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erschienen in der Print-Ausgabe
der Wochenzeitung „Freitag“
am 17.09.2009

Robert Kurz

WER REGULIERT WAS?

Warum der G20-Gipfel schon im Vorfeld Angst vor der eigenen Courage hat

Nach dem großen Crash gab es einen allgemeinen Konsens hinsichtlich der Krisenursache: Schuld am Desaster seien „Exzesse“ im Finanzsystem gewesen, bedingt durch die allzu forcierte neoliberale Deregulierung und eine Politik des billigen Geldes durch die Notenbanken. Außer halbherzigen Absichtserklärungen gab es bis jetzt keine Konsequenzen. Es ist absehbar, dass auch das bevorstehende Treffen der Staats- und Regierungschefs der 20 führenden Industrie- und Schwellenländer (G20) nicht ernst machen kann. Die zentralen Notenbanken haben bereits signalisiert, dass sie die Leitzinsen auf historischem Niedrigstniveau belassen werden, um die abgestürzte Konjunktur nicht vollends abzuwürgen. Was als eine Krisenursache gilt, wird also erst recht weiter betrieben. Damit zeigt sich schon ein innerer Widerspruch der offiziellen Krisenerklärung.

Dieser Widerspruch macht sich auch in der zentralen Frage der Re-Regulierung bemerkbar. Eigentlich soll der G20-Gipfel verschärfte Eigenkapitalvorschriften bei der Kreditvergabe der Banken bringen, um eine „dickere Schutzhülle“ gegen die drohende Kernschmelze des Finanzsystems zu schaffen. Das würde eine geringere Rendite für die Banken bedeuten. Nicht nur der Finanzplatz New York stemmt sich dagegen, sondern auch London. Europa spricht wieder einmal nicht mit einer Stimme. Ebenso wollen die Akteure des Frankfurter Finanzzentrums mit dem Deutsche-Bank-Chef Ackermann an der Spitze nichts von neuen Eigenkapitalvorschriften wissen. Es geht dabei nicht bloß um die Macht der Banken, sondern um ein objektives Problem. Mehr Eigenkapital vorauszusetzen, bedeutet nämlich auch eine Einschränkung bei der Kreditvergabe. Den Banken wird aber gleichzeitig vorgeworfen, dass sie in dieser Hinsicht knausrig geworden sind, die Unternehmen auf dem Trockenen sitzen lassen und eine „Kreditklemme“ herbeiführen.

Das Kreditproblem wird sich in den nächsten Monaten zuspitzen, weil ab Herbst im Gefolge von drastischen Sparmaßnahmen der selber von Insolvenz bedrohten Konzerne eine Pleitewelle im gesamten Spektrum der Zulieferindustrien und des Transportsystems zu erwarten ist. Warum sollen die Banken mit vollen Händen massenhaft Geldkapital an Wackel- und Bankrottkandidaten verstreuen, wenn sie ohnehin immer noch auf einem Berg fauler Kredite sitzen? Die Re-Regulierung ist also von vornherein durch die reale Wirtschaftslage blockiert und der G20-Gipfel wird in der entscheidenden Frage wohl ausgehen wie das Hornberger Schießen. Treuherzig heißt es jetzt: „In der Krise muss es erlaubt sein, dass die Schutzhülle dünner wird, in guten Zeiten muss sie verstärkt werden“ (Handelsblatt). Also Warten auf bessere Zeiten, darin besteht derzeit das letzte Wort der Regulierungsphantasie.

Diese Paralyse verweist darauf, dass die offizielle Krisenerklärung falsch ist. Es handelt sich nicht um eine autonome Fehlentwicklung des Finanzsystems, sondern um eine innere Schranke der sogenannten Realökonomie selbst. Das über zwei Jahrzehnte aufgeblähte Kredit- und Spekulationssystem war Folge einer mangelnden realen Profitproduktion, nicht umgekehrt. Deshalb ist auch die aus den Finanzblasen künstlich ernährte Weltkonjunktur an Grenzen gestoßen und muss nun auf dem Absturzniveau durch Staatsgeld gepäppelt werden. Der Entwarnungsdiskurs der letzten Monate war voreilig. Die Staatschefs fabulieren über „Exit“-Strategien aus den teuren Rettungs- und Konjunkturprogrammen, obwohl die vermeintliche Stabilisierung einzig auf diesen Programmen beruht, deren längerfristige Finanzierungsfähigkeit mehr als zweifelhaft ist. Die Banken jetzt ausgerechnet dadurch in die Pflicht nehmen zu wollen, dass die angeblichen Krisenursachen munter weiter bestehen und die Regulierung ausgesetzt wird, ist ein zum Scheitern verurteiltes Unterfangen. Was als „Kreditklemme“ erscheint, ist in Wahrheit eine allgemeine „Profitklemme“. Und die Banken springen dafür nicht in die Bresche, weil sie sonst ihre betriebswirtschaftliche Rationalität zugunsten des großen Ganzen aufgeben und ihren eigenen Ruin vorantreiben müssten. Auch ohne verschärfte Eigenkapitalvorschriften werden sie die Kreditvergabe weiter beschränken und auf Basis des billigen Geldes ihr Heil in Investmentgeschäften suchen, deren Recycling in die Realökonomie versiegt. Der schwarze Peter bleibt also fest in Staatshand.

Bundesfinanzminister Steinbrück hat im Vorfeld des G20-Gipfels die Flucht nach vorn angetreten, indem er eine globale Finanzmarktsteuer ins Spiel brachte, mit der die Banken und Investmentfonds an den Kosten der Krise beteiligt werden sollen. Aber diese schon von Attac favorisierte Tobin-Steuer beruht auf derselben falschen Krisenerklärung, denn das „Komasaufen auf den Finanzmärkten“ (Steinbrück) hatte ja gerade die Defizitkonjunktur am Laufen gehalten. Ganz abgesehen davon ist für die Tobin-Steuer eine globale Einigung noch viel weniger zu erwarten als bei den Eigenkapitalvorschriften. Für den Fall eines Scheiterns seines Plans will Steinbrück als Ersatz in der BRD eine nationale Börsenumsatzsteuer einführen, die aber gerade den nicht über die Börse laufenden Interbankenhandel aussparen würde, der die berüchtigten „toxischen Papiere“ unters Volk gebracht hatte. Weder eine schwarzgelbe noch eine neue große Koalition wird dieses unausgegorene Projekt aufgreifen. Es handelt sich wohl eher um einen Nebelwerfer in Wahlkampfzeiten, um das objektive Regulierungsdilemma zu kaschieren.