Startseite Krise und Kritik der Warengesellschaft


Robert Kurz

INTERVIEW MIT DER BRASILIANISCHEN ZEITSCHRIFT „IHU On-Line

Hängt die gegenwärtige Krise in Umwelt und Finanzwelt mit dem zusammen, was Sie als Zusammenbruch der Modernisierung bezeichnen?

Allen äußeren Unterschieden zum Trotz besteht die gemeinsame Grundlage in der „Verwertung des Werts“, das heißt in der Verwandlung von „abstrakter Arbeit“ in „Mehrwert“. Das ist aber kein subjektiver Zweck, sondern ein verselbständigter Selbstzweck. Sowohl die Kapitalisten als auch die Lohnarbeiter und ebenso die Staatsagenten sind nur die Funktionäre dieses losgelassenen, unkontrollierbaren Selbstzwecks, den Marx als „automatisches Subjekt“ bezeichnet hat. Dabei erzwingt die universelle Konkurrenz eine blinde Dynamik der Produktivkraftentwicklung, die ständig neue Verwertungsbedingungen erzeugt und schließlich an eine absolute historische Schranke stößt.

Die innere ökonomische Schranke besteht darin, dass die Produktivkraftentwicklung zu einem Punkt führt, an dem die „abstrakte Arbeit“ als „Substanz“ des „Mehrwerts“ in so großem Umfang aus dem Produktionsprozess wegrationalisiert wird, dass keine weitere reale Verwertung möglich ist. Diese „Entsubstantialisierung des Kapitals“ oder „Entwertung des Werts“ bedeutet, dass die Produkte an sich keine Waren mehr sind, die sich in der Geldform als allgemeiner Wertform darstellen können, sondern nur noch Gebrauchsgegenstände. Der Zweck der kapitalistischen Produktion ist aber nicht die Herstellung von Gebrauchsgütern für die Befriedigung von Bedürfnissen, sondern eben der Selbstzweck der Verwertung. Deshalb muss nach kapitalistischen Kriterien beim Erreichen der inneren ökonomischen Schranke die Produktion und damit der gesellschaftliche Lebensprozess stillgelegt werden, obwohl alle Mittel vorhanden sind.

Real war diese Situation im Zuge der dritten industriellen Revolution schon etwa Mitte der 80er Jahre eingetreten. Der Kapitalismus verlängerte sein Leben in „virtualisierter“ Form einerseits durch eine historisch beispiellose Verschuldung (Vorgriff auf zukünftigen Mehrwert, der real nie mehr eingelöst werden kann) und andererseits durch das ebenso historisch beispiellose Aufblähen von sogenannten Finanzblasen (Aktien und Immobilien). Diese Scheinakkumulation von „substanzlosem“ Geldkapital wurde auch in die reale Warenproduktion eingespeist. Daraus resultierte eine globale Defizitkonjunktur mit einseitigen Exportströmen vor allem in die USA. Die Exportwirtschaftszonen Chinas und Indiens bedeuten aber keine reale Expansion der „abstrakten Arbeit“, weil ihr Ausgangspunkt keine reale Kaufkraft war, sondern das „substanzlose“ Geldkapital der Verschuldung und der Finanzblasen. Über mehr als zwei Jahrzehnte wurde die Illusion gepflegt, es könne ein rein „finanzgetriebenes Wachstum“ geben. Das Ende dieser Illusion besteht keineswegs bloß in einer Finanzkrise. Die vielbeschworene „Realökonomie“ ist in Wahrheit schon längst nicht mehr real, sondern sie wurde aus den „substanzlosen“ Finanzblasen künstlich ernährt. Jetzt wird der Kapitalismus auf seine realen Verwertungsgrundlagen reduziert. Die Folge ist eine neue Weltwirtschaftskrise, ohne dass neue reale Potentiale der Verwertung in Sicht wären.

Gleichzeitig stößt der Kapitalismus an seine äußere Naturschranke. In demselben Maße, wie die „abstrakte Arbeit“ als Verwandlung menschlicher Energie in „Mehrwert“ überflüssig gemacht wurde, expandierte in immer schnellerem Tempo die technologische Anwendung fossiler Energiestoffe (Öl, Gas). Die blinde Dynamik der gesellschaftlich unkontrollierten Produktivkraftentwicklung hat einerseits zu einer absehbaren Erschöpfung der Ressourcen fossiler Energie geführt, andererseits zu einer Zerstörung des globalen Klimas und der natürlichen Umwelt, deren Reifegrad ebenfalls absehbar ist. Die äußere Naturschranke und die innere ökonomische Schranke haben einen unterschiedlichen Zeithorizont. Während das Ende der realen „Verwertung des Werts“ schon in der Vergangenheit liegt und die kapitalistische Ökonomie jetzt innerhalb von Jahren (grob geschätzt im Lauf des kommenden Jahrzehnts) ihre historische Krise durchläuft, liegt die absolute Naturschranke noch in der Zukunft (innerhalb eines Zeitraums von maximal zwei bis drei Jahrzehnten). Durch die ökonomische Krise und die damit verbundene Schließung von Produktionskapazitäten wird die Erschöpfung der energetischen Ressourcen gebremst, allerdings um den Preis der globalen sozialen Verelendung in der kapitalistischen Form. Gleichzeitig haben aber die Prozesse der Zerstörung von Naturgrundlagen und Klima einen derart langen Vorlauf, dass sie durch die ökonomische Krise nicht gestoppt werden und die äußere Naturschranke trotzdem erreicht wird.

Das Ende der Modernisierung bedeutet also, dass nicht nur die kapitalistische Form der Reproduktion überwunden werden muss, sondern eine nachkapitalistische Weltgesellschaft für lange Zeit die Folgen der kapitalistischen Naturzerstörung zu bearbeiten hat und daran leiden wird. Für die krisentheoretische Analyse und Kritik kommt es darauf an, die beiden historischen Schranken des Kapitalismus in ihrem inneren Zusammenhang zu sehen. Es besteht allerdings die Gefahr, dass die beiden Momente der historischen Krise gegeneinander ausgespielt werden; sowohl von den kapitalistischen Eliten als auch von den Vertretern eines „ökologischen Reduktionismus“, die nur die äußere Naturschranke gelten lassen wollen. Die kapitalistische Krisenverwaltung und der ökologische Reduktionismus könnten eine unheilige Allianz eingehen, die darauf hinausläuft, die ökonomische Schranke zu verleugnen und im Namen der ökologischen Krise den verarmten und verelendeten Massen eine Ideologie des „sozialen Verzichts“ zu predigen. Demgegenüber muss festgehalten werden, dass die Krise, Kritik und Überwindung des kapitalistischen Formzusammenhangs Priorität besitzt, weil die Naturzerstörung Folge und nicht Ursache der inneren Schranke dieses Systems ist.

Warum ist die Schande der Krise auch die Schande der postmodernen Linken?

Das reale Substanzproblem der „abstrakten Arbeit“ wurde verleugnet und durch einen ideologischen „Anti-Substantialismus“ (oder „Anti-Essentialismus“) im Gegensatz zu Marx als bloße Metaphysik eines überholten Denkens denunziert, statt darin die durchaus materielle „Realmetaphysik“ des Kapitalismus zu erkennen. Damit einher ging eine Orientierung an der Sphäre der Zirkulation. Die finanzkapitalistische Illusion, durch Akte des Kaufens und Verkaufens könnte genauso Wachstum erzeugt werden wie durch reale Warenproduktion, bildete auch die implizite Voraussetzung des postmodernen Denkens. Das verschuldete Markt- und Konsum-Subjekt erschien als Träger der Reproduktion und einer möglichen Emanzipation, wobei gar nicht mehr gesagt werden konnte, worin diese eigentlich bestehen soll.

Der falsche ökonomische und technologische Virtualismus schlug sich philosophisch in einer Erkenntnistheorie nieder, die den fetischistischen „realen Schein“ des Kapitalverhältnisses nicht mehr kritisieren und überwinden wollte, sondern zu dem Glauben verführte, sich in diesen Verhältnissen „selbst verwirklichen“ zu können. Das „eiserne Gehäuse“ (Max Weber) des warenproduzierenden Systems wurde den virtualistischen Illusionen entsprechend in eine jederzeit und für alles offene „Ambivalenz“ und „Kontingenz“ umdefiniert, die beliebig begehbar zu sein schien. Wahrheit, auch die negative Wahrheit der Kritik, sollte keine objektive Grundlage in den Verhältnissen mehr haben, sondern als „produzierbar“ und „verhandelbar“ gelten. Das negative Wesen des Kapitals löste sich für die postmoderne Linke in eine unbestimmbare „Vielfalt“ von Erscheinungen auf, die sich als zusammenhanglose „Vielfalt“ sozialer Bewegungen ohne Fokussierung auf den harten Kern des Kapitals darstellen sollte.

In sozialer Hinsicht war die postmoderne Linke ein Trendsetter der kapitalistischen Individualisierung und Flexibilisierung. Das abstrakte Flexi-Individuum wurde nicht als Krisenform des bürgerlichen Subjekts erkannt, sondern zum Vorschein befreiter Individualität schon innerhalb des Kapitalismus verklärt. Statt als letzte Daseinsform des totalitären Marktes und als drohender „Krieg aller gegen alle“ in der universellen Krisenkonkurrenz erschien die Individualisierung als atomisierte Form der „Selbstverwirklichung“ und der „flexible Mensch“ (Richard Sennet) nicht als hilflos getriebenes Objekt kapitalistischer Zwänge, sondern als „Souverän“ seiner selbst, der neue Spielräume gewinnen und alles aus sich machen könne. Die Nähe des postmodernen Denkens zur neoliberalen Ideologie war trotz aller äußeren Gegensätze immer unverkennbar. Jetzt steht die postmoderne Linke vor den Trümmern ihrer Illusionen und wird mit der harten Realität einer epochalen Krise konfrontiert, die sie von Anfang an nicht wahrhaben wollte und auf die sie deshalb nicht vorbereitet ist.

Macht die heutige Linke eine existentielle Krise durch? Sollte die Linke weltweit ihre eigenen Engpässe lösen, bevor sie zu den gegenwärtigen Krisen alternative Lösungen anbietet? Besteht für Sie gegenwärtig ein theoretisches Vakuum unter den Linken, oder vielmehr eine methodologische Ungereimtheit in der Suche nach gemeinsamen Grundlagen für eine Theorie?

Diese Lage als „Engpässe“ der Linken zu bezeichnen, ist eine harmlose Formulierung. Das alte und das postmoderne „Linkssein“ sind gleichermaßen am Ende. Es gibt kein ontologisches Subjekt der „Arbeit“ mehr, weil sich die „Arbeit“ als historische Substanz des Kapitals entpuppt hat und selber obsolet geworden ist. Damit ist auch der paradoxe marxistische Begriff eines „objektiven Subjekts“ an sich, das nur „zu sich“ kommen müsse, historisch erledigt und kann nicht in Surrogaten fortgesetzt werden. In dieser Hinsicht ist das „theoretische Vakkuum“ der Linken identisch mit der „methodologischen Ungereimtheit“. Es ist der Linken nie gelungen, die Subjekt-Objekt-Dialektik des modernen Fetischismus auf den Begriff zu bringen. Die Folge war ein Abgleiten entweder in einen kruden Objektivismus oder in einen ebenso kruden Subjektivismus. Das Pendeln zwischen diesen beiden Polen des Fetischismus macht einen Großteil der linken Auseinandersetzungen aus, die über diese Polarität nicht hinausgekommen sind.

Für eine neue soziale Emanzipationsbewegung geht es nicht mehr darum, ein „objektives Subjekt“ wachzuküssen, sondern ohne ontologische Rückversicherung die Subjektform überhaupt zu kritisieren und als kapitalistische Daseinsform zu dechiffrieren. Die Form „Subjekt“ kann immer nur ein Agent des „automatischen Subjekts“ von Kapitalverwertung sein und darf nicht mit dem Willen zur emanzipatorischen Aktion verwechselt werden, der sich selbst konstituieren muss und keine ontologische Grundlage haben kann. Das ist schwer zu denken, weil gerade die postmoderne Linke die Kritik des Subjekts aufgegeben hat (so ist der späte Foucault zur Beschwörung des partikularisierten Subjekts zurückgekehrt). Diese Kritik ist vor allem deshalb gescheitert, weil sie nicht mit der Kritik der politischen Ökonomie vermittelt war.

Mit diesem Problem hängt auch die Kritik des modernen Geschlechterverhältnisses zusammen. Die traditionelle wie die postmoderne Linke hat zwar ihre obligatorischen Verbeugungen vor dem Feminismus gemacht, aber die Thematik nie wirklich ernst genommen. Auch der Feminismus selbst blieb trotz verdienstvoller Untersuchungen weitgehend darauf beschränkt, die Frauen als ebenso paradoxes „objektives Subjekt“ zu bestimmen wie die „Arbeiterklasse“. Das Postulat einer weiblichen „Subjektwerdung“ führt daher in dieselbe Sackgasse. So ist auch der Feminismus dem postmodernen Durchgang erlegen und hat die „abgespaltene“ weibliche Daseinsform im Kapitalismus ebenfalls in eine „Vielfalt“ von partikularen Emanzipationsbestrebungen aufgelöst, die das zentrale Problem nicht berühren. Auch hier käme es darauf an, die Kritik des modernen Patriarchats mit der Kritik der politischen Ökonomie zu vermitteln und nicht als „abgeleitete“ sekundäre Fragestellung zu behandeln. Zentral ist dabei die Erkenntnis, dass die scheinbar neutralen Kategorien des Kapitals und die dazugehörige Form „Subjekt“ an sich schon „männlich“ bestimmt sind und die kapitalistische „Vernunft“ von Haus aus eine androzentrische ist. Daran ändert auch die Auflösung der traditionellen Familie und der dazugehörigen Geschlechtsrollen nichts, weil sich der androzentrische Charakter des Kapitalismus in modifizierter Weise fortsetzt. Die Kritik dieser gesellschaftlichen Formen und die Kritik des kapitalistischen Geschlechterverhältnisses bedingen sich daher wechselseitig und müssen zusammen gedacht werden.

Die Kritik des „objektiven Subjekts“ der „Arbeit“ und der „abgespaltenen“ weiblichen Existenz ist keine begriffliche Spielerei, sondern hat enorme praktische Konsequenzen für die Überwindung des Kapitalismus. Erledigt hat sich auf diese Weise nämlich auch die altmarxistische Vorstellung einer sozialen Emanzipation und eines Sozialismus „in“ den kapitalistischen Kategorien, die nur anders reguliert und moderiert werden müssten. An der historischen Grenze des Kapitalismus stellt sich die Aufgabe einer „kategorialen Kritik“ sowohl des Zusammenhangs von „abstrakter Arbeit“, Warenform und „Verwertung des Werts“ als auch des damit verbundenen Geschlechterverhältnisses. Auch das ist schwer zu denken, weil diese Existenzbedingungen verinnerlicht worden sind und vom postmodernen Denken eher noch befestigt wurden. Erst die Formulierung eines neuen sozialistischen Ziels auf der Grundlage „kategorialer Kritik“ kann dazu führen, im Prozess der historischen Krise auch adäquate immanente Übergangsforderungen zu entwickeln und dafür eine reale Durchsetzungsmacht zu gewinnen. Ohne zusammenfassende Fokussierung auf den Kern des Kapitalismus bleiben soziale Bewegungen hilflos partikularisiert. Zu befürchten ist allerdings, dass die von der Krise „kalt erwischte“ Linke sich auf viel zu kurz greifende Konzepte der vermeintlichen „Rettung“ einlässt und damit nur ihre historische Ohnmacht ratifiziert.

In welchem Sinne trägt die gegenwärtige Konjunktur dazu bei, dass Politik zu einem aussterbenden Modell wird? Kann man sagen, dass die Wirtschaft die Politik kolonisiert hat? Wird ausgehend vom gegenwärtigen Geschehen Politik neu überdacht?

Die Grenzen des staatlichen Kredits waren schon Ende der 70er Jahre erreicht. Damals wurde die substanzlose Expansion des Staatskredits durch inflationäre Schübe bestraft. Die Illusion des Neoliberalismus bestand darin, dass er die Inflationierung ausschließlich auf die Staatstätigkeit zurückführte. Durch die neoliberale Deregulierung wurde das Problem aber nur vom Staatskredit auf die Finanzmärkte verlagert. Die Strafe der Inflation verzögerte sich zwar durch den transnationalen Charakter der Finanzblasen-Ökonomie, aber in der globalen Defizitkonjunktur bis 2008 begann das inflationäre Potential manifest zu werden. Dieser Prozess wurde zunächst abgebrochen, weil seither das virtuelle Kapital und mit ihm die Weltkonjunktur ihren Geist aufgeben. Wenn jetzt aber wiederum der Staat als „letzte Instanz“ und deus ex machina angerufen wird, müssen seine Rettungs- und Konjunkturpakete abermals die Entwertung des Geldes selbst hervorrufen; allerdings auf höherer Entwicklungsstufe und in einer weit größeren Dimension als vor 30 Jahren.

Vor diesem Hintergrund ist die Hoffnung auf eine „Renaissance der Politik“ die größte aller Seifenblasen. Die Schäden der politischen Schadensbegrenzung werden die bisherige Krise sogar übertreffen. Der Staat kann seinen Kapitalismus nur noch endgültig zu Tode regulieren. Die Linke ist auch in dieser Hinsicht hilflos, solange sie nicht die Systemgrundlagen selbst in Frage stellen kann. In demselben Maße, wie sich die vermeintliche „Autonomie“ der partikularen und symbolischen sozialen Bewegungen an der inneren Schranke der Verwertung in Schall und Rauch auflöst, ist zu befürchten, dass die Linke auf ihren traditionellen Etatismus regrediert, weil ihr nichts anderes mehr einfällt. Schon jetzt ist das meiste, was als linke Gesellschaftskritik ausgegeben wird, kaum mehr als ein bisschen keynesianische Nostalgie. Wenn die Linke hofft, auf den Zug der etatistischen Krisenverwaltung „sozialreformerisch“ aufspringen zu können, wird sie zusammen mit diesem entgleisen und nach ihrem Schwelgen im Virtualismus zum Trendsetter einer Inflationspolitik werden. Das wäre ein wohlverdientes Schicksal.

Was für andere linke Kräfte könnten jetzt auftauchen?

Der Kult der Spontaneität hat sich aber schon immer blamiert. Die spontanen Aufstände der Jugend, mögen sie auch durchaus organisiert sein, werden verpuffen, wenn sie keine Möglichkeit vorfinden, sich einen kritischen Begriff der Verhältnisse auf der Höhe der Zeit zu machen. Deshalb führt kein Weg daran vorbei, ein neues sozialistisches Ziel zu entwickeln mittels einer kategorialen Kritik, die sich nicht an die „falsche Unmittelbarkeit“ spontaner Praxis binden darf. Diese Spannung muss ausgehalten werden, wenn sich der aufkeimende soziale Widerstand nicht selber in „lebensphilosophischen“ Phrasen ersäufen soll.

Sie sagen, dass sich die Gesellschaft weltweit vom Spiel des realen Ökonomismus befreien und ihre Ressourcen auf neue Weise, jenseits von Markt und Staat, organisieren muss. Wie kann die Linke in diesem Sinne eine revolutionäre Arbeit leisten und die gegenwärtige Lage ändern? Was für Lösungsansätze hat in diesem Fall die Linke für die internationale Finanzkrise zu bieten?

Die epochale Krise verbessert die Bedingungen für solche Ideen nicht, sondern verschlechtert sie. Denn eine auf kleinen Raum beschränkte „alternative“ Reproduktion ist nicht nur mit uneingestandenen sozialen Zwängen verbunden, sondern sie bleibt auch auf die Funktionen von Markt und Staat angewiesen, weil sie nur wenige Lebensbedürfnisse in eigener Regie befriedigen kann. Die wirkliche Reproduktion der Individuen ist in einen Verkettungszusammenhang eingebunden, den Marx unter kapitalistischen Bedingungen als „gesellschaftliche Gesamtarbeit“ bezeichnet hat. Dieser Zusammenhang kann nur als ganzer transformiert werden; man kann nicht mit Kartoffeln oder mit Software anfangen und sich einbilden, damit ein „Modell“ im Kleinen zu kreieren, das nur auf die Gesamtgesellschaft übertragen werden müsse. Der „Modellplatonismus“ ist ein Produkt der bürgerlichen Volkswirtschaftslehre und nicht der radikalen Kritik.

Wenn in der Krise mangels „Finanzierungsfähigkeit“ Wasser und Strom abgestellt werden, die medizinische Versorgung und die kapitalistische Distribution von Lebensmitteln zusammenbricht, steht nicht eine allmähliche „Vernetzung“ von lebensreformerischen Kommunen oder virtuellen Austauschverhältnissen auf der Tagesordnung, sondern die gesamtgesellschaftliche Transformation der kapitalistischen Form von „Vernetzung“. Dafür bedarf es eines gesamtgesellschaftlich organisierten Widerstands gegen die Krisenverwaltung, der sich eigene Ziele auf der Ebene der gesellschaftlichen Synthesis setzt. Davon lenken die partikularistischen Surrogate einer „solidarischen Ökonomie“ nur ab, die meist aus einem Sammelsurium von Subsistenzökonomie, illusorischen „Geldreformen“ und abstrakter Gemeinschaftsideologie bestehen. Aus der Not soll eine Tugend gemacht werden. Es ist nur folgerichtig, dass solche Konzepte auch nach „Lösungsansätzen für die Finanzkrise“ schielen und sich dabei mit der keynesiansichen Nostalgie verbinden. Es gibt keine Lösung der Finanzkrise mehr, sondern das Kriterium der „Finanzierbarkeit“ selber ist anzugreifen, wenn eine neue Weise der Reproduktion jenseits von Markt und Staat ernst genommen werden soll.

Mitten im Zeitalter der Information durchlaufen wir die Krise des Kapitalismus. Wie wird sich das auf die Arbeitswelt hinsichtlich der Beziehung zwischen Kapital und Arbeit auswirken? Angesichts der Verbreitung neuer Technologien in der gegenwärtigen Gesellschaft, aber auch angesichts der gegenwärtigen Krisen, ist im Zeitalter der Informatik eine Entglobalisierung denkbar? Dürfen wir somit an eine neue Weltwirtschaft denken?

Die Globalisierung kann nicht auf die Informationstechnologie reduziert werden. Unter kapitalistischen Bedingungen konnte sie eben nur eine Globalisierung des Kapitals sein, unter dessen Diktat sich auch die Information befindet. Es ist zu erwarten, dass der Krisenprozess im Zuge der staatlichen Inflationspolitik insofern zu einer „Entglobalisierung“ führt, als der Versuch unternommen wird, sich auf einen protektionistischen Egoismus der nur noch formalen Nationalökonomien zurückzuziehen, begleitet von neo-nationalistischen Ideologien. Damit kann die Krise aber nicht bewältigt, sondern nur verschärft werden. Es ist auch fraglich, ob sich das Internet aufrecht erhalten lässt; nicht weil es technologisch zusammenbrechen könnte (obwohl sich auch auf dieser Ebene Grenzen der Kapazität andeuten), sondern weil es von riesigen Aggregaten der Infrastruktur abhängig ist, deren „Finanzierungsfähigkeit“ genauso in Frage gestellt ist wie alles andere. Eine bloß virtuelle Globalisierung ist nicht haltbar, wenn sie nicht mit einer transnationalen materiellen Reproduktion jenseits des Kapitalismus verbunden wird. Auch die bornierten Internet-Freaks und Plaudertaschen der „Blogosphäre“ könnten noch ihr blaues Wunder erleben.

Was heißt Ethik unter den gegenwärtigen Rahmenbedingungen der kapitalistischen Gesellschaft?