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erschienen in EXIT! 7 im Dezember 2010

Roswitha Scholz

OHNE MEINEN ALLTOURS SAG ICH NICHTS

Postmodern(-männliche) Identität zwischen Differenzierungswahn und vulgärmarxistischer Theorie-Versicherung. Eine Replik auf Kritiken der Wert-Abspaltungstheorie

Einleitung

Mittlerweile sind neun Jahre ins Land gegangen, seit mein Buch „Das Geschlecht des Kapitalismus“ (2000) erschienen ist, und es wird Zeit, sich mit bestimmten Kritiken zu befassen, die es sowohl in mündlichen als auch in schriftlichen Diskussionen hervorgerufen hat. Eine Auflistung einiger zentraler Gegenargumente findet sich in Texten von Fritjof Bönold „Zur immanenten Kritik am Wert-Abspaltungstheorem“ (2008a, 2008b), die in den Wiener „Streifzügen“ erschienen sind. Deshalb setze ich mich damit auseinander, auch wenn Bönold äußerst schludrig arbeitet, bei ihm die Gedanken und Ebenen kunterbunt durcheinander gehen und es schon einer größeren hermeneutischen Anstrengung bedarf, seine Überlegungen auch nur halbwegs in seinem eigenen Sinn zu reproduzieren, was übrigens durchaus symptomatisch für große Teile der linksfeministischen (Polit-)Szene heute ist. Bei dieser Gelegenheit gehe ich auch auf andere Kritikpunkte ein, die bei Bönold nicht benannt sind, ja dessen Diktion geradezu widersprechen.

Ein Hauptproblem scheint mir dabei eine positivistische Herangehensweise zu sein, die einzelne Aussagen aus meinem Text herauspräpariert und diese bloß äußerlich mit Gegenargumenten konfrontiert. Bönold findet die Wert-Abspaltungstheorie zwar (wenn auch herablassend) irgendwie berechtigt und möchte, wie es schon im Titel heißt, eine „immanente Kritik“ daran leisten. Ich werde jedoch zeigen, dass er gerade anders herum verfährt. Eine besondere Schwierigkeit bildet für ihn offenbar mein dialektisches Verfahren, das dem bürgerlichen Theorie- und Wissenschaftsverständnis zuwider läuft. Nicht weniger stellt andererseits auch eine letztlich selber dem Positivismus verfallene marxistische „Orthodoxie“, wie sie bei einer philologisch beschränkten Marx- oder auch Adorno-Lektüre anzutreffen ist, ein Hemmnis dar, die wert-abspaltungskritische Theoriebildung in ihrer neuen Qualität wahrnehmen zu können. Altmarxistische Langbärte und postmoderne Vielheitshopper können dabei manchmal bemerkenswerte Allianzen eingehen, sogar in ein und derselben Person. Sowohl der suggestive Rekurs auf postmoderne „Gewissheiten“ als auch die positivistische Interpretation Marxscher Theorie verfährt ungefähr nach dem Motto: „Ohne meinen Alltours sag ich nichts“. So fühlt man sich autorisiert, die Kritik an der Wert-Abspaltungstheorie in der Tasche zu haben. Auch hierfür steht Bönold.

Innovative Theoriebildung hat sich indes nie sklavisch an Buchstaben der „Meister“ geklammert, sondern sie hat – gleichsam mit talmudisch-dialektischer Streitlust – in deren Kenntnis und Tradition gründend gleichzeitig versucht, neuartige Reflexionen und theoretische Formationen hervorzubringen; freilich immer auch herausgefordert und bedingt durch den historischen Kontext, in dem sie sich bewegt. Das Geschlechterverhältnis als theoretisches Problem stellt hier sogar eine besondere Herausforderung dar, weil etwas zu erfassen ist, was eigentlich dem Begriff in der gängigen Theoriebildung widerspricht, aber dennoch „begreifbar“ werden soll. Davor scheut nicht nur Bönold zurück. Wenn die Wert-Abspaltungskritik auf dieses Problem eine Antwort zu geben versucht, stößt sie grundsätzlich mit Haltungen zusammen, die im traditionellen Theorieverständnis verharren und sich letztlich weigern, „großtheoretischen“ Entwürfen ausgerechnet hinsichtlich des Geschlechterverhältnisses Platz einzuräumen; selbst wenn sie vordergründig das Gegenteil behaupten, um der „Political Correctness“ Genüge zu tun.

Der Stand, auf dem ich im folgenden argumentiere, ist der meines Geschlechterbuches von 2000, in dem ich bestimmte vorherige Fehleinschätzungen bereits korrigiert habe. In wesentlichen Punkten allerdings bin ich mir treu geblieben. Was nach 2000 in meinen Publikationen ausgeführt wurde, habe ich aus Gründen der Komplexitätsreduktion nur nebenbei berücksichtigt. Wenn ich mich seither „anderen“ Themen zugewendet habe, ist dies jedoch kein Widerspruch zur theoretischen Grundposition. Die Wert-Abspaltungskritik will auf das gesellschaftliche Ganze hinaus, indem sie noch in der Behauptung eines Formprinzips, das auf der Abspaltung des Weiblichen beruht, gerade ihre Selbstrelativierung in sich trägt. Denn dieser theoretische Zugang verbietet ein deduktives Ableitungsverfahren aus einem absolut gesetzten Prinzip, in dem das Ganze nicht aufgeht. Insofern kann es für die Wert-Abspaltungskritik noch Wichtigeres geben als ihre eigene minutiöse Ausarbeitung im engeren Sinne des Geschlechterverhältnisses, gerade auch in der Weltkrise des Kapitalismus heute. So etwa die Beschäftigung mit dem Antiziganismus, den es als verborgenes Grundmuster in der Moderne zu erkennen gilt, was auf den ersten Blick völlig abwegig zu sein scheint (Scholz, 2007).

Damit will ich die Berechtigung des Ansinnens, die Wert-Abspaltungstheorie detaillierter auszuarbeiten, keineswegs in Abrede stellen. Allerdings meine ich, dass in meinem Geschlechterbuch bereits vieles genauer bestimmt und entfaltet wurde, als es manche KritikerInnen wie Bönold zur Kenntnis nehmen wollen. Nicht zuletzt dies will ich im folgenden klar machen. Wenn ich also gelegentlich aus meinem Geschlechterbuch zitiere, so nicht deshalb, um stur auf dem eigenen Konzept zu beharren, sondern um aufzuzeigen, dass ein sorgfältigeres Lesen seitens Bönold vielen seiner Argumentationen von vornherein den Wind aus den Segeln genommen hätte. Auf jeden Fall aber soll so meine Wert-Abspaltungskritik nochmals in wichtigen Punkten überprüft werden.

Dabei ist noch etwas vorauszuschicken. Genau genommen gibt es in meinem Verständnis gar keine abstrakt-erkenntnistheoretische Ebene, insofern auch im Sinne der Marxschen Theorie Erkenntniskritik immer schon Gesellschaftskritik zu sein hat. Das gilt umso mehr für die Wert-Abspaltungstheorie, die eigentlich nur im inhaltlichen Bezug auf die reale gesellschaftliche und geschichtliche Entwicklung ganz zu verstehen ist. Wenn ich mich hier zunächst einmal über weite Strecken auf eine scheinbar „nackte“, abstrakt-begriffliche und erkenntniskritische Ebene begeben habe, so nur, um den vielen Szene-Bönolds wenigstens anzudeuten, dass ihre Argumentation nicht einmal im Sinne einer solchen (letztlich noch allgemein-“methodologischen“) Herangehensweise Bestand hat, der sich die Wert-Abspaltungstheorie in ihrer Entfaltung entwindet. Ich habe diese teilweise abstrakt-begriffliche Erörterungsweise nur zu Darstellungszwecken einer meinerseits „immanenten“ Antikritik gewählt, um sie gewissermaßen im selben Zug wieder zurückzunehmen.

Der Begriff der Wert-Abspaltung

Nichts scheint Bönold überhaupt fremder zu sein als ein spekulativ-dialektisches Denken, das die Grundlage von wert-abspaltungskritischer Theoriebildung ist. Aus dieser Sicht ist es einigermaßen absurd, die Frage zu stellen, die einen regelmäßig in Diskussionen verfolgt: Was ist denn nun die Wert-Abspaltung genau? Sag das mal eindeutig in ein paar Sätzen! Zwar können die Geschlechterproblematik und die Geschlechterverhältnisse im warenproduzierenden Patriarchat begrifflich erfasst werden – gerade mein „Geschlechterbuch“ legt hierfür Zeugnis ab – allerdings eben nicht in einem formaldefinitorischen Sinne. Sie „sind“ stattdessen genau erst in ihrer Entfaltung und der damit einhergehenden gleichzeitigen Trennung und Einheit verschiedener Ebenen im historischen Prozess.

Bönold will dies nicht schmecken, weil „begrifflich“ hier eben nichts mit einem rational-formalen Denken im positivistischen Sinn zu tun hat, das zutiefst in einem androzentrischen Bewusstsein verankert ist, wie er es noch (pseudo-)genderkritisch gewendet für sich selbst in Anspruch nehmen möchte. Da die Kritik eines formallogischen Denkens im Folgenden noch öfter zu thematisieren ist, soll an dieser Stelle einem möglichen Missverständnis begegnet werden. Es geht hier allein um die Kritik an einem Denken, das die Grundbestimmung des Wert-Abspaltungsverhältnisses und dessen innerer Widersprüchlichkeit in formale Definitionen auflösen und „deckeln“ möchte. Formale Logik bzw. Mathematik sind nicht per se identisch mit Positivismus, sondern nur dort, wo sie auf damit nicht erfassbare gesellschaftliche Verhältnisse und Prozesse angewendet werden. Das heißt nicht, dass es unmöglich wäre, bestimmte quantitative Beziehungen (etwa innerhalb ökonomischer Kategorien oder in Bezug auf empirische Aspekte) formal darzustellen. Auch mathematische Berechnungen in solchen Kontexten sind angebracht und können in bestimmter Hinsicht eine logisch-exakte Beweisführung tragen, sofern sie nicht bei dem jeweils so darstellbaren Moment stehen bleiben. Es wäre albern, ein formallogisches oder mathematisches Denken dort abzulehnen, wo es hingehört. Aber formale und mathematische Bestimmungen haben zumindest gesellschaftstheoretisch ihren Platz nur in einem Zusammenhang gesellschaftlich-historischer Totalität, die als solche nicht definitorisch bzw. formallogisch und mathematisch begreifbar ist.

Man kann das Grundproblem in diesem Horizont auch mit den Worten von Ursula Beer formulieren, die schon in den 1980er Jahren schrieb: „Die wissenschaftliche Präzisierung des Geschlechterverhältnisses soll aus einem Theoriekorpus (dem Marxschen, R.S.) entwickelt werden, der wie kein anderer die systematische Geschlossenheit oder den Systemcharakter von sozialen Verhältnissen betont, für ein grundlegendes soziales Verhältnis jedoch keinen Begriff besitzt. Analytisch wird etwas gesucht, das begrifflich nicht existiert, allerdings auffindbar sein müsste, wenn dieses Theoriegebäude zu Recht den Anspruch erhebt, sich selbst transzendieren zu können, indem es sich zu seiner Historizität als unabänderlicher und notwendiger bekennt“ (Beer, 1990, S. 23).

Gemeint ist bei mir auch nicht bloß eine äußerliche „...>männliche< Besetzung der Wissenschaft“, wie Bönold es verstehen möchte (a.a.O.). Vielmehr liegt die Schwierigkeit der Darstellung für die Wert-Abspaltungskritik darin, dass, wie es auch bei Ursula Beer anklingt, die moderne Theoriebildung (aus der wir nicht unmittelbar hinausspringen können) schon in ihrem begrifflichen Zugang das Wert-Abspaltungsverhältnis reproduziert. Für Bönold fällt dieses Problem völlig auseinander, wenn er sagt: „Nun kann nicht geleugnet werden, dass begriffliches Denken und logisches Schlussfolgern im Abendland durch Männer und (!) die Wertform geprägt wurde. Andererseits ist zu bezweifeln, ob es damit notwendig zum Ausschluss anderer Erkenntnismöglichkeiten kam“ (a.a.O., Hervorheb. Bönold). Es geht aber nicht darum, dass die moderne Wissenschaftslogik einerseits empirisch hauptsächlich von Männern entwickelt und andererseits durch die Wertform geprägt wurde. Vielmehr sagt die Wert-Abspaltungstheorie ja zentral, dass die Wertform und die ihr entsprechende Denkform selber als solche nicht geschlechtsneutral, sondern strukturell männlich bestimmt sind. Deshalb kommt es „in“ dieser Denkform tatsächlich „notwendig“ zum Ausschluss von Erkenntnismöglichkeiten, die das Abgespaltene reflektieren könnten. Diese reduzierte Erkenntnisweise ist aber nun einmal in der Moderne dominierend, ob einem das gefällt oder nicht, und sie hat nun einmal historisch-gesellschaftlich ihre androzentrische Schwerkraft.

Nachdem er den zentralen Gedankengang entstellt hat, fragt Bönold, wie dann überhaupt noch „die Identität von Denk- und Warenform erkannt werden kann, wenn sie einem Fetischzusammenhang entspringt“ (a.a.O.). Hier hüpft er von der Wert-Abspaltungsproblematik zum alten universalistischen Fetischbegriff, und seine Frage zeigt, dass er schon dessen kritischen Gehalt nicht verstanden hat. Die Erkenntnis ist aber eben nur durch die Kritik dieses Zusammenhangs und (in der Wert-Abspaltungskritik) seiner geschlechtlichen Besetzung möglich, was eine entsprechende Kritik der dazugehörigen Wissenschaftslogik einschließt. Für Bönold stellen dagegen diese Logik und deren Begriffsverständnis offenbar die einzige Denkmöglichkeit dar, unter die er dann auch die Erkenntnis der Wert-Abspaltung subsumieren möchte.

Dieselbe Fehlinterpretation setzt sich fort, wenn Bönold mir weiterhin unterstellt: „Das Macht- und Herrschaftsverhältnis zwischen den Geschlechtern, das Patriarchat, resultiert nach Scholz aus einer Dominanz des Werts...gegenüber der restlichen, >minder bewerteten< Gesellschaft“ (a.a.O.). Bönold möchte das so verstehen: Ich würde mit dem Hinweis auf das Dominanzverhältnis ja selber sagen, dass der Wert das „Eigentliche“ und die Abspaltung das Nachgeordnete und Abgeleitete sei. Es geht aber darum, dass das Wertverhältnis an sich zugleich ein Abspaltungsverhältnis ist, also um das in sich gebrochene konstitutive Prinzip der Wertvergesellschaftung selbst, nicht um deren Verhältnis zu einem „Rest“. Was die „Dominanz“ angeht, so entsteht sie indes erst durch die Abspaltungsstruktur selber. Der Wert (bzw. dessen Reflexion „in“ der dazugehörigen Denkform) weiß nicht um seine eigenen Voraussetzungen und dünkt sich autonom, obwohl er selber total abhängig ist und sich gerade deswegen als das Ursprüngliche setzt. Bönold entgeht so wiederum, dass die Wert-Abspaltung im Sinne eines dialektischen Verhältnisses gesehen werden muss. Dies übersteigt sein Vorstellungsvermögen, wie es sich in seiner gesamten Kritik der Wert-Abspaltungstheorie zeigt und an vielen Stellen feststellbar ist.

Dabei fällt er sogar hinter das im wert-abspaltungstheoretischen Sinne zu kritisierende Hegelsche Verständnis zurück. So schreibt Andreas Arndt schon hinsichtlich einer häufig anzutreffenden Rezeption der Hegelschen Dialektik: „Es gehört zu den hartnäckigen Fehlurteilen, dass >das Andere seiner selbst< vom Absoluten her gedacht sei und den Selbst(re)produktionsakt der Idee bezeichne; tatsächlich bestimmt sich für Hegel jedes Etwas in der Beziehung auf ein Anderes so, dass es dieses als das Andere seiner selbst, nämlich der in ihm befindlichen Bestimmung des Allgemeinen, bestimmt, wie es denn auch selbst das Andere seiner selbst, also Selbst und Nicht-Selbst zugleich oder der daseiende Widerspruch ist“ (Arndt, 2008, Anmerk. S. 43). Nun ist bei Hegel das „Etwas als das Andere seiner selbst“ trotz dieser Bestimmung noch unter der Ägide des Allgemeinen, das aber eben nicht als ein abstrakt Absolutes gedacht ist, sondern als der „daseiende Widerspruch“, was man als das Dasein des Werts verstehen kann. Für Bönolds positivistisches Denken ist aber offensichtlich ein „daseiender Widerspruch“ an sich schon eine „logische“ Unmöglichkeit, selbst im universalistischen Sinne Hegels. Wenn nun die Wert-Abspaltungstheorie die „materialistisch“ gewendete Realparadoxie im Wert- und Kapitalbegriff noch einmal durch den Abspaltungsbegriff über die (selber schon im Marxismus verflachte und positivistisch zurückgebogene) Marxsche Dialektikauffassung hinaus wendet, dann ist diese Potenzierung des Widerspruchs für das positivistische Bewusstsein vollends eine sozusagen potenzierte Unmöglichkeit.

Gleichursprünglichkeit und „autonomes“ Subjekt

Die Konfusion dieser Argumente ist kaum überbietbar, wie sich schon am unterstellten positiven Subjektbegriff zeigt, der in Wirklichkeit eher Bönolds eigener ist. Es gibt hier gar keinen ursprünglichen ersten Subjektgrund, und nur so konstituiert sich der Wert und das (scheinbar) autonome Subjekt, das mit dem Wert korrespondiert, wie dieser strukturell männlich konnotiert und spezifisch dem modernen warenproduzierenden Patriarchat inhärent ist. Diese Einsicht gehört gerade zu den Essentials der Wert-Abspaltungstheorie. Bönold fragt sich, ob diese Subjektkritik mit dem Rückbezug auf Adorno vereinbar sei, der doch „die Subjekt-Objekt-Dichotomie nicht negieren (möchte), sondern die Dominanz des Subjekts bzw. die Hierarchie zum Objekt beseitigen“ (Bönold, 2008 b). Das Aufnehmen des Adornoschen Ansatzes einer Subjektkritik verbietet aber nicht dogmatisch dessen kritische Weiterentwicklung. In Adornos Überlegungen zur Spannung eines von ihm neu bestimmten, nicht mehr „autonomen“ Subjekts in der „Negativen Dialektik“ sehe ich keineswegs der Weisheit letzten Schluss; sie gehören einer bestimmten Zeit an, und wie über diese vergangene Wirklichkeit muss auch über das theoretische Bewusstsein und über dieses Verfahren hinausgegangen werden. Das heißt auch, dass kein letztlich doch ontologisches Subjekt-Objekt-Verhältnis aufrechterhalten werden kann; in diesem Resultat bin ich (anders als es Bönold unterstellt) mit Robert Kurz durchaus einig. Wie ein derartiges Denken aussehen wird, kann meines Erachtens heute nicht antizipiert werden. Um dahin zu gelangen, ist allerdings – und hier wieder mit Adorno – eine „Kritikposition (...) gegenüber der Wissenschaft“ (Bönold, 2008 b) jenseits akademischer positivistischer Beflissenheiten und langweiliger Denkroutinen grundsätzlich erforderlich, was Bönold allerdings wieder einmal offensichtlich nicht schmeckt.

Was die weitergehende Kritik des „autonomen“ Subjekts angeht, so scheint die Einsicht in dessen unselbständige Existenz zumindest phänomenologisch durchaus auch in postmodernen bzw. poststrukturalistischen Originaltexten auf, obwohl sie das Geschlechterverhältnis nicht mit dem Wertverhältnis vermitteln und insofern hinsichtlich des gesellschaftlichen Ganzen defizitär bleiben. So heißt es bei Judith Butler: „In bestimmtem Sinne konstituiert sich das Subjekt durch einen Prozess der Ausschließung und Differenzierung, möglicherweise auch der Verdrängung, der in der Folge durch den Effekt der Autonomie verschleiert und verdeckt wird. In diesem Sinne stellt die Autonomie die logische Konsequenz einer verleugneten Abhängigkeit dar. Dies bedeutet, dass das autonome Subjekt die Illusion seiner Autonomie nur insofern aufrechterhalten kann, als es den Bruch, aus dem es sich konstituiert, verdeckt“ (Butler, 1993, S. 44).

Solche Formulierungen sind bei vielen RezipientInnen dieser Theorien inzwischen weitgehend in Vergessenheit geraten; damit steht Bönold also nicht allein. Galt es in den 1980er und 1990er Jahren noch bei etlichen Linken nicht zuletzt vor dem Hintergrund der (kulturalistisch verkürzten) Annahmen u.a. von Butler als ausgemacht, dass derartige Einsichten das stramme Subjekt schwer erschüttern, so erlebe ich heute in Diskussionen nicht selten eine gewisse Kehrtwendung in der Argumentation. Dieses Subjekt fühlt sich heute nicht mehr sonderlich erschüttert, erleichtert greift es (wieder) zu formallogischen Operationen, also einem Denken, gegen das sowohl die Kritische Theorie als auch in anderer Weise der Poststrukturalismus (ich weiß übrigens schon, dass es natürlich auch davon „viele“ gibt) einst angetreten waren.

Gegen die Wert-Abspaltungskritik gewendet lautet die Frage dann (wie oben bei Bönold) so: Ist es möglich, die Abspaltung auch unabhängig vom Wert darzustellen? Wenn dies nicht möglich ist und eine Umkehrung nicht gelingt, also der Wert zwar ohne Abspaltung, aber die Abspaltung nicht ohne den Wert gedacht werden kann, folgt daraus nicht „logisch“, dass der Wert doch das Erste ist und die Abspaltung etwas Sekundäres, im Grunde genommen bloß Abgeleitetes? Kunststück: Wenn der Wert und das Subjekt nur deswegen da sind, weil sie ihre eigenen Voraussetzungen nicht kennen, und es zum Subjektsein notwendig gehört, diese nicht zu kennen, dann kann es darstellungslogisch gar nicht anders sein: Das Subjekt bzw. der Wert muss als Erstes erscheinen. Hier wird die androzentrisch-universalistische Darstellungslogik (bzw. das unkritische Denken in dieser Denkform) mit der realen strukturellen Logik und dem Inhalt verwechselt (da dieses „Andere“ schon immer auf das Materiale hinaus geht), eben weil der Wert und das Subjekt, die sich beide in ihrer Verfasstheit in der kapitalistischen Entwicklung entsprechen, ohne ihr Anderes und die Abspaltung überhaupt nicht sein könnten. Mittels einer den Gegenstand völlig verfehlenden formallogischen Operation wähnt man sich jedoch über die alte „Dezentrierung“ des Subjekts schon wieder hinaus und hat nun einen „vernünftigen“ Weg gefunden, schließlich den Wert und das alte Subjekt wieder in neuem Glanze wie einen Jahrmarkt-Herkules mit geschwellter Brust und hartem Bizeps entstehen zu lassen. Ha, und bei dem dummen Weib (und den dummen „anderen Anderen“) hakt es wieder mal mit dem logischen Denken!

Demgegenüber gibt es „erkenntnistheoretisch“ im dialektischen Verfahren grundsätzlich kein irgendwie geartetes Ganzes, das sich auftrennen und dann wieder ganzheitlich und geheilt zusammengefügt werden könnte, wie Bönold mir unterstellt, weil Dialektik schon immer von einer widersprüchlichen Einheit des Ganzen ausgeht. Entscheidend ist für uns, dass sich aus dieser Sichtweise eine „Gleichursprünglichkeit“ ergibt, die nicht kausal hierarchisierend aufgelöst werden kann. So erscheint es eben nur in einem Denken, das selber in dieser Struktur befangen bleibt. Dass dem Weiblichen nur ein Objektstatus zuerkannt wird, macht ja gerade diese Struktur und damit – wenn man so will – das Elend des in Wirklichkeit abhängigen Subjekts aus, das sich als autonomes imaginiert. Der Wert als prozessierender Widerspruch ist so dringend auf eine Abspaltung des Weiblichen angewiesen und die Abspaltung deshalb alles andere als etwas dem Wert bloß äußerlich Angehängtes.

Falsche Historisierung und falsche Ontologisierung

Was Bönold bloß indirekt einklagt mit seinen Konstrukten formallogischer vermeintlicher Ungereimtheiten, nämlich letztlich doch die ableitungslogische Unterordnung der geschlechtlichen Asymmetrie unter den Wert, wird hier ganz offen als falsche Historisierung betrieben: Das bei mir als spezifisch modernes Abspaltungsverhältnis gefasste asymmetrische Geschlechterverhältnis (gerade im Unterschied zu vormodernen Formen des Patriarchats) soll nun ein „archaisches Phänomen“ sein, ein bloßer Überhang aus versunkenen Zeiten, der sich nur ein wenig länger gehalten hat. Der Wert bzw. die abstrakte Arbeit erscheinen wie gehabt wieder als völlig geschlechtsneutral und werden implizit im Kontext der üblichen „antideutschen“ aufklärerischen Fortschrittsmetaphysik wahrgenommen: In der „konstitutiven Leere“ des Werts soll das Patriarchat nicht versachlicht, sondern bereits progressiv aufgehoben sein, während es nur einer (hauptsächlich ideologischen) regressiven Reaktionsbildung auf diese „Leere“ geschuldet sei, dass patriarchale, sexistische etc. „Phänomene“ zu einem „zweiten zombihaften Leben erweckt werden“. Die geschlechtliche Abspaltung als Moment der spezifisch kapitalistischen Reproduktionsstruktur wird ausgeblendet und zumindest der Potentialität bzw. Tendenz nach in der universalistischen Totalvergesellschaftung des Werts versenkt, die nur positiv über sich hinausgetrieben werden müsse.

Genau umgekehrt verfährt eine Auseinandersetzung mit der Wert-Abspaltungstheorie, die weniger als Kritik, sondern eher als androzentrisch-universalistische Usurpation daherkommt; so etwa bei Ernst Lohoff in seinem Artikel „Ohne festen Punkt“ (Krisis 30). Im Unterschied zu Wilting wird zwar der Begriff der Abspaltung aufgegriffen („natürlich“ ohne jeden Literaturverweis auf die zugrunde liegende Theorie; Lohoff hat immer alles selbst erfunden), aber wie bei Bönold reduziert auf das „Unterordnungsverhältnis“ unter den Wert bzw. das entsprechende Subjekt. Das „Subjekthandeln“ setze sich auf dem Wege durch, „...dass es beständig jedes sich der Unterwerfung unter die Subjektform sperrende Handeln und Verhalten zu einer Marginalie, zu etwas Minderwertigem und Unwesentlichen herabsetzt. Selbst für die Fortexistenz jeder (!) Gesellschaft Unerlässliches wird ins >bloß Private< abgeschoben und schon damit als inferior behandelt“ (Lohoff 2006, 35).

Wie bei Bönold bleibt implizit die Selbstherrlichkeit des Werts bestehen, indem die Abhängigkeit der Wertvergesellschaftung selbst von ihrem „Anderen“ ausgeblendet bleibt und nur die Hierarchisierung formallogisch gesehen wird. Während aber bei Wilting dieses „Andere“ der Abspaltung in der männlich-hierarchisierenden Besetzung als bloßer Überhang eines regressiv mobilisierten Archaischen erscheint, also negativ, aber nicht als Kehrseite des Werts selbst, figuriert es bei Lohoff in der weiblichen, untergeordneten Besetzung als das sinnlich „Gute“, also positiv, und wird entsprechend ontologisiert als etwas für die Fortexistenz „jeder“ Gesellschaft (also schon immer) „Unerlässliches“, das vom Wert ständig entwürdigt und herabgesetzt etc. werde: „Die faktische Abwertung geht bis zur Nicht-Wahrnehmung und trifft dabei primär die als typisch weiblich abqualifizierten und damit >unsichtbar< gewordenen Tätigkeiten“ (a.a.O., 35 f.).

Lohoff hat die Wert-Abspaltungstheorie nur äußerlich usurpiert, aber ihrem Inhalt nach völlig missdeutet. Es gibt hier keinerlei ontologische Bestimmung, sondern nur das spezifisch-historische Verhältnis der Wert-Abspaltung als Begriff des modernen warenproduzierenden Patriarchats. Dementsprechend bildet die Abspaltung als das „Andere“ des Werts keinerlei positive Besetzung, schon gar nicht eines „guten“ Ontologischen oder „ewig Weiblichen“, sondern sie ist genauso negativ wie der Wert selbst als dessen Kehrseite. Es gibt hier also keine unterjochte ontologische Sinnlichkeitsbasis zu „retten“, sondern Wert und Abspaltung sind als zwei Seiten derselben Medaille gleichermaßen zu verwerfen und abzuschaffen – einschließlich der jeweiligen positiv-identitären Besetzungen (also auch der weiblichen). Lohoffs zweifelhafte Komplimente an das ontologisch „gute“ Weibliche sind hier nichts als (Männer-)phantasien, etwa hinsichtlich einer mythologisierten Mütterlichkeit. Wenn Lohoff die Abspaltung reduziert auf eine „Herabsetzung von Alltagshandeln, das mit der Subjektform inkompatibel ist“ (a.a.O., 36), dann meldet sich dabei gewissermaßen der Anspruch des „hausfrauisierten“ (Claudia von Werlhof) Mittelschichtsmannes an, der nun glaubt, die Subjektform ablegen zu können wie die Krawatte, indem er das „Alltagshandeln“ aufwertet. Es deutet sich aber schon an, dass er gerade darin seine Suprematie behaupten möchte, indem er im usurpierten und positivierten Abgespaltenen ganz männlich-traditionell das Szepter übernimmt und die wirkliche „Kreativabteilung“ einrichtet (schon als ebenso formallogischer wie falscher „Begriffsbestimmer“). Mit Emanzipation vom Wert-Abspaltungsverhältnis hat das herzlich wenig zu tun.

Ob „archaisch“ oder „ontologisch“, ob mit negativem oder positivem Vorzeichen, so weit sind Lohoff und Wilting trotz der jeweils umgekehrten Herangehensweise nicht voneinander und von Bönold entfernt, denn der gemeinsame Nenner ist die Setzung des Werts als „Erstes“ und die gedanklich-begriffliche Reproduktion der geschlechtlichen Hierarchisierung. Einen wesentlichen Punkt bildet dabei die Einengung des Abspaltungsbegriffs auf bestimmte „Tätigkeiten“ oder wie oben bei Bönold auf einen „Rest“, womit schon gesagt ist, dass das „Eigentliche“ etwas anderes sei.

Wert-Abspaltung als Totalitätsbegriff

Nun war ich aber im Gegensatz zu früheren Veröffentlichungen (Scholz, 1991) in meinem Geschlechterbuch zu zeigen bestrebt, dass der grundlegende Ausgangspunkt für die Wert-Abspaltungskritik gerade nicht in einer differenzierungstheoretischen Sicht besteht. Die sogenannte Sphärentrennung der Moderne in eine öffentliche und private Sphäre ist begrifflich zunächst einmal sekundär, auch wenn diese Bestimmung anfänglich eine größere Rolle spielte, um sich dem Abspaltungsbegriff annähern zu können. Zweifellos ist es so, dass sich die Wert-Abspaltungsgesellschaft in Sphären ausdifferenziert hat, auch wenn dies nicht im verdinglicht-positivistischen systemtheoretischen Verständnis zu fassen ist. Und zweifellos sind einige als spezifisch weiblich konnotierte Reproduktionstätigkeiten in der sogenannten Privatsphäre angesiedelt. Das macht jedoch nicht den Abspaltungs-BEGRIFF aus. Die Abspaltung auf eine besondere Sphäre zu reduzieren, impliziert wiederum eine positivistische Herangehensweise, wie sie übrigens auch immanent bei einem vulgärmarxistischen Verständnis des Werts anzutreffen ist, wenn dieser ökonomistisch auf eine „Wirtschaftssphäre“ reduziert wird.

In meinem Geschlechterbuch habe ich herausgearbeitet, dass die Abspaltung eben nicht in der Privatsphäre „hockt“, was nicht nur Bönold weitgehend ignoriert. Vielmehr handelt es sich bei der Wert-Abspaltung um ein übergreifendes Grundprinzip, das durch alle Sphären hindurchgeht, also sowohl durch die private Sphäre als auch durch diverse öffentliche Sphären. Deshalb zeigt sie sich auch dann noch, wenn Frauen längst nicht mehr bloß auf den Reproduktionsbereich festgelegt bleiben, sondern sie heute im Gegensatz zur fordistischen Phase „doppelt vergesellschaftet“ (Regina Becker-Schmidt) sind und Individualisierungsprozesse durchlaufen (siehe auch weiter unten). Das bedeutet jedoch keine Einebnung der geschlechtlichen Asymmetrie; wie der Terminus der „doppelten Vergesellschaftung“ schon andeutet, werden Frauen eben auch anders individualisiert als Männer. Dass sich im Kapitalismus die „Arbeit“ als getrennte „real abstrakte Sphäre“ (so Robert Kurz im Anschluss an Polanyi) herausgebildet hat, stellt dazu überhaupt keinen Widerspruch dar. Wie die abstrakte Arbeit deswegen keinesfalls als isoliert „begehbares Feld“ verstanden werden kann, so auch nicht die Abspaltung. Es begegnet einem aber in Diskussionen immer wieder, dass diese Reduktion auf eine besondere Sphäre geradezu ein Stereotyp ist, weil das positivistische Denken eben nur äußerlich aufeinander bezogene Funktionssphären wahrnehmen kann und vor lauter Bäumen den Wald des inneren Zusammenhangs nicht mehr sieht, also auch kein übergreifendes gesellschaftliches Grundprinzip. Auf dieses Problem werden wir noch mehrfach stoßen.

Das reduktionistische Missverständnis zeigt sich bei Bönold auch daran, dass sich für ihn bestimmte Tätigkeiten von Frauen, ihre Rolle in der patriarchalen Symbolordnung oder auch typische (?) Sozialisationsprozesse ausschließlich dann bestimmen lassen sollen, wenn sie sich „auf Markt und Staat direkt beziehen“ (Bönold , 2008 a). Warum das so sein soll, bleibt sein Geheimnis und eine bloße Behauptung. Wie schon hinsichtlich des Verständnisses von „Dominanz“ und in der formalen „Definitionslogik“ wird auch hier wieder unterstellt, dass Markt und Staat für sich stehen, die Abspaltung dagegen nur „in Bezug“ auf Markt und Staat erscheinen könne. Umgekehrt beziehen sich jedoch auch Markt und Staat auf ein per se unsichtbares Abspaltungsverhältnis, insofern es auch ihrerseits zu entsprechenden „Besonderheiten“ kommt und in diesen Sphären gewissermaßen eine Sekundärbesetzung stattfindet, was nur erklärbar ist, wenn die Wert-Abspaltung eben als Grundprinzip gefasst wird, das auch in den Sphären von Markt und Staat zum Ausdruck kommt; wenngleich in anderer Weise als in der Privatsphäre oder weiteren „Bereichen“.

Entgegen hartnäckig wiederholten Interpretationen ist die Wert-Abspaltung kein Differenzierungsbegriff, sondern ein Totalitätsbegriff, wie er in den letzten Jahrzehnten im postmodernen Kontext zum Anathema geworden ist. Ohne einen Totalitätsbegriff ist aber das Ganze nicht kritisch zu begreifen. Es macht die Wert-Abspaltungstheorie geradezu aus, dass sie auf das Ganze geht und das Geschlechterverhältnis auf derselben Abstraktionsebene bestimmt wie den Wert. Dabei handelt es sich aber um den Begriff einer „konkreten Totalität“, wie er gegen einen positivistischen Marxismus schon von Lukács und Adorno vertreten wurde, also um ein nicht mehr rein deduktives Totalitätsverständnis, wobei allerdings über Lukács und Adorno hinaus schon die abstrakte Bestimmung keine universalistische mehr ist, sondern eine in sich gebrochene im Sinne der Wert-Abspaltung. Das führt zur Adornoschen Kritik der Identitätslogik, die in dieser Hinsicht ebenfalls neu zu fassen wäre.

Nichtidentisches und Wert-Abspaltungslogik

Für Bönold ist die Differenz von Abspaltung und Nichtidentischem aufgrund seiner bereits dargestellten Missverständnisse und Reduktionismen wiederum uneinsichtig; seiner Ansicht nach beschränkt sich meine diesbezügliche Argumentation auf die lapidare „Auskunft“, beides sei eben einfach „nicht gleichbedeutend“ (Bönold, 2008 b). Aus meiner Darstellung ergibt sich aber eine klare Begründung: Die Abspaltung ist deswegen nicht das bloß Nichtidentische und kann übrigens auch keinen wie immer gearteten „nicht zu verdinglichenden Rest“ darstellen, weil sie eben die Kehrseite des Werts ist, also das Grundprinzip der Wertvergesellschaftung selbst und nicht etwas im Adornoschen Sinne bloß dem Begriff äußerlich Nichtidentisches. Das impliziert allerdings auch einen modifizierten Begriff von Identität und Nichtidentität. Die Kritik der Identitätslogik und das Rekurrieren auf das Nichtidentische setzt auch bei Adorno noch in der Kritik eine (allerdings negativ bestimmte) abstrakte Universalität des Werts voraus, auch wenn diese als gebrochene gedacht wird. Diese begriffliche Reproduktion, gerade insofern sie eine solche ist, hat aber notwendigerweise einen blinden Fleck in der Realitätswahrnehmung, weil sie die Abspaltung voraussetzt und daher auch diese als Ausblendung reproduziert. Wird dieser Zusammenhang nicht reflektiert, droht sich noch in die Kritik diese Ausblendung auf der begrifflichen Ebene einzuschleichen.

Deshalb habe ich schon in meinem Geschlechterbuch gegen eine bloß formal identitätskritische Position von Becker-Schmidt/Knapp in den 1980er und 1990er Jahren argumentiert, man könne sich dabei „...des Eindrucks nicht erwehren, dass Adornos Beharren auf >Nichtidentät< (...) soziologisch heruntergebrochen und in die immergleiche banale Feststellung transformiert wird, dass schon immer alles verschieden und höchst widersprüchlich ist und sich eins stets vom anderen unterscheidet, was dann letztlich auch eine Endlosaufzählerei (zum Beispiel von verschiedenen Frauen und Frauengruppen) zur Folge hat (...) Diese Kritik wird so nicht nur als Persilschein für ein im Grunde positivistisches Flohknackertum der Differenz und des >Differenzierens< benutzt, sondern man kann sich fast des Eindrucks nicht erwehren, dass sie als Rationalisierung für eine zwanghafte Exaktheitsexaltiertheit herhalten muss, die selbst noch über die üblichen Maßstäbe des Wissenschaftsbetriebs hinauszuschießen trachtet (...) Gerade der >besondere< Gegenstand des Geschlechterverhältnisses, das zudem auch noch ein grundlegendes Gesellschaftsverhältnis ist, bräuchte nun aber auf einer ganz grundsätzlichen theoretischen Ebene selber einen >Begriff<, denn bezeichnenderweise galt gerade dieses Verhältnis und >das Weibliche< als >dunkler Bereich<, der geradezu als dualistischer Gegensatz zum Begrifflichen existierte (...)“ (Scholz 2000, S. 66 ff.).

Hier haben wir wieder das Grundproblem, dass das im androzentrisch-universalistischen Denken Nichtbegriffliche der Abspaltung selber noch begrifflich zu erfassen ist, weil es eben keinen „Rest“ darstellt, sondern durchaus ein basales Prinzip in Korrespondenz mit dem (nicht in Subsumtion unter den) Wert bildet; allerdings mit einer Begriffsbildung, die den androzentrisch-universalistischen Begriffshorizont durchbricht und deshalb auch qua Verdoppelung des basalen Formprinzips als eines in sich gebrochenen (Wert und Abspaltung) sozusagen auch die Kritik der Identitätslogik verdoppeln muss – also ihren eigenen Begriff nicht im Sinne der alten Begriffsherrlichkeit verstehen kann. Eben das heißt mit Adorno über Adorno hinauszugehen. Deshalb hatte ich im Geschlechterbuch geschrieben: „(Es) tut eine(r) basalen Begriffsbildung wie der Wert-Abspaltungsform not, die dieses Nichtbegriffliche selbst zu erfassen vermag und gleichzeitig um ihre Grenzen weiß (...) und die so auch durch Historisierung durchaus zu den Widersprüchen gerade in der postmodernen Situation von Frauen (und den entsprechenden Strukturen) gelangen kann“ (Scholz, 2000, S. 66 ff.).

Dabei kommt also in der Tat gleichsam in einem zweiten Schritt das Nichtidentische von Adorno auch gegenüber dem Abspaltungsbegriff wieder ins Spiel, wie es in der Büchse der Pandora dieser Theorie beschlossen liegt. Dabei muss sich die „Wertkritik“ verändern und eine gänzlich neue Qualität annehmen; nicht nur im Hinblick auf die Dechiffrierung des Wertverhältnisses als gleichzeitiges und gleichursprüngliches Abspaltungsverhältnis, sondern auch in dem Sinne, dass das Verständnis der Wert-Abspaltung als grundsätzlicher Logik seinerseits nicht bei sich selbst als einem bloß erweiterten „geschlossenen System“ bleiben kann, sondern auch dem stattgeben muss, was ihrem Begriff nicht umstandslos „willfahrt“. Dies habe ich in meinem Geschlechterbuch zu zeigen versucht. Fehlt aber der Begriff des vom Abspaltungsverhältnis zum Nichtbegrifflichen Gemachten in diesem Sinne, dann ist die Konsequenz jenes oben skizzierte Herunterbrechen der Identitätskritik, das in seiner formalen Herangehensweise keinen Bezug mehr zu einem gesellschaftlichen Grundprinzip bzw. zum gesellschaftlichen Ganzen herstellt und damit auch die Geschlechterproblematik in bloß empirisch-soziologische Bestimmungen auflöst. Kaum überraschend stellt dieser Zusammenhang für Bönold erst recht eine Überforderung dar, weswegen er bei ihm gar nicht als solcher thematisiert werden kann, sondern nur indirekt erscheint.

Das Nichtidentische des Begriffs gegenüber dem Begriff der Wert-Abspaltung selber einzubeziehen, bedeutet dagegen: Wenn die Wert-Abspaltungskritik gegen sich selbst zu denken gezwungen ist und sich gegen ein universalistisches (Miss)verständnis selbst dementiert, muss sie anderen sozial-ökonomischen Disparitäten sowie ideologischen Mustern wie Rassismus, Antisemitismus und Antiziganismus gleichermaßen als besonderen „ernst zu nehmenden“ Gegenständen stattgeben, sprich: diese können genausowenig aus der Abspaltung abgeleitet werden wie die Abspaltung aus dem Wert, sondern auch hier ist eine sperrige negative Dialektik geltend zu machen (vgl. hierzu ausführlich Scholz, 2005). Darüber hinaus muss die Wert-Abspaltungskritik, sowohl ein positivistisch-formallogisches als auch ein universalistisch-überstülpendes Denken gewissermaßen aus ihrem Inneren heraus negativ-dialektisch in Frage stellend, GRUNDSÄTZLICH stets der jeweiligen „Sache“ gerecht zu werden versuchen. Das bedeutet, Begriffe um diese Sache in Konstellationen herum zu gruppieren, um der Eigenqualität der Sache willen, was eben weder mit einem formallogischen noch mit einem vitalistischen, den Begriff ganz fahren lassenden Vorgehen etwas gemein hat.

Auch das „Einzelne ist kein Letztes“, wie Adorno sagt (Adorno, 1966, S. 165). Dies bedeutet noch eine Steigerung von Komplexität: „Was am Nichtidentischen nicht in seinem Begriff sich definieren lässt, übersteigt sein Einzeldasein, in das es erst in der Polarität zum Begriff, zu diesem hinstarrend, sich zusammenzieht. Das Innere des Nichtidentischen ist sein Verhältnis zu dem, was es nicht selber ist und was seine veranstaltete, eingefrorene Identität mit sich ihm vorenthält. Zu sich gelangt es erst in seiner Entäußerung, nicht in seiner Verhärtung; das noch ist Hegel abzulernen, ohne Zugeständnisse an die repressiven Momente seiner Entäußerungslehre. Das Objekt öffnet sich einer monadologischen Insistenz, die Bewußtsein der Konstellation ist, in der es steht; die Möglichkeit zur Versenkung ins Innere bedarf jenes Äußeren“ (Adorno, 1966, S. 165).

Genau in diesem Sinne hat sich die Wert-Abspaltungskritik als Behauptung eines gesellschaftlichen Grundprinzips im Sinne eines „Ersten“ einerseits selbst zu dementieren, allerdings auch gleichermaßen vehement auf sich selbst zu beharren, nämlich als einem zwar besonderen Gegenstand, der aber gleichzeitig im Sinne eines Grundprinzips Allgemeinheitscharakter aufweist, um den allerdings nicht gewusst werden soll und will. Eingedenk der eigenen Begrenztheit muss sie sich dennoch lauthals artikulieren und sich nicht in der „Verschleifung“ (Jessica Benjamin) stumpf machen, wie eine vorherrschende Queer- und Genderorientierung, die im Schatten des akademischen Betriebes selbstgenügsam und bedeutungslos vor sich hinzutümpeln geruht (vgl. in gewisser Weise ähnlich Soiland 2003, S. 167). Sonst zerginge auch noch ihr „besonderer Charakter“, ihre Eigenqualität zugunsten einer verkürzten, einfachen Auffassung von „Nichtidentität“. In der Vergleichgültigung wäre sie nur eines von vielen Vielen, die alle bloß nebeneinander stehen. Damit hätte jedoch auch jedwedes Andere als negativ-dialektisches Anderes, Eigenständiges, ohne das sie doch selbst nicht sein könnte, keinen Platz mehr. So gilt auch noch für die Wert-Abspaltungstheorie: Kein Identisches ohne Nichtidentisches, dem unbedingt als einem Selbständigen stattgegeben werden muss. Im Gegensatz zur „konventionellen“ Tausch- bzw. Wertkritik ist es der Wert-Abspaltungskritik versagt, bei sich zu bleiben und sich selber als „Erstes“ zu setzen. Auf die Bedeutung eines Denkens in Konstellationen im Sinne der Wert-Abspaltungskritik komme ich später noch einmal zurück.

Gesellschaftliches Grundprinzip und Differenzen

Andererseits verfährt er auch genau umgekehrt, indem er hinsichtlich des Konkreten, Differenten dem Wert-Abspaltungsbegriff gewissermaßen vorwirft, „zu sehr“ begrifflich zu sein und selber subsumtionslogisch zu operieren. Dahinter verbirgt sich natürlich ein Denken, das es als „Anmaßung“ erlebt, dem im Abspaltungsverhältnis zum Nichtbegrifflichen Gemachten einen Begriff sui generis zu geben. Dabei hat er dasselbe Problem, wie es oben an der Position von Becker-Schmidt/Knapp dingfest gemacht wurde, wenn er etwa „Geschlechtlichkeiten im Plural“, „Unterschiede und Hierarchien zwischen Frauen bzw. zwischen Männern“, und ein Geschichtsverständnis als Auflistung von „Fakten“ (Bönold 2008 a) einer Sichtweise der Wert-Abspaltung als einem historisch prozessierenden Grundprinzip gegenüberstellt. Indem er hier plötzlich vom Begriff des Ganzen nichts mehr wissen will, hapert es bei ihm selbst sogar hinsichtlich der formallogischen Stringenz, die er großspurig von mir fordert. Er hat „hier“ eine von ihm eingeklagte formal-definitorisch wie immer zu bestimmende allgemeine Struktur und „dort“ das wie immer bestimmte „viele“ Viele, während der Vermittlungszusammenhang völlig im Dunkeln bleibt.

Aus Bönolds eigenem abstrakten „Methodenverständnis“ müsste folgen, dass ein „Plural“ von Abspaltungen, Männern, Frauen, Geschlechtern usw. zunächst einmal „logisch“ deren Allgemeinbestimmung zur Voraussetzung hätte, bevor er sie sodann in seiner Denkungsart gewissermaßen wieder auf der Insektenbestimmungsebene in „Viele“ ausdifferenzieren und entsprechende „Begriffe“ finden könnte! Insofern ihm die andere, nicht formallogische, sondern dialektische Bestimmung des Abspaltungsbegriffs nicht einleuchtet, er aber andererseits dem „Differenten“ Rechnung tragen will, ohne es jedoch in seinem Bezug zu einem Grundprinzip wahrnehmen zu können, stürzt er in die falsche Unmittelbarkeit ab. Da er seinen positivistischen Hintergrund nicht benennen kann und zugleich auf einem postmodernen „Vielheitsgebot“ und hinsichtlich des gesellschaftlichen Ganzen meines Erachtens auch einem „Wirklichkeitsverbot“ besteht, was zwangsläufig eine gewisse Konfusion zur Folge hat, fällt einem bei seiner Kritik unwillkürlich der Titel eines Buchbestsellers ein, der diese Verwirrung gut zum Ausdruck bringt: „Wer bin ich, und wenn ja wie viele?“ (Richard David Precht).

Soweit Bönold sich an ein gesellschaftliches Grundprinzip erinnert, denkt er an den Wert und ist (positivistischer) „Marxist“, dem die Abspaltung eher unheimlich und „unlogisch“ erscheint. Soweit es um die Differenzen geht, mutiert er zum fröhlichen „Postmodernen“, der sich auch um den abstrakten Wert nicht mehr viel schert. Während die Wert-Abspaltungstheorie auf ihrem Begriff beharrt und sich gleichzeitig (für das formallogische Denken paradox) selber dementiert, indem sie das Differente dazu nicht-subsumtionslogisch in Beziehung setzt und in seiner Eigenheit anerkennt, „vergisst“ Bönold seinen eigenen universalistischen Begriff des Ganzen und wirft ihr eine angebliche „logische“ Vorgängigkeit gegenüber dem Vielen, Besonderen etc. vor, unter Absehung vom konkreten Inhalt, auf den es der Wert-Abspaltungskritik jedoch zuvörderst ankommt.

Bönold verfällt stattdessen der in vielen postmodernen Theorien anzutreffenden, ihrerseits positivistischen Differenz-Hypostasierung, die ich in meinem Geschlechterbuch kritisiert hatte. Denn dabei wird, wie ich geschrieben hatte, gerade in der Postmoderne „...die Bedrohung durch das Einzelne, Besondere und Differente wiederum durch die allgemeine Begriffsklammer des Kulturellen gebannt. Im Gegensatz zu >altpositivistischen< Verfahrensweisen, die eine Gleichmachung des Differenten in der Standardisierung betreiben (...) wird in der postmodernen Anschauung das Individuelle, Besondere, und Differente zum kalkuliert-empirischen Ausgangspunkt der kulturell-monistischen Theoriebildung an und für sich. Man könnte geradezu von einem postmodernen >Positivismus der Differenz< sprechen, der auf Klassifizierungen verzichtet und stattdessen am Registrieren von Differenzen und/oder an der >Schau< des Einzelnen/Besonderen Gefallen findet. Der abstrakte gemeinsame Nenner wird hierbei ebenso hinauszubugsieren getrachtet wie ehedem in den klassisch-positivistischen Positionen die Differenz. Seit Mitte der 1980er Jahre (...) wurde diese Spannung im Feminismus meist eindeutig zugunsten der Differenz gelöst. Nach einer Zeit der pauschalisierenden Annahme einer universellen Unterdrückung und der darauf folgenden schroff entgegengesetzten These einer je spezifischen Situation von Frauen je nach (kulturellem) Kontext, die apodiktisch jede auch nur mögliche Gemeinsamkeit von vornherein strikt verneinte, bestünde meines Erachtens heute die Chance (und auch die Notwendigkeit), unvoreingenommen sowohl Gemeinsamkeiten als auch Differenzen in ihrem Spannungsverhältnis in Betracht zu ziehen und gelten zu lassen“ (Scholz, 2000, S. 145).

Sobald Bönold mir gegenüber die Differenzen geltend macht und dabei unvermittelt postmoderne/poststrukturalistische Theorien als Referenz in Stellung bringt, gibt es für ihn auf einmal überhaupt keine gesellschaftliche Grundform mehr, schon gar keine vergeschlechtlichte, sondern bloß ordinäre bürgerliche Aushandlungssubjekte, die sich ihre Gesellschaft interaktiv selbst machen in der undialektischen Einseitigkeit. Geschlecht ist hierbei in erster Linie „eine Praxis von modernen Individuen“ (Bönold, 2008 a). Derart „entbegrifflicht“ meint Bönold zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen zu haben: Im Sinne seines im Hintergrund lauernden androzentrisch-universalistischen Verständnisses ist der Abspaltungsbegriff vermeintlich in seine Schranken gewiesen, gleichzeitig kann er andererseits auf dem postmodernen Dampfer anheuern und sich einbilden, damit alles im Sack zu haben, Struktur und Handlung gleichermaßen, und im Grunde über allem zu stehen, während er bloß seine Konfusion dokumentiert.

Im übrigen ist er damit auch nicht auf der Höhe der einschlägigen Literatur, sondern schon ein wenig hinter dem Mond. Denn die von ihm unverdrossen betriebene Differenzhypostasierung wird schon längst in feministischen Veröffentlichungen wie „Dezentriert und viel riskiert“ (Knapp, 2001), „Hand auf's dekonstruierte Herz“ (Koppert/Selders, 2003), „Differenzen zwischen Frauen. Zur Positionsbestimmung und Kritik des postmodernen Feminismus“ (Sommerbauer, 2003) u.ä. in Frage gestellt. Längst wird wieder versucht, Marxismus und Feminismus zusammen zu bringen. Darauf geht Bönold mit keiner Silbe ein, weil ihm diese gegenläufigen Reflexionen nicht ins Konzept seiner beflissenen Kritik an der Wert-Abspaltungstheorie passen.

Die Absenz des Wert-Abspaltungsbegriffs in der feministischen Theorie

Meines Erachtens schreien aber die Ergebnisse feministischer Forschung (zumindest solange sie so bezeichnet werden kann und noch nicht zu einer mit den Verhältnissen sehr versöhnlichen Vielfrauen-Männer-Geschlechter-Genderforschung mutiert ist) geradezu danach, den Begriff der Abspaltung als Kern- und Wesensbegriff auszumachen. Der „Beispiele“ wären so viele, dass hier nur umständlich an den Haaren herbeigezogene Gegenargumente in Anschlag gebracht werden könnten. So etwa, wenn Bönold meint, den (etwa bei Kristeva und Butler verwendeten) „Begriff der Abjektion“ (Bönold, 2008 b), nämlich des „Verworfenen“, rabulistisch gegen den Abspaltungsbegriff ausspielen zu können. In gewisser Hinsicht meint das „Verworfene“ etwas ganz Ähnliches, wenn auch in einem begrenzten Zusammenhang. Dass es hier sozusagen spontane Synonyme im Kontext verschiedener Untersuchungen gibt, verweist ja gerade darauf, dass ein aufs Ganze gehender, explizit gemachter und begründeter Begriff auf einer höheren Abstraktionsebene längst überfällig war, ob das nun dem derzeitigen Wissenschaftsbetrieb genehm ist oder nicht.

Wenn dieser Zentralbegriff der Wert-Abspaltung bislang nicht in Lexika auftaucht, so ist das schlicht irrelevant. Gerade weil der damit benannte Zusammenhang in der theoretischen Gesamtschau mehr als offensichtlich ist (bzw. der Begriff der Abspaltung hin und wieder sogar explizit fällt), wäre dieses Fehlen eher als Manko dieser Lexika anzusehen, das auf einen gewaltigen blinden Fleck verweist, anstatt originäre Theoriebildungen anzuprangern, die sich nicht darauf festlegen lassen, was die scientific-community nun absegnet oder nicht! So baut die Wert-Abspaltungstheorie freilich auf Erkenntnissen und Ergebnissen der (auch akademischen) feministischen Forschung auf, denn andere gibt es nicht; sie kann jedoch einen mittlerweile weitgehend zahnlos und langweilig gewordenen Wissenschaftsbetrieb (gerade was die „Genderforschung“ betrifft) selbstverständlich nicht als eine Art päpstliche Instanz ansehen, nach deren Beachtung und Bewertung sie ihre eigene Richtigkeit oder Unrichtigkeit bemessen lassen müsste.

Der Wert-Abspaltungsbegriff stellt einen Oberbegriff dar, der verschiedene Ebenen und Dimensionen in ihrer Prozesshaftigkeit bündelt (aber auch gleichzeitig ihrer Eigenheit stattgibt). Gerade weil er nicht für sich steht, sondern nur in Vermittlung mit dem Wertbegriff gedacht werden kann, geht er über eine bloße Differenzforschung (für die die Sprache und der Diskurs als leeres Abstrakt-Allgemeines gewissermaßen einen Totalitätsersatz darstellt) hinaus aufs gesellschaftliche Ganze. Es ist ihm also um die berühmte Anstrengung des Begriffs zu tun; eine Anstrengung, die vor dem Hintergrund eines Niedergangs der Marxschen Dialektik aus der Mode gekommen ist. Angesichts der Dominanz eines „Kulturmarxismus“ und in Verbindung mit dem Aufkommen postmoderner und poststrukturalistischer Theorien, die zum Mainstream geworden sind, unterlag das von der Wert-Abspaltungstheorie vertretene und neu formulierte dialektische Denken jahrelang einer Rezeptionssperre. Hier ist eine Kritik dieses Mainstreams vonnöten und alles andere angesagt als szientifische Götzendienerei.

Theorie, Empirie und historische Entwicklung

Nun ist es durchaus zutreffend, dass sich eine bestimmte Sorte von abstrakter und androzentrischer Wertkritik in einem „leeren Begriffsgeklapper“ (wie Bönold ausgerechnet mir vorwirft, obwohl es eher auf seine eigenen „wertkritischen“ Referenzen zutrifft) ergeht und einen universalistischen Werthut auf jeden beliebigen Gegenstand setzt, ungeachtet seiner konkreten Beschaffenheit. Für die Wert-Abspaltungskritik gilt dies jedoch gerade nicht und widerspricht geradezu ihrem Wesen. Durch die Konfrontation mit empirischen Forschungsergebnissen und deren Ernstnehmen muss sie auch zur Selbstkorrektur in der Lage sein. Das geht jedoch nicht so, dass die Theorie einseitig dem Richterspruch der (selber in ihrer Erfassungsweise zu befragenden) Empirie zu unterwerfen wäre. Es handelt sich vielmehr um eine wechselseitige Überprüfung und Relativierung. Daraus resultiert ein nicht aufzulösendes Spannungsverhältnis von Theorie und Empirie im Erkennen der Wirklichkeit, wie es etwa Adorno formuliert hat: „(...) (Theoretischen) Entwürfen ist es eigentümlich, dass sie mit Forschungsbefunden nicht blank übereinstimmen; dass sie diesen gegenüber sich exponieren, zu weit vorwagen, oder, nach der Sprache der Sozialforschung zu falschen Generalisierungen neigen. Eben darum war (...) die Entwicklung der empirisch-soziologischen Methoden notwendig. Ohne jenes sich Sich-zu-weit-Vorwagen der Spekulation jedoch, ohne das unvermeidliche Moment in der Theorie wäre diese überhaupt nicht möglich“ (Adorno, 1995, S.101).

Damit ist auch genau das angesprochen, was Adorno mit „immanenter Kritik“ meint und Bönold in dilettantisch-konfuser Weise für sich in Anspruch nimmt, wenn er mich kritisiert, ohne dass er dem hier angesprochenen Spannungsverhältnis Rechnung trägt. Einer naiven Berufung auf sozialwissenschaftliche Untersuchungen, gerade auch hinsichtlich der Geschlechterdifferenz, ist mit Vorsicht zu begegnen, da hier genauso eine ideologische Verzerrung der Wirklichkeit möglich ist wie bei einer naiven Berufung auf reine Theorie. Bei Bönold fehlt die Problematisierung einer positivistischen Tatsachenwissenschaft völlig. Er behandelt empirische Untersuchungen stattdessen – bar ihres möglichen ideologischen Charakters – als schon immer gesichertes voraussetzungsloses Wissen, wobei er Theorie und Empirie im Grunde ineinander aufgehen lässt.

Dabei geht es gleichzeitig um die historisch-prozesshafte Dimension der Wert-Abspaltung, wobei der Vorwurf von Bönold in dieser Hinsicht lautet, historische Entwicklungen im Sinne von „Tatsachenfeststellungen“ würden unzureichend berücksichtigt, begrifflich negiert oder falsch bestimmt. Was diesen Problemzusammenhang angeht, ist allerdings keine abstrakte erkenntnis- und gesellschaftskritische Erörterung mehr ausreichend, sondern es bedarf der konkret-historischen Analyse, die wiederum nicht in einer positivistischen Anhäufung von zusammenhanglosen „Tatsachen“ bestehen kann. Auch hier muss zwischen Wesen und Erscheinung unterschieden werden, wobei das Wesen selbst nicht als starr, sondern als historisch prozessierend zu verstehen ist, ausgehend von den ursprünglichen Konstitutionsprozessen.

Zu diesem Behufe liegen längst genügend, auch geschichtliche, Untersuchungen vor, auf die sich die Wert-Abspaltungstheorie stützen kann. Dies habe ich wie im Wissenschaftsbetrieb üblich getan, u.a. mit Verweis auf Heintz/Honegger (1981) oder aber auch Heidemarie Bennent (1985), die die großen Philosophen der „Abspaltung des Weiblichen“ überführt, und zwar vor dem Hintergrund realgeschichtlicher Analysen. Fundiert habe ich meine Wert-Abspaltungstheorie gerade mit derartigen Arbeiten als Referenzen. Es ist mir neu, dass – polemisch zugespitzt – hunderttausendmal erbrachte Untersuchungen ständig von neuem gebetsmühlenhaft repetiert werden müssten. Dies würde eine ewige Starre und Stagnation in der Theoriebildung bedeuten. So viel zu den großartigen „empirischen Zweifeln“ von Bönold im Hinblick auf die historische Dimensionierung der Wert-Abspaltungskritik. Er selbst ist es, der Probleme mit starren Bestimmungen, ja Definitionen einerseits und gesellschaftlichen Veränderungen andererseits hat.

So müssen auch die weiteren Veränderungen des Geschlechterverhältnisses bis heute aus den Mechanismen und Strukturen der Wert-Abspaltung selbst verstanden werden. Auf dieser Wert-Abspaltungsbasis untergraben vor allem die Produktivkraftentwicklung und die Marktdynamik (die selber auf der Wert-Abspaltung beruhen), ihre eigene Voraussetzung, indem Frauen sich ein gutes Stück von ihrer traditionellen Rolle entfernen (vgl. Beck, 1986) und ihnen eine schon immer dagewesene „doppelte Vergesellschaftung“ in der Postmoderne nun in ihren Widersprüchlichkeiten bewusst wird. Die Situation der 1950er-Jahre-Hausfrau in der fordistischen Ära unterscheidet sich erheblich von einer „doppelt vergesellschafteten“ Frau, die für Beruf und Familie de facto gleichermaßen zuständig ist, wie Regina Becker-Schmidt, aber auch viele andere Forscherinnen in den letzten Jahrzehnten in empirischen Untersuchungen heraus fanden (vgl. hierzu in neuerer Zeit Gildemeister/Wetterer, 2007). Das heißt, das Wesen der Wert-Abspaltung muss auch erscheinen; aber nicht als starres, dem die Empirie nur akzidentiell wäre, sondern im und durch den historischen Prozess hindurch.

Dabei sind die empirischen Frauen zwar nicht einfach mit der Wert-Abspaltung als gesellschaftlicher Grundform gleich zu setzen, denn es handelt sich um eine abstrakte, übergreifende und selber prozesshafte Strukturebene. Gleichwohl zeigt sie sich in soziologischen Strukturen gewissermaßen auf einer empirienäheren Ebene, wobei das sozialwissenschaftliche Theorem der „doppelten Vergesellschaftung“, auf das ich mich in meinem Geschlechterbuch stütze, durchaus auf empirischen Untersuchungen beruht, auch wenn eine derartig vermittelte Empirienähe meinerseits Bönold nicht passt und er mich bloß in die Sphäre der Abgehobenheit abschieben möchte oder der Verzerrung durch fälschlicherweise ernst genommene Medienbilder zeiht.

Nochmals anders ausgedrückt: Die Wert-Abspaltung als historisch prozessierendes gesellschaftliches Grundprinzip ist auf einer sehr abstrakten, grundsätzlich-theoretischen Ebene angesiedelt, die Konstatierung der „doppelten Vergesellschaftung“ von Frauen (in der sich das Wesen der Wert-Abspaltung auf einer bestimmten historischen Stufe zeigt) ist hingegen sozialstrukturell dimensioniert, ebenso wie die frühere Zuordnung der Frauen zum „Haus“; und die empirisch-einzelnen Individuen stehen noch einmal auf einem anderen Blatt, auch wenn sie sich der Schwerkraft (historisch variabler!) geschlechtlicher Zuschreibungen im Wert-Abspaltungszusammenhang nicht entziehen können. Derartige differenzierte Bestimmungen im Verhältnis von Theorie und Empirie hinsichtlich der historischen Prozesshaftigkeit machen Bönold große Probleme. Die Wert-Abspaltung kann und will eben nicht als Schaubild dargestellt werden und meint keine zeitlose Struktur, wie dies Bönold gerne unterstellen möchte.

Es bedarf schon eines aktiven Wegschauens, ja geradezu eines Sich-dumm-Stellens, um nicht zu sehen, dass die Tatsache der „doppelten Vergesellschaftung“ von Frauen auch in der lebenslagen-spezifischen Versetztheit und das Modell der auf sich selbst gestellten „Kleinen Selbständigen“ heute dominierend sind, wobei auch die Analyse bei Schultz (1994), von der ich diese Bestimmung in meinem Geschlechterbuch beziehe, sich auf empirisch-soziologische Untersuchungen stützt. Man sehe sich heute nur den familienpolitischen Diskurs um von der Leyen an oder auch die Änderung des Scheidungsgesetzes, wonach nun auch Frauen nach der Scheidung für ihren eigenen Unterhalt zuständig sein sollen. Die Politik, aber auch die Werbung und die Medien haben hier durchaus die Erkenntnisse der (feministischen) Sozialforschung genutzt. Die empirischen Frauen müssen heute schon qua Existenz in sich „viele“ und „queer“ sein, das alte Hausfrauen-Familienmodell ist obsolet. Genau darin zeigt sich das neue Gesicht des Kapitalismus, des warenproduzierenden Patriarchats. Vor diesem Hintergrund fragt es sich in Bezug auf Bönold, der die empirischen historischen Veränderungen gegen den Begriff der Wert-Abspaltung ausspielen will: „Wieviel Entwirklichung kann sozialwissenschaftliche Theoriebildung ertragen?“, wie es Wolf Dieter Narr schon einmal hinsichtlich der Annahmen einer schier unbegrenzten Kontingenz in postmodernen Theorien formuliert hat (Narr, 1994).

In diesem Zusammenhang habe ich nie behauptet, dass die sozialpsychologische Verfasstheit der (vergeschlechtlichten) Individuen bis in die Postmoderne hinein starr bleibt, sondern sie muss im Kontext gesamtgesellschaftlicher Entwicklungen, wie etwa der besseren Ausbildung und der Berufstätigkeit von Frauen heute, der Herausbildung des Leitbilds der „kleinen Selbständigen“, der „doppelten Vergesellschaftung“ der Frau und ihrer Konstruktion als „eierlegende Wollmilchsau“ gesehen werden. Dass sich auch in den sozialpsychologischen Annahmen etwas verändern muss, wenn die Kleinfamilie verfällt, habe ich in meinem Geschlechterbuch ausdrücklich in Betracht gezogen. So etwa, wenn ich im Rekurs auf Kornelia Hauser in der Postmoderne auch von einem „gleichgeschlechtlichen Gefühlscode“ bei Frauen spreche.

Wenn ich aber nie in dualistischer Weise eine starre Zweigeschlechtlichkeit behauptet habe, kann es logischerweise auch nicht zu deren inkonsequenter Auflösung bei mir in der Postmoderne kommen, wie Bönold behauptet. Vielmehr ging es mir darum, welchen Wandel die Geschlechterverhältnisse im historischen Prozess der modernen Wert-Abspaltung seit ihren Anfängen in der frühen Neuzeit durchgemacht haben; bis hin eben zu den „doppelt vergesellschafteten“ Frauen, den von „Hausfrauisierung“ bedrohten Männern sowie der Zersetzung von familialen Verhältnissen und entsprechenden Zwangsflexi-Verhältnissen im postmodernen Verfall des warenproduzierenden Patriarchats heute in jedweder Hinsicht. Dabei haben erst postmoderne Individualisierungstendenzen, die Zuständigkeit von Frauen für Beruf und Familie gleichzeitig, zu einer „Differenzierung der Frauenrolle (...) geführt“ und dazu, „dass Frauen Widersprüche auch als solche interpretieren und die Rede von der Differenz zwischen Frauen ermöglicht (wird)“ (Ostner, 1991, S. 202).

Bönold selber wird hier „empirisch“ unhistorisch, wenn er behauptet, ich würde „unkritisch die These vom Zerfall der Familie fortschreiben“ (Bönold, 2008 a), während er diesen selber unkritisch leugnet. Auf welches Material er sich hierbei stützt und auf welche SoziologInnen er sich bezieht, meint er bei aller sonstigen Erbsenzählerei mir gegenüber nicht ausweisen zu müssen. Im Übrigen habe ich das Kleinfamilienmodell nicht einfach für die ganze Welt reklamiert, wie Bönold behauptet, sondern für die Verhältnisse der sogenannten Dritten Welt von der Auflösung großfamiliärer Zusammenhänge gesprochen. Dieser Ausdruck mag zwar auch unbefriedigend sein, ich projiziere aber nicht einfach Vorstellungen der Hausfrau, des Familienernährers und der Kleinfamilie „auf die ganze Welt“ (Bönold, a.a.O.; vgl. dagegen Scholz, 2000, S. 122 ff.).

Dass die Wert-Abspaltung als gesellschaftliche Grundform ein Prozess ist, verweist wiederum darauf, dass sie auf der Ebene der konkreten Totalität entfaltet werden muss. Heute kulminiert dieser Prozess in dem Phantasma der omnipotenten „von Natur“ aus sozialen Frauen etwa bei Frank Schirrmacher, der sie so als allseits befähigte Trümmerfrauen sieht, was sich in der Geschichte immer wieder aufzeigen ließe, indem Frauen Extremsituationen schon immer besser bewältigt hätten als Männer und dies noch immer im sozialen Bedachtsein und der sozialen Verantwortung für die anderen Menschen sichtbar sei (vgl. Schirrmacher, 2006). Frauen werden so bei ihm keineswegs als Hausfrau und Mutter konstruiert: „Festzustellen, dass Frauen eine starke emotionale Kompetenz haben und vermutlich sogar die Begründer unserer Gemeinschaft sind, heißt weder, dass das für alle Individuen ausnahmslos gilt, noch, dass damit Frauen die Mutterrolle aufgedrängt werden soll (...) Wir können die Uhr nicht zurückdrehen (...) Untersuchungen der vergangenen fünfzig Jahre (Schirrmacher bezieht sich dabei auf die „Hirnforschung“, aber auch auf Evolutionspsychologie, Anthropologie und Psychologie, R.S.) belegen, dass Frauen die Schlüsselrolle zufällt für den Erhalt von Familien sowie den Aufbau und die Stabilisierung von Freundschaftsnetzwerken, die in Zukunft verstärkt an die Stelle von traditionellen Familien treten werden“ (Schirrmacher, 2006, S. 135 f). Und weiter: „Spätestens dann (in der EU bis 2050, R.S.) wird von den Frauen verlangt werden, beides zu leisten: das Bruttosozialprodukt zu steigern und das Land mit Nachwuchs zu versorgen (...) Doch damit ist es nicht getan. Die Mädchen müssen vermehrt in naturwissenschaftliche Berufe“ (Schirrmacher, 2006, 149). Sie sollen also Berufe ausüben, die entwicklungsgeschichtlich männlich besetzt waren und zu den empathischen Begabungen von Frauen in Konkurrenz stehen. „Der Jäger“, im Grunde der Typus des männlichen Lohnarbeiters, wird in der Gesellschaft des „Minimum“ zwar nicht überflüssig. Jedoch können Söhne „nicht, was Töchter neuerdings können: schlichtweg alles auf einmal. Töchter können sozial kompetent und Brotverdiener sein“ (Schirrmacher, 2006, S. 147 f.).

Frauen stellen im Grunde eine Verlegenheitslösung dar in der fundamentalen Krise, deswegen kann hier auch mit einigem Recht von einem „Ein-Geschlechtmodell“ ausgegangen werden: Frauen sind Männer, bloß anders (Thomas Laquer). Der vordergründigen Aufwertung von Frauen heute, in welcher Form auch immer, ist mit äußerstem Misstrauen zu begegnen, nicht „nur“ wegen der Doppelbelastung, sondern auch, weil alle Statistiken nach wie vor eine Diskriminierung von Frauen belegen, bei gleichzeitiger Stilisierung der Frau zum Super-Überfrau-Mann. Die Folie ist hier also im Grunde das männliche Subjekt der Moderne, komplettiert um die soziale, angeblich weibliche Dimension. Insofern relativiert sich die absolute Geschlechterdifferenz nur auf neuem Niveau der Wert-Abspaltung.

Frauen sollen – so der Subtext – noch die besseren Männer sein. Indem sie als vielarmige Göttin stilisiert werden, soll es ihnen schmackhaft gemacht werden, das Joch der vielseitigen Belastung willig und stolz auf sich zu nehmen, wobei auffällig ist, dass ihnen dabei Bescheidenheit zugemutet wird, jenseits aggressiver Haltungen und Dominanzansprüche. Schirrmachers Überlegungen zeigen überdies gut, wie man dekonstruktivistisch sein kann, dennoch nicht auf eine essentialistisch-biologische Grundlage verzichten muss und dabei obendrein noch den grundsätzlichen gesellschaftlichen Wandel berücksichtigt. Er räumt durchaus ein, dass nicht jeder Mann egoistisch und nicht jede Frau sozial ist und sein muss. Dies sollte bisherigen (de-)konstruktivistischen Ausrichtungen zu denken geben. Zudem sollte dies auch Bönold insofern nachdenklich stimmen, als ihm ausgerechnet Schirrmacher durchaus vorhalten könnte, dass er bei seinem Rekurs auf wissenschaftliche Untersuchungen selber sehr selektiv vorgegangen ist, was bei Bönold ja ein Kardinaleinwand gegen meine angeblich „fleischlosen“ Ausführungen zur Wert-Abspaltungstheorie ist.

Sex und Gender

Das heißt bei mir aber nicht, dass die Menschen nicht „in“ ihrer Gesellschaftlichkeit zugleich auch natürliche Wesen wären; nur dass sich diese Bestimmungen nicht auftrennen lassen und das Leibliche oder Sinnliche daher nur in seiner historischen Gesellschaftlichkeit existiert. Daraus, dass ich überhaupt (und übrigens wieder mit Adorno) an einer historisch prozessierenden Natur-Kultur-Dialektik festhalte, kann aber der Vorwurf des „Biologismus“ nur dann gefolgert werden, wenn das Naturmoment in der Gesellschaftlichkeit ersatzlos gestrichen wird. Das geht weder mit Marx noch mit Adorno; insofern ist die Unterstellung Wiltings nur interessierte Rabulistik, die ihren eigenen Referenzpositionen widerspricht. Keineswegs zufällig kommt dieselbe Unterstellung gegenüber der Wert-Abspaltungstheorie auch von poststrukturalistischer Seite. So wirft mir Bönold (in seiner Eigenschaft als Postmoderner) vor, ich würde die Sex-Gender Debatte der 1990er Jahre ignorieren.

Zur Verhandlung stand in dieser Debatte die kulturalistische These, ausgehend von J. Butlers Buch „Das Unbehagen der Geschlechter“ (1991), dass sex schon immer gender sei, also Natur theoretisch in der identitätslogischen Betrachtung völlig in Kultur aufgehe. Just in dieser Debatte gibt es jedoch nicht wenige Stimmen gegen eine solche Sicht. So schreibt etwa Carmen Gransee: „Damit ist eine Tendenz zur (kultur-)idealistischen Argumentation gegeben, die keine andere Verankerung in historisch-gesellschaftlichen (Erfahrungs- und Struktur-)Kontexten kennt als jene der historisch variablen symbolischen Zugangsweisen und diskursiven Formationen, in denen >Natur< oder Gesellschaft gedacht, erfahren oder verändert werden. Die Analyse historisch spezifisch ausgeprägter und sich wandelnder Geschlechterverhältnisse setzt aber die Fokusierung gesellschaftlicher Strukturzusammenhänge voraus“ (Gransee, 1999, S. 41).

Bönold macht nun folgendes: Er behauptet gut postmodern die unbedingte Konstruktion von Geschlecht, will aber andererseits von mir sozialhistorische Beweise erbracht wissen, die meine Wert-Abspaltungsthese stützen. Bönold verheddert sich hier in den verschiedenen Ebenen. Er schließt kulturtheoretische und gesellschaftstheoretische Erwägungen kurzerhand zusammen, ohne sich um die daraus resultierenden „methodologischen“ Probleme zu kümmern. Er tut also etwas, was er mir als angeblich wissenschaftlich akribischer Meister der Differenzierung ständig vorwirft (Bönold, 2008 a). Wie Gransee aber deutlich macht, ist es etwas anderes, ob ich grundsätzlich (de-)konstruktivistisch und kulturtheoretisch argumentiere oder aber eben gesellschaftstheoretisch. Werden beide Perspektiven verschränkt, bedarf dies vermittelnder Begründungen. Und solch eine gelungene Vermittlung ist m.E. bei Holland-Cunz (auf die ich mich in Veröffentlichungen mehrfach berufen habe) zu finden, wenn sie eine dialektische Verschränkung von sex und gender vorschlägt: „Ich halte (...) die marginalisierte Kategorie >sex< (...) für eine wesentliche kategoriale Möglichkeit, um das Materiale, den Körper, seine zeitliche und räumliche Endlichkeit, seine nicht ausschließlich gesellschaftlich definierte Logik und Funktionsweise, seinen vermittelten Zusammenhang mit nichtmenschlicher Natur, seine Identität und Nicht-Identität mit außermenschlicher >Natürlichkeit< (...) zu reimplementieren, zu reintegrieren. Würde >sex< in einer nicht-ontologisierenden Weise konzeptionalisiert, so könnte über diesen Begriff vielleicht der Zugang zu einer analytischen, nicht-analogisierenden Vermittlung von Natur- und Geschlechterverhältnis geschaffen werden. (...) Im Anschluß an Jaggar und Grimshaw möchte ich (...) vorschlagen, >sex< nicht als biologistisches Ablagerungsfeld für Naturalisierungen, sondern als mit >gender< dialektisch vermittelten Begriff wiedereinzuführen: in dem menschliche, historisch gewordene Körperlichkeit gesellschaftlicher Subjekte denkbar wird; in dem die Teilhabe >des< Menschen an Natur und Gesellschaft vermittelbar wäre; als Ausbalancierung gegen einen ausschließlich konstruktivistischen Begriff >gender<, als Ort der Theoretisierung nicht >der Natur<, aber des Naturverhältnisses der Individuen, gleichsam zu sich selbst“ (Holland-Cunz, 1993, S.206 bzw. 208).

An dieser Stelle zeigt sich, dass ich mit dem Bezug auf Holland-Cunz keineswegs in plumper, dualistischer Weise von biologischen Tatsachen ausgehe, die „dann“ kulturell überformt und „bewertet“ werden. Der Natur-Kultur- bzw. sex-gender- Problematik könnte und müsste sicherlich ebenfalls genauer nachgegangen werden in einer separaten basalen Thematisierung. Indes war dies nicht mein Gegenstand. Mir ging es primär um die Konstitution des Geschlechterverhältnisses im kapitalistischen Kontext, also im Zusammenhang seiner grundsätzlichen strukturellen Verfasstheit, und somit um die zweite von Gransee gemeinte Ebene, die sie kurzum mit gesellschaftliche(n) Strukturzusammenhängen benennt, im Gegensatz zu einer abstrakten Ausrichtung auf kulturtheoretische Problemstellungen. Diese (Grund-)Struktur unterscheidet sich grundsätzlich von vormodernen Verhältnissen. Und um diese neue Qualität ging es mir. Meine Wert-Abspaltungstheorie ist wesentlich begrifflich-struktureller Natur; wiewohl sie dabei freilich auch auf historische Erkenntnisse zurückgreifen will und muss, kann sie doch nicht idealistisch bloß bei einer abstrakten Totalität stehen bleiben, sondern ist ihr mit Lukács die „Totalität der Empirie“ ein Anliegen.

Insofern ist es auch unsinnig, anzunehmen, dass zuerst die Geschlechter konstruiert werden müssten, um sodann vom Kapitalismus instrumentalisiert zu werden, wie mir gelegentlich schon entgegengehalten wurde. Dabei gehen übrigens selbst noch feministische Konzepte in der Tradition der Philosophischen Anthropologie, die sich auf eine „Herstellung“ von Geschlecht in der Interaktion, im Alltag konzentrieren und auf die sich Bönold u a. beruft, durchaus mit Helmut Plessner von einem „Körper-Sein und Körper-Haben“ aus (vgl. Gildemeister, 1992, S. 226). Letztendlich kommen also auch sie nicht um eine sex-gender-Dialektik herum. Ebenso gab es in den 1990er Jahren eine breite Debatte, in der sich viele TheoretikerInnen gegen eine Totalkonstruierung von „sex“ aussprachen. Auf derartige Arbeiten geht Bönold erst recht mit keiner Silbe ein.

Hinter der gleich lautenden falschen Unterstellung gegenüber der Wert-Abspaltungstheorie, diese operiere mit einer biologistischen Ontologie des Sinnlich-Weiblichen, stehen aber seitens der Bönoldschen Rezeption des Dekonstruktivismus und der altmarxistisch-universalistischen Werttheorie von Natascha Wilting implizit unterschiedliche Konzeptionen von „sex“. Bönold favorisiert in dieser Hinsicht jenen Totalkonstruktivismus, der sex völlig in gender verschwinden lässt. Wilting hingegen möchte nur die Unberührtheit des Werts vom Geschlechterverhältnis überhaupt retten. Indem sie dessen Asymmetrie aber einem „archaischen Rest“ zuschlägt, der nichts mit dem Kapitalismus zu schaffen hätte, steht hinter ihrer Kritik der Wert-Abspaltungstheorie die Annahme, dass es im Grunde ein Stück unveränderbarer Natur sei, das in den Kapitalismus gewissermaßen äußerlich hinein ragt (so etwa auch bei Schatz 2005, S. 21 f.; zur Kritik vgl. Rentschler, 2006). Auch diese Position kann mit einer sex-gender-Dialektik und der spezifischen Konstitution des Geschlechterverhältnisses im warenproduzierenden Patriarchat nichts anfangen. Es findet so eine Naturalisierung von Geschlecht statt, wobei die entsprechende Wert-Abspaltungsstruktur verewigt wird.

Freilich ist das moderne Geschlechterverhältnis nicht vom Himmel gefallen und hat seine Vorgeschichte, wie dies für alles mögliche gilt; die geschichtliche Dimension darf aber nicht mit einer isolierbaren Naturbasis verwechselt werden, sondern die Natur-Kultur- bzw. sex-gender-Dialektik stellt sich eben in den historischen Formationen unterschiedlich dar und hat im warenproduzierden Patriarchat ein ganz eigenes, verändertes Gepräge. Nicht verwunderlich sind es gerade häufig die klammheimlichen Naturalisten wie Wilting, die andererseits gleichzeitig konstatieren, dass der Kapitalismus mit seinem Gleichheitsprinzip notwendigerweise eine Angleichung der Geschlechter zeitige (ähnlich gegenüber der Wert-Abspaltungstheorie: Willutzki, 1995). Auch so gedreht spielt das asymmetrische Geschlechterverhältnis keine Rolle mehr. Mann und Frau scheinen dann in einer angeblich geschlechtsneutralen Individualisierungstendenz aufgegangen, Funktionen sollen prinzipiell austauschbar geworden sein, auch was Tätigkeiten in der Reproduktionssphäre angeht (Babyzeit auch des Mannes u.ä.); ganz so, als könnte man Gesellschaftsanalyse betreiben „und dabei ein zentrales Differenzierungs-, Strukturierungs-, Stratifikations- und Herrschaftsprinzip einfach (ausblenden)“. Dem ist entgegenzuhalten: „Geschlechterverhältnisse sind historisch als Konstituenten in der Formierung der modernen Kultur und Gesellschaft eingegangen und auch in ihrer gegenwärtigen Gestalt durch diese Formation vermittelt. Die historisch spezifische Form des einen ist nicht zu begreifen, ohne die des anderen“ (Knapp/Wetterer, 2001 a, S.9).

Ist also die falsche Unterstellung, die Wert-Abspaltungstheorie würde eine ontologisch-biologische „Sinnlichkeit des Weiblichen“ bemühen, bei Bönold mit einer unausgewiesenen Rezeption des Totalkonstruktivismus verbunden, so geht dieselbe Unterstellung bei Wilting nicht nur mit einem Wert-Universalismus einher, sondern auch mit einem geschlechtlichen Naturalisierungsmoment ihrerseits, das jedoch die abstrakte Gleichheit (im Grunde der Zirkulationssphäre) nicht berühren und für bestimmte positive Lebensbedürfnisse (etwa die Sexualität) reserviert sein soll. Einen Schritt weiter geht eine Ideologisierung von „sex“, die das mir bloß unterstellte ontologisch-biologistische Argument geradezu positiv umdrehen will. Diese verdinglichte positive Vorstellung von „Sinnlichkeit“, wie sie mir als unhistorische und scheinbar „authentisch“ gegebene ebenfalls gelegentlich untergeschoben wird, wonach dann Frauen die besseren Menschen seien, weil näher an der „Natur“ und am lebendigen Leben „dran“, kann ich nur energisch zurückweisen.

Wie schon oben bei der Auseinandersetzung um die soziologische Positivierung der Abspaltung als einer abgesonderten Sphäre des ontologisch „Guten“, zeigt sich erst recht bei einer entsprechenden Biologisierung, dass hier eher usurpierende Männerphantasien am Werk sind. Die abgespaltene „Sinnlichkeit“ auf den verschiedenen Ebenen der Reproduktion ist schon immer als historisch gewordene zu verstehen; sie ist in ihrer spezifischen Zugerichtetheit um keinen Deut besser als die instrumentell ausgerichtete Seite des abstrakten Werts, dessen immanenten Gegenpol sie in dialektischer Verschränkung bloß darstellt. Dies heißt auch, dass irgendwie geschönte Weiblichkeitsvorstellungen nicht als utopische Matrix taugen, wie so manche fixe patriarchale Utopie dies gerne hätte (vgl. Thürmer-Rohr, 1987).

Und wie bei der positivierenden Verkehrung des Abspaltungsbegriffs in der soziologischen Reduktion auf die „Sphärentrennung“ sind es auch hinsichtlich der biologisierenden „Sinnlichkeits“-Faselei die männlichen Vertreter einer verkürzten Wertkritik, die sich eine derart von ihnen entstellte Abspaltungstheorie unter den Nagel reißen wollen. Im Zuge der Wendung zu einer phänomenologischen Alltagsmetaphysik findet die Feier einer nebulosen Sinnlichkeit, des Lebens, des „Fleisches“ usw. statt, die jenseits des „Werts“ Widerständigkeiten parat halten sollen. In dieses Horn bläst z.B. der von einer verkürzten Wertkritik schon weitgehend zu einer lebensphilosophischen Ideologie mutierte Wiener Autor Franz Schandl. Ausgerechnet in demselben Heft der „Streifzüge“, in dem Bönold seine dekonstruktivistische Kritik an der angeblich von der Wert-Abspaltungstheorie behaupteten weiblich-ontologischen Sinnlichkeit abliefern durfte, lässt Schandl gegen die intellektuellen Denk-Ungeheuer verlauten: „Der Denker ist als Denker nur sympathisch auf Distanz. Seine Sicherheit ist ein Popanz, ist ansteckend, aber sie überzeugt letztlich nicht. Je näher man jenem tritt, desto mehr verliert er an Glanz. Der Theoretiker ist männlich, auch wenn er weiblich ist. Das hat weniger etwas mit dem Ausschluss der Frauen aus dem Denken zu tun, als damit, dass Männer, anders als Frauen regelrecht dazu angehalten werden, sich von ihren Sinnlichkeiten zu absentieren. Wobei das Sinnliche hier natürlich nicht als das Unverdorbene oder Gute gelten kann, sondern lediglich als Kontrastmittel“ (Schandl, 2008; vgl. hierzu schon ähnlich Lohoff, 2006). Neuerdings kulminiert diese Auffassung noch einmal in Artikeln mit Titeln wie: „Ohne kritische Theorie schmeckt`s besser!“ (Scheuringer, 2008), und ich fürchte, dass es sich dabei um keine Parodie handelt. Es geht hier also tatsächlich um eine ontologische „Sinnlichkeit“, die sich nunmehr dem intellektuellenfeindlich gewordenen männlichen Alltagsdenker in seiner prekarisierten Existenz offenbart; dagegen ist jene „Sinnlichkeit“, die schon immer als weiblich konnotiert gilt, bloß ein „Kontrastmittel“ und die weibliche Intellektuelle im Grunde noch viel kränker als der „männliche Ursprung“. Ein weiterer Kommentar erübrigt sich.

Wert-Abspaltung und Zwangsheterosexualität

So wusste schon der späte Foucault in seinen Vorlesungen zur „Gouvernementalität“ (und dies wird in Queer-Argumentationen kaum zur Kenntnis genommen, wie Tove Soiland aufzeigt) kritisch zu bemerken, „...dass das, was am Horizont (...) erscheint, überhaupt nicht das Ideal oder das Projekt einer erschöpfenden disziplinarischen Gesellschaft ist, in der das Netzwerk der Gesetze, das die Individuen umschließt, von, sagen wir, normativen Mechanismen fortgesetzt und verlängert würde. Es ist auch keine Gesellschaft, in der ein Mechanismus der allgemeinen Normalisierung und des Ausschlusses des Nicht-Normalisierbaren erforderlich wäre. Im Gegenteil haben wir in diesem Horizont das Bild, die Idee oder das programmatische Thema einer Gesellschaft, in der es eine Optimierung der Systeme von Unterschieden gäbe, in der man Schwankungspozessen freien Raum zugestehen würde, in der es eine Toleranz gäbe, die man den Individuen und den Praktiken von Minderheiten zugesteht“ (Foucault, zit. nach Soiland, 2008, S. 73).

Queer-Theorien und -Strategien, wie sie seit den 1990er Jahren inflationäre Verbreitung gewonnen haben, scheinen mir in diesem Sinne eher ideologischen Charakter zu besitzen; sie kratzen zwangsheterosexuelle Verhältnisse bestenfalls oberflächlich an. Die Freude an Travestie-Shows und Queer hat m.E. wenig mit den letztlich nach wie vor diskriminierten Schwulen, Transvestiten und Transsexuellen zu tun, viel aber mit einer Vervielfältigung von Lebensentwürfen der heterosexuellen Dominanzkultur, mit Individualisierungstendenzen etc. in einer bestimmten Phase des postfordistischen Konsumzeitalters nach der „nivellierten Mittelstandsgesellschaft“ (Helmut Schelsky) in der Nachkriegszeit (vgl. Scholz, 2008). Seitdem es den (neuen) Mittelschichten in den letzten Jahren zunehmend an den Kragen geht, wachsen die Ressentiments, nicht nur die rassistischen, antisemitischen, antiziganistischen, sondern auch gegen sogenannte Asoziale und nicht zuletzt gegen Schwule und Lesben bei einem gleichzeitigem Aufweichen, ja einer Verneinung des alten Geschlechterverständnisses; und es steht zu befürchten, dass sich derartige Tendenzen im Zuge eines Kollaps der Modernisierung, der sich mittlerweile im Gefolge der fundamentalen Finanzmarktkrise zeigt, weiter verstärken werden.

Meine eigentliche Kritik am Dekonstruktivismus und an Queer-Strategien ist es somit, dass sie objektive gesellschaftliche Strukturen und psychische Tiefendimensionen völlig außer acht lassen und schlichtweg oberflächlich sind. Wer wirklich an der Auflösung von Zwangsidentitäten interessiert ist, sollte deren hartnäckige Existenz noch im postmodernen Wandel ins Auge fassen. Das Problem von Identität lässt sich nicht einfach dekonstruktivistisch in der Toilette herunterspülen, wie sich etwa in männlichen Amokläufen zeigt, deren Begründung aus der Konstruktion von Männlichkeit und Weiblichkeit einfach zu kurz greift (selbst wenn man die Dimension der Institutionalisierung in der Betonung von Ritualen mit hereinnimmt, also die berühmt-berüchtigte Performativität). Hier sind schon komplexere Erklärungen verlangt. Die dekonstruktivistische Illusion könnte so gerade identitätskritischen Positionen noch einmal teuer zu stehen kommen.

Zu bedenken gilt es dabei auch, dass Heterosexualität und Homosexualität als Identitäten gleichermaßen Produkte der Moderne sind. Da Heterosexualität als Norm fungiert, was mit der basalen Struktur der Wert-Abspaltung als gesellschaftlichem Grundprinzip und der Ausdifferenzierung in eine Produktions- und Reproduktionssphäre gesetzt ist, ergeben sich bestimmte Subjektnotwendigkeiten. Deshalb werden salopp gesprochen „deviante“ Sexualitäten als „andere“ notwendig gebraucht. Dabei ist daran zu erinnern, wie gerade Foucault davon ausgeht, dass Macht niemals einfach repressiv, sondern auch produktiv ist. Erst in der Moderne bilden sich demnach eben auch derartige „deviante“ Sexualitäten aus; und dies wenigstens grob anzusprechen, darum ging es mir in meinem „Geschlechterbuch“. Deshalb tragen diese Devianzen genauso wenig zur gesellschaftlichen Transzendierung bei, sowohl was frühere als auch heutige Verhältnisse betrifft, wie etwa positive Konstruktionen von Weiblicheit der androzentrischen Gesellschaft trotzen. Queer is always here - gewissermaßen. Dies galt schon in vorpostmodernen Zeiten und erst recht heute. „Queerness“ hat heutigen Neo-Ressentiments gegenüber Schwulen, Lesben usw. nicht nur theoretisch nichts entgegen zu setzen.

Freilich ist keineswegs etwas dagegen einzuwenden, wenn Bönold historische Binnendifferenzierungen in der Geschichte des Kapitalismus einziehen will, was homophobe Ausrichtungen betrifft; wenn also etwa festzustellen ist, dass entsprechende Konstruktionen erst „so richtig“ im 19. Jahrhundert nachweisbar sind, was an der grundsätzlichen hetero-normativen Verfasstheit der Moderne im sexuellen Sinne allerdings nichts ändert. Ein derartiges Ansinnen bezieht sich jedoch auf eine andere Ebene als die kategoriale Grundlegung der Wert-Abspaltungstheorie und ihrer Nachweise in durchaus „empiriegedeckten“ realgesellschaftlichen Strukturen, Verhältnissen und Normen, die „deviante“ Sexualitäten erst zu solchen machen.

Hieran wird wiederum deutlich, was Bönolds Kritik an der Wert-Abspaltungstheorie grundsätzlich kennzeichnet: Er verwechselt eine Kritik der Identitätslogik mit der Behauptung eines kruden Positivismus und einer Fakten-Bedenkenträgerei, weswegen er gerade die gesellschaftliche Realität grundsätzlich verfehlt. Traditionelle Geschlechterbilder überleben heute so ausgerechnet in „Queer-Politics“; sie werden gerade in dem anachronistischen Versuch, sie lächerlich zu machen, konserviert. Das sexuell Deviante wird bloß äußerlich und habituell zum modischen Accessoire, ohne die wirkliche Basis seiner Verachtung im mindesten erfassen zu können; ganz am Puls einer positivistisch aufgefassten falschen Differenz-Realität, deren So-Sein noch durch eine kulturell-postmoderne Matrix begründet und legitimiert werden soll.

Wert-Abspaltung und Kritik der politischen Ökonomie

Anders verhält es sich allerdings, wenn megaloman-patriarchale Ansprüche auf einer grundsätzlichen Ebene miteinbezogen werden; und damit androzentrische Omnipotenzansprüche, die dem (nicht nur ökonomischen) gesellschaftlichen Prozess schon immer notwendig inhärent sind. Dies ist wiederum nicht unabhängig davon, dass Frauen in öffentlichen Bereichen, so u.a. in der Finanzsphäre, auch statistisch gesehen weniger anzutreffen sind als Männer, im Gegensatz etwa zu Tätigkeiten im Pflegebereich. Zumindest gilt dies so lange, wie die entsprechenden Machtsphären nicht vom Absturz bedroht sind. Die Wert-Abspaltungskritik ist dabei auch insofern schon immer auf einer umfassenderen, grundsätzlicheren Ebene angesiedelt, als sie nicht einfach vorgelagert ist, sondern sie von vornherein durch alle gesellschaftlichen Bereiche hindurch geht. Grundsätzlich und an entscheidenden Stellen bei Marx wäre dies allerdings kenntlich zu machen und zu korrigieren. Um dies zu bewerkstelligen, ist jedoch erst einmal die Wert-Abspaltung als übergreifende Grundform geltend zu machen, noch bevor alle analytischen Windungen und Wendungen im „Kapital“ nachvollzogen werden.

Auf einen Punkt gebracht: Die Wert-Abspaltung umfasst die gesellschaftlichen Verhältnisse als Ganze. Dabei muss zunächst einmal festgestellt werden: Hausarbeit schafft keinen Wert; dies ist ein Grundmissverständnis, das in Diskussionen heute immer wieder vorgebracht wird, als wären hierzu in der berühmten Hausarbeitsdebatte von den 1970er bis in die 1990er Jahre nicht schon entscheidende Gegenargumente gefallen. Nur kapitalproduktive Arbeit schafft nach Marx Wert. Wird behauptet, dass auch Hausarbeit dies könne, kommt es zu einer falschen Verschmelzung der Abstraktionsebenen und der Gegenstandsbezüge, wie dies Ursula Beer schon aus altmarxistischer Sicht weiß (Beer, 1990, S. 48). Das hierarchische Geschlechterverhältnis muss dann reduktionistisch auf Biegen und Brechen als unmittelbar ökonomische Größe dargestellt werden. Das Abgespaltene ist dann im Grunde gar nicht abgespalten, sondern unmittelbar Teil des herrschenden Funktionszusammenhangs. Die Wert-Abspaltungsdialektik wird unterschlagen, die Abspaltung ihrer Eigenqualität beraubt und subsumtions- und identitätslogisch wiederum unter den Wert gefasst, was nebenbei in der Regel ein positives, affirmatives Verständnis der Wertform voraussetzt. Hier wären wir wieder beim Ausgangspunkt unserer Ausführungen. Abermals wird dem Geschlechterverhältnis als einem „bloß“ besonderen der Allgemeinheitscharakter abgesprochen. Nebenbei bemerkt wird so auch ein ökonomistisches Totalitätsverständnis privilegiert, das Kultur, Sozialpsychologie etc. bloß als abgeleiteten „Überbau“ gelten lässt.

In der Wert-Abspaltungstheorie sind Frauen genausowenig mit der „Abspaltung“ identisch wie Lohnarbeiter mit dem Warenfetischismus. Dennoch gibt es einen Zusammenhang, wie ihn Marx hinsichtlich Lohnarbeit und Fetischverhältnis als konkrete Entfaltung im „Kapital“ darstellt; und dies gilt eben in darüber hinausgehender Weise auch für die Wert-Abspaltung als gesellschaftliches Grundprinzip und die vergeschlechtlichten Individuen. Völlig missverstanden hat Bönold dabei meinen Rekurs auf Frigga Haugs analytische Bestimmungen von zwei Zeitlogiken: der Zeitverausgabungslogik im Reproduktionsbereich und der Zeitsparlogik im Produktionsbereich (Haug, 1996). Zwar sind diese Strukturen lebenspraktisch durchaus „spürbar“, wobei die Logik der Zeitverausgabung, etwa im Umgang mit Kindern, ihr ganz eigenes Stresspotential hat. Dennoch geht es bei diesen beiden gegensätzlichen Zeitlogiken nicht um eine Bestimmung, die den Wert und die Abspaltung allein auf der phänomenologischen Oberfläche verortet. Vielmehr handelt es sich bei der Zeitsparlogik um jene berühmt berüchtigte „betriebswirtschaftliche Vernutzungslogik“ (Robert Kurz), die abstrakte Zeit der abstrakten Arbeit, während die Zeitverausgabungslogik sich auf die abgespaltenen Momente der historisch an die Frauen delegierten sozialen „Beziehungsarbeit“, „Liebesarbeit“ und der sozialpsychologischen Vermittlungs- und Pufferfunktionen etc. bezieht, die sich nicht zweckrational in die Fließzeit der abstrakten Arbeit auflösen lassen.

Moishe Postone macht dabei noch eine andere Zeitform geltend, nämlich die historische Prozesszeit der Produktivkraftentwicklung und der kapitalistischen Dynamik, in der sich die abstrakte Zeit der Betriebswirtschaft indirekt ausdrückt und die eine Binnenhistorizität des Kapitalismus ausmacht. Hierauf kann ich an dieser Stelle nicht näher eingehen. Entscheidend ist jedoch, und dies ist ein wirkliches Manko meines Geschlechterbuches, dass die beiden von Haug benannten „strukturellen“ Zeitformen und die historische Prozesszeit im Postoneschen Sinne theoretisch in Beziehung gesetzt und in ihrer Verschränktheit entfaltet werden müssten. Bönold ist jedoch weit davon entfernt, diesen Problemzusammenhang überhaupt zu erkennen. Stattdessen bringt er nur in Anschlag, dass auch die Tätigkeiten im Reproduktionsbereich Selbstdisziplin erfordern würden und mancher betriebswirtschaftliche Arbeitstag mit Unterbrechungen der abstrakten Fließzeit herumgebracht werden müsse (Bönold, 2008 a). Dies wird allen Ernstes strukturellen Erwägungen bezüglich unterschiedlicher Zeitlogiken entgegengehalten. Diesen Aspekt hätte das „Manifest gegen die Arbeit“ (Gruppe Krisis, 1999) unbedingt noch berücksichtigen müssen! Weil in beiden Zeitlogiken Momente des Gegenpols aufzutauchen scheinen, sollen sie irgendwie Jacke wie Hose sein und werden identitätslogisch zusammengeschlossen.

Aber erstens übersieht Bönold, dass das Moment der Selbstdisziplin in der Zeitverausgabungslogik ein qualitativ anderes ist als in der Fließzeit der abstrakten Arbeit; und das gilt ebenso für die Unterbrechungen und „Leerläufe“, die sich in den beiden von Haug benannten Zeitlogiken unterschiedlich darstellen. Zweitens ist zwar tatsächlich eine gewisse Überlappung dieser beiden Zeitlogiken spezifisch in der postfordistischen Entwicklung festzustellen (was bei Bönold nicht historisch-spezifisch, sondern als strukturelle Identität erscheint). So macht sich einerseits die betriebswirtschaftliche Zeitsparlogik auch im sogenannten Reproduktionsbereich geltend, etwa indem Familien wie Unternehmen geführt werden sollen und „das Kind“ als ein zweckrationales „Projekt“ mit entsprechenden „Gebrauchsanweisungen“ behandelt wird. Andererseits tauchen umgekehrt in der Betriebswirtschaft Momente der Zeitverausgabungslogik auf, die auf Biegen und Brechen funktional für die abstrakte Fließzeit gemacht werden sollen („Qualitätsmanagement“, „emotionale Kompetenz“ etc., bis hin zu verordneten „Meditationszeiten“ und quasi therapeutischen Unterbrechungen, um die Leistungsfähigkeit zu stärken und „Akzeptanz“ durch auto-repressive Haltungen zu erzeugen). Was der weiblichen Sozialisation schon immer auch jenseits des eigentlichen Reproduktionsbereichs in der Sphäre der abstrakten Arbeit und der Öffentlichkeit zugemutet wurde, weil die Abspaltung eben durch alle Sphären hindurchgeht, wird nun bewusst in Management-Konzepten instrumentalisiert. Aber auch in dieser Verdopplung und Verschränkung bleiben die beiden Zeitlogiken gegensätzlich und sind nicht einfach austauschbar; es entstehen nur neue Friktionen auf beiden Ebenen. In gewisser Weise handelt es sich bei dem Versuch, die beiden Zeitlogiken sozusagen seitenverkehrt auf dem jeweils anderen Pol instrumentell einzusetzen, selber schon um ein Krisenphänomen der Wert-Abspaltungsgesellschaft.

Deshalb werden dabei die gegensätzlichen Zeitlogiken auch nicht eingeebnet und etwa in die Identität des Werts aufgelöst, sondern ihre Differenz bleibt bestehen und ist geradezu die Voraussetzung für den Versuch ihrer krisenverwalterischen Instrumentalisierung auf allen Ebenen. Hinsichtlich ihrer grundsätzlichen Bestimmung gilt es zu bedenken, dass jegliche Theoriebildung ohne das Moment der „Übertreibung“ (Adorno) überhaupt nicht auskommt, so empiriegesättigt sie auch sein mag, wie die Wert-Abspaltungstheorie etwa durch den Bezug auf empirische Untersuchungen zur „doppelten Vergesellschaftung von Frauen“ durch Becker-Schmidt u.a., was ich bereits gezeigt habe. So schreibt auch Cornelia Klinger: „Wenngleich dem Ganzen, der Totalität, der absoluten Präsenz kein empirisch einholbares, kein reales Sein zukommt, so bleibt eben gerade deswegen die Überbrückung der Brüche und Löcher, die Ergänzung des irreduzibel Partiellen eine notwendige Aufgabe des Denkens. Ohne durch verallgemeinernde Aussagen eine Bogen über die Abgründe der Wirklichkeit zu spannen (...), ohne das Element der Spekulation,die durch die >Wirklichkeit< nicht gedeckt ist und mit ihr auch nicht vollständig zur Deckung zu bringen sein wird, wäre eine Orientierung im Denken und Handeln nicht möglich“ (Klinger, 1998, S. 249). Das gilt auch für die abstrakte Bestimmung jener unterschiedlichen Zeitlogiken, deren Verschränkung und Vermengung in der historischen Empirie nicht gegen ihren Begriff ausgespielt werden kann. Vorausgesetzt ist dabei allerdings ein mit partiellen empirischen Befunden nicht deckungsgleiches Verständnis von „Wirklichkeit“; wie sich der Gegensatz von Zeitsparlogik und Zeitverausgabungslogik ja durchaus alltagspraktisch geltend macht, auch noch in ihrer wechselseitigen Durchdringung durch den Krisenprozess.

Dieser Zusammenhang lässt sich auch bezüglich des Warenkonsums auf der Ebene der Konsumgüter (im Unterschied zum unmittelbar kapitalproduktiven Konsum von Produktionsmitteln im Wertbildungsprozess) aufzeigen. Auch wenn die geschlechtliche Abspaltung nicht auf die private Reproduktionssphäre zu reduzieren ist, spielt doch der aus dem Wertverhältnis herausfallende spezifisch „produktive Konsum“ in dieser Sphäre als konstituierendes Moment für den Wert der Ware Arbeitskraft eine Rolle und ist insofern mit dem Wertverhältnis verschränkt. So wird der Wert der Ware Arbeitskraft nicht nur durch die für ihre Reproduktion erforderlichen, kapitalistisch hergestellten Konsumgüter produziert, sondern auch durch die im Abspaltungsverhältnis als weiblich konnotierte Aufbereitung dieser Güter und die damit verbundenen Tätigkeiten einschließlich der nicht-materiellen Momente, wobei diese Sphäre der „Konsumtionsarbeit“ als Aspekt der Wert-Abspaltung bei Marx bezeichnenderweise bloß Nebensache ist (vgl. Kurz, 1992). Sie wird erwähnt, aber nicht wirklich beachtet und ihrer Relevanz für die Gesamtreproduktion nicht Rechnung getragen. Ohne Bezug auf die Wert-Abspaltung als Grundprinzip ist dieser Aspekt auf der phänomenologischen Ebene von feministischer Seite bekanntlich seit langem thematisiert worden. Diese Tätigkeiten sind als abgespaltene nicht wertbildend, aber wie die Abspaltung überhaupt Voraussetzung des Werts.

Bönold meint nun, auch hier die Abspaltung unter den Wert subsumieren zu können, indem er den Konsum als eigenes Verwertungsfeld („Freizeitindustrie“) ins Feld führt und auf eine „Sinnstiftung über den Konsum und die Kulturindustrie“ (Bönold, 2008 a) verweist. Aber dabei spielt er wieder einmal empirische Erscheinungen gegen die grundsätzliche Bestimmung aus, obwohl das eine nicht ohne das andere zu denken ist. Denn erst auf der Grundlage der historisch prozessierenden Wert-Abspaltung kann im fortgeschrittenen Kapitalismus jene sozial übergreifende „Sinnstiftung“ erfolgen und ein Teil der „Konsumarbeit“ zu einem eigenen betriebswirtschaftlichen Verwertungsfeld mutieren. Das Wert-Abspaltungsverhältnis wird dabei modifiziert, aber nicht aufgelöst, sondern bleibt im Gegenteil Voraussetzung gerade in seinen Modifikationen und Verwerfungen.

Es ist kaum verwunderlich, dass Bönold auch die historische Prozesszeit des Kapitals (ohne Bezug auf Postone und daher auch ohne einen Begriff davon zu haben) von der Abspaltung trennt, indem er die Produktivkraftentwicklung eindimensional dem Wert zuschlägt. So kann er fragen: „Geht dann nicht die gesamte historische Dynamik vom Wert aus?“ (Bönold, 2008 b). Es ist immer dasselbe Problem: Wenn der Wert überhaupt nur qua Abspaltung existiert, wie soll dann die ganze historische Dynamik allein vom Wert ausgehen? Gerade was die Produktivkraftentwicklung angeht, hat etwa Elvira Scheich gut herausgearbeitet, dass die Naturwissenschaften in der Geschichte wesentlich auf einer Verdrängung des Weiblichen beruhen (Scheich, 1993); und Frigga Haug kommt das Verdienst zu, Geschlechterverhältnisse als Produktionsverhältnisse zu bestimmen (Haug, 1996). Dass es sich dabei um einen historisch vermittelten Zusammenhang handelt, ändert an der grundsätzlichen Bestimmung nichts. Die negative Einheit von Produktivkraft- und Destruktivkraftentwicklung der Moderne, nicht nur hinsichtlich der ökologischen und kriegstechnischen Zerstörungspotentiale, sondern auch in der sozialökonomischen Selbstzerstörungstendenz des Kapitals, beruht eben nicht allein auf der Dynamik des Werts, sondern auch auf der damit von Anfang an verbundenen Abspaltung.

Verschiedene Ebenen der Analyse und positivistisches Denken

Bönold fordert nun, wenn er bei mir mehrere Theorie- und Analyse-Ebenen vorfindet, ich solle eine „methodologische“ Begründung dieser Ebenen am Gegenstand leisten, anstatt deren Dasein bloß zu behaupten und eine rein inhaltliche Begründung zu liefern. Er bemängelt, dass „das Verhältnis von Systematik und Ausformulierung der Ebenen am Gegenstand ausbleibt“ (Bönold, 2008 b). Irgendwie hat er registriert, dass es mir „methodologisch“ im Rekurs auf Adorno um den Gegenstand geht. Nun schließen sich aber bei Adorno der besondere Gegenstand, dem er sich durch ein konstellatives Denken nähern will, und eine abstrakt methodologische Begründung am Gegenstand gerade aus, weil die Einzigartigkeit der Sache somit wiederum unweigerlich in einer universalistischen Begründung unterginge. So konstatiert auch Jay, dass es bei Adorno „kein rein methodologisches Mittel gegen die Zersplitterung der Erkenntnis (gebe), wie sie sich im Chaos konkurrierender Einzeldisziplinen ausdrücke. Das Ziel eines voll integrierten interdisziplinären Projekts sei daher (...) unerreichbar. Philosophie müsse sich mit der Form des Essays zufrieden geben und der Versuchung fliehen systematisch zu werden. Die Möglichkeit, eine Erkenntnis der Totalität anzunehmen, hieße, auf den Mythos einer transzendentalen Subjektivität zurückzufallen“ (Jay, 1982, S.76).

Essay meint hier übrigens nicht einfach eine journalistische Schreibe, ebensowenig eine assoziative Begriffsbildnerei, die sich im Bluffertum über alles mühsam Gewusste leichtfüßig hinwegsetzt, indem die materiale Kenntnis großenteils fehlt, nichtsdestotrotz aber gockelhaft deren tiefgehende Beherrschung suggeriert wird, sondern ein „Gewebe“ (Adorno, 1966, S. 44), das erst in seiner Gewusstheit durch die konkrete Entfaltung ein Bild abgibt; also gewissermaßen in sich selbst begründet ist und nur scheinbar von bloßen Behauptungen lebt. Deswegen können auch nur schwerlich Versatzstücke aus ihm herausgebrochen werden.

Aber genau in diesem Sinne fordert Bönold nun eine Ausformulierung und „Vermittlung“ der unterschiedlichen Ebenen qua „Systematisierung“: „Ich sehe es zudem als einen logischen Widerspruch an, wenn sich Scholz einerseits für die diskursive Ebene auf Studien wie die von Laqueur (1992) bezieht, die mit Foucault argumentieren; andererseits aber für die sozialpsychologische Ebene sich auf die Psychoanalyse in Gestalt der Objektbeziehungstheorie von Chodorow bezieht. Beide Ansätze schließen sich z.B. hinsichtlich der Subjektvorstellung aus“ (Bönold, 2008 b). Dass sich die Wert-Abspaltungskritik nicht quadratisch, praktisch, gut auf die Gestalt einer Hutschachtel bringen lässt, ist jedoch ihr innerstes Prinzip! Der Bezug auf gegensätzliche Positionen wird nicht einfach unvermittelt aneinandergereiht, sondern kritisch in den ganz anders gelagerten eigenen Theoriebildungsprozess integriert, wobei die analytischen Gegensätze auf die inneren Widersprüche der Sache selbst verweisen.

Bönolds Einwände bleiben einem äußerlichen positivistischen Standpunkt der bloß abstrakt „systematisierenden“ Methode verhaftet, den ein negativ-dialektisches Denken von jeher heftigst in Frage gestellt hat (Stichwort Positivismusstreit: Adorno u.a., 1972). Weil Bönold mir nun in seiner konfusen Kritik ein additives Herangehen unterstellt, geht er davon aus, dass Ebenen bei mir doch eigentlich beliebig vermehrbar wären. Er fragt, warum bloß drei und nicht fünf oder mehr? (Bönold, 2008 b). Auch diese Frage entspricht einem verdinglichten und formal-rational verkürzten Theorieverständnis, das die Wert-Abspaltungskritik gerade aufs Korn nimmt. Stattdessen versucht sie eben dem Gegenstand durch konstellatives Denken im Sinne Adornos beizukommen, allerdings weiterentwickelt durch die abspaltungskritische Dimension; und zwar als Gundstruktur einerseits und als zerfaserte Wirklichkeit andererseits, indem verschiedene Begriffe und Theorien (so die materielle, die kulturell-symbolische und die sozialpsychologische Ebene) um den Gegenstandsbereich der Wert-Abspaltung herum gruppiert werden. Ebenso liefern ihr etwa Geschichte und Ökonomie konstituierende Hintergrundannahmen.

Dabei kann das „Wie“ der Herstellung des Geschlechterverhältnisses niemals einfach bloß auf der Ebene der Interaktion beantwortet werden, sondern nur im Kontext einer begrifflich-analytischen Entfaltung der konkreten historischen Totalität in ihrer Gebrochenheit und Fragmentiertheit, die eine symbolisch vermittelte Interaktion bei weitem übersteigt, auch wenn diese hier ebenfalls anzutreffen ist. Während diskurstheoretische Konstruktivismen zwar als intermediäre Instanz zwischen der Makroebene der Wert-Abspaltung und den gesellschaftlichen Individuen taugen können, hypostasieren jedoch interaktionistische Ansätze von vornherein die Handlungsebene, weswegen diskurstheoretische Konzepte bei mir auch größere Beachtung erfahren. Dennoch leugne ich nicht, dass auch von interaktionistischer Seite teilweise wertvolle Analysen beigesteuert werden können. So etwa, was die „Umschrift der Differenz“ von geschlechtlichen Berufswechseln in der Geschichte bis heute betrifft (Gildemeister/Wetterer, 1992, S. 222 f.). Jedoch kommt es bei diesen Befunden vor allem darauf an, welcher gesellschaftliche Hintergrund derartige Codierungsmobilitäten überhaupt erst ermöglicht. So können selbst feministische Berufsforscherinnen, die sich einem interaktionistischen Hintergrund verpflichtet wissen wie Angelika Wetterer, nicht umhin, festzustellen: „Der Fortbestand der Geschlechterdifferenz ist in hohem Maße abhängig von den jeweiligen Kontextbedingungen und die Reproduktion geschlechtlicher Differenzierungen vollzieht sich zu einem guten Teil auf einer interaktiven Ebene. Sie vollzieht sich dort aber gerade nicht bewusst und gezielt (...), sondern weit eher verdeckt und in einer Weise, die die diskursiv bekräftigte Gleichberechtigungsnorm unterläuft und konterkariert (...) Sie (neuere Forschungsergebnisse R.S.) machen in ihrer großen Mehrheit darauf aufmerksam, dass sich die latenten und die inkorporierten Formen des Geschlechterwissens, die auf der Interaktionsebene zum Tragen kommen, automatisch einstellen und auf einer vorreflexiven Ebene noch immer in vielen Berufsfeldern so selbstverständlich sind“ (Wetterer, 2007, S. 201 f.). Und weiter: „(Auch) die vordergründig geschlechtsneutralen Arrangements, die auf verdeckte Weise zur Reproduktion der herkömmlichen Geschlechterdifferenzierungen und Hierarchien beitragen, beziehen ihr Struktur bildendes Potential nicht aus dem Berufsbereich allein, sondern aus der widersprüchlichen Verknüpfung von Berufs- und privatem Reproduktionsbereich und der sowohl virtuell wie real fortbestehenden Gleichung, dass Reproduktionsarbeit Frauenarbeit ist“ (Wetterer, 2007, S. 204).

Ich bezweifle deshalb, dass interaktionistische doing-gender-Ansätze (zumindest in wesentlichen Dimensionen) zur Erfassung des Geschlechterverhältnisses Essentielles beizutragen haben; zeigen die Ausführungen von Wetterer doch, dass sie auf „außer-interaktionistische“ Begründungen (Trennung von Produktions- und Reproduktionssphäre) zurückgreifen müssen, um zu erklären, was auf der interaktionistischen Ebene vor sich geht. In diesem Zusammenhang ist somit ebenso problematisch, dass Bönold auf Konzepte einer Skript-Bildung, self-fulfilling-prophecy etc. setzt, d.h. er will, was die sozialpsychologische Dimension betrifft, (nicht nur) die heutigen asymmetrischen Verhältnisse in erster Linie kognitivistisch begründet wissen (Bönold, 2008 b), anstatt psychische Tiefenschichten der gesellschaftlich-vergeschlechtlichten Individuen ins Auge zu fassen, für die meines Erachtens ein psychoanalytisches Instrumentarium unerlässlich ist. Sieht man so aber genauer hin, wird deutlich, worauf Bönold im Hinblick auf eine positivistisch-mechanische Ebenen-Addiererei überhaupt hinaus will: Es wird bei ihm ein Affekt gegen die Psychoanalyse und die Annahme eines „psychogenetischen Unbewußten“ (Regina Becker-Schmidt) deutlich. Bei Bönold werden Bewusstes und Unbewusstes identitätslogisch gleich gesetzt, wobei sie letztlich im Bewussten, Kognitiven aufgehen. Die Konsequenz einer derartigen Auffassung wäre im pädagogischen Bereich etwa, dass man den Individuen bloß ihre falschen Einstellungen vor Augen führen müsse, und schon könnten sie sich ändern: „Jedoch sind...die Leerstellen konstruktivistischer Ansätze offenkundig: Sie können die affektiven Prozesse nicht erklären, die geschlechtliche Differenzierung und sexuelle Objektwahl begleiten und antreiben. Meines Erachtens ist das u.a. auf die völlige Ausklammerung von >Begehren< zurückzuführen. Was bei der Psychoanalyse in mancher Hinsicht vielleicht zu bestimmend ist, das Unbewusste, taucht in konstruktivistischen Theorien überhaupt nicht mehr auf“ (Ott, 1998, S. 19).

Derartige positivistische Ausrichtungen stellen jedoch nicht erst im Sinne der Wert-Abspaltungskritik, sondern schon im Hinblick auf eine „einfache“ Wertkritik „methodologisch“ und erkenntnistheoretisch ein Problem dar. Es wäre dabei von Bönold aus selber zu klären, was ER von mir ständig fordert. Seine Sichtweise hätte nämlich tiefgreifende „methodologische“ Konsequenzen für den grundlegenden Fetischbegriff bei Marx überhaupt. Geht dieser doch - und dies macht geradezu den Kern aus – bekanntlich davon aus, dass die Menschen zwar ihre Verhältnisse selber machen, dies aber dennoch unbewusst, hinter ihrem Rücken geschieht, wenngleich auch in anderer Weise als im Freudschen Sinne. So erweist sich immer wieder, dass Bönold mit einem dialektischen Totalitätsverständnis nichts im Sinn hat und sich auf einem gänzlich anderen Dampfer befindet, nämlich einem soziologisch-kognitivistisch-szientifischen, für den alles, was man nicht anschauen und essen kann, schlichtweg nicht existiert. Letztlich weisen die Ausführungen von Bönold in eine Richtung, wie wir sie aus der Geschichte von positivistischer Philosophie und Wissenschaft nur allzu gut kennen: Dort wird der Fetischbegriff als metaphysischer Unsinn denunziert. Es bedarf nicht viel Phantasie, wie Bönold dann wohl Lukács, Adorno, Kurz und Postone „versteht“...

Auch auf der sozialpsychologischen Ebene wären jedoch Einstellungen, Meinungen, Bewusstseinsinhalte insbesondere daraufhin zu dechiffrieren, was IN den gesellschaftlichen Individuen vorgeht, auch im Zusammenhang mit kulturell-symbolischen Kontexten. Für kognitivistisch beschränkte Ansätze ist eine derartige Binnenperspektive jedoch bloß eine „Black box“. Dabei geht es mir keineswegs darum, in einer irgendwie gearteten psychoanalytischen Therapie-Intention „ganz praktisch“ ein geheiltes Subjekt anzustreben, das sich mit seinem Anderen irgendwie versöhnt hat. Die Psychoanalyse ist für mich ein theoretisches Instrumentarium zur gesellschaftskritischen Analyse der schlechten kapitalistischen Wirklichkeit. Vor mir liegt nicht unmittelbar ein Patient auf der Couch, der durch meine therapeutischen Interventionen gesunden kann/soll (wiewohl selbst noch für die Psychoanalyse selbst in diesem praktischen Sinn eine Dialektik zwischen Selbst und Anderem/Verdrängtem behauptet werden könnte. Darauf gehe ich hier aber nicht ein, weil es mir darum nicht geht). Der Wert-Abspaltungsbegriff beschränkt sich dabei natürlich keineswegs bloß auf die psychoanalytische Dimension. Ich beziehe mich hier vielmehr auch auf Frigga Haug, die in einem (wenngleich problematischen, traditionellen) marxistischen Kontext von einer Abspaltung weiblicher Tätigkeiten, zunächst einmal völlig unabhängig von der Psychoanalyse, spricht.

Aus dieser Sicht kann die Wert-Abspaltung als Grundprinzip auch nicht einfach konkretistisch im Sinne einer Unterordnung „der Frau“ gemäß dem Repressionsmodell verstanden werden,sondern sie stellt das gesellschaftliche Basisprinzip dar, das Männer und Frauen gleichermaßen umfasst, allerdings die Asymmetrie dieses Verhältnisses gleichzeitig begründet. Dabei habe ich auf einer konkreten Ebene der Entfaltung der Wert-Abspaltungskritik sozialpsychologisch sehr wohl mit Ambivalenzen und Widersprüchlichkeiten in der Situation der „doppelt vergesellschafteten“ Frauen gerechnet im schon mehrfach angesprochenen Rekurs auf Regina Becker-Schmidt. Ich plädiere allerdings dafür, derartige Lagen und ihnen entsprechende Befindlichkeiten und Bedürfnisse von Frauen ideologiekritisch zu behandeln, da sie durch und durch unzumutbaren Flexi-Anforderungen an Frauen entsprechen und realiter vor allem eins nach sich ziehen: Arbeit, Arbeit und nochmals Arbeit, und eine diffuse Allzuständigkeit. Es ging mir hier gerade um die Kritik des Mittuns von Frauen heute, weit davon entfernt, sie als Opfer im Sinne eines einfachen Repressionsmodells zu sehen. Im Falle gutsituierter Verhältnisse luden sie diese Problematik bislang auf migrantische Dienstbotinnen ab. Mit dem Absturz der Mittelschichten dräut diese Position wieder ihnen selbst – zusätzlich. Meine Einwände gegenüber Sichtweisen wie der von Becker-Schmidt war, dass sie einen entsprechenden Seiltanz von Frauen als „Widerständigkeit“ deuten gegenüber einem vermeintlichen Hineingedrängtwerden in die Hausfrauenrolle, die heute längst Geschichte ist.

Ich habe mich also sehr wohl bemüht, die verschiedenen Theorie- und Analyse-Ebenen kritisch in einen vermittelten Zusammenhang zu bringen, allerdings eben nicht im Sinne einer „methodologischen“ äußerlichen „Systematik“, sondern inhaltlich anhand des widersprüchlichen Verhältnisses der Gegenstandsbereiche selbst. Dabei ist hinsichtlich des „Ebenen“-Problems auch noch einmal auf die Produktivkraftentwicklung zurückzukommen. Bönold wendet hierzu in immer derselben Diktion gegen mich ein: „Scholz widerspricht sich allerdings selbst, wenn sie einerseits von einer Unabhängigkeit der Ebenen ausgeht (...), andererseits aber in ihrer Verwilderungs-These von der materiellen Ebene (globalisierter Weltmarkt, polit-ökonomische Krise) her die kulturell-symbolische und die psychologische Ebene begründet (! R.S.)“. Dazu zitiert er mich folgendermaßen falsch: “(Die) Produktivkraftentwicklung und die Marktdynamik...bewirken, dass Frauen sich ein gutes Stück von ihrer traditionellen Frauenrolle entfernen und ihnen eine schon immer dagewesene >doppelte Vergesellschaftung< mit den entsprechenden Widersprüchlichkeiten im Zuge von Individualisierungstendenzen zu Bewusstsein kommen“ (Bönold, 2008 b). Im Original heißt es jedoch: „Dabei untergraben vor allem die Produktivkraftentwicklung und die Marktdynamik, DIE SELBER AUF DER WERT-ABSPALTUNG BERUHEN, IHRE EIGENE VORAUSSETZUNG, indem sie bewirken ...“ (Scholz, 2000, S. 119, Hervorheb. von mir). Bönold zitiert hier die entscheidenden Stellen nicht und lässt sie aus. Auf diese Weise macht er (wie oben schon deutlich wurde) die nur vom Wert her gedachte Marktdynamik und die Produktivkraftentwicklung zu den eigentlichen Veränderungssubjekten und unterstellt dies in der Zitatklitterung mir und meiner Wert-Abspaltungstheorie! Er begreift einfach nicht, dass die Wert-Abspaltung als gesellschaftliches Grundprinzip in ihrer historischen Entwicklung einerseits die kulturell-symbolische und die sozialspsychologische Ebene mit umfasst (und dies eben auch für Marktdynamik und Produktivkraftentwicklng konstitutiv ist), diese Ebenen in ihrer Eigenqualität andererseits jedoch makrodimensional nicht erfasst werden können und von daher eigene Analyse-Dimensionen bilden, weswegen eben auch eine essayistische Darstellung, ein Denken im Konstellationen etc. unabdingbar sind.

Wie gezeigt hat dies mit einer oberflächlichen und unverbindlichen Ebenenhopperei nichts zu tun und ebensowenig mit einem haltlosen Aufstellen von Behauptungen ohne inneren Zusammenhang. Von daher hat es auch keinen Sinn, mir das Argument zu unterstellen, eben diese Marktdynamik und Produktivkraftentwicklung brächten eine Veränderung der Geschlechterverhältnisse auf der kulturellen und psychologischen Ebene in der Postmoderne erst hervor und dies dann als Selbstwiderspruch zu interpretieren. Bönold ist dringend ein sorgfältigeres Lesen und Formulieren anzuraten. Dies gilt um so mehr, als ausgerechnet er von mir in seiner Kritik durchgängig ein genaueres Argumentieren einfordert.

Völlig irreführend ist es so, wenn Bönold moniert, dass ich von tiefgreifenden Veränderungen ausginge, dies aber keine Auswirkungen auf meine „methodischen“ Ausführungen hätte (Bönold, 2008 b). Dagegen muss in dieser Hinsicht zusammenfassend gesagt werden, dass die Wert-Abspaltungstheorie in ihrer Entfaltung schon an sich ein gänzlich neuer Zugang ist, der die Relation der verschiedenen gesellschaftlichen Ebenen in ihrem Binnenzusammenhang thematisiert. Insofern kann dem Bedürfnis nach einem isoliert-“methodischen“ Anspruch von Bönold nicht nachgekommen werden, weil dies dem wert-abspaltungskritischen Ansatz grundsätzlich widerspricht; wobei Bönold sowieso, sobald es um diese verschiedenen Ebenen geht, auf eine völlig andere, nämlich eine dekonstruktivistische Theoriebildung, Methodologie etc. „irgendwie“ überhaupt hinaus will.

Ich habe dagegen niemals ein Verhältnis der diversen Ebenen gleich einem Puzzlespiel postuliert, das man zu einem geschlossenen Bild zusammenschieben könnte, da ich in der besten Tradition der Frankfurter Schule davon ausgehe, dass die „Methode“ immer das Bewusstsein der gesellschaftlichen Form und des davon Abgespaltenen als auseinander gelegter Inhalt in seiner inneren Widersprüchlichkeit ist. Und weil die Wert-Abspaltung als gesellschaftliches Formprinzip gerade im Sinne eines historischen Prozess zu verstehen ist, muss es der Theoriebildung notgedrungen auch um die konkrete Totalität zu tun sein. Dies heißt zum einen, in analytischer Hinsicht konstruktivistische Konzepte einzubeziehen (die traditionell in der Kritischen Theorie fehlen) und zum andern gleichzeitig deren kategoriale und konkret-historische Beschränktheit offen zu legen. Will man „methodisch“, „methodologisch“ und materiell-empirisch gewissermaßen grundlegend auf der Höhe der Zeit sein, hätten sich kritische Gesellschaftstheorie und Sozialwissenschaft heute längst wieder einer dialektisch-historischen Verfahrensweise zu bemächtigen, anstatt sich mit positivistisch ausgedeuteten interaktionistischen und diskurstheoretischen Ideologemen zu begnügen, wie dies immer noch weithin in der heute so genannten Genderforschung der Fall ist.

Somit trifft für die Bönoldsche Argumentation „methodologisch“ das zu (und gerade auch hinsichtlich seiner in der Kritik an meinem analytischen Zugang verblassenden marxistischen Hintergrundannahmen), was Lukács bereits in den 1920er Jahren im Vorwort zu „Geschichte und Klassenbewusstsein“ formuliert hat und bis heute unverstanden geblieben ist, wo er darauf pocht, „dass die Begriffe weniger durch eine Definition, als durch die methodische Funktion, die sie als aufgehobene Momente in der Totalität erhalten zu ihrer richtigen Bedeutung gebracht werden...Wenn also die professionellen >Marxüberwinder< bei Marx von dem >Mangel an begrifflicher Schärfe<, von >bloßen Bildern< an Stelle von >Definitionen< usw. sprechen, so zeigen sie ein ähnlich trostloses Bild wie es die >Hegel-Kritik< Schopenhauers, der Versuch, Hegel >logische Schnitzer< nachzuweisen, gezeigt hat: die vollkommene Unfähigkeit selbst das ABC der dialektischen Methode zu begreifen“ (Lukacs, 1967 a, S. 12).

Dass „Methode“ hier nicht in einem äußerlich „systematisierenden“ positivistischen Sinne missverstanden werden darf, sollte eigentlich klar sein, muss allerdings dennoch betont werden, wie u.a. die Kritik der Wert-Abspaltungstheorie durch Bönold zeigt. Wenn diese Theorie in der Abspaltungsdimension auch über die Tradition von Lukács (wie von Adorno) hinausgeht, so muss sie doch „organisch“ dazu in Beziehung gesetzt werden, was zwangsläufig eine neue Qualität beinhaltet und die Theoriearchitektur als ganze verändert; immer im Bewusstsein, dass Begriff und Theorie sich schon vorab damit abfinden müssen, niemals „alles“ unter ihre Fuchtel bringen zu können. Vor dieser Aufgabe stand und steht die Wert-Abspaltungstheorie, über die negative Dialektik Adornos hinaus. Bönold dagegen fällt weit hinter das Reflexionsniveau eines Lukács wie eines Adorno zurück; und ausgerechnet auf diese Weise will er die Wert-Abspaltungstheorie konterkarieren!

Schlussbemerkung: Postmoderner Zeitgeist in der Krise, links-verqueerte Szene und die Haltlosigkeit einer eklektischen Kritik-Mentalität

Eine Rolle spielt dabei auch das gegen jedwedes, seit langem in Mißkredit gebrachtes Ansinnen einer „Wahrheitsfindung“ und Auseinandersetzungsbereitschaft gerichtete „Polemikverbot“ in gewissen theoretisch abgerüsteten links-postmodernen Szenen. So lädt für Bönold mein Geschlechterbuch „nicht gerade zur Diskussion ein“, weil es „scharfe Abgrenzungen“ enthalte, die dann entsprechende Gegenreaktionen provoziert hätten (Bönold 2008 a). Ohne auch nur ansatzweise ein eigenes Konzept vorzulegen, möchte er eklektizistisch dies und das und jenes „halt so“ auf inhaltlich verantwortungslose Weise in einer theoretischen Bastelstube zusammengemengt haben.

Bönolds Eklektizismus, der bloß für eine allgemeine Tendenz auch in linken Zusammenhängen steht, ist zwar äußerst tauglich für einen bürgerlichen Wissenschaftsbetrieb, wenn er in einer formallogischen Borniertheit genderkritisch daherkommt, aber geklärt wird damit nichts. Dabei fehlt seinem assoziativen Surfen auf den Wellen der Diskurse die „methodologische“ Dignität selbst noch in seinem eigenen positivistischen Sinne. Bönold hat keine These, alles ist irgendwie richtig und falsch zugleich und insofern kann man dann auch an ihn anknüpfen. Dies ist symptomatisch für die heutige Zeit; und allein deswegen ist die Dekonstruktivistin Judith Butler schon wieder sympathisch in ihrer für sie typischen „Unbotmäßigkeit“ (Fraser, 1993, 68). Sie musste ihre Gender-Trouble-Thesen (ja, sie hatte noch welche!) Anfang der 1990er Jahre im Streit durchsetzen. Das kostete noch etwas und es ging noch um etwas, bis sich ein postmodernes „Anything goes“, das sich auf sie beruft, endgültig in linken Szenen queer-quirlig breit gemacht hatte. Schaurig zu sehen, was aus ihrer Emphase und ihrer Bereitschaft zum Trouble-Machen bei einem Großteil ihrer NachfahrInnen geworden ist. Wenn heute etwas als ungehörig gilt, dann ist es, allen oberflächlichen Riot-Grrrl-Posen zum Trotz, die „Butch“ (für „Nichtwissende“: die habituell männliche Lesbe, die darauf besteht, nicht-weiblich zu sein und ein eigenes „Standing“ hat) bei allerhand versöhnten dekonstruierten Männlichkeiten und Weiblichkeiten bis hin zum „umarmenden“ angeblichen Neo-Feminismus heute. So stehen übrigens auch in heutigen linken WGs die Symboliken von Subsistenzkartoffel, Frauenpower, Queer, Antiimp-Motiven, Israelsolidarität, Attac-Globalisierungskritik usw. kunterbunt nebeneinander. Anything goes, weil es um nichts mehr geht.

Mit der laufenden fundamentalen Weltwirtschaftskrise in ihrer neuen Qualität werden wohl auch derartige Vorstellungen und Ideologien ihr Ende finden. Dies ist indes kein Grund zur Beruhigung. Hinter der Fratze heterosexueller Queerness, nicht zuletzt des hausfrauisierten Queer-Mannes, könnte letzten Endes eine gar nicht mehr bunte etatistische Carl-Schmitt-Orientierung lauern; was freilich nicht apriori als identifizierend-personifizierende Zuschreibung an die Vertreter der gängigen Diskurse verstanden werden soll. Heute ist es schwieriger, hinter die postmodern-patriarchale Queer-Maske zu schauen als in das Gesicht des alt-modernen Patriarchentums, das es weiterhin gibt und das immer wieder neu nachwächst. Alte Suprematie-Ansprüche tarnen sich jedoch auch in neuen Gewändern, als sei der frühere Geschlechterkampf nur noch obsolet, indem man doch eigentlich das gleiche wie „die Frauen“ wolle. Als hätte die vermaledeite „gläserne Decke“ keine Entsprechung in Konkurrenzverhältnissen zwischen (jungen) Männern und Frauen, wobei sich der Queer-Mann als die noch bessere Frau und die noch bessere Genderforscherin geriert; denn angeblich geht es jetzt bloß noch „wertneutral“ und unparteiisch um die „(Gender-)sache“. Nichts wäre deshalb verkehrter, als ein vordergründiges Friede-Freude-Eierkuchen-Angebot von Hetero-Queer-Prinzen anzunehmen, die spitz wie Nachbars Lumpi auf (akademische) Reputation aus sind, aber gleichzeitig mit den Wimpern klimpern und die blonden Löckchen schütteln (ist natürlich alles bloß metaphorisch gemeint).

Zu bedenken gilt es dabei auch, dass für den „Mann der alles will“ die gängige positivistische Denkungsart leicht ins Irrational-Mystische kippen kann, dessen Kehrseite sie ist (vielleicht nicht bei denselben Leuten); womöglich noch begründet mit den dann plötzlich nicht mehr genehmen verqueer-“schleimigen“ Zuständen in der Postmoderne selbst. Heute wird oft noch unbestimmt ein überkommenes „Vieles“ postuliert – vorläufig. Rassismus, Antisemitismus, Antiziganismaus erscheinen dabei inzwischen bestenfalls als zweitrangig – und der Sexismus wird im postmodernen Diskurszirkus sowieso allmählich „vergessen“. Obwohl er angeblich das innerste Anliegen der Kritik sein soll, wird er nur noch implizit, „seriös-wissenschaftlich“, müde und ohne Biss thematisiert. Dies gilt ebenso für Homophobie, die sich mit falschem femininen Augenaufschlag scheinbar anverwandelt im queerschen Dazwischen gut einrichten kann. Im amorphen „Vielen“ fällt sie selbst gar nicht mehr auf, wird verdeckt in Szene-Phraseologien und Cross-Dressing-Parties.

Interessanterweise versuchen inzwischen gerade Feministinnen unter dem Eindruck der Krise teils gegen, teils mit Butler (die selber längst die Bedeutung der psychoanalytischen Dimension erkannt hat) das ungebrochene Geschlechter-Missverhältnis wieder lautstark zu betonen; und zwar ausdrücklich gegen die Perspektive der einst von ihnen selber übernommenen Beck-Giddens-New-Labour-Ideologie der 1990er Jahre (vgl. McRobbie, 2010). Dies zeigt, dass es fatal wäre, die Frage nicht nur der geschlechtlichen Identität bloß kulturalistisch „wegdekonstruieren“ zu wollen. Vielmehr muss sie in ihrer Tiefendimension aktualisiert neu gestellt werden vor dem Hintergrund der Wert-Abspaltung als Grundprinzip. Gerade deshalb ist es äußerst kritisch zu beäugen, wenn queerfeministische Ansätze in der Krisennot zwar angeblich mit „Grandfather Marx“ die „Ökonomie“ wieder entdecken, dabei aber unter weitgehender Ignoranz der Grundkategorien von Wert und Abspaltung auf allzu billige Weise bloß die altfeministische Thematisierung des Verhältnisses von Produktion und Reproduktion (Hausarbeit etc.) mit der neo-kleinbürgerlichen Perspektive einer „solidarischen Ökonomie“ (von alternativen Klein-Genossenschaften bis zu regionalen „Geldreformen“) und sogar mit einschlägigen Konzepten männlich dominierter Netzwerke von Hacker-Nerds paaren wollen.

Demgegenüber müssen Vielfalt bzw. Differenz von sozialen Lagen einerseits und Begriff des Kapitalismus als Wert-Abspaltungsprinzip andererseits in ein neues Verhältnis zueinander gesetzt werden, um Auswege jenseits oberflächlicher Verqueerungen zu suchen. In der konturlosen Queerness lauert eine erneute „Mittäterschaft“ (Christina Thürmer-Rohr) von Frauen, wenn die kapitalistisch-patriarchalen Verhältnisse in Auflösung begriffen sind und im Zuge des Ausnahmezustands eine (Trümmer-)frauenmacht propagiert wird, in der die „doppelt vergesellschaftete“ Weiblichkeit zur Krisen-Mitverwaltung mutiert. Es ist höchste „Zeit zum Streit“, gerade heute, wenn die Zeit der Pseudo-Konzepte abgelaufen ist. Oscar Wilde und Virginia Woolf, die scheinbar für postmoderne Tendenzen Pate stehen, sind in ihrer subversiven Klasse weit weg.

LITERATUR