Startseite Krise und Kritik der Warengesellschaft


erschienen in der Wochenzeitung „Freitag“
am 22.04.2010

Robert Kurz

RECHNUNG OHNE DEN WIRT

Nach den prognostischen Blamagen der letzten Jahre zieht sich das Frühjahrsgutachten der Wirtschaftsinstitute in der BRD schon im Titel auf eine zwiespältige Beurteilung zurück: „Erholung setzt sich fort – Risiken bleiben groß“. Die volkswirtschaftliche Erfolgsmeldung bezieht sich zunächst auf den Arbeitsmarkt: Dort ist der große Einbruch im Gegensatz zu den USA und anderen EU-Staaten bislang ausgeblieben. Dahinter stehen subventionierte Kurzarbeit, eine Ausdehnung von Teilzeitarbeit und befristeten Beschäftigungsverhältnissen, ein weiteres Absinken des Lohnniveaus und eine Zunahme prekarisierter Selbständigkeit bei den qualifizierten Mittelschichten. Die Erwerbstätigkeit ist ebenso gesunken wie die Arbeitszeit; Neueinstellungen werden nicht erwartet. In der Summe ergeben sich als Preis für die vorläufige Abwendung der Arbeitsmarktkatastrophe verminderte Masseneinkommen, die nicht auf eine Erholung der Binnenkonjunktur hindeuten.

Das ist auch so gewollt, denn das Gutachten nennt als Erholungsfaktor allein die anziehende Auslandsnachfrage. Die bleibt freilich nicht nur weit unter dem Niveau der Jahre vor der Krise, sondern soll sich schon im Jahresverlauf wieder abschwächen, wenn die staatlichen Konjunkturprogramme bei den Handelspartnern auslaufen. Damit ist aber schon gesagt, dass die Rechnung ohne den Wirt der Globalisierung und der staatlichen Subventionierung von Nachfrage gemacht wird. Die „Risiken“ selbst sind es, die jene bescheidene „Erholung“ tragen, weil sich das Problem der Defizitkonjunktur von den Finanzblasen auf den Staatskredit verlagert hat. Laut Gutachten muss allein der Bund bis 2016 sein Defizit pro Jahr um rund 10 Mrd. Euro senken. Die Kettenreaktion drastischer Einsparungen in allen öffentlichen Bereichen (das Gutachten nennt „Personalkosten“ und den „Gesundheitssektor“ als Sparpotentiale) wird sozusagen durch die Hintertür den vorerst vermiedenen Anstieg der Massenarbeitslosigkeit auf den Weg bringen. Die Alternative wäre eine Inflationspolitik mit unabsehbaren Folgen.

Die Institute sagen selber, dass die anstehende Sparpolitik einen schwachen Konjunkturfrühling abwürgen könnte. Das gilt aber nicht nur für die BRD. Wenn wie gehabt die Auslandsnachfrage Rettung bringen soll, wird das Problem innerhalb dieser Zone bloß externalisiert. Die Handelsüberschüsse der BRD sind nicht zuletzt dank der hausgemachten Billiglohn-Politik gegenüber den wichtigsten Nachbarn noch im Krisenjahr 2009 weiter gestiegen. Der pazifische Defizitkreislauf zwischen Asien und den USA hat sein Pendant innerhalb der EU zwischen der BRD und den west- bzw. südeuropäischen Ländern. Finanziert wird dieser Kreislauf jetzt nur noch durch genau die potenzierten Staatsdefizite, die im Fall Griechenland bereits an den Rand des Bankrotts geführt haben. Wie soll es gehen, dass diese Länder durch noch größere Einsparungen ihre Binnenkonjunktur abwürgen und gleichzeitig die Exportüberschüsse der BRD aufnehmen? Eine derartige Quadratur des Kreises kann nicht gelingen. Die absehbaren Grenzen der Staatsprogramme und die dann weltweit drohende zweite Welle der Krise werden zu einer Zerreißprobe des Euro-Raums führen. Darüber schweigt sich das Frühjahrsgutachten lieber aus.