Startseite Krise und Kritik der Warengesellschaft


erschienen im Neuen Deutschland
am 08.01.2010

Robert Kurz

SAND IM GETRIEBE

Nicht nur die Pleiten häufen sich, sondern auch die Pannen. Es ist keineswegs bloß dem Wintereinbruch geschuldet, dass Flughäfen vorübergehend geschlossen werden oder ICE-Züge reihenweise ausfallen. Die kalte Jahreszeit gab es auch in Zeiten, als deswegen noch nicht massenhaft Besuche und Termine abgesagt werden mussten. Umgekehrt brach der Berliner S-Bahnverkehr schon zusammen, als man noch im T-Shirt herumlaufen konnte. Und wenn die Nürnberger U-Bahn immer häufiger unterwegs stehen bleibt, liegt es nicht daran, dass es in die Tunnels hinein schneit. In Wirklichkeit haben Fluggesellschaften und Flughäfen ebenso wie die Bahn und Betriebe des Nahverkehrs Wartung und Personal eingespart. In Nürnberg sind es die neuen „fahrerlosen“ U-Bahnzüge, deren hochgepriesene Vollautomatik zu Stockungen führt. Offenbar wird aus schieren Kostengründen eine noch gar nicht ausgereifte Technik eingesetzt. Die Organisation und Information ist ständig überfordert, weil die Personaldecke überall immer dünner wird.

Keineswegs zufällig machen sich die Pannenserien schon seit Jahren vor allem im Verkehrs- und Energiesektor bemerkbar. Privatisierte oder nach kommerziellen Gesichtspunkten geführte öffentliche Dienste negieren systematisch ihren Charakter als gesamtgesellschaftliche Infrastruktur, deren weit gefächerter Zusammenhang nun einmal personalintensiv ist. Der Erlebnishalt mitten auf der Strecke, das Fahrplanchaos oder der Stromausfall sind nur konsequent, wenn die rein betriebswirtschaftliche Kostenrationalität Regie führt. Finanzpolitisch hat der Krisenkeynesianismus als Notstandsverwaltung den Neoliberalismus abgelöst, aber betriebswirtschaftlich wird die neoliberale Kostensenkungspolitik um jeden Preis beibehalten und sogar noch forciert.

Das gilt auch für die Industrie-, Einzelhandels- und Bankkonzerne, die sich bisher trotz massiver Absatzeinbrüche durch Einsparungen an allen Ecken und Enden über Wasser halten. Wenn schon seit langem einer das machen sollte, was zuvor drei bewältigt hatten, so soll er nun die Aufgaben von vier übernehmen. Oder Sicherheit und Reparaturkapazität werden überhaupt zusammengestrichen. Der Rückruf von nagelneuen Autos wegen Konstruktions- und Produktionsfehlern nimmt ebenso zu wie die Mängel bei Neubauten und die Reibungen im Zahlungsverkehr; neuerdings etwa durch nicht funktionierende Kreditkarten und Geldautomaten. Die Schlange an der Supermarktkasse wird zur Gewohnheit, weil die Kassiererin gleichzeitig Regale einräumen muss. Nach den Zuständen in der Lebensmittelbranche wagt man kaum zu fragen. Wie gut, dass auch das Personal der staatlichen und kommunalen Kontrollbehörden abgebaut wird; vermutlich erst recht im Zuge der Steuersenkungen und des folgenden Rückgangs von Einnahmen.

Bildete einstmals der Widerstand unwilligen Personals den Sand im kapitalistischen Getriebe, so haben die Macher inzwischen entdeckt, dass Beschäftigte und Kunden gleichermaßen fast alles mit sich machen lassen. Die Leistungshetze steigt, die Krankenstände sinken und die Angst regiert. Demnächst werden sich wahrscheinlich die Käufer freiwillig selber abkassieren. Der quasi kriegswirtschaftlichen Finanzpolitik entspricht ein quasi kriegswirtschaftlicher Alltags-Stress. Aber alle Willigkeit und Hörigkeit nützt nichts, wenn Unmögliches sofort erledigt werden soll. Praktisch-organisatorisch geht allmählich nichts mehr, weil sozial und betriebswirtschaftlich alles geht. Der Sand im Getriebe der Betriebswirtschaft ist die Betriebswirtschaft selbst.