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erschienen in der Print-Ausgabe
der Wochenzeitung „Freitag“
am 02.09.2010

Robert Kurz

DIE SPD, DIE REICHEN UND DIE MORAL

Vielleicht befindet sich die deutsche Sozialdemokratie nur deshalb im demoskopischen Aufwind, weil die schwarzgelbe Regierungskoalition von Woche zu Woche ein miserableres Bild abgibt. In der Opposition entdeckt die ehemalige Partei der imaginären „neuen Mitte“ sogar ihre soziale Seele wieder. Jedenfalls tut sie so. Ein Leitantrag des SPD-Präsidiums für den kommenden Parteitag fordert die Erhöhung des Spitzensteuersatzes von derzeit 42 Prozent auf 49 Prozent; allerdings erst ab einem Einkommen von 100.000 Euro aufwärts. Außerdem sollen private Vermögen wieder stärker besteuert werden. Das kleine Glaubwürdigkeitsproblem: Die SPD tritt damit heroisch gegen eine Steuersenkung für Reiche in die Schranken, die sie unter Kanzler Schröder selber eingeführt hatte.

Dass die Rolle rückwärts aus einer tieferen Einsicht resultiert, darf freilich bezweifelt werden. Inzwischen haben nämlich die Reichen selber die SPD links überholt. Keine Talkshow, in der nicht ein Spitzenverdiener beteuert, wie sehr es ihm gegen den Strich geht, dass er so milde besteuert wird. Noch vor der SPD haben namhafte Großeigentümer höhere Abgaben für sich selbst verlangt, damit der Staat seine Aufgaben erfüllen könne. In den USA wollen die Milliardäre reihenweise die Hälfte ihres Vermögens oder mehr spenden.

Wenn die Reichen und Superreichen derart in Sack und Asche gehen, bleibt sogar der FDP das übliche Räsonieren über den blanken „Neid“ der aus eigener Schuld Minderbemittelten im Halse stecken. Galt auf dem Höhepunkt der Finanzblasen- und Defizitkonjunkturen sozialer Zynismus als schick, so wurden im globalen Absturz die unersättlichen Gierschlünde angeprangert, die sich nunmehr als Vorbilder uneigennütziger Menschenfreundlichkeit entpuppen. Die SPD hat alle sozialökonomischen Zeitgeist-Konjunkturen der letzten zehn Jahre mitgemacht. Erst wurde hemmungslos denen gegeben, die schon hatten; dann war die Schelte der Heuschrecken dran; schließlich darf man sich am moralischen Katzenjammer beteiligen, sobald diesem auch die Spitzenverdiener-Klientel frönt. Das besinnliche Umdenken dürfte allerdings der Angst geschuldet sein, dass die Weltwirtschaftskrise doch nicht so schnell vorbei ist wie erhofft und ihre noch unbewältigten Folgen die Gesellschaft womöglich in chaotische Zustände abgleiten lassen.

Aber die Moralisierung der Ökonomie kommt immer zu spät. Solange man sie sich leisten könnte, weil ohnehin das konjunkturelle Füllhorn sprudelt, wollen die Eliten nichts davon wissen – und die politische Klasse warnt nicht die Reichen, sondern die Armen vor überzogenem Anspruchsdenken. Hat sich dagegen die Verwertungsmaschine festgefressen und gibt trotz aller Entwarnungsdiskurse unheimliche Geräusche von sich, dann nützt es nicht mehr viel, endlich anständig werden zu wollen. Kapitalismus ist keine Frage des guten Willens. Die Produktionsweise des Reichtums selber erweist sich als Problem, das nicht mit bloßer Verteilungsgerechtigkeit zu lösen ist. Auch wenn die US-Milliardäre ihr ganzes Vermögen bis auf den letzten Cent verschenken, ist allein durch subjektive Großzügigkeit der drohende zweite Absturz der Konjunktur kaum zu verhindern. Leider kann man das System der abstrakten Plusmacherei nicht als solches für einen guten Zweck spenden, damit endlich soziale Ruhe herrscht.