Startseite Krise und Kritik der Warengesellschaft


erschienen im Neuen Deutschland
am 15.02.2008

Robert Kurz

HUNGERN FÜR DEN BIOSPRIT?

Sobald es sich in die Geldform zurückverwandelt hat, fließt das Kapital dorthin, wo es die höchsten Profite erzielen kann. Auf die Bedürfnisse der Menschen kommt es dabei bekanntlich nicht an. Lohnt sich die Produktion von Tretminen mehr als die Produktion von Sahnetörtchen? Dann ab in die Tretminenproduktion. Auf diese Weise stellen sich Produktionspreise und Durchschnittsprofitraten her, wie Marx im 3. Band des „Kapital“ gezeigt hat. So strukturieren sich die Branchen und damit die Marktoberfläche ständig um; Röhrenproduzenten verwandeln sich in Touristikkonzerne und Großbrauereien steigen ins Pharmageschäft ein. Unter den Bedingungen der versiegenden Realakkumulation in der 3. industriellen Revolution verzerrt sich die Bewegung der Durchschnittsprofitrate zusätzlich durch eine krisenträchtige Finanzblasen-Ökonomie. Lebenswichtige Produktionssektoren und Infrastrukturen werden heruntergefahren oder stillgelegt.

Diese destruktive Entwicklung hat seit langem die elementare Ebene der menschlichen Ernährung erfasst. Die Lebensmittelproduktion ist im Zuge der Globalisierung durchkapitalisiert worden wie nie zuvor. Sie unterliegt damit zunehmend dem Prozess, in dem sich die Durchschnittsprofitrate herstellt. In deutschen Supermärkten kann man im Januar frischen peruanischen oder afrikanischen Spargel zu teuren Preisen kaufen, während in den Erzeugerländern Menschen von ihren Ernährungsgrundlagen abgeschnitten werden und hungern. Gleichzeitig hat sich die globale Ernährungsindustrie in eine Giftküche verwandelt; die Lebensmittelskandale häufen sich. Die noch kaufkräftigen Mittelschichten reagieren darauf mit einer Bio-Ideologie. Mögen die „anderen“ hungern, sie wollen sich gesund ernähren. Prompt fließt Kapital ins Bio-Agrobusiness; was aber nur zur Folge hat, dass immer weniger Bio drin ist, wo Bio drauf steht.

In Wirklichkeit kommt auf leisen Sohlen eine weltweite Lebensmittelkrise. Nach Angaben der Welternährungsorganisation schrumpft die globale Anbaufläche in den letzten Jahren; viele Böden sind durch Überdüngung und Raubbau ausgelaugt oder werden durch die boomende Defizitkonjunktur in Industrieflächen und Touristikgebiete samt Golfplätzen verwandelt oder von der Immobilienspekulation bepflastert. Die Preise für Basisprodukte wie Roggen, Gerste, Weizen, Hafer und Mais explodieren, damit auch die Preise für Futtermittel und tierische Produkte. Da die Energiekosten ebenso ausufern und die durchkapitalisierte Lebensmittelproduktion mit hohem Energieeinsatz verbunden ist, wird der Ernährungssektor zu einer Triebkraft der Inflation.

Damit aber nicht genug. In demselben Maße, wie die kapitalistische Verbrennungskultur die fossilen Energiereserven erschöpft, tritt die Produktion von Biosprit in Konkurrenz zur Lebensmittelproduktion. Eine Tankfüllung Ethanol verschlingt den Jahresbedarf eines Menschen an Getreide. Aber der Profit ruft, und die Agroindustrie schaltet auf „erneuerbare Energien“ um, noch dazu mit dem Nimbus der „Klimafreundlichkeit“. In Mexiko gab es bereits Massendemonstrationen gegen die Preissprünge beim Grundnahrungsmittel Maismehl. Aber auch hierzulande geht die Zweiklassen-Medizin längst mit einer Zweiklassen-Ernährung einher. Bei sinkenden Realeinkommen steigen die Preise vormaliger Billigprodukte mit geringem Nährwert. Demnächst wird vielleicht Hartz-IV-Empfängern die Devise „Hungern für den Biosprit“ zugemutet. Die Bio-Ideologie wird zum Bumerang, weil sie die kapitalistischen Produktionsverhältnisse nicht antasten will.