Startseite Krise und Kritik der Warengesellschaft


erschienen in der Printausgabe
der Wochenzeitung „Freitag“
am 19.11.2009

Robert Kurz

KEIN WASSER IN DER WÜSTE

Warum die Suche nach Kaufkraft ins Leere geht

Was braucht der Kapitalismus jetzt wie der in der Wüste Verdurstende eine Wasserstelle? Zahlungskräftige Nachfrage! Die hat er allerdings durch seine eigenen Funktionsmechanismen ausgetrocknet. Es ist das alte Lied vom inneren Widerspruch, das in immer schrilleren Tönen intoniert wird: Die den Gesetzen der Verwertungslogik unterworfenen Menschen sollen am besten für Gotteslohn arbeiten bis zur Erschöpfung, dabei sparen wie die Weltmeister für ihre Alters- und Zukunftssicherung, gleichzeitig aber mit vollen Händen Geld ausgeben als Konsumenten.

Die neoliberale Angebotspolitik bearbeitete den Widerspruch auf ihre Weise, indem sie Kostensenkung um jeden Preis verlangte. Von der Verbilligung des Angebots wurde Wachstum gemäß den Marktgesetzen erwartet. Das sollte nicht zuletzt für das Angebot der Ware Arbeitskraft auf den Arbeitsmärkten gelten, deren Deregulierung überall die Reallöhne senkte und eine Expansion des Billiglohnsektores erzwang. Das Problem der Nachfrage wurde scheinbar gelöst, indem in den USA und anderswo trotz langfristiger Erosion der Reallöhne für die mehr oder weniger breite Mittelschicht substanzlose Kaufkraft aus den Finanzblasen entstand (etwa durch die berüchtigten Hypothekenkredite). Die Folge war eine globale Defizitkonjunktur mit einseitiger Exportorientierung vor allem in die USA.

Weil dieses Konstrukt nach dem globalen Finanzcrash seinen Geist aufzugeben beginnt, scheint man die keynesianische Nachfragepolitik wieder zu entdecken. Der Staat soll durch konjunkturpolitische Maßnahmen die wegbrechende Kaufkraft beleben. Aber weit entfernt sind die Zeiten, als unter wesentlich komfortableren Bedingungen in der alten BRD die „konzertierte Aktion“ von Regierung, Unternehmensverbänden und Gewerkschaften einen keynesianischen Nachfrageschub hervorbrachte, der schließlich von der Inflation aufgefressen wurde. Von „Konzertierung“ heute keine Spur; die gegensätzlichen Konzepte gehen durcheinander wie Kraut und Rüben.

Mit der Abwrackprämie wurde ein zentrales Konsumsegment direkt staatlich subventioniert für den Teil der Mittelschicht, der das Geschenk noch mitnehmen konnte. Dass diese Notmaßnahme den Charakter eines Strohfeuers hat, ist allgemein bekannt. Die weiteren Konjunkturprogramme bleiben zu schwach, weil allein die Rettungspakete für den Finanzsektor die Staatsfinanzen bereits an den Rand des Ruins zu treiben drohen; ein zu keynesianischen Zeiten noch undenkbarer Problemklops des gesamten Bankensystems. Die Fata Morgana des schwarzgelben Steuersenkungs-Versprechens, um damit Kaufkraft zu schaffen, hat mit keynesianischer Nachfragepolitik nichts zu tun, sondern ist nichts als neoliberale Nostalgie. Die Steuersenkung vor allem für die obere Mittelschicht gehörte zu den flankierenden Maßnahmen der Angebotspolitik, die nicht mehr greifen. Sie ist erstens unfinanzierbar und würde zweitens verpuffen, weil sie angesichts der Krisenlage weder in Investitionen noch in den Konsum fließen könnte. Deshalb tobt bei den glorreichen Koalitionären schon nach drei Wochen Regierung der Familienkrach.

Erst recht wird die verzweifelte Suche nach kaufkräftiger Nachfrage dementiert durch die Lage in den Betrieben. Die Belegschaften der von Insolvenz bedrohten Unternehmen überbieten sich gegenseitig mit Zugeständnissen an das Management, weil sie von der Angst um den Arbeitsplatz getrieben werden. Nicht nur bei Opel und Arcandor ist der Verzicht auf Lohn, Urlaubs- und Weihnachtsgeld an der Tagesordnung. Bei Quelle hat es schon nichts mehr genützt. Dabei hat die Pleitewelle erst begonnen. Der von Betriebsräten ausgehandelte Lohnverzicht zwecks Unternehmensrettung dürfte weiter um sich greifen. In dieses Bild passt es, dass die Gewerkschaften sich in der Krise mit dem üblichen Verantwortungsbewusstsein für das schlechte Ganze auf eine Nullrunde bei den Tarifverhandlungen 2010 einzustellen beginnen. Wenn diese aus der Not geborene freiwillige Angebotspolitik der Ware Arbeitskraft honigsüß gelobt wird, steht das zwar in schreiendem Widerspruch zu einer Nachfrage-Orientierung; aber die Verhältnisse sind eben so.

In dieser Situation ist die Forderung nach einem allgemeinen, ausreichend hohen gesetzlichen Mindestlohn in den Hintergrund gerückt; und noch weniger darf die Rede sein von einer Aufstockung der unter das Existenzminimum gefallenen Transfereinkommen. Im Gegenteil beginnt durch den Lohnverzicht der Billiglohn auf die Kernbelegschaften überzugreifen und die untere Mittelschicht schmilzt ab. Die Strohfeuer staatlicher Nachfragepolitik werden ergänzt durch eine Fortsetzung der Angebotspolitik mit anderen Mitteln auf den Arbeitsmärkten. Diesen Trumpf im Spiel der globalen Konkurrenz will man nicht aus der Hand geben. Die Karawane der immer billigeren Beschäftigung soll sich auch ohne Tränke weiter schleppen. Deshalb starren die Eliten auf China wie das Karnickel auf die Schlange, obwohl es mehr als zweifelhaft ist, dass sich von dort her eine neue globale Defizitkonjunktur als Umkehr der bisherigen einseitigen Exportströme starten lässt. Wenn der Wunderglaube an die Stelle nicht mehr tragfähiger Nachfrage-Konzepte tritt, ist der nächste konjunkturelle Einbruch programmiert. Dann wird es in der Fortsetzung der Abwärtsspirale nur noch Notrationen geben.