Startseite Krise und Kritik der Warengesellschaft


aus: ND 7/2002

Robert Kurz

DOUBLE DIP

Es hat etwas von einem Regentanz-Ritual an sich: Die Regierungschefs, Notenbankpräsidenten und Wirtschaftsminister machen Überstunden im Herbeibeten des großen Aufschwungs. Sollte er nicht längst da sein? Seit fast zwei Jahren macht er sich rar, muß von Quartal zu Quartal weiter nach hinten verlegt werden. Einige Zeit wurde die "schlechte Psychologie" nach den Terroranschlägen des 11. September für das Ausbleiben der ersehnten Aufwärtsbewegung verantwortlich gemacht. Aber inzwischen brechen die Weltbörsen auch ohne Mitwirkung des Herrn Bin Laden auf immer neue Tiefstände ein. Die Börse sei der Seismograph der Wirtschaft, so erklärte man schmunzelnd während der Jahrhundert-Hausse in den 90er Jahren. Und jetzt ist es die Börse, die den permanent politisch beschworenen Aufschwungsignalen zutiefst mißtraut.

Die Börse hat ihre Gründe, auch wenn sie nur selten laut ausgesprochen werden. Erstens war der Boom der 90er Jahre eine reine Finanzblasen-Konjunktur, ein "Wachstum ohne Beschäftigung". Arbeitsarme High-Tech-Investitionen und Konsum wurden nicht aus realwirtschaftlichen Gewinnen und Löhnen bezahlt, sondern aus Spekulationsgewinnen. Zweitens hat der Prozeß der betriebswirtschaftlichen Globalisierung die Weltwirtschaft konjunkturell synchron geschaltet. Das war in der Hausse ein Verstärkungseffekt nach oben, aber in der Baisse ist es ein Verstärkungseffekt nach unten. Drittens rückte die letzte militärische Weltmacht USA auch in die Schlüsselstellung des neuen Finanzkapitalismus. Die USA mußten die "überschüssigen" Warenströme der Welt aufnehmen, wofür die Voraussetzung war, daß sie auch die "überschüssigen" Geldkapitalströme der Welt (die nicht real reinvestierbaren Gewinne sowohl aus der Realwirtschaft als auch aus dem Spekulationsüberbau) aufnahmen.

Damit die Hausse die Hausse nähren konnte, mußte gleichzeitig die Aussicht auf eine neue akkumulationsfähige Basistechnologie vorgegaukelt werden, die dazu fähig wäre, die spekulativ vorweggenommenen Gewinne real einzulösen. Aber die "New Economy" des Internet- und Telekom-Kapitalismus hat sich als Jahrhundertflop erwiesen. Zurück blieben Schuldenberge und Überkapazitäten. Die Börsen sind das dritte Jahr in Folge im Minus. Seit den Höchstständen im März 2000 hat z.B. der Dax fast 50 Prozent eingebüßt, die US-Technologiebörse Nasdaq 78 Prozent, der Neue Markt gar 93 Prozent. Allein beim New Yorker Schlüsselindex Dow Jones hielten sich die Verluste mit knapp 25 Prozent relativ in Grenzen, obwohl sie ebenfalls hoch sind. Damit ist die globale Finanzblasen-Konjunktur tot. Die Umsätze des Einzelhandels brechen ein, so etwa in der BRD im zweistelligen Bereich. Die Umsätze der Firmen stagnieren oder können nur noch auf Kosten der Gewinne ausgeweitet werden. Auch die Kredit-, Leasing- und Rabatt-Konjunktur steht vor dem Aus.

Es hat sich bloß noch nicht so recht herumgesprochen. Die kapitalistische Welt sonnt sich im Daueroptimismus der USA, die es schon richten werden. Aber während das mediale Bewußtsein erst einmal die Fußball-WM konsumiert und die Politik im Sommerloch verschwindet, braut sich über der Schlüsselökonomie der USA ein neues "sekundäres" Unwetter zusammen. 2001 konnten Regierung und Notenbank den Absturz ins Bodenlose durch vorgezogene Rüstungsaufträge und vor allem durch eine historisch beispiellose Serie von Zinssenkungen verhindern. Damit war freilich nur ein kurzzeitiges Strohfeuer zu entfachen, das keine tragfähige US-Konjunktur zurückbringt, auf die in der ganzen Welt so sehnlichst gewartet wird. Stattdessen macht sich in "Gottes eigenem Land" die Furcht vor einem Double Dip breit, einem "doppelten Abtauchen": Nach einer kurzen, durch die finanzpolitischen Maßnahmen bedingten Erholung könnte die eigentliche, wirklich "schwarze" Rezession erst noch kommen.

Tatsächlich ist die Kette des Finanzkapitalismus an entscheidender Stelle gerissen. Die Hausse war begleitet vom Höhenflug des Dollar. Dieser war jedoch nicht durch die realwirtschaftliche Stärke der USA bedingt, sondern durch die Schlüsselstellung der USA im Finanzblasen-Boom: Durch den permanenten Zustrom globalen Geldkapitals konnten die US-Börsen überdurchschnittlich abheben und trotz negativer Sparquote und hoher Binnenverschuldung die ungeheuren, ständig aufakkumulierten Handels- und Leistungsbilanzdefizite der USA finanzieren. Mit dem Platzen der "New Economy" und dem Ende der fiktiven Börsen-Wertschöpfung ist jedoch ein wesentlicher Anreiz verschwunden, Geldkapital in die USA zu transferieren. Gleichzeitig hat die Serie der US-Zinssenkungen einen weiteren Anreiz zerstört, nämlich das höhere Zinsniveau der USA gegenüber Europa. Jetzt hat sich der Zinsabstand genau umgekehrt.

Die Folge ist der Absturz des Dollar, was nur ein anderer Ausdruck dafür ist, daß sich die Geldkapitalströme in die USA vermindern. Diese Verminderung führt in einer Negativ-Eskalation zu weiterer Verminderung, weil jetzt noch das Währungsrisiko (zu erwartender weiterer Kursverfall des Dollar) hinzukommt. In der Vergangenheit haben sich die USA durch periodische Dollar-Entwertungen zwar immer wieder auf Kosten der übrigen Welt entschuldet. Aber heute ist eine Konstellation erreicht, in der das nur noch auf Kosten der US-Konjunktur selber und damit der Weltkonjunktur geht. Mangels eigener Ersparnisse und aufgrund der hohen Binnenverschuldung sind die USA inzwischen völlig auf den ungebremsten Zustrom ausländischen Geldkapitals angewiesen, um Konsum und Handelsbilanzdefizite weiter finanzieren zu können. Die partielle äußere Entschuldung qua Dollar-Abwertung und die damit einhergehende verbesserte Exportfähigkeit der USA können das Abdrehen dieses Hahns nicht kompensieren. Umgekehrt läßt ein Einbruch der US-Konjunktur natürlich auch die japanisch-asiatische und europäische Exportkonjunktur einbrechen, verstärkt durch die Aufwertung von Yen bzw. Euro und die damit verbundene Verteuerung der Exporte.

Jetzt ist guter Rat teuer. Wenn die US-Geldpolitik für die Verlängerung der Finanzblasen-Konjunktur nicht mehr ausreicht, könnte eigentlich nur noch eine handfeste Kriegskonjunktur die Weltwirtschaft "retten". Aber dafür ist kein ebenbürtiger "Feind" in Sicht, und die Rolle der Weltpolizei reicht nicht aus. Außerdem würde sich auch für eine Rüstungs- und Kriegskonjunktur die Finanzierungsfrage stellen, denn Bush müßte diese auf einem viel höheren Verschuldungsniveau mobilisieren als einst Reagan sein "Totrüsten" der Sowjetunion. Ein Double Dip in den USA allerdings würde die Weltwirtschaft sehr tief eintauchen. Die Börsen haben allen Grund, weiterhin pessimistisch zu sein.