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erschienen im Neuen Deutschland
am 17.10.2011

Robert Kurz

DAS ENDE DES ROHSTOFF-BOOMS

Die Anzeichen mehren sich, dass der konjunkturelle Abschwung in eine neue globale Rezession übergeht. Die extrem verschuldete Weltökonomie erreicht nach dem Crash der Finanzmärkte ihre zweite Schranke, die der Staatsfinanzen. Ein erneuter Einbruch würde wie schon im ersten Halbjahr 2009 vor allem die exportlastigen Länder treffen, und zwar umso stärker, je geringer der jeweilige Anteil des Binnenmarkts am Sozialprodukt ist. Das verheißt gerade für die BRD nichts Gutes, deren Eliten sich momentan angesichts einer Weltmarktführerschaft in Schlüsselbranchen selber auf die Schultern klopfen. Hart treffen würde es aber auch die viel gepriesenen Schwellenländer, die ihren jüngsten Aufstieg allesamt mit einer einseitigen Exportorientierung erkauft haben.

Dabei gibt es jedoch unterschiedliche Formen der Abhängigkeit vom Weltmarkt. Während China als industrielle Werkbank der Welt mit immer noch relativ geringer eigener Fertigungstiefe fungiert, sind die meisten Schwellenländer hauptsächlich auf den Export von Rohstoffen angewiesen. Sie konnten also die traditionelle Schwäche gegenüber den Industriestaaten nicht verbessern. Ihre Position hat sich sogar strukturell verschlechtert, weil Industrialisierungsprozesse gescheitert oder zumindest rückläufig sind. Das wurde nur überdeckt durch den Rohstoff-Boom der globalen Defizitkonjunktur, insbesondere den Rohstoffhunger des schnellen chinesischen Wachstums. Eine neue Weltrezession, die nicht mehr von den Staatsfinanzen aufzufangen ist, würde unbarmherzig die besondere Misere der Rohstoffländer an den Tag bringen.

So steht der brasilianische Aufschwung der letzten Jahre auf tönernen Füßen. Der Exporterfolg beruht vor allem auf industriellen und agrarischen Rohstoffen wie Eisenerz, Zucker, Ethanol (Bio-Treibstoff aus Zuckerrohr), Kaffee und Fleisch. Deren Preissprünge nach oben beflügelten das Wachstum und die Devisenreserven. Bei einer globalen Rezession kann sich dieser Prozess innerhalb kürzester Zeit ins Gegenteil verkehren. Dahinter steht eine dramatische Verschiebung der Exportstruktur. Während der Anteil der Industriegüter in den letzten fünf Jahren um 16 Prozent gefallen ist, stieg der Anteil der Rohstoffe um ebenfalls 16 Prozent. Dementsprechend sank der Beitrag der Industrie zum Sozialprodukt fast um die Hälfte. Ein wichtiger Faktor der Deindustrialisierung ist der Außenhandel mit China, das als Gegengeschäft für Rohstoffe den brasilianischen Markt mit billigen Industriewaren überschwemmt. Das geht nur gut, solange die Rohstoffpreise hoch sind.

Noch viel schlimmer steht es mit Ländern wie Russland oder Venezuela, die extrem einseitig am Tropf der Erdöl- und Erdgas-Exporte hängen. Zwar verspricht die Erschöpfung der natürlichen Reserven langfristig einen Nachfrage-Überhang. Aber kurz- und mittelfristig würden diese Länder einen konjunkturellen Preissturz ihres „flüssigen Goldes“ kaum überstehen. Die Bezeichnung Russlands als „Schwellenland“ ist der blanke Hohn und nur ein Ausdruck der flächendeckenden Deindustrialisierung nach dem Zusammenbruch des Staatssozialismus. Die Folgen wurden durch den Rohstoff-Boom kaschiert, müssen aber bei dessen Ende umso heftiger in Erscheinung treten. Auch den hoch verschuldeten Ökonomien der Emirate und Saudi-Arabiens mit ihrer bizarren Bautätigkeit droht bei einem Absturz des Ölpreises der Zusammenbruch. Eine solche Entwicklung würde nicht nur den autokratischen Regimes der erdölexportierenden Staaten die Luft abdrehen, sondern auch die Kettenreaktion einer globalen Rezession und Finanzkrise verstärken.