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Roswitha Scholz

MARIA BREIT DEN MANTEL AUS

Produktion und Reproduktion in der Krise des Kapitalismus

1. Nach dem cultural turn und der damit verbundenen Phobie gegen radikale Ökonomiekritik erhalten seit Ende der 1990er Jahre diverse Marxismen wieder Auftrieb; parallel zu den so nicht erwarteten Kriseneinbrüchen. Davon bleibt auch die feministische Theoriebildung nicht unberührt. Frigga Haug tourt vermehrt durch die Republik; eine Argument-Ausgabe von 2009 war dem Schwerpunkt „Elemente eines neuen linken Feminismus“ gewidmet. Nancy Fraser proklamiert: „Frauen denkt ökonomisch!“. Und selbst (ehemals?) dekonstruktivistische Feministinnen fordern nun die Thematisierung der Frauenunterdrückung im kapitalismuskritischen Kontext ein.1

Plötzlich taucht auch wieder das gute alte Verhältnis von „Produktion“ und „Reproduktion“ als Erklärungsgrund für Gender-Miss-Verhältnisse auf, das doch längst als dualististisches Modell verworfen worden war. Jetzt nimmt es selbst in queerfeministischen Überlegungen erneut seinen Platz ein. So etwa bei Gabriele Winker: „Konkret historisch wurde mit der Herausbildung kapitalistischer Strukturen ein großer Teil der Reproduktionsarbeit außerhalb des kapitalistischen Verwertungssystems in heterosexuellen Familien, und dort vor allem von Frauen realisiert“ 2. Es ist schon eigenartig: In „frisch fröhlicher Fahrt“ (Adorno) werden offenbar marxofeministische Argumentationen, die schon halb vergessen schienen, nun einfach mit dekonstruktivistischen Denkmustern zusammengerührt; und zwar ungeachtet der Tatsache, dass es in den 1990er Jahren einen erbitterten Streit zwischen „materialistischen“ Altfeministinnen und (de-)konstruktivistischen Postfeministinnen gegeben hat.

Wenn es ohne große Aufarbeitung wieder einmal unmittelbar um die Frage gehen soll, was denn in der Krise „praktisch zu machen“ sei, finden in letzter Zeit plötzlich „ökonomisch“ werdende Queerkritiken, ein angeblich neues „Commons“-Konzept, die Open-source-Ideologie nach dem Muster von „freier“ Software-Entwicklung und überhaupt eine ominöse „solidarische Ökonomie“ zusammen. „Small is beautyful“ heißt wieder einmal die Devise und soll den Durchgang zu ganz anderen Verhältnissen markieren. Was bei der „Rückkehr des Ökonomischen“ vom Postmodernismus bleibt, ist das Durchstreichen der negativen Totalität. „Gesellschaft“ ist out, „Gemeinschaft“ in diversen Variationen ist in. Frühere Kritiken an einer bornierten Gemeinschafts-Alternativideologie fallen unter den Tisch. In dieser Selbstvergessenheit und Verdrängung gönnt man sich gewissermaßen eine Phase der zweiten Naivität.

2. In derartigen Kontexten spielen auch Versatzstücke meiner Wert-Abspaltungskritik eine gewisse Rolle, die geradezu gegen deren eigene Intention für die vorgeblich neuen Konzepte des Verhältnisses von (kapitalistischer) Produktion und darin nicht aufgehenden Reproduktionsverhältnissen zugerichtet wird. Deswegen soll zunächst auf einige Eckpunkte der Wert-Abspaltungskritik verwiesen werden, um diese zu den neueren Trends in Beziehung zu setzen.

Wie der Name schon sagt, geht es darum, dass im Kern als weiblich bestimmte Reproduktionstätigkeiten, aber auch entsprechende Haltungen (etwa Fürsorglichkeit etc.) und minderbewertete Eigenschaften wie Sinnlichkeit, Emotionalität etc., eben vom Wert und dessen Substanz, d.h. der abstrakten Arbeit abgespalten und „den Frauen“ zugeschrieben werden. Derartige Zuschreibungen charakterisieren wesentlich die symbolische Ordnung des warenproduzierenden Patriarchats. 3 Es ist also von vornherein eine Seite der kapitalistischen Vergesellschaftung gemeint, die durch das Marxsche Begriffsinstrumentarium nicht erfasst werden kann. Diese Seite, mit dem Wert gesetzt, gehört notwendig zu ihm; andererseits befindet sie sich jedoch außerhalb desselben und ist deshalb auch seine Voraussetzung. Wert und Abspaltung stehen so in einem dialektischen Verhältnis zueinander. Das eine kann nicht aus dem anderen abgeleitet werden, sondern beide Momente gehen auseinander hervor. Exakt in diesem Sinne ist ein Verständnis von fetischistischer Vergesellschaftung zu gewinnen, und eben nicht allein über das Wertverhältnis.

Entscheidend für den hier verhandelten Kontext ist nun, dass das Abspaltungsverhältnis als das Andere des Wertverhältnisses auf einem hohen Abstraktionsniveau genauso historisch-gesamtgesellschaftlich und negativ bestimmt ist wie dieses. Es geht als gesellschaftliches Prinzip durch alle Ebenen und Bereiche hindurch, kann also nicht mechanisch in die Sphären von Privatheit und Öffentlichkeit, von Produktion und Reproduktion aufgeteilt werden. Zwar beinhaltet es auch von der abstrakten Arbeit nicht erfassbare Reproduktionstätigkeiten, geht aber darüber hinaus. Das zeigt sich im historischen Binnenprozess der Wert-Abspaltung. Frauen sind heute „doppelt vergesellschaftet“, wie Becker-Schmidt sagt, auch in biographischer Versetzung. Obwohl also Frauen zu einem Gutteil in die „offizielle“ Gesellschaft von abstrakter Arbeit und bürgerlicher Öffentlichkeit integriert worden sind, bleiben sie immer noch für Haushalt und Kinder zuständig, müssen sie mehr kämpfen als Männer, um in die oberen Etagen zu gelangen, verdienen sie im Durchschnitt weniger als Männer, obwohl sie im Bildungsniveau inzwischen gleichgezogen haben. Die Wert-Abspaltungsstruktur hat sich gewandelt, ist aber prinzipiell immer noch vorhanden.

Dass es sich bei der Abspaltung um ein Moment der negativen Vergesellschaftung handelt, geht auch aus der jüngsten Entwicklung des Gesamtverhältnisses hervor. Die alten bürgerlichen Geschlechtervorstellungen sind dem „Turbokapitalismus“ mit seiner rigorosen Flexibilitätsanforderung nicht mehr angemessen: Es kommt zur Ausbildung von Flexi-Zwangsidentitäten, die sich aber immer noch geschlechtsspezifisch unterschiedlich darstellen, auch wenn das alte Frauenbild obsolet ist. Mehr noch: Analysen zum Thema Globalisierung und Geschlechterverhältnis legen die Schlussfolgerung nahe, dass nach einer Zeit, in der es so scheinen konnte bzw. teilweise tatsächlich so war, dass sich Frauen systemimmanent mehr Freiräume ergattert hatten, es im Zuge der Globalisierung gleichzeitig zu einer „Verwilderung des Patriarchats“ mit neuen Formen des Sexismus kommt.

Die Wert-Abspaltung löst sich gewissermaßen aus den starren institutionellen Halterungen von Familie und Erwerbsarbeit, wobei die Geschlechterhierarchie beim Rückzug des Sozialstaates und den Zwangsmaßnahmen der Krisenverwaltung keineswegs verschwindet. Dabei werden die alten Affektstrukturen neu konfiguriert. Sonst käme es nicht dazu, dass Frauen nach wie vor die abgespaltenen Reproduktionstätigkeiten und entsprechende Zuschreibungen übernehmen; geradezu verkörpert von der früheren Familienministerin von der Leyen, die als Vielfach-Mutter trotzdem Ärztin, Kabinettsmitglied, Elternpflegerin und vieles andere gleichzeitig zu sein scheint. Andererseits findet sich der erneute hilflose Rückgriff auf traditionelle Frauenbilder noch bei heutigen Medien-Karrierefrauen wie Eva Herman, die wieder einmal das „Eva-Prinzip“ ausgerufen und damit einen Bestseller gelandet hat. Tief in der Grundstruktur des Kapitalismus verwurzelte Identitäten können offensichtlich nicht einfach oberflächlich wegdekonstruiert werden, wie es manchen Genderforscherinnen erschienen war. Die „doppelte Vergesellschaftung“ von Frauen ist auf paradoxe Weise funktional. So werden zum Beispiel krisenverwalterische Selbsthilfegruppen in der Dritten Welt vor allem von Frauen getragen, wobei gleichzeitig gesagt werden muss, dass Reproduktionstätigkeiten generell in Zeiten der Just-in-Time-Orientierung noch mehr ins Hintertreffen geraten als bisher. Sie werden gewissermaßen als Müll den doppelt vergesellschafteten Frauen zugewiesen.

Schon diese grobe Skizze zeigt, dass die Abspaltung weder als ontologischer „Rest“ noch überhaupt als abgegrenzter „Bereich“ verstanden werden kann, und schon gar nicht als ein positives Moment bzw. als ein „Vorschein“ oder „Modell“ nicht- bzw. postkapitalistischer Strukturen. Vielmehr ist sie genauso historisch und kapitalistisch bestimmt wie abstrakte Arbeit und Wert, also auch genauso abzuschaffen. Deshalb konstituiert die Abspaltungsstruktur wesentlich die kapitalistischen Dynamik.

3. Der Bezug der Wert-Abspaltungskritik auf den Marxofeminismus war ein grundsätzlich kritischer, aber es gab auch Anschlüsse an ihn. Mit Frigga Haug fasse ich das warenproduzierende Patriarchat als Zivilisationsmodell unter Einschluss der Affekt- und Symbolstrukturen auf. Frei nach Frigga Haug meint dies, dass nicht einfach nur normative Bestimmungen von Männlichkeit und Weiblichkeit wesentlich sind, wie in (de-)konstruktivistischen Konzepten. Sondern mehr noch bestimmen Leistungsfähigkeit und -willigkeit, eine spezifische ökonomische Rationalität, die objektiven Strukturen des Gesamtzusammenhangs sowie seine Mechanismen und seine Geschichte ebenso wie die Handlungsmaximen der Einzelnen. So könnte auch zugespitzt vom männlichen Geschlecht als dem des Kapitalismus die Rede sein, insofern eine dualistische Fassung von Männlichkeit und Weiblichkeit in der hierarchisierenden Setzung die dominierende Vorstellung von Geschlecht in der Moderne überhaupt ist. In diesem Zusammenhang übernehme ich von Frigga Haug auch die These, dass es in der Moderne einerseits eine „Zeitsparlogik“ gibt, die prinzipiell der Produktionssphäre oder der „betriebswirtschaftlichen Vernutzungslogik“ zuzuordnen ist, und andererseits eine Logik der „Zeitverausgabung“, die dem Reproduktionsbereich entspricht (Betreuung, Zuwendung etc.).

Das Problematische bei Haug besteht aber darin, dass das Geschlechterverhältnis als ein „Produktionsverhältnis“ sui generis und dessen eigene „Logik“ sozusagen nur phänomenologisch gefasst und vor dem Hintergrund eher altmarxistischer Annahmen unterhalb der Ebene der basalen gesellschaftlichen Formkategorien angesiedelt ist. Dafür zeichnet vor allem die traditionsmarxistische Ontologie der „Arbeit“ verantwortlich, wobei die feministische Kritik gewissermaßen in den ungebrochenen übergreifenden Systemzusammenhang eingeschmuggelt werden soll. Die Wert-Abspaltungskritik setzt dagegen von vornherein die geschlechtlichen Zuweisungen auf derselben Abstraktionsebene an wie Arbeit und Wert, als ebenso basales Abspaltungsverhältnis.

Frigga Haug hat zwar immer noch eine übergreifende Systemperspektive und bleibt nicht bloß im Kleinteiligen hängen, aber die alte crux bleibt bestehen. Sie möchte der tiefgreifenden Krise des Kapitalismus begegnen, indem sie für eine radikale Arbeitszeitverkürzung im Erwerbsarbeitsbereich plädiert, damit dann genügend Zeit für die kulturelle Reproduktion bleibt, auch im Hinblick auf die tätige Eigenentfaltung und für die politische Betätigung. Diese Formulierung ihrer früheren Vorstellungen deckt sich ungefähr mit dem, was sie heute unter dem Kürzel der „Vier-in-einem Perspektive“ (Arbeit, Reproduktion, Kultur, Politik) propagiert, um ökologisch, ökonomisch und sozial die Entwicklung menschlicher Gesellschaft voran zu bringen4. In diesem Sinne plädiert sie für die politische Einmischung eines neuen linken Feminismus in Verbindung mit einer Quotenregelung.

Es ist jedoch fraglich, ob diese Perspektive unter heutigen Krisenbedingungen überhaupt noch realistisch ist. Abgesehen davon, dass die Neuverteilung verschiedener „Arbeits“-Bereiche bloß im gegebenen Rahmen stattfinden soll, überschätzt sie auch in ihrem Rekurs auf die Gramscischen „Kräfteverhältnisse“ die Möglichkeiten der traditionellen politischen Einflussnahme. Längst ist sichtbar, dass nach dem massiven Kriseneinbruch 2008 der Erhalt des Kapitalismus um jeden Preis auf der Tagesordnung steht. Im Zeichen drohender Staatsbankrotte und einer manifesten Schranke der Verwertungslogik scheint die angegebene Perspektive, die unter kapitalistischen Bedingungen auf staatliche Subventionierung hinausläuft, wenig tragfähig zu sein. Wäre es da nicht besser, immanente Forderungen gleich in die Perspektive einer radikalen Systemtransformation zu stellen, die von Haug aufgrund ihrer altmarxistischen Vorannahmen gar nicht thematisierbar ist? Das wäre vielleicht „realistischer“ als pseudokonkrete Konzepte, die im Grunde ein neokeynesianisches Programm als durchsetzungsfähig suggerieren, das sich zwar systemtranszendent geriert, aber auf der Grundlage der Arbeitsontologie bloß eine Neukonfiguration schon bestehender, also kapitalistisch konstituierter Sphären beinhaltet, die als solche gerade obsolet werden.

4. Taucht das Problem der negativen Vergesellschaftung bei Frigga Haug noch auf, wenn auch in einer phänomenologisch verkürzten Weise, so wird es bei der post-postmodernen „Rückkehr des Ökonomischen“ explizit partikular heruntergebrochen. Ihre (oft unausgewiesenen) Wurzeln haben die neueren Trends zur „solidarischen Ökonomie“, zu „Commons“, Open-source-Konzepten etc. teilweise in Subsistenz- bzw. Eigenarbeits-Vorstellungen, für die in Deutschland vor allem Maria Mies, Veronika Bennholdt-Thomson und Claudia von Werlhof stehen. In Konzentration auf eine kleinbürgerliche Landwirtschaft und ein darauf verkürztes Reproduktionsverständnis wurde pauschal jegliche industrielle und High-Tech-Ideologie abgelehnt. Denn darauf beruht nach Mies & Co. die Unterdrückung von Frauen, von Natur und von anderen „Völkern“. Diese Konzeption wurde weithin als radikalstes Ausstiegskonzept aus Markt und Staat gehandelt. Meines Erachtens zu unrecht, denn sieht man von der hoch problematischen, undifferenzierten Technologiefeindlichkeit ab, geht es der Subsistenzperspektive nicht um den Ausstieg aus der Marktrationalität überhaupt, sondern um die Installierung eines lokalen Binnenmarktes. Dabei soll die weibliche Subsistenz-(Re)produktion zum sozialen Zentrum werden.

Übergreifende Ebenen und Zusammenhänge führen bei den Subsistenzwirtschaftlern bloß ein Schattendasein bzw. erscheinen in erster Linie in der Negativ-Analyse von Weltgesellschaftlichkeit, als gehörte ein dichotomisches Denken in Begriffen von „Gemeinschaft“ und „Gesellschaft“ spätestens seit Ferdinand Tönnies nicht strukturell schon immer zum Kapitalismus. Deswegen eignen sich solche Entwürfe vorzüglich als legitimatorische Interimskonzepte in einer Phase, die durch den Übergang der negativen Vergesellschaftung zur Verwilderung des warenproduzierenden Patriarchats gekennzeichnet ist. Sie machen aus der Not eine Tugend. Die verbrannte Erde der Marktwirtschaft ist in vielen Weltgegenden nolens volens bereits Wirklichkeit. Eine damit verbundene bloße Subsistenzperspektive, um überhaupt überleben zu können, wird nun zum Emanzipationsprojekt umgebogen. Implizit feiert dabei die Ideologie der „ehrlichen Arbeit“ wieder fröhliche Urständ.

„Small ist beautyful“-Ideologien haben allerdings auch eine Metamorphose durchgemacht. Im Gegensatz zu den 1980er- und 1990er Jahren wird heute vielmehr eine Melange angeboten. Subsistenz- und Eigenarbeits-Vorstellungen mutieren gerade zu technologisch aufgerüsteten Konzepten, die nun ihrerseits zu verkürzt-partikularen „Modellen“ heruntergebrochen werden. Im diffusen Begriff einer „solidarischen Ökonomie“ mischen sich kunterbunt alte Subsistenz-und Alternativ-Vorstellungen (etwa einer genossenschaftlichen kleinen Warenproduktion, von Umsonstläden, Geldreformen bzw. lokalen Alternativwährungen etc.) mit dem digitalen „Open-source“-Konzept, wobei eine pauschale Technikfeindlichkeit gegen eine primitive Aneignungsideologie eben dieser Technologie ausgetauscht ist. In diesem Kontext taucht nun auch die Idee der „Commons“ auf, die das vormoderne Reproduktionsmoment der „Allmende“ (Gemeindeland für gemeinschaftliche Nutzung) idealisiert im Sinne moderner Gemeinschaftsideologien.

Ausgerechnet in diesen Gesamtkomplex werden nun gar nicht so selten auch herausgebrochene Elemente der Wertkritik bzw. Wert-Abspaltungskritik einbezogen, die mittlerweile in Segmente der linken Szene Einzug gehalten hat. Dabei will man aber von deren ursprünglicher Kritik am Klein-Klein der Alternativideologie und der damit verbundenen Feststellung, dass sich im Reproduktionsbereich nicht das wahre Leben tummelt, nichts wissen. So instrumentalisiert etwa Stefan Meretz die Theorie der geschlechtlichen Abspaltung unbekümmert um Konflikte, die es zwischen diesem Ansatz und den von ihm vertretenen „Commons“- und „Open-source“-Positionen längst gibt.5 So schreibt er: „Der Kapitalismus hat wesentliche Momente der Produktion des gesellschaftlichen Lebens abgespalten und in eine Sphäre der Reproduktion verbannt. Männlich konnotierte Produktion als >Wirtschaft< und weiblich konnotierte Reproduktion als >Privatleben< wurden getrennt. Kapitalismus und modernes Patriarchat sind gleichursprünglich“. Die „Gleichursprünglichkeit“ von Wert und Abspaltung wird hier jedoch wieder in ein sekundäres Ableitungsverhältnis umgebogen, indem die Abspaltung als reduziert auf die „Privatheit“ eines Reproduktionsbereichs im engen Sinne erscheint, während sie in Wirklichkeit wie gezeigt durch alle „Sphären“ einschließlich der „Wirtschaft“ hindurchgeht und nur deshalb „gleichursprünglich“ ist.

Daraus wird dann eine verkürzte Aufhebungsperspektive destilliert: „Die strukturell blinde, erst im Nachhinein vermittelte Privatproduktion konnte nur deswegen expandieren, weil sie dies einerseits permanent auf Kosten der Subsistenz- und Commons-Produktion tat und andererseits auf eine komplementäre Subsistenz- und Commons-Produktion verweisen konnte, die die Folgen der >Wirtschaft< ausgleichen konnte und musste. Die Warenproduktion entnimmt permanent der Sphäre des Commons, aber sie gibt nicht an sie zurück. Die Commens bieten die Potenz, die Ware als bestimmende soziale Funktion abzulösen“6. Das letztlich doch als sekundär verstandene Abspaltungsverhältnis wird so kurzgeschlossen mit der „Commons“- bzw. Subsistenzperspektive und nicht mehr als komplementäres Verhältnis negativer Vergesellschaftung bestimmt, sondern positiv idealisiert und zum Feld oder Ansatz einer partikularen „Aufhebung der Warenform“ erklärt.

5. Auch eine „ökonomische“ Queerkritik ordnet sich mittlerweile in derartige Tendenzen ein. So monieren etwa Banz/Gerbig ein „kapitalozentrisches Denken“, das sich um Kapital und Arbeit zentriert anstatt diese zu dekonstruieren und andere soziale Disparitäten bzw. Zwischen-Identitäten in den Blick zu nehmen7. Frauen, Schwule, Freelancer, Hacker-Nerds usw. werden so unvermittelt auf eine Stufe gestellt. Zwar wird auch bemerkt, dass Frauen in Hacker-Nerds-Netzen kaum anzutreffen sind (dies nur als Beispiele für andere Ausschlüsse, die es dabei geben kann). All dies tut jedoch einer unverdrossenen „ökonomischen“ Queerkritik, die sich manchmal queerfeministisch nennt, keinen Abbruch. Denn „überall auf der Welt ...(passieren) auch Sachen, die unsere Herzen höher schlagen lassen. Menschen gehen Beziehungen miteinander ein, arbeiten zusammen und vernetzen sich, entwickeln tolle Projekte und erfinden unglaubliche Geräte. Sie schaffen sich Freiräume, sie experimentieren und sie weichen lustvoll ab“8. Behauptet wird, der Kapitalismus sei nicht „normal“, vielmehr gebe es mit Gibson-Graham schon immer nicht-kapitalistische Praxen, die über ihn hinausgingen. Derartige Vorstellungen begreifen nun, ähnlich wie Judith Butler es für die Geschlechtsidentität vorgeschlagen hat, den Kapitalismus als bloße „regulative Fiktion“9. Hier zeigt sich die ganze crux des „ökonomisch“ gewendeten (De)konstruktivismus. Der negative Vergesellschaftungsmodus ist kein beliebig (um)deutbares symbolisches Konstrukt, sondern eine übergreifende harte Realität.

Dass der Wert sein Anderes immer schon braucht, wird hier geflissentlich übersehen; vielmehr wird diesem dazugehörigen Anderen, wie verschieden es sich auch darstellen mag, ähnlich wie bei Meretz ein „Bessersein“, ein per se schon transzendierender Charakter angedichtet. Der Fetisch-Charakter der Wert-Abspaltung wird verdrängt und ganz unkompliziert ein voluntaristischer Ausstieg auf der Ebene von unausgewiesenen „Alltagspraxen“ propagiert. Es kommt so zu einer neu konfigurierten Differenzhypostasierung: Alle Differenzen sind gleich und etwa im „Commons“-Denken vermeintlich aufgehoben. (Feministische) Intersektionalitätsdebatten haben darin freilich gleichermaßen ihren Platz. Dass die einst imaginierte Queeridylle mit Hierarchien durchzogen ist, wurde andernorts von Queertheoretikerinnen auch längst eingestanden.10

Wenn selbst in Stadtteilen, die Schwul- und Lesbisch-Sein als Standortfaktor hatten, nun eben diese Klientel prekären Status erhält, bleibt einem vielleicht auch unter solchen Bedingungen nichts anders übrig. Aber deswegen muss man aus der Not noch lange keine Tugend machen. Dabei ist es gerade die mitschwingende Gemeinschaftsideologie, die alle Andersartigkeiten killt. Dass dabei alle Akteure vom Hausmeister bis zur Stewardess sexuell aufgeladen sind (Ganz/Gerbig), wer hätte dies gedacht; sollte doch die dualistische und dichotome Sichtweise einstmals eigentlich dekonstruiert werden. Gab es früher im Feminismus schon immer einen bedeutenden Strang, der aus der Enge des Reproduktionsbereichs und der bornierten Hausarbeitstätigkeiten entfleuchen wollte und dies vehement vertrat, so sucht man/frau heute wieder einmal ausgerechnet von diesem Bereich ins Reich der Freiheit zu gelangen. Aber so gehts zu, wenn die Prekarisierung sich ausbreitet; und wer hat dann wohl den schwarzen Peter? „Care“ im Sinne bisheriger weiblicher Reproduktionstätigkeit soll beim gemeinschaftlichen Queertanz bloß ein Beispiel unter vielen sein, und so findet wieder einmal unter der Hand eine Dethematisierung weiblicher Tätigkeiten und entsprechender Strukturen statt, wie in der Jahrhunderte alten patriarchalen Traditon11. Denn derartige Tätigkeiten verrichten trotz aller Veränderungen in den letzten Jahrzehnten immer noch mehrheitlich Frauen, und diese Tendenz trifft auch auf linke Kontexte zu. Männliche Suprematie, die nicht nur in Antifakreisen auffällt und sich vielleicht umso mehr geltend machen will/muss, wenn die „Hausfrauisierung“ (Claudia v. Werlhof) droht, bleibt so unbehelligt. Wir haben einfach alle verdammt viel Spaß miteinander. Existenzgrundlage soll dabei ein Grundeinkommen sein, das längst Konservativ-Liberale auf ihre Art ins Spiel bringen.

Gleichzeitig kommt man jedoch in queerfeministischen Kontexten, wenn es um die Geschlechterordnung als „konkreten Gegenstand“ geht, ohne das lange als dualistisch beschimpfte Verhältnis von Produktions- und Reproduktionssphäre nicht aus (s.o.). Die „materialistische Wende“ in den letzten Jahren fordert eben ihren Tribut, und und wo soll man die Begriffe sonst herholen, wenn nicht von der lange gemiedenen altfeministischen Theorie?

6. Der konservative Publizist Frank Schirrmacher weiß Rat, wenn die Gesellschaft immer mehr in Richtung Megakrise und damit „Minimum“-Orientierung geht. Er fragt im gleichnamigen Buch, das den Untertitel „Vom Vergehen und Neuentstehen unserer Gemeinschaft“ trägt: „Was, wenn der Staat seine Hilfsversprechen nicht mehr halten kann? Wer rettet dann wen, wenn es ernst wird, wer versorgt wen, wenn es Not tut, wer vertraut wem, wenn es schlimm wird (...) Und vor allem: Wer arbeitet für wen, auch wenn kein Geld da ist?“.12 Nach meinen bisherigen Ausführungen dürfte es kaum verwundern, dass Schirrmacher hierbei „die“ Frauen einfallen, allerdings versucht er dies auf der Höhe der Zeit zu formulieren: „Festzustellen, dass Frauen eine starke emotionale Kompetenz haben und vermutlich sogar die Begründer unserer Gemeinschaft sind, heißt weder, dass das für alle Individuen gleichzeitig gilt, noch, dass damit Frauen die Mutterrolle aufgedrängt werden soll (...) Wir können die Uhr nicht zurückdrehen (...) Untersuchungen der vergangenen fünfzig Jahre belegen (Schirrmacher bezieht sich dabei auf die Hirnforschung, aber auch auf Evolutionspsychologie, Anthropologie und Psychologie, R.S.), dass Frauen die Schlüsselrolle zufällt für den Erhalt der Familien sowie den Aufbau und die Stabilisierung von Freundschaftsnetzwerken, die in Zukunft verstärkt an die Stelle von traditionellen Familien treten werden (...) Spätestens dann (in der EU bis 2050) wird von den Frauen verlangt werden, beides zu leisten: das Bruttosozialprodukt zu zu steigern und das Land mit Nachwuchs zu versorgen (...) Doch damit ist es nicht getan. Die Mädchen müssen vermehrt in naturwissenschaftliche Berufe“.

In dieses Konzept gehen viele feministische Kritiken ein: das Insistieren auf die „doppelte Vergesellschaftung“ gegenüber alten Hausfrauenvorstellungen und deren Heroisierung, die Gemeinschaft als Ressource, auch wenn das alte Kleinfamilienmodell erodiert, im Sinne der Wahlverwandtschaft (die nicht zuletzt die Queers propagieren) - aber immer noch zusammengehalten von den „von Natur aus“ sozial veranlagten Frauen; und ebenso werden dekonstruktivistische Annahmen á la Judith Butler bemüht, die ohnehin obsolet gewordene traditionelle Geschlechterverhältnisse in der Dekonstruktion radikal unglaubwürdig machen wollte. Schirrmacher vermag so dekonstruktivisitsche Ansätze implizit hereinzuholen, ohne deshalb auf biologistische Annahmen aus der Hirnforschung etc. zu verzichten. Er betont, dass keineswegs jede Frau in seinen neuen Stereotypen aufgeht.

Man könnte es auf die Formel bringen: Maria breit den Mantel aus, mach Schutz und Schirm für uns daraus, wie es in einem alten katholischen Kirchenlied heißt; jetzt gleichsam in einer postmodernen Alphamädchchen-Version. Also eine neuerliche Variante von „Weiblichkeit als Putz- und Entseuchungsmittel“, um mit Christina Thürmer-Rohr zu sprechen. Der vordergründigen Aufwertung von Frauen heute und der Tatsache, dass zunehmend Frauen in Positionen von Wirtschaft und Politik gelangen, ist so mit Misstrauen zu begegnen. Sieht man genauer hin, handelt es sich im Grunde um eine Art invertierten Sexismus.

7. Queer-Ökonomie will zu Recht auf nicht-verwandtschaftliche Reproduktionsverhältnisse hinaus, wobei im Gegensatz zur Wert-Abspaltungskritik allein das (strukturell männliche) Verwertungsprinzip undialektisch das Übergreifende des Kapitalismus sein soll.13 Faktisch wird die „Care“-Perspektive jedoch in der gesellschaftlichen Realität wiederum blutsverwandtschaftlich bestimmt und in der mütterlichen Ein-Eltern-Rumpffamilie als Fluchtpunkt belassen. Aber eine feministische Queer-Orientierung fühlt sich ja auch mit ihren männlichen Nerds-Hackern so wohl! Frauen haben realiter die von Schirrmacher pseudo-anerkennend und zugleich apodiktisch überreichte Arschkarte, mit der sie die neuen Weltretterinnen sein sollen.

Was die Frage des praktischen Engagements betrifft, so ist nüchtern zu konstatieren, dass das warenproduzierende Patriarchat nicht durch politisch-praktische Bemühungen überwunden werden kann, die nur auf eine Neukonfiguration der gleichermaßen kapitalistisch konstituierten Sphären von Produktion und Reproduktion setzen. Neue Auswege sind nicht zu finden, ohne sich die Überwindung des Gesamtverhältnisses zum Ziel zu setzen. Die differenten Momente der gesellschaftlichen Reproduktion in ihrer Eigenheit sollen dabei nicht abstrakt negiert und eingeebnet werden, aber die Verhältnisse sind nicht aus einzelnen Sphären heraus zu überwinden, schon gar nicht in einer Hypostasierung der weiblich konnotierten Reproduktionstätigkeiten zum Fokus eines ontologisch „Guten“. Es geht nicht um „Meta-Commons“14, eine Vorstellung, die den Vergesellschaftungsmodus auf eine Bearbeitung im Sinne der Gemeinschaftsideologie reduziert, sondern um eine radikale Kritik jenseits der Dichotomie von „Gemeinschaft und Gesellschaft“. Die „Rückkehr des Ökonomischen“ findet in einer Krisendimension statt, der mit partikularistischen Billigkonzepten nicht mehr beizukommen ist.

Anmerkungen