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Christian Mielenz

Der Wolf und die sieben Krislein

Rezension zu Winfried Wolfs Buch 'Sieben Krisen – ein Crash', Wien 2009

Winfried Wolfs Buchtitel kommt sehr vollmundig daher und und grenzt sich allein dadurch schon von vielen anderen Werken, die sich mit der aktuellen Finanzkrise beschäftigen, ab. Wolf stellt in seinem Buch sieben Krisenszenarien vor, die seiner Ansicht nach in einem allgemeinen Krach der kapitalistischen Weltgesellschaft resultieren.

Wolfs Analyse beginnt mit einer Kritik an der Naturalisierung und Verharmlosung der Finanz- und Wirtschaftskrise. Er selbst sieht die gegenwärtigen Krisenerscheinungen stattdessen als Folge einer Strukturkrise der kapitalistischen Produktion.

Eine Ansage, die man in Zeiten des postmodernen gesellschaftlichen Positiv-Kurzzeitgedächtnisses nur noch selten vernimmt. Und ich hatte gehofft, dass Wolf sich mit dieser Aussage deutlich abgrenzt von Alt-Parteimarxisten einerseits und von „verkürzter“ Anti-Finanzmarkt-Kapitalismuskritik andererseits. Leider bestätigt sich diese Hoffnung nicht.

Wolf widmet fortan jeder Krise ein Kapitel, wobei er jedoch dem Punkt der „Krise der kapitalistischen Produktionsweise“ gerade einmal drei Seiten widmet. Und bereits die Überschrift zu dieser Erklärung lässt schon erahnen, dass Wolf zu diesem brisanten Begriff der „Krise“ nicht mehr vorzubringen weiß als die übliche altmarxistische Krisenzyklen-Theorie. So gesehen handelt es sich bei der Finanzkrise um dieselbe turnusmäßige, wie sie nach seiner Behauptung alle 7-10 Jahre auftritt und es sie seit 200 Jahren nun schon 25 Mal gegeben hat. Grund für diesen Krisenzyklus sei eine immer wiederkehrende Überproduktion. Und genau an dieser Stelle, wo es interessant wird, bricht Wolf seine Ausführung plötzlich ab. Was heißt 'Überproduktion'? Warum gibt es sie? Was wird über-produziert? Diese sich aufdrängenden Fragen beantwortet Wolf leider nicht. Und das scheint für ihn auch nicht nötig zu sein. Denn Wolf geht es offenbar gar nicht so sehr darum, dass wir eine Krise haben – denn diese wiederholt sich völlig normal jede Dekade. Es geht ihm eher um die Schwere der derzeitigen Finanzkrise, die aus seiner Sicht eben nicht auf den Krisenzyklus, sondern auf eine fehlgeleitete Wirtschaftspolitik der letzten 30 Jahre zurückzuführen ist: dem Neoliberalismus.

Und wer so das erste Kapitel gelesen hat, der braucht die restlichen 80% des Buches, wenn überhaupt, nur noch quer zu lesen. Denn es ist vorhersehbar, worauf nun seine Argumentation hinausläuft. Wolf skandiert in den folgenden Kapiteln nur, aber nach Erklärungen und kapitalismuskritischen Analysen sucht man vergebens. Wolf scheint vielmehr genau auf jene Naturalisierung der Krise zurückzufallen, die er anfangs kritisierte. So empört er sich über die massenhafte, staatliche Subvention der IT- und Autoindustrie (z.B. Abwrackprämie) und ich werde an dieser Stelle den Eindruck nicht los, dass er damit dem Neoliberalismus, den er ja als Hauptübel für die gegenwärtige Krise sieht, unabsichtlich einen Dienst erweist.

Richtig durcheinander gerät Wolfs Argumentation im vierten Kapitel, wo er als Erklärung für die sich global ausbreitende Armut sich um übelsten Subjektivismus des Arbeiterbewegungs-Marxismus bemüht. Die Arbeiterklasse wird durch räuberische Kapitalisten und Finanzspekulanten um die Früchte ihrer produktiven Arbeit gebracht, und ihr ehrlich verdientes Geld an den unseriösen Finanzmärkten auf den Kopf gehauen. Folge dieser zwar normalen, aber durch den Neoliberalismus begünstigten „Unsolidität“ (S.81) sei die sträfliche Vernachlässigung der Realökonomie und die Fixierung auf die Finanzmärkte, bei gleichzeitiger Umverteilung von unten nach oben.

Wolfs Ein-Satz-Warnung vor antisemitischer verkürzter Kapitalismuskritik wirkt daher unglaubwürdig und holt das Kind auch nicht mehr aus dem Brunnen. Ganz offen baut er sogar ein Feindbild von lachenden und feiernden Bankern auf, die ihre Gerissenheit mit knallenden Sektkorken honorieren (S.123). Überhaupt ist der Neoliberalismus für Wolf schlichtweg die Wurzel aller krisenhaften Übel der letzten Jahrzehnte, ob Privatverschuldung, die Entstehung von „Raiders“ (also reine Finanzakteure wie Hedge-Fonds oder Private-Equity-Fonds, Schattenbanken), Bankenzusammenbrüche, Welthunger oder Umweltkatastrophe. Also nichts Neues unter der Sonne, alles wie gehabt. Die Kapitalisten sind demnach gierige und hinterlistige Gauner, die eigentlich durch die Politik an ihrem schmarotzenden Handeln gehindert werden sollten.

Das neunte Kapitel tanzt dann ein wenig aus der Reihe, wenn es um den Hegemoniezerfall der USA geht. So wie Kapitalismuskrisen für Wolf die ständige Wiederkehr des Gleichen darstellen, so sind für ihn Hegemonie und Hegemoniezerfall der USA auch nichts Ungewöhnliches. Die Besonderheit der Hegemonie des größten Schuldners der Welt unterschätzt Wolf dabei genauso wie er Chinas relative Gläubigerposition überschätzt. Wie der wirtschaftspublizistische Mainstream lässt sich auch Wolf von oberflächlichen volkswirtschaftlichen Zahlen Chinas blenden und glaubt, einen neuen, unabhängigen Hegemon zu sehen. Dass Chinas ökonomischer Weltstatus keineswegs aus einer eigenständigen industriellen Entwicklung, sondern genauso wie der der USA aus Defizitkreisläufen und Entsubstantialisierung des Werts hervorging, ist nur eines der Gegenargumente, die man gegen Wolf hier anbringen könnte.

Nach dieser regelrechten Achterbahnfahrt vom Arbeiterbewegungs-Geisterhaus über die Abgründe verkürzter Kapitalismuskritik hin zum 'Alles wie gehabt'-Hegemonialwechsel zwischen den USA und China kommt Wolf nun zur spannenden Frage: Was werden die Regierungen auf der Welt nun tun, um sich aus dem Krisensumpf herauszuziehen? Wolf flüchtet hier ins Jahr 1945 und damit zurück zum wirren Paradigma eines „militärischen Keynesianismus“, wonach es zu einer Flucht in neue Kriege kommen könnte, welche die Krise schlagartig beendet. Dabei macht die finale Krise des Kapitalismus selbst vor dem Militärsektor nicht halt (schlechte Ausstattung, Verwilderung und Korrumpierung der Armeen und erst recht der privaten Söldnerfirmen). Nachdem hier Wolf also kräftig daneben gegriffen hat, sucht er nach alternativen Lösungen für die Krise. Und diese sehen genauso dürftig aus wie die Destruktiv-Lösung vom Kriegskeynesianismus: Verstaatlichung der Banken, staatliche Regulierung des Finanzsystems, Reduktion der Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich und staatliche Investitionsprogramme in Bildung, Erziehung und Umweltschutz.

So weit, so schlecht. Meine Erwartung, dass Wolf hier erfrischend neue Analysen bietet, hat sich nicht erfüllt. Wolf kaut nur alte Märchen aus dem 19. und 20. Jahrhundert wieder, und seine Kopien sind noch mieser als das Original. Empfehlenswert ist dieses Buch daher so sehr und so wenig wie alle anderen Finanzmarkt-Bashing-Werke auch.