Startseite Krise und Kritik der Warengesellschaft


erschienen in der Wochenzeitung "Freitag"
am 20.03.2009

Robert Kurz

EINE FRAGE DER BESTIMMUNG

Mitspracherechte der Belegschaften in der Krise sind nur eine soziale Abwrackprämie

Die Zeiten ändern sich, wie schon Bob Dylan wusste. Diese banale Weisheit gewinnt erst an Brisanz, wenn sie zeigt, wie sich mit den Zeiten der Inhalt zentraler Stichworte ändert. So hat sich die Bedeutung von „Reformen“ verschoben, als dieser Begriff der Linken vom Neoliberalismus entwendet und zum Synonym für Sozialabbau gemacht wurde. Der neoliberalen Diskurshegemonie gelang es, dieses Paradigma ins Gegenteil zu verkehren; und die Gewerkschaften wussten nicht, wie ihnen geschah, als sie der „Reformverweigerung“ und die Regierungen der „Reformmüdigkeit“ bezichtigt wurden. Inzwischen haben sich die Zeiten schon wieder gewaltig verändert. Zwar musste der Neoliberalismus abdanken, aber jetzt drohen neue soziale Bedeutungsverschiebungen im Rahmen der Krisenverwaltung.

Im Namen der berüchtigten „Selbstheilungskräfte des Marktes“ galt die betriebliche Mitbestimmung in den letzten beiden Jahrzehnten als keynesianisches Fossil. Das deutsche Modell wurde zum Stein des Anstoßes für die marktradikalen Hardliner. Als die globale Finanzkrise hereinbrach und sich eine neue Weltwirtschaftskrise abzuzeichnen begann, tauchte die Frage der Mitbestimmung zunächst nicht aus der Versenkung auf. Man hatte erst einmal andere Sorgen. Allerdings standen sehr schnell Programme der Teilverstaatlichung auf der Tagesordnung; zuerst im Bankenwesen, dann auch in zentralen industriellen Sektoren wie zuletzt bei Opel und Schaeffler. In der politischen Klasse wurde es Mode, auf staatliche Mitspracherechte zu drängen, wenn schon Rettungspakete für die Konzerne geschnürt werden müssen. Gleichzeitig erhob sich die bange Frage, ob die vermeintliche neue Stärke des Staates nicht in Schwäche umschlagen könnte, sollte sich die Sanierung der Bilanzen als Fass ohne Boden erweisen. Was bedeutet es in diesem Zusammenhang, wenn auf einmal die Forderung im Raum steht, die Staatsbeteiligungen müssten in erweiterte Belegschaftsrechte umgemünzt werden?

Hoffnungen auf einen neuen Frühling der Mitbestimmung, wie sie in linken und gewerkschaftlichen Diskursen gehegt werden, sind ganz unangebracht. In Zeiten der Nachkriegsprosperität mochte die Mitbestimmung zu bescheidenen sozialen Verbesserungen beigetragen haben. Schon damals waren die Belegschaftsrechte aber in die „unternehmerische Mitverantwortung“ eingebunden. Umso mehr sollte es jetzt zu denken geben, dass die Not bei Opel und Schaeffler nur insofern erfinderisch macht, als die Betriebsräte Lohnsenkung und Urlaubsverzicht als Rettungsprogramm mittragen. Damit ist die Richtung vorgegeben. Worin soll die Verbesserung bestehen, wenn der Sozialabbau nun in freiwilliger Selbstbeteiligung auf der Basis erweiterter Belegschaftsrechte stattfindet? In Krisenzeiten werden diese „Rechte“ zur Falle, wenn Staat und Management damit nur das Problem des drohenden Bankrotts an die Belegschaften weitergeben. Mitbestimmung verwandelt sich in eine Selbstvergatterung auf die betriebswirtschaftliche Räson und damit in eine „Verantwortung“ für den Kapitalismus, die jede soziale Gegenwehr lähmt.

Es ist ein ganz ähnliches Dilemma wie bei den Belegschaftsbetrieben und alternativökonomischen Genossenschaften: Die vermeintliche Selbstbestimmung eines „Arbeitens ohne Chef“ schlägt in ihr Gegenteil um, weil die gesellschaftliche Vermittlung durch die Weltmarktkonkurrenz dazwischenfunkt und dazu zwingt, die „Marktgesetze“ an sich selbst zu exekutieren. Das müssen ja auch die Ich-AGs und „Selbstunternehmer ihrer Arbeitskraft“ erfahren; wie übrigens zuvor schon in anderer Weise die sang- und klanglos untergegangene jugoslawische Arbeiterselbstverwaltung damit konfrontiert war. Die eiserne Logik der Kapitalverwertung ändert sich um keinen Deut, wenn auf der einzelbetrieblichen Ebene die Eigentumsform modifiziert wird. Stößt die Verwertung an innere Schranken, wie es jetzt offensichtlich der Fall ist, dann müssen die hoffnungsvollen Kollektiveigentümer eben auch die Krise an sich selbst abarbeiten, weil sie Kapitalfunktionen übernommen haben.

Das gilt umso mehr, wenn ausgerechnet in der Krise die Mitbestimmung reanimiert wird. In den Konzernverbänden kann die „soziale Abwrackprämie“ erweiterter Belegschaftsbefugnisse erst recht nur als Beteiligung an den Kapitalfunktionen wahrgenommen werden. Das führt nicht nur dazu, sich freiwillig ins eigene Fleisch zu schneiden. Auch die Krisenkonkurrenz zwischen Kern- und Randbelegschaften wird in Eigenregie genommen. Im Namen der Konzernrettung werden dann zuerst die Leih- und Zeitarbeitsverhältnisse abrasiert. Für eine soziale Gegenbewegung steht die betriebswirtschaftliche Mitverwaltung der Weltwirtschaftskrise so wenig auf der Agenda wie die Delegation der Lebensbedürfnisse an den Staat. Zu knacken ist vielmehr die Nuss der unhaltbar gewordenen kapitalistischen Verkehrsformen auf der gesamtgesellschaftlichen Ebene. Sollte der Versuch gelingen, die Belegschaftsvertretungen mit dem Köder der betrieblichen Mitspracherechte einzubinden, wäre das der letzte Triumph der neoliberalen Propaganda für kapitalistische „Selbstverantwortung“.