Startseite Krise und Kritik der Warengesellschaft


erschienen in Das Blättchen am 15.02.10

Uwe Stelbrink

Metamorphosen der Krise

Als an den internationalen Finanzmärkten die Blasen virtueller Geldvermehrung platzten, die darob rasant an Fahrt verlierende „Weltkonjunkturlokomotive USA“ das „ewige Wachstum“ als finanzblasengetrieben und die „Realwirtschaft“ aller Länder sich als abhängig von einer defizitfinanzierten Nachfrage desavouierten, war guter Rat teuer – und ein historisches Millisekündchen war Schweigen im Walde. Nach dieser Schrecksekunde, in der es selbst dem konservativen Feuilleton kurzzeitig dämmerte, dass der globale Kapitalismus an seine Grenzen gestoßen sein könnte, setzte das übliche Geschnatter aller Systemweisen und –retter wieder ein: Das Leben ging ja weiter, der Bäcker verkaufte seine Brötchen, die S-Bahn fuhr (wenn auch in Berlin nur als Schatten ihrer selbst), es gab sogar noch Wetter!

Krise, ja o.k., eine der Finanzmärkte vielleicht, aber doch keine Systemkrise. Ein paar durchgedrehte Banker und Spekulanten, eine nachlässige Banken- und Börsenaufsicht – das lässt sich doch alles regeln. Und damit eine Wiederholung verhindern. Und dann kann es eigentlich wieder weiter gehen.

Dieser reduzierte Blickwinkel, den ein großer Teil der verbliebenen Linken wie auch und insbesondere die LINKE mit allen erklärten Kapitalismus-Apologeten teilen, ist Folge einer chronischen Wahrnehmungs- und Erkenntnisverweigerung. Der Kapitalismus als eine Form der Vergesellschaftung, in der alles und jeder in Wert gesetzt und der Verwertung unterworfen wird, also seine Daseinsberechtigung nur über seinen eigenen Rentabilitätsnachweis bestätigen kann, ist sowohl in seinem Kernprozess, der Verwertung, als auch in dessen stofflichen Basis, der Vernutzung von Natur, an seine Schranken gelangt.

Wenn man nicht nur von Globalisierung schwätzt, sondern seinen Blickwinkel auf die globalisierte, also auf die vollständig der Verwertung unterworfene Welt öffnet, kann man den Zusammenbruch des globalen Kapitalismus täglich sehen. Freilich nur, wenn man unter Zusammenbruch nicht einen zeitlich und räumlich punktuellen Crash, sondern einen globalen, widersprüchlichen und ungleichzeitigen Prozess in historischer Dimension versteht und schon stattfindende Zusammenbrüche von Staaten, Nationalökonomien und Infrastrukturen nicht aus diesem globalen Zusammenhang nach Belieben heraus löst und zu Einzelerscheinungen erklärt, die bei „besserer Regierung“ oder „gerechteren Lösungskonzepten“ vermieden oder behoben werden können.

Da aber das Brett vorm Kopf offensichtlich irgendwann als Teil des eigenen Körpers wahrgenommen wird, war für große Mehrheiten von Lechts bis Rinks der Zusammenbruch der Finanzblasenökonomie eben kein Teil eines stattfindenden Systemcrashs, sondern eine der immer mal wiederkehrenden Krisen im Kapitalismus, nur diesmal eben im Bereich der Finanzökonomie.

So nahm denn seinerzeit auch die LINKE das Stopfen der schwarzen Löcher bei HRE und aller ihrer Anverwandten durch hunderte Staatsmilliarden mit halbherziger Kritik zur Kenntnis – eine radikale Kritik, gar ein politisches Konzept konnte man freilich nicht bieten.

Wie auch: Alle politischen Konzepte der LINKEN setzen ein Funktionieren der Verwertungsmaschine voraus, natürlich bei „gerechterer Verteilung der Lasten“ und einer „Umverteilung von oben nach unten“.

Deshalb konnte in einem uneingestandenen breiten gesellschaftlichen Konsens die drohende „Kernschmelze des Systems“ zeitlich noch einmal verschoben worden - zu Lasten einer gigantischen Staatsverschuldung.

Da auch den Machteliten klar ist, dass sie diese Staatsverschuldung nicht durch ein unendliches Rotieren der Notenpresse beheben können (zumal nicht zu Unrecht noch weitere Risiken in Billionenhöhe im System befürchtet werden), müssen die Defizite irgendwie abgebaut werden.

Die föderale Struktur in Deutschland bietet sehr differenzierte Möglichkeiten, die unmittelbaren Folgen der Finanzkrise, die sich als höchste Staatsschuld in der Geschichte der Bundesrepublik manifestiert, über verschiedene Ebenen auf die Haushalte der Länder und Kommunen auszulagern, zu verschieben.

Dabei findet eine Metamorphose statt, bei der sich krisenbedingte Staatsschulden in verfallende Infrastruktur, zu schließende Theater, unterbesetzte Schulen, steigende Gebühren für öffentliche Dienste und steigende Eintrittspreise in Schwimmbäder usw. usf. „verwandeln“.

So ist die Systemkrise auf den ersten Blick freilich kaum wieder zu erkennen. Viele der unsozialen Nettigkeiten wandeln sich zu unsozialen Entscheidungen lokaler Verwaltungen und Politiker.

Was die Auseinandersetzung im politischen Raum auf der möglichen Ebene der Systemkritik zersplittern lässt in hunderte kleine, in der Sache berechtigte und doch isolierte Protestaktionen.

Wenn die LINKE nach ihren Personalquerelen, die sie in SPD-Manier zeitlich vor der Klärung inhaltlicher Fragen ausgefochten hat, sich tatsächlich die angekündigte Grundsatz- bzw. Programmdebatte leisten will, könnte sie sich statt des wenig ertragreichen Streits, ob und unter welchen Bedingungen sie an der Krisenverwaltung – auch Regierungsbeteiligung genannt – mitwirken will, der Aufgabe stellen, die einfachsten, einsichtigsten und berechtigten Ansprüche aller Menschen auf ein menschenwürdiges Leben (gesunde Ernährung, gesunde Umwelt, Gesundheitsfürsorge, angemessenes Wohnen, Bildung, Teilhabe am gesellschaftlichen Leben usw. usf.) zur für die LINKE unverhandelbaren Forderungen erklären, statt sich auf Finanzierbarkeitsdebatten einzulassen, die sie unweigerlich in der Systemlogik verbleiben lassen und sie zwingt, auf das Funktionieren einer Vergesellschaftungsform hoffen zu müssen, die doch längst am Ende ist.

Den wohlfeilen Einwand, dass mit solcher „Fundamentalopposition“ nichts zu erreichen sei, haben die Protagonisten der LINKEN selbst immer wieder vehement zurückgewiesen unter Verweis auf veränderte Haltungen oder Taktiken der herrschenden Eliten, die allein schon der Existenz der LINKEN zuzuschreiben seien. Es wäre also nicht nur an der Zeit und notwendig, sondern möglich, Pragmatismus durch eine praktische radikale Kritik, also durch Fundamentalopposition, zu ersetzen.

Ohne eine solche „Fundamentalopposition“ bleibt der LINKEN nur, den jeweiligen Metamorphosen der Krise nachzujagen.