entwickelte sich real so ziemlich das Gegenteil derart mutwilliger berufsoptimistischer Prognosen. Die Globalisierung brachte schubweise immer neue Zonen der Massenarmut, perspektivlose Bürgerkriege und einen nicht anders als barbarisch zu nennenden postmodern-neoreligiösen Terrorismus hervor. Der Westen unter Führung der letzten Weltmacht USA reagierte darauf mit ebenso perspektivlosen „Weltordnungskriegen“ und einer prekären planetarischen Krisenverwaltung (vgl. dazu Kurz 2003).

Offenbar war die Interpretation der Ereignisse nach 1989 bloß oberflächlich und hat daher viel zu kurz gegriffen. Tatsächlich brach damals nicht einfach isoliert der Ostblock als „fehlerhaftes Mangelsystem“ zusammen, sondern ein ähnliches Schicksal ereilte nicht wenige prowestlich orientierte Länder der sogenannten Dritten Welt. Mehr noch: Auch in den westlichen Kernländern selbst war mit dem Sinken der Wachstumsraten das „Wirtschaftswunder“ der Nachkriegszeit längst dahingeschwunden. Seitdem hat sich eine strukturelle Massenarbeitslosigkeit herausgebildet, die mit Unterbeschäftigung und Prekarisierung der Arbeit einhergeht. Unter dem Eindruck dieser Tendenzen könnte sich eine ganz andere Interpretation aufdrängen: nämlich dass es sich um eine gemeinsame Krise des modernen warenproduzierenden Weltsystems unter Einschluss der kapitalistischen Zentren selbst handelt. Aus dieser Sicht war der sogenannte Realsozialismus des Ostblocks keine historische Alternative, sondern ein staatskapitalistisches System „nachholender Modernisierung“ an der Peripherie des Weltmarkts und dessen integraler Bestandteil. Nachdem mit dem Ende der alten Entwicklungsregimes unterschiedlicher Couleur zuerst die „schwächsten Kettenglieder“ dieses Weltsystems gerissen sind, setzt sich der Krisenprozess im Raum der direkten Globalisierung unaufhaltsam fort.

Als tiefste Ursache der neuen Weltkrise wird weithin und nicht zu Unrecht die dritte industrielle Revolution der Mikroelektronik genannt. Zum ersten Mal in der kapitalistischen Geschichte überholen die Potentiale der Rationalisierung die Möglichkeiten einer Ausdehnung der Märkte. Das Kapital schmilzt in der Krisenkonkurrenz seine eigene „Arbeitssubstanz“ (Marx) ab. Die Kehrseite von struktureller Massenarbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung im Weltmaßstab bildet daher die Flucht des Geldkapitals in die berühmte „Finanzblasen“-Ökonomie, weil zusätzliche Realinvestitionen unrentabel geworden sind; ablesbar an globalen Überkapazitäten der Produktion (exemplarisch in der Autoindustrie) und an spekulativen „Übernahme“-Schlachten (vgl. dazu Kurz 2005).

Diese hier grob skizzierte Interpretation galt Ende der 90er Jahre zumindest bei einem Teil der linken Gesellschaftskritik als denkbar und sogar plausibel. Inzwischen hat man sich aber daran gewöhnt, dass das Kapital auch mit einer simulierten Finanzblasen-Akkumulation („jobless growth“) irgendwie leben zu können scheint. Und weist die jüngste Exportindustrialisierung in Asien, vor allem in China, nicht doch auf eine neue Ära des Realwachstums hin, nur eben nicht mehr in Europa? Gleichzeitig scheinen sich die Weltordnungskriege ganz banal auf ordinäre Ölinteressen zu reduzieren, weil der kapitalistischen Verbrennungskultur der „Stoff“ auszugehen droht. Kommt es vor diesem Hintergrund womöglich zu einer neuen imperialistischen Block-Konkurrenz, etwa zwischen den USA, der EU und China? Mit solchen Überlegungen kehrt die Linke mit gewissen Modifikationen großenteils zu ihren alten Denkmustern vor dem Epochenbruch zurück. Es gibt aber gute Gründe dafür, dass diese Re-Interpretation ein Zerrbild liefert und die Zusammenhänge sich bei näherer Betrachtung ganz anders darstellen. Wesentlich ist dabei der politisch-ökonomische Status der letzten Weltmacht USA im globalen Krisenkapitalismus.

Die Krise des Geldes und des Weltwährungssystems

Trotz der inflationären Wirkung machten einige Theoretiker die Not zur Tugend, indem sie die Goldbindung für unnötig und das Geld zum bloßen Zeichen erklärten, das nur juristisch vom Staat garantiert werden müsste (so z.B. schon Knapp 1905). Aber der Zusammenbruch des Weltmarkts in der Weltwirtschaftskrise der 30er Jahre hatte auch etwas mit dem Fehlen eines anerkannten Weltgeldes zu tun, nachdem alle Versuche gescheitert waren, in Europa zur Goldbindung zurückzukehren. Als 1944 in Bretton Woods die Weichen für eine Wirtschafts- und Währungsordnung der Nachkriegszeit unter dem Dach der „Pax Americana“ gestellt wurden, war diese ganz auf den Dollar als neue Welthandels- und Reservewährung zugeschnitten. Die Grundlage dafür bildete nicht nur die überragende industrielle Stellung der USA (vor allem aufgrund des gewaltigen Wachstumsschubs der Kriegswirtschaft), sondern auch die Tatsache, dass der Dollar als einzige Währung goldkonvertibel war. Im berühmten Fort Knox lagerten damals drei Viertel der weltweiten Goldvorräte (vgl. Kennedy 1993).

Nur auf dieser Grundlage der Weltwährungsordnung von Bretton Woods und der auf den Dollar zugeschnittenen fixen Wechselkurse konnte sich das „Wirtschaftswunder“ der Nachkriegsgeschichte im Schatten des Kalten Krieges entfalten. Aber der Wiederaufstieg Europas und Japans auf dem prosperierenden Weltmarkt begann schon bald an der ökonomischen Dominanz der USA und damit an der Goldsubstanz des Dollar zu nagen. In demselben Maße, wie sich die Anteile am Waren- und Kapitalexport zu Ungunsten der USA verschoben, verlor auch der Dollar an Stärke und wurde zunehmend in Gold umgetauscht. Die Vorräte von Fort Knox schmolzen dahin. 1973 sah sich Präsident Nixon gezwungen, die Goldkonvertibilität des Dollar aufzukündigen.

Damit war das System von Bretton Woods am Ende. Die Wechselkurse mussten frei gegeben werden und „floaten“ seither je nach Lage auf den Märkten, was den Ausgangspunkt bildet für eine völlig neue Art der Devisenspekulation aufgrund von Schwankungen der Wechselkurse mit gefährlichen Rückwirkungen auf die Realwirtschaft. Da jedoch trotz der Weltwährungskrise der 70er Jahre die große Katastrophe ausgeblieben war, gilt seither auch bei linken Theoretikern das Geld- und Währungsproblem als empirisch gelöst: Entgegen der Auffassung von Marx habe sich der Charakter des Geldes als „ausgesonderte Ware“ mit eigener Wertsubstanz endgültig erledigt (so etwa Heinrich 2004). Aber die keineswegs sichere Praxis der flexiblen Währungsverhältnisse in der historisch kurzen Zeit von wenigen Jahrzehnten sagt noch nichts Wesentliches über die Haltbarkeit der neuen Konstellation aus, zumal die peripheren Währungskrisen der 90er Jahre in Asien und nach der Jahrhundertwende in Argentinien auf ein weiter schwelendes Problem verweisen.

Vom Golddollar zum Rüstungsdollar

Dabei vollzog sich ein eigentümlicher reziproker Prozess: In demselben Maße, wie sich die ökonomische Stellung der USA auf dem „regulären“ Weltmarkt der Waren- und Kapitalströme verschlechterte (ein bis heute anhaltender Prozess), wuchs der schon von Präsident Eisenhower so bezeichnete „militärisch-industrielle Komplex“ kontinuierlich an. Die exorbitanten Wachstumsraten der Rüstungsindustrie im Zweiten Weltkrieg setzten sich fort in Gestalt einer viel diskutierten „permanenten Kriegswirtschaft“. Auch die dritte industrielle Revolution der Mikroelektronik schlug sich vor diesem Hintergrund in immer neuen High-Tech-Waffensystemen nieder und markierte den Weg von der Industrialisierung zur Elektronisierung des Krieges. Mit der Entwicklung einer Waffengeneration nach der anderen zogen die USA in der Rüstung der übrigen Welt zusehends uneinholbar davon. Präsident Reagan forcierte diese Tendenz noch einmal. Die Sowjetunion als Gegenweltmacht der „nachholenden Modernisierung“ ging zwar in erster Linie an ihren inneren Widersprüchen einer „geplanten Kapitalökonomie“ zugrunde, aber sie wurde auch „totgerüstet“ und konnte den High-Tech-Wettlauf weder ökonomisch noch militärisch durchhalten.

Der „außerökonomische Faktor“ der zunehmend konkurrenzlosen US-Militärmaschine schlug dabei in eine gewaltige ökonomische Potenz um. Zwar behielten die Mahner und Warner in den USA gegenüber der unaufhaltsamen Tendenz zur „permanenten Kriegswirtschaft“ insofern recht, als damit eine Lawine der staatlichen Verschuldung ausgelöst wurde. Der stramm neoliberale und monetaristische Reagan strich zwar die keynesianischen Sozialprogramme seiner Vorgänger brutal zusammen, aber er ließ gegen seine eigene Doktrin den „Rüstungskeynesianismus“ geradezu explodieren. Damit wurde der ohnehin schon aufgeblähte militärisch-industrielle Komplex in vieler Hinsicht (auch in abgeleiteten Formen) zum Wachstumsträger und zur Jobmaschine. Die US-Ökonomie zeigte nominelle innere Stärke, obwohl sie auf dem Weltmarkt immer schwächer wurde.

Die mit diesem Prozess der ökonomischen Militarisierung verbundene astronomische Verschuldung konnte schon in den 80er Jahren nicht mehr aus eigenen Ersparnissen finanziert werden. Aber die ökonomische Potenz der Militärmaschine schlug sich auch in den Außenbeziehungen nieder. Die Militärmacht der USA als „Weltpolizei“ war es gerade, die den globalen Finanzmärkten einen „sicheren Hafen“ zu bieten schien. Dieser Eindruck verstärkte sich noch wesentlich nach dem vermeintlichen Sieg über das östliche Gegensystem. Der Dollar behielt seine Weltgeldfunktion, indem er vom Golddollar zum Rüstungsdollar mutierte. Und der strategische Charakter der Weltordnungskriege in den 90er Jahren und nach der Jahrhundertwende im Nahen Osten, auf dem Balkan und in Afghanistan bestand in erster Linie darin, mittels der Demonstration globaler militärischer Interventionsfähigkeit den Mythos des „sicheren Hafens“ und damit den Dollar als Weltwährung zu bewahren. Auf dieser letztlich irrationalen Basis floss das in der dritten industriellen Revolution überschüssige (nicht mehr rentabel real investierbare) Geldkapital aus der ganzen Welt zunehmend in die USA und finanzierte so indirekt die Rüstungs- und Militärmaschine.

Die größte Finanzblase aller Zeiten und das US-Konsumwunder

Neben dem militärisch-industriellen Komplex entstand so die zweite Säule eines „irregulären“ scheinbaren Wachstums der Binnenökonomie in den USA. Aufgrund der im Vergleich zu Europa sehr breiten Streuung des Aktien- und Immobilienbesitzes konnte ein paradoxes „Konsumwunder“ seinen Lauf nehmen. Obwohl die durchschnittlichen Reallöhne seit den 70er Jahren stagnierten oder sogar rückläufig waren (vgl. Thurow 1996), wurde der Konsum immer mehr zum entscheidenden Wachstumsträger. Das periodisch stets von neuem beschworene „Jobwunder“ war keineswegs die eigentliche Ursache dieses Booms. Denn abgesehen von der selber am Tropf der Staatsverschuldung hängenden Beschäftigung im militärisch-industriellen Komplex entstanden vor allem Billigjobs im Dienstleistungssektor, die berühmte „beschäftigte Armut“. Aufgrund der Schwäche auf dem Weltmarkt ist auch die Beschäftigung im Exportsektor eher rückläufig.

Der Konsumboom speist sich bis heute nicht so sehr aus regulären Lohneinkommen, sondern primär aus den Finanzblasen an den Aktien- und Immobilienmärkten. Die Differenzgewinne aus den fiktiven Wertsteigerungen der entsprechenden Eigentumstitel können beliehen werden und haben sich durch ihre breite Streuung millionenfach in einer Kreditkarten- und Hypotheken-Verschuldung beispiellosen Ausmaßes niedergeschlagen. Als Sicherheit dafür dienten eben die gestiegenen Preise zuerst der Aktien, dann der Immobilien. Der Zustrom von überschüssigem Geldkapital aus aller Welt in den vermeintlich „sicheren“ Dollar-Hafen wird so nicht nur in die Finanzierung des verschuldeten Rüstungskonsums, sondern auch des verschuldeten Privatkonsums umgeleitet. Diese wunderbare Geldmaschine ist es, die das US-Konsumwunder gespeist hat.

Pazifischer Defizitkreislauf und Weltkonjunktur

Die Kehrseite der monetären Außenverschuldung durch Ansaugen der globalen Geldkapitalströme besteht also darin, dass umgekehrt auch die überschüssigen globalen Warenströme angesaugt werden. Anders gesagt, die US-Konsumenten (Staat und Private) leihen sich das Geld, mit dem sie die Warenflut bezahlen, bei den Lieferanten. Die USA sind so zum schwarzen Loch der Weltwirtschaft geworden. Allerdings ist darin eine doppelte wechselseitige Abhängigkeit eingeschlossen. Würden die wundersamen US-Konsumenten nicht die weltweite Überproduktion sozusagen heroisch verknuspern, wäre die Weltwirtschaftskrise der dritten industriellen Revolution schon längst durchschlagend manifest geworden. Außerdem handelt es sich keineswegs um Warenströme zwischen getrennten Nationalökonomien, sondern um Bewegungen innerhalb der betriebswirtschaftlichen Globalisierung. Es sind neben japanischen und europäischen vor allem US-Konzerne selbst, die China aufgrund der Billiglohn-Strukturen als Drehscheibe für transnationale Wertschöpfungsketten benutzen und von dort aus die Märkte in den USA und anderswo beliefern. Die entsprechenden Investitionen beschränken sich daher auf die „Exportwirtschaftszonen“ und haben nichts mit einer traditionellen nationalökonomischen „Entwicklung“ Chinas, Indiens usw. zu tun.

Die asiatische Export-Einbahnstrasse über den Pazifik in die USA hat inzwischen den Defizitkreislauf in ein Schwungrad verwandelt, das die gesamte Weltwirtschaft antreibt. Die europäische Industrie liefert nicht nur wie andere Weltmarktregionen einen Teil ihrer Überschüsse in die USA selbst, sondern exportiert gleichzeitig in wachsendem Ausmaß Produktionskomponenten für die asiatische Exportwalze (vor allem im Maschinenbau). Der allenthalben hoch gelobte „Aufschwung“ der letzten Jahre ist fast ausschließlich auf diese Voodoo-Ökonomie zurückzuführen. Zwar wird periodisch auf die Gefahr der sich auftürmenden „weltwirtschaftlichen Ungleichgewichte“ in Gestalt der akkumulierten US-Außendefizite verwiesen. Aber weil es so lange irgendwie gut gegangen ist, folgt die Entwarnung meist auf dem Fuße.

Das Szenario der kommenden Kredit- und Dollarkrise

Es ist Pfeifen im Wald, wenn Wirtschaftskommentatoren jetzt zu erwarten vorgeben, dass die Binnenkonjunktur in der EU oder gar in China plötzlich „selbsttragend“ werden und den US-Konsum als Staubsauger der überschüssigen Warenströme ablösen könnte. Wo soll denn die Kaufkraft dafür in diesen Regionen herkommen, die trotz boomender Exportkonjunktur bislang schon nicht da war? Gleichzeitig tut sich ein doppeltes Zinsdilemma auf. Die Asienkrisen der 90er Jahre und der Zusammenbruch der virtuellen New Economy nach 2000 waren noch durch einen Zinssenkungswettlauf der Zentralbanken aufgefangen worden, der die Märkte mit billigem Geld überschwemmt hatte. Das erwarten die Finanzmärkte auch jetzt wieder von der US-Notenbank, der die anderen folgen sollen. Aber zum einen droht eine neuerliche Dollarschwemme das längst lauernde Inflationspotential der „Vermögensinflation“ von Schuldtiteln abzurufen und die säkulare Geldentwertung in das galoppierende Stadium übergehen zu lassen, wenn der absterbende US-Konsum auf diese Weise befeuert werden soll. Zum andern ist absehbar, dass der Zustrom überschüssigen Geldkapitals in die USA versiegt, wenn die Europäische Zentralbank angesichts einer steigenden Inflation nicht mitzieht und die Zinsdifferenz zwischen den USA und der EU eingeebnet wird. Die Gleichzeitigkeit von Depression und Inflation rückt in den Bereich des Möglichen.

Das Zinsdilemma als Resultat der auf die Welt ausstrahlenden US-Kreditkrise beginnt auch die Weltgeldfunktion des Dollar in Frage zu stellen. Dahinter steht letztlich das aufgetürmte Außendefizit, das eine drastische Abwertung des Dollar und eine ebensolche Aufwertung der Exportüberschuss-Währungen verlangt. Zwar wurde der Dollar in der Vergangenheit schon mehrmals kontrolliert abgewertet, was darauf hinauslief, dass die Gläubigerländer einen Teil der US-Schulden bezahlen mussten. Jetzt aber zeichnet sich ein unkontrollierter Absturz ab, der gegenüber dem Euro bereits begonnen hat, während die asiatischen Währungen noch künstlich niedrig gehalten werden. Wenn aber die Kreditkrise voll durchschlägt, wird auch diese Barriere durchbrochen. Dann ist nicht nur die Finanzierungsfähigkeit des militärisch-industriellen Komplexes am Ende, sondern auch der Mythos vom „sicheren Hafen“.

An die Stelle des Dollar aber kann kein neues Weltgeld treten, auch wenn der Euro dazu hochgejubelt wird. Da der Euro weder eine Gold- noch eine Rüstungsgrundlage hat, wird er den Platz des Dollar nicht einnehmen können. Die Krise des Weltgelds und das damit verbundene Inflationspotential verweisen auf eine herangereifte Krise des Geldes überhaupt. Das zeigt sich auch am unaufhaltsamen Anstieg des Goldpreises mit immer neuen Rekordständen, der die aufziehende Währungskrise begleitet: Der Warencharakter des Geldes mit eigener Wertsubstanz macht sich in der Krise geltend. Das Gold wird vom bloßen Rohstoff wieder zum „eigentlichen“ Geld bzw. Weltgeld, aber auf Goldbasis können die Produktivkräfte der dritten industriellen Revolution nicht mehr als Weltmarktbewegung vermittelt werden. Genausogut könnte man versuchen, den Ozean mit einem goldenen Kaffeelöffel auszuschöpfen. Die Situation der Zwischenkriegszeit droht wiederzukehren, aber auf viel höherer Entwicklungsstufe.

Weltkrise, Weltideologie und Weltbürgerkrieg

Das Motiv dieser ideologischen Verkehrungen ist heute der desperate Wunsch, sich in die Zeiten fordistischer Prosperität und keynesianischer Regulation zurückzuflüchten. Dabei macht sich bis in die radikale Linke hinein eine Option geltend, die „US-amerikanische, unilaterale Version des Empire“ (Hardt/Negri 2004) durch eine „demokratische“ Globalisierung unter Führung der EU und womöglich mit dem Euro als neuer Welthandels- und Reservewährung abzulösen. Diese Option ist nicht nur völlig krisenblind, sie verkennt auch den inneren Zusammenhang des Weltkapitals und den Charakter der EU. Auch die phantasmatischen Bündnisvorstellungen für diesen virtuellen Weltreformismus sind nur noch schauerlich; etwa wenn das Gazprom- und Geheimdienst-Regime eines Putin oder die großenteils von transnationalen Kapitalinvestitionen getragene chinesische Exportbürokratie ebenso eingemeindet werden soll wie die unheilige Allianz zwischen dem Öl-Caudillismus eines Chavez und dem antisemitischen Islamisten-Regime in Teheran.

Ganz abgesehen davon, dass eine EU-zentrierte Globalisierung um keinen Deut besser wäre als eine USA-zentrierte, ist sie auch gar nicht möglich. Es geht nicht allein darum, dass der Euro den abstürzenden Rüstungsdollar nicht ersetzen kann, sondern die EU ist deshalb auch nicht in der Lage, die überschüssigen Geldkapitalströme umzukehren und die globale Überproduktion aufzusaugen. In noch größerer weltökonomischer Abhängigkeit von dieser paradoxen Rolle der US-Ökonomie befinden sich Russland, Venezuela und der Iran, deren politische Ansprüche gegen den „Satan USA“ sich allein von der Explosion des Ölpreises nähren. Wenn das Schwungrad des pazifischen Defizitkreislaufs zum Stillstand kommt und eine Weltdepression ausgelöst wird, müssen die Öl-Regimes allesamt als erste über die Klinge springen.

Die reif werdende Weltkrise der dritten industriellen Revolution, für deren Bewältigung keinerlei neues „Regulationsmodell“ in Sicht ist, wird sicher nicht einfach ihren ökonomischen Gang gehen. Noch mehr als bei früheren Brüchen der Modernisierungsgeschichte lauert in der sich abzeichnenden ökonomischen Unbewältigbarkeit der neuen globalen Krisenkonstellation die Gefahr einer irrationalen „Flucht nach vorn“ in den Weltkrieg. Allerdings kann das auf dem Entwicklungsniveau der Globalisierung kein Krieg zwischen nationalimperialen Machtblöcken für die „Neuaufteilung der Welt“ mehr sein. Man müsste vielmehr von einem Weltbürgerkrieg neuen Typs sprechen, wie er sich in den „Entstaatlichungs“- und Weltordnungskriegen seit dem Untergang der Sowjetunion bereits angedeutet hat, die vielleicht nur die Vorboten waren. Noch nie war die Parole „Sozialismus oder Barbarei“ so aktuell wie heute. Aber gleichzeitig muss der Sozialismus am Ende der Modernisierungsgeschichte neu erfunden werden.

Literaturhinweise