Startseite Krise und Kritik der Warengesellschaft


erschienen in der Wochenzeitung "Freitag"
am 08.08.2008

Robert Kurz

IM ABWÄRTSSOG

Die Weltkonjunktur beginnt einzubrechen

Krise, welche Krise? So tönte noch vor kurzem der Entwarnungs- und Beruhigungspopulismus bis in die Linke hinein. Der Aufschwung der überaus flexiblen kapitalistischen Weltökonomie sollte diesmal endlich ein nachhaltiger sein und wurde bereits auf Jahre hinaus hochgerechnet. Die seit Sommer 2007 schwelende weltweite Finanzkrise schien den Erfolgsmeldungen wenig anhaben zu können. Und wenn schon, vielleicht würde es in den USA eine kleine Konjunkturdelle geben. Der Euro-Raum werde davon kaum betroffen sein, und die Schwellenländer könnten aufgrund ihrer hohen Wachstumsraten leicht als Lokomotive einspringen. Dieser mediale und politische Diskurs zeichnete sich vor allem durch Ahnungslosigkeit aus. Jetzt hagelt es binnen einer einzigen Woche nur so von negativen Quartalszahlen und düsteren Prognosen.

Das Gros der Dax-Konzerne musste drastische Gewinnwarnungen herausgeben, darunter Daimler und BMW. Nach dem Abschwung im Bankensektor mit immensen Abschreibungen trifft es nun fast alle „konjunktursensiblen“ Industriebranchen. Die angeblich randvollen Auftragsbücher reichen noch bis zum Herbst; für die Zeit danach herrscht gähnende Leere, weil die Nachfolgeaufträge bereits fehlen. „Grottenschlecht“ sei die Aussicht für den Winter, so das Münchner IFO-Institut; mit einem Abbau von Arbeitsplätzen in der Industrie und im Dienstleistungssektor müsse auf breiter Front gerechnet werden. Das noch im Frühjahr erhoffte Anziehen des Binnenkonsums aufgrund zusätzlicher Arbeitsplätze ist ausgeblieben. Woher sollte es auch kommen angesichts von Billiglohn, Leiharbeit und befristeten Verträgen? Der Sommerschlußverkauf war der miserabelste seit Jahren. Und die bisherigen Tarifabschlüsse der großen Gewerkschaften, die vor Gemäßigtheit kaum laufen können, decken bestenfalls die steigende Inflationsrate ab.

Der scheinbar endlose Exportboom, der die Schwäche der Binnennachfrage überkompensiert hatte, ist zum Auslaufmodell geworden; die Weltkonjunktur beginnt einzubrechen. Dabei steht die Rezession in den USA erst noch bevor. Zwar gab es dort schon im letzten Quartal 2007 erstmals seit langem ein Minuswachstum. Aber im Frühjahr 2008 wurde der Konsum noch einmal mit 100 Milliarden Dollar aus Steuergutschriften gesponsert. Dieses Strohfeuer dürfte im zweiten Halbjahr erlöschen. Die Folgen der Immobilienkrise erreichen dann in vollem Umfang die Realwirtschaft. Der Job-Abbau selbst im gebeutelten Bankensektor hat gerade erst begonnen; trotzdem ist die US-Arbeitslosenquote bereits deutlich gestiegen. Und die nächste Welle der Finanzkrise kündigt sich an: Nach Angaben des renommierten Ökonomen Nouriel Roubini wird das Kreditkartengeschäft in den USA weitgehend zusammenbrechen und einen Abschreibungsbedarf von 1 bis 2 Billionen Dollar hinterlassen; noch weit mehr als das Platzen der Immobilienblase.

Bis zum Winter wird das Ende des US-„Konsumwunders“ schwer auf die Weltkonjunktur durchschlagen: „Amerika steuert auf die schwerste Wirtschaftskrise seit der großen Depression zu“ (Handelsblatt vom 4.8.). Aber Europa muss nicht erst auf das Desaster jenseits des Atlantik warten; es hat seinen eigenen Abwärtssog hervorgebracht. Die Immobilienblasen in Großbritannien und Spanien sind inzwischen ebenfalls geplatzt, der von Hypothekenkrediten befeuerte Konsum wird dort wie in den USA abgewürgt. Auch Italien und Frankreich haben den Rückwärtsgang eingelegt. Ein ähnliches Bild bietet sich in Osteuropa. Die „baltischen Tiger“ Estland, Lettland und Litauen sind bereits als Bettvorleger gelandet. Den „keltischen Tiger“ Irland erwartet bis Jahresende dasselbe Schicksal. Der Negativtrend verschärft sich durch die mangelnde Möglichkeit zur weiteren Verschuldung. Nach einer neuen Studie der Deutschen Bank wird das Kreditangebot an Unternehmen und private Haushalte in den USA und im Euro-Raum als Spätfolge der Finanzkrise bis 2010 um mindestens 15 Prozent eingeschränkt.

Bei alledem handelt es sich nicht um eine klassische zyklische Bewegung. Seit fast 30 Jahren hat die Konjunktur der Realökonomie ihre eigene Tragfähigkeit verloren. Das Auf und Ab der Weltwirtschaft wurde zunehmend von verselbständigten Finanzmärkten gesteuert. Ursache war nicht die „Gier“ von Spekulanten, sondern die Unfähigkeit des Kapitals, unter den Bedingungen der 3. industriellen Revolution menschliche Arbeit als Substanz der realen Wertschöpfung im erforderlichen Ausmaß zu mobilisieren. Tatsächlich konnte die „neoliberale Revolution“ die in den 70er Jahren zu Tage getretene strukturelle Wachstumsschwäche nicht überwinden. Stattdessen wurde der Weltmarkt einschließlich der asiatischen Exportwalze von Verschuldungsorgien und Finanzblasen getragen. Die Kehrseite waren Massenarbeitslosigkeit, Unterbeschäftigung und Billiglohn. Jetzt geht die lange Welle des „finanzgetriebenen“ Wachstums zu Ende.