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erschienen in der Print-Ausgabe
der Wochenzeitung „Freitag“
am 25.02.2010

Robert Kurz

KEIN MEISTER DER KRISE

Mit Bundesbankpräsident Axel Weber wird ein geldpolitischer Hardliner für den Chefsessel der Europäischen Zentralbank favorisiert

Zwar läuft die Amtszeit von Jean-Claude Trichet erst im Herbst 2011 ab. Aber schon jetzt hat ein Tauziehen darum begonnen, wer künftig an der Spitze der Europäischen Zentralbank (EZB) stehen soll. Auf den ersten Blick scheint es sich um den üblichen Postenschacher im undurchsichtigen Byzantinismus der europäischen Institutionen zu handeln. Da die EZB als unabhängig von direkten Einflussnahmen der nationalen Regierungen konzipiert ist, wird umso mehr gefeilscht, geschoben und getrickst, wenn es um die Besetzung der wichtigsten Positionen geht. Nach dem Holländer Duisenberg und dem Franzosen Trichet möchte die deutsche Regierung nun offenbar den derzeitigen Bundesbankpräsidenten Axel Weber in den EZB-Chefsessel hieven, um auch mal dran zu sein.

Bundeskanzlerin Merkel zieht jedenfalls als machtpolitische Helmut-Kohl-Schülerin alle Register der gekonnten Kulissenschieberei, um ihren Wunschkandidaten zu platzieren. Beim Personalkarussell der EU-Kommissariate wurde der biedere, des Englischen nicht ganz mächtige Günther Öttinger in das als minder bedeutend geltende Energieressort abgeschoben, statt das Währungsressort zu beanspruchen. Dessen deutsche Besetzung hätte nämlich Weber den Weg an die Spitze der EZB verbaut. Aus demselben Grund setzte Merkel die Nominierung des portugiesischen Notenbankchefs Vitor Constâncio als Vizepräsident der EZB durch. Nach den ungeschriebenen regionalen Proporzregeln der EU steht einem „Nordeuropäer“ das Präsidentenamt zu, wenn ein „Südeuropäer“ den Vizepräsidenten stellt (und umgekehrt). Die Berufung des Portugiesen gilt als Deal von Merkel mit dem französischen Präsidenten Sarkozy, um für Weber freie Bahn zu schaffen. Zumindest nach den Proporzverhältnissen wäre damit der bisher als Gegenkandidat gehandelte Chef der Banca d'Italia, Mario Draghi, aus dem Rennen. Draghi ist zudem belastet, weil er in seiner früheren Eigenschaft als Bankmanager bei Goldman Sachs dem griechischen Finanzministerium beim Fälschen seiner Bilanzen behilflich gewesen sein soll.

Durch ist damit die Kandidatur von Weber noch lange nicht. „Friendly Fire“ kommt sogar aus Merkels eigener Partei. Der CDU-Europa-Abgeordnete Werner Langen hat sich offen gegen den Favoriten seiner Kanzlerin ausgesprochen. Diese Querschießerei hat vielleicht damit zu tun, dass der Erfolg Webers ein weiteres Stühlerücken zur Folge hätte. Nach denselben Proporzregeln müsste dann der bisherige deutsche Chefvolkswirt der EZB, Jürgen Stark, den Hut nehmen und einem Franzosen seinen Platz räumen. Darin könnte wiederum der Deal Merkels mit Sarkozy bestanden haben.

Das unappetitliche Gezerre von nationalen Empfindlichkeiten und personalen Seilschaften, das sowieso stattgefunden hätte, erhält allerdings durch die objektive Krisenlage einen brisanten Hintergrund. Es geht auch um eine Ausrichtung der Geld- und Währungspolitik, die sich längst nicht mehr von selbst versteht. Die sogenannte monetaristische Doktrin einer Geldwertstabilität um jeden Preis hat ihren Sündenfall längst hinter sich. Die Geldschwemme der US-Notenbankpräsidenten Greenspan und Bernanke wurde von der EZB unter Trichet unter dem Eindruck der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise mitvollzogen. Wenn jetzt von einer Exit-Strategie die Rede ist, besteht nur noch die Wahl zwischen Pest und Cholera. In den angelsächsischen Ländern wird inzwischen offen die Option einer „kontrollierten Inflation“ erörtert, um die Staaten aus der Schuldenfalle zu führen. Diese Tendenz kommt der traditionellen Finanzpolitik der Südeuropäer entgegen, die in den Fällen Griechenland, Portugal, Spanien, Italien (und Irland) bereits eine Zerreißprobe des Euro heraufbeschworen hat.

Axel Weber ist kein Meister der Krise, aber er gilt als Hardliner einer anti-inflationären Exit-Option um jeden Preis. Während die Südeuropäer harte Einschnitte mit der drohenden Folge sozialer Aufstände eher vermeiden wollen, um den weiteren Sozialabbau mittels Inflationspolitik geräuschloser zu machen, setzt die „deutsche“ Strategie offenbar mehr auf eine direkt politisch durchgedrückte Massenverarmung, die den Euro stabil halten soll. Diese Politik hat keine komfortable Grundlage, weil die Staatsfinanzen der BRD im Grunde genauso belastet sind wie anderswo. Aber schon jetzt leistet sich Deutschland den größten Billiglohnsektor in der EU. Die weitere Einschnürung des Binnenkonsums favorisiert auch in Bezug auf die übrige EU eine einseitige Exportorientierung, während man die soziale Gegenwehr hierzulande vernachlässigen zu können glaubt.

Eine EZB-Präsidentschaft von Weber würde also eine harte Exit-Strategie flankieren, die auf Kosten der meisten anderen Euro-Staaten gehen müsste. Deshalb sind faule Kompromisse und Kuhhändel nicht ausgeschlossen. Das gilt vor allem dann, wenn auch Frankreich zu den Leidtragenden gehört. Die Objektivität der neuen Krisendimension, die sich nun überall auf die Staatsfinanzen verlagert hat, kann durch institutionelle Personalpolitik ohnehin nicht ausgehebelt werden. Mit der Personalie Weber werden aber die Weichen für eine Verlaufsform gestellt, in der sich das Zerbrechen des Euro-Raums und die Schrumpfung auf eine Kernzone mit nordeuropäischem Schwerpunkt erst recht vollziehen könnte. Die Frage ist, ob die EU eine Geld- und Währungspolitik nach dem Motto „Deutschland gegen den Rest der Welt“ mitmachen kann. Einig ist man sich zwar darin, dass soziale Schmerzen über alles bisherige Maß hinaus zugefügt werden müssen. Aber die gegensätzlichen Rezepte werden in den kommenden Jahren für Zündstoff sorgen.