Startseite Krise und Kritik der Warengesellschaft


erschienen in der Print-Ausgabe
der Wochenzeitung „Freitag“
am 14.01.2010

Robert Kurz

LEIBEIGEN STATT ARBEITSLOS?

Die BRD gibt sich nach dem globalen Konjunktureinbruch zwar nicht als Insel der Seligen, aber doch als das Industrieland, das die drohende zusätzliche Massenarbeitslosigkeit am besten aufgefangen hat. Obwohl die Konzerne seit Monaten Personal abbauen, ist die Arbeitslosenzahl bislang nur moderat gestiegen. Des Rätsels Lösung: Hierzulande leistet man sich dank gesetzlicher Vorgaben den größten Billiglohnsektor in Westeuropa, der sich in der Krise weiter ausdehnt. Soeben durfte die Drogeriekette Schlecker vormachen, wie man Beschäftigung erhält: Ein Großteil der Belegschaft wurde einer Leiharbeitsfirma überantwortet und zu wesentlich schlechteren Konditionen wieder eingestellt. Die frisch gebackene Arbeitsministerin gab sich bedenklich, ob hier alles mit rechten Dingen zugegangen sei. Das ist schon deshalb unglaubwürdig, weil sie selber ein paar Tage zuvor größeren Druck auf die Hartz-IV-Empfänger angekündigt hat. Vorgegeben wurde die Richtung vom Sachverständigenrat der Bundesregierung, den sogenannten Wirtschaftsweisen, der schon im Dezember pünktlich zu Weihnachten eine Kürzung des Regelsatzes um 30 Prozent auf 251,30 Euro pro Monat vorgeschlagen hatte. Das wäre der bisherige Satz für Kinder von 6 bis 13 Jahren. Dafür sollen die Zuverdienstgrenzen heraufgesetzt werden. Die Hartz-IV-Empfänger könnten dann durch erzwungene Billigarbeit – vielleicht! – wieder ein Hungereinkommen auf Höhe des alten Regelsatzes erzielen. Vorige Woche legte der Wirtschaftsweise Wolfgang Franz nach, indem er als Ergänzung eine forcierte kommunale Zwangsarbeit für die lästigen Überflüssigen ins Spiel brachte. Die Weisheit besteht offenbar darin, dass „Lohn und Brot“ als gezielte Schaffung einer Kaste von Leibeigenen der Arbeitsverwaltung und der Halsabschneider-Klitschen verstanden wird. Wenn es im Knast besseres Essen gibt, als es sich Millionen von „arbeitenden Armen“ leisten können, hofft man „gestärkt aus der Krise“ hervorgegangen zu sein – falls der Weltmarkt nicht einen Strich durch die weisheitstriefende Rechnung macht.