Startseite Krise und Kritik der Warengesellschaft


25.5.2002

Robert Kurz

DIE JUBELPERSER DER WELTPOLIZEI
Eine verschworene deutsche Gemeinschaft: die sogenannten Antideutschen von "Bahamas"/ISF Freiburg als Zeloten für "freedom and democracy"

 

Wenn sich der oberste Kriegsherr der demokratischen Weltbarbarei in Berlin die Ehre gibt, gehört zu den devoten Begrüßungskommandos auch ein Häuflein von Claqueuren, das die Verrücktheit der bürgerlichen Ideologie an den Grenzen des modernen warenproduzierenden Systems in besonders signifikanter Weise darstellt; und zwar buchstäblich als heruntergekommene Schmierenkomödianten des kapitalistischen Weltgeistes. Die offizielle Welt des globalen ökonomischen Terrors hat ihre Vernunft als sogenannte kritische längst abgehäutet; vorzuführen, was dabei herauskommt, wenn man in diese alte bürgerliche Haut zurückkriechen will, bleibt den antideutschen Adepten der Aufklärungsideologie vorbehalten. Der längst leer gewordene Gestus radikaler Kritik verwandelt sich in das rasende Beifallklatschen für die letzten Triumphzüge des Imperiums, das einige seiner eigenen Ausgeburten als gefangene Barbaren der grölenden demokratischen Plebs vorführt.
Da stehen die selbsternannten Gralshüter der Kritik nun am deutschen hauptstädtischen Straßenrand, wo sie hingehören, drapiert mit den Emblemen des Kapitalismus wie die besoffenen Fans von Schalke 04 mit ihren Vereinsfahnen. Als Volkssturm der Aufklärungsideologie, der mit den falschen Idealen der bürgerlichen Welt gegen ihre realen Monster ausziehen möchte, kann sich ihr Denken nur noch in schlichten Umkehrschlüssen bewegen, von der abstraktesten Allgemeinheit bis zur beliebigen kulturellen Einzelheit: Gegen Blut und Boden meinen sie kapitalistischen Fortschritt und den negativen Universalismus des Marktes setzen zu können; gegen den dumpfen Antiamerikanismus die ebenso dumpfe Glorifizierung der letzten kapitalistischen Weltmacht. Wenn Angela Merkel gemeinschaftsideologisch die Schuluniform fordert (wie übrigens in weiten Teilen der angelsächsischen Welt), setzen sie dagegen "Tauschwert und Schönheit" von kapitalistischem "Lifestyle" und "Markenkleidung"; wenn sich Neonazis an die ökologische Kritik anhängen, erklären sie die Biosphäre zum faschistischen Gegenstand. Vollkommen gefesselt an die falschen Alternativen und polaren Gegensätze der kapitalistischen Welt und ihrer Ideologie, meinen sie immer noch innerkapitalistische Partei für die bürgerliche Vernunft ergreifen zu können, als wäre diese jemals etwas anderes gewesen als die weltvernichtende Unvernunft der warenproduzierenden Moderne.
Dieser Geisteszustand ist das Endresultat einer theoretischen Insuffizienz, einer notorischen Unfähigkeit, sich im kritischen Denken von den Daseinsformen der Wertvergesellschaftung und ihrer geschlechtlichen Abspaltung loszusagen. Die Tragödie des Arbeiterbewegungsmarxismus wiederholt sich als Farce einer angesichts der kapitalistischen Weltkrise hektisch abgerüsteten kritischen Theorie: Wenn Bush zum leider bloß unbewußten "Vorkämpfer des Kommunismus" ernannt wird, hat der Fasching des neomarxistischen Aufklärungs-Revivals seinen närrischen Höhepunkt erreicht. Unfreiwillig symbolisiert das antideutsche Abfeiern des texanischen sekundären Analphabeten, wie am Ende der Modernisierungsgeschichte bürgerliche Aufklärung und bürgerliche Gegenaufklärung unmittelbar zusammenfallen.
Was bei Adorno noch als aporetische Argumentation erschien, nämlich die gleichzeitige Kritik und Affirmation von bürgerlicher Aufklärungsideologie und kapitalistischer Subjektform, hat sich in der unselbständigen, bloß nachäffenden, zum karikaturenhaften Jargon verkommenen Rezeption durch die antideutschen orthodoxen Adorno-Apostel zur völligen theoretischen Regression ausgebildet: Die bürgerliche Subjektform, insbesondere die Form des Zirkulations- und Warenkonsum-Subjekts, wird gerade an ihrem historischen Endpunkt explizit als Ausgangspunkt einer gar nicht mehr ernst genommenen "Emanzipation" festgeschrieben statt zum zentralen Gegenstand der radikalen Kritik gemacht.
Wie sich leicht nachweisen läßt, wird damit die kategoriale Kritik des modernen warenproduzierenden Systems insgesamt und auf allen Ebenen verfehlt. Dieses Zurückschrecken vor der endgültigen Abnabelung von bürgerlicher Aufklärungsideologie und Arbeiterbewegungsmarxismus bedeutet aber in der Folge notwendigerweise die völlige Preisgabe der Kritik überhaupt. Denn die Wertvergesellschaftung ist historisch so weit zur Krisenreife gelangt, daß ihre Kritik und Überwindung nur noch auf der grundsätzlichen kategorialen Ebene möglich ist, also durch den Bruch mit der bürgerlichen Subjektform und mit der dazugehörigen Denkform, wie sie die sogenannte Aufklärung kreiert und als kapitalistische Zurichtungsgeschichte des Menschen fortentwickelt hat.
Es bedurfte nicht erst des symbolischen Ereignisses vom 11. September, um die antideutsche Regression zurück in den kapitalistischen Familienschoß zur Kenntlichkeit zu bringen. Die Verhältnisse selber spitzen sich so weit zu, daß trotz eines den "Klassenkampf" mimenden "Aufstands der Leichen" (Franz Schandl) auf der intellektuellen Ebene kein Platz mehr bleibt zwischen radikaler Wertkritik/Abspaltungskritik einerseits und radikaler Parteinahme für den welt- und selbstzerstörerischen Kapitalismus andererseits.
Die antideutschen Adorniten sind folgerichtig hemmungslos auf die Seite der herrschenden Ordnung und zur westlichen Wertegemeinschaft übergelaufen; sie haben sich mit dem intellektuellen Abschaum der Krisendemokratie, mit dem aufklärerischen Mob und mit den westlichen Bombenphilosophen gemein gemacht. Angesichts der globalen kapitalistischen Barbarisieung klammern sich die angeblichen Kritiker der Ontologie in panischer Furcht an die aufklärerische bürgerliche Subjekt-Ontologie und Geschichtsmetaphysik. Gegen die Zombi-Produkte des Kapitalismus jammern sie nach der kapitalistischen "Zivilisation"; zum verhungernden Teil der Menschheit fällt ihnen nichts anderes mehr ein, als die Tempel des Finanzkapitals und den Glamour des Warenkonsums zu glorifizieren. Sie sind zum integralen Bestandteil, ja zur schrillsten Stimme des demokratischen Propaganda-Apparats geworden, der die mediale Wiederaufarbeitung von Eurozentrismus, Aufklärungshuberei und Selbstbeweihräucherung des "ideellen Gesamtimperialismus" unter unanfechtbarer Führung der USA betreibt.
Die intellektuelle Frechheit dieser jüngsten Zivilisationskrieger und Kreuzritter des Abendlands geht so weit, daß sie ihre bedingungslose Kapitulation vor der herrschenden Ordnung als besondere dialektische Raffinesse verkaufen wollen. Indem sie die dümmsten Hühner des restlichen autonomen und Antifa-Spektrums zu ideologischen Kindersoldaten der NATO umschulen, machen sie sich verdient um das weltdemokratische Imperium, möchten aber gerade diese Arbeit an der Affirmation als "antideutsche Wertarbeit" zur einzig wahren Wertkritik adeln, deren Begriff sie damit besudeln. In ihrer Orwellschen Sprache ist es geradezu der Gipfel der Radikalität, US-Kampfbomber aufklärungs-frömmlerisch zu segnen. Mit dieser Rabulistik können sie allerdings nur eine Handvoll hinterwäldlerische, theoretisch ungebildete Desorientierte blenden, die mangels eigenständiger Denkfähigkeit auf der Suche nach Identität und Distinktion um jeden Preis sind.
Deshalb muß die schmähliche intellektuelle Insuffizienz durch ein besonders infames Manöver vertuscht und zur kritischen Potenz umgeschminkt werden: Die theoretische Feigheit, die davor zurückschreckt, sich der Kritik der bürgerlichen Subjekt- und Verkehrsform zu stellen, das jämmerliche intellektuelle Versagen vor der historisch auf die Tagesordnung gesetzten Aufgabe, tarnt sich mit ausgeklügelter Perfidie als heroischer Kampf gegen den Antisemitismus.
Es handelt sich dabei nicht um eine theoretisch ausgewiesene Kritik des antisemitischen Syndroms. Dazu ist ein Denken gar nicht in der Lage, das sich affirmativ an die bürgerliche Subjektform klammert. Denn der Antisemitismus bildet ein integrales Moment dieser Subjektform selbst, gewissermaßen ihre letzte krisenideologische Reserve, und gehört daher auch zum Grundbestand des Aufklärungsdenkens. Gerade in diesem Punkt treffen sich bürgerliche Aufklärung und bürgerliche Gegenaufklärung; zu ihrem gemeinsamen bürgerlichen Nenner gehört das antisemitische Syndrom. Wie die "antideutsche Wertarbeit" mangels kategorialer Kritik von Wertform, Abspaltungsform und Subjektform völlig unfähig zu einer Analyse der Ideologiebildung überhaupt ist, versagt sie notwendigerweise auch in der Analyse des Antisemitismus. Aber darum geht es ihr auch gar nicht; ihr Beruf ist nicht die gesellschaftliche Kritik, sondern die Instrumentalisierung des Antisemitismus im innerlinken Distinktionskampf, um die Leiche des bürgerlichen Aufklärungsmarxismus am Scheinleben zu erhalten. Gerade auf diese Weise soll die eigene theoretische Schwäche und Kapitulation zur Stärke und Souveränität aufgeblasen werden.
Es gehört in die Annalen der "Universalgeschichte der Niedertracht", wie sich die antideutsche Sekte Auschwitz unter den Nagel reißt, um daraus kulturelles Kapital für ihre Selbstbehauptung zu schlagen und vermeintlich den Zauberstab unumschränkter Definitionsmacht über die Restlinke in der Hand zu haben; ganz nach dem Motto: Wer Antisemit ist, bestimmen wir! Der Begriff des Antisemitismus wird dabei von seinem Gegenstand völlig abgelöst, selbst von der notorisch auf das zinstragende Kapital verkürzten Kapitalismuskritik usw., und rein äußerlich allem aufgepappt, was den antideutschen Mullahs aus ganz anderen Gründen mißliebig ist. Und da sie nun zackig und mit der deutschen Grußhand an der Schläfe vor der kapitalistischen Konstitution stramm stehen, wird eben verbissen jeder als Antisemit definiert, der gerade in der jetzigen Weltlage gar nichts von einer angeblichen "Verteidigung der bürgerlichen Zivilisation" hält, die der Quellgrund aller modernen Barbarei und vor allem des Antisemitismus ist. Wer sich der notwendig gewordenen Kritik der bürgerlichen Subjektform stellt, muß in dieser irren Logik sogar ganz besonders antisemitisch sein.
Daß das antisemitische Syndrom auf diese Weise weder analysiert noch bekämpft, sondern für ganz äußere Zwecke instrumentalisiert wird, zeigt sich an seiner identitätspolitischen Inflationierung. Diese Inflation der Zurechnung nach völlig disparaten und beliebigen (oft sogar einander ausschließenden) Merkmalen wird möglich durch einen ideologiekritischen Reduktionismus, der selber in schlechteste Ideologie umschlägt: Das in sich vermittelte kapitalistische Ganze von Subjekt und Objekt, von Fetisch-Konstitution "hinter dem Rücken" und bewußter Ideologiebildung, von "automatischem Subjekt" und Individuen wird unvermittelt und einseitig in den subjektiven Pol aufgelöst; die Ideologie nicht aus der gesellschaftlichen Entwicklung hergeleitet, sondern umgekehrt (und schlecht idealistisch) die gesellschaftliche Entwicklung aus der Ideologie. Damit entfällt auch die Notwendigkeit, den Antisemitismus analytisch auf die heutige weltgesellschaftliche Realität in entsprechenden Nachweisen zu beziehen; er verwandelt sich in ein ahistorisch-zeitloses Phänomen und wird gerade dadurch beliebig zurechenbar. Antisemitismus ist so in dieser antideutschen Meta-Ideologie keine Ideologie mehr, sondern ein realer Grund der Welt; seine vermeintliche Kritik, die sich strukturell ihrem Gegenstand angleicht und daraus eine umfassende Welterklärung macht, wird so wahnhaft wie dieser Gegenstand selbst.
Um dieser delirierenden Instrumentalisierung des Antisemitismus für eine glühende Verteidigung der kapitalistischen Anti-Zivilisation überhaupt einen Bezug auf die moderne Geschichte und Weltgesellschaft unterschieben zu können, wird das antideutsche Konstrukt mit zwei pseudo-historischen Argumentationsfiguren flankiert. Zum einen handelt es sich dabei um eine pure, in keinster Weise fundierte Behauptung, die auf die flachsten arbeiterbewegungs-marxistischen Theoreme der Zwischenkriegszeit zurückgeht: Danach sei das Nazi-Reich kein Kapitalismus, sondern angeblich "negativ aufgehobener" Kapitalismus gewesen. Diese Bezeichnung ist ein reines Phantasma, ein "negativ aufgehobener" Kapitalismus wäre eine logische Unmöglichkeit. Die gesellschaftliche Grundlage des Nazi-Regimes war Kapitalismus auf der damaligen Entwicklungsstufe, kein Jenseits des Kapitalismus. Die Unterschiede zu den westeuropäischen oder angelsächsischen Ländern sind nicht auf der Ebene des Kapitalismusbegriffs dingfest zu machen, sondern in der Differenz der historisch-ideologischen Entwicklung des Kapitalismus in Deutschland, was etwas ganz anderes ist.
Mit dem rein ideologischen Hilfskonstrukt vom angeblich "negativ aufgehobenen Kapitalismus", also von der angeblich nicht-kapitalistischen Qualität des Nazi-Regimes, wird der Holocaust in echt demokratischer Manier aus der kapitalistischen Geschichte herausgelöst, um das Phantasma einer "guten" Koalition des realen Kapitalismus gegen den bloß erfundenen "negativ aufgehobenen", aus der Geschichte hinausdefinierten antisemitischen Nicht-Kapitalismus zu beschwören; ein Konstrukt, das überdies unabhängig von der wirklichen Weltsituation beliebig repetiert werden kann, um sich in Krisenzeiten stets guten revolutionären Gewissens in die Front der Bombendemokraten einzureihen und am globalen Standgericht wenigstens als Claqueure mitzuwirken.
Zum andern wird nun in einer primitiven identitätslogischen Setzung, unbekümmert um jede historische Analyse, diese Rolle des angeblich "negativ aufgehobenen" Kapitalismus für die gegenwärtige Situation einem willkürlich definierten "islamischen Faschismus" zugeschoben, sodaß der von den Bahamas eingefangene ex-autonome ideelle Gesamtdepp sich nun US-Fähnchen schwenkend als Jubelperser der demokratischen Weltpolizei wiederfindet. Die unvermittelte, an den Haaren herbeigezogene Gleichsetzung von palästinensischen Flüchtlingslagern mit dem Nazi-Imperium, von islamischen Selbstmordattentätern mit der Vernichtungsmaschine von Auschwitz, von "völkischer" Formierung der Gesellschaft in der Ersten Welt der Vergangenheit mit religionspolitischer Zersetzung der Gesellschaft in der Dritten Welt der Gegenwart: dieses absurde quid pro quo, das die Singularität von Auschwitz noch weitaus nachdrücklicher leugnet als ein Ernst Nolte, dient nur dem Zweck einer "Orientalisierung" der deutschen Geschichte.
Die weltdemokratisch geläuterte Sorte von Antideutschen ist nur noch bedingt antideutsch, aber unbedingt antiarabisch: demokratische Rassisten reinsten Wassers, in einer Front mit dem vorgetäuschten Kulturkampf des "ideellen Gesamtimperialismus". Wie sich die angebliche Kritik des Antisemitismus ad absurdum führt, wenn Israel durch die Bombardierung afghanischer Bergdörfer "verteidigt" werden soll, so führt sich die antideutsche angebliche Kritik des "deutschen Imperialismus" ad absurdum, indem sie sich auf den Kopf stellt und damit unfreiwillig den tatsächlichen Standpunkt des westlichen "ideellen Gesamtimperialismus" einnimmt: Die BRD muß jetzt nicht mehr kritisiert werden, weil sie sich an den kapitalistischen Weltordnungskriegen beteiligt, sondern weil sie sich zu wenig beteiligt. Die vordergründige Kritik des Antisemitismus in der deutschen Gesellschaft dient nur noch als Staffage für diesen kriegshetzerischen Zweck der antideutschen Konvertiten, die sich umso mehr "daheim im Reich" fühlen, je deutlicher sich dieses als Sub-Posten des weltkapitalistischen Imperiums darstellt.
Wie instrumentell sich die antideutsche Sekte zu ihrem Lieblingsgegenstand verhält, wird durch ihr völliges Desinteresse an der gesellschaftlichen Realität in Israel deutlich. Der selber in Ideologie umgeschlagene ideologiekritische Reduktionismus subsumiert die Frage der wirklichen Verhältnisse in Israel und Palästina total unter die (zugerechnete, keineswegs in ihrem gesellschaftlichen Zusammenhang analysierte) antisemitische ideologische Reaktion in den kapitalistischen Zentren und speziell in der BRD; mehr noch: er bringt diese Verhältnisse einfach zum Verschwinden. Wer aber Wirklichkeit ausblendet, angeblich für einen kritischen Zweck, der dementiert diesen Zweck selbst.
Das trifft umgekehrt auch für die Analyse der tatsächlichen antisemitischen Reaktionen in der BRD und Westeuropa auf den sogenannten Palästinakonflikt und die Entwicklung in Israel zu. Erstens kann das eine Moment nicht im andern zum Verschwinden gebracht werden; und zweitens bedarf auch das Fortwirken der spezifisch "deutschen Ideologie" mit dem ihr inhärenten spezifisch eliminatorischen Antisemitismus einer sowohl historischen als auch aktuellen gesellschaftlichen Analyse. Gerade darin bestünde die Berechtigung des antideutschen Motivs. Und gerade davon ist bei den Bahamas-Antideutschen so gut wie gar nichts zu sehen; auch insofern sind sie in Wahrheit nicht antideutsch genug. Kunststück, haben sie doch den Antisemitismus systematisch enthistorisiert (in dieser Hinsicht der postmodernen Elimination der Geschichte durchaus verwandt), sodaß sie sich die Analyse der "deutschen Ideologie" in ihrer Entwicklung vom frühen 19. Jahrhundert bis heute schenken können; und das haben sie auch nötig, um den Antisemitismus qua beliebiger Zuordnung je nach ihrem identitätspolitischen Bedürfnis ohne jede analytische Rechenschaft instrumentalisieren zu können.
Die verschiedenen Formen des Antisemitismus in der gegenwärtigen Welt können nur im Kontext der wirklichen gesellschaftlichen Entwicklung dieser Welt analysiert und bekämpft werden; und dazu gehört selbstverständlich auch die Entwicklung der israelischen und palästinensischen Gesellschaft, die auszublenden bei den Bahamas-Antideutschen nicht ohne Grund mit einer Gleichgültigkeit gegenüber der wirklichen Geschichte des deutschen Antisemitismus einhergeht.
Das Motiv dieser Ausblendung ist allerdings nicht nur ein äußerlich-instrumentelles im innerlinken Selbstbehauptungskampf und in der Apologetik des westlichen Gesamtimperialismus; es folgt vielmehr auch unmittelbar aus der Affirmation der bürgerlichen Subjekt-Metaphysik im Anschluß an die unüberwundene arbeiterbewegungs-marxistische Metaphysik des "Klassensubjekts". Da dieses unrettbar verloren ist, aber seine kategoriale Kritik im antideutschen Denken ausbleiben muß, besteht das Bedürfnis nach einem Surrogat, unter dessen zahlreichen Varianten sich aus der identitätspolitischen Instrumentalisierung des Antisemitismus heraus der Staat Israel als metaphysisches Subjekt anbietet. Damit es dieser phantasmatischen Qualität genügen kann, muß sich allerdings Israel aus einer wirklichen Gesellschaft dieser Welt mit wirklichen Widersprüchen in ein von allen Widersprüchen gereinigtes Avalon der antideutschen Projektionen verwandeln.
Wie einst der linke "Antizionismus" mit PLO-Symbolen aufmarschierte (und sich heute in der Tat in eine bloße Unterabteilung des globalen Antisemitismus verwandelt hat), so marschiert nunmehr in bloßer Umkehrung die antideutsche Sekte mit Israel-Fahnen auf; übrigens in der durchaus passenden Gesellschaft der "Partei bibeltreuer Christen", deren Motiv die Ankündigung des Jüngsten Gerichts durch den Sieg des Volkes Israel im gelobten Land bildet. Bei den Bahamas ist es das Armageddon der kritischen Theorie. Wie sich in den Analysen von Eike Geisel nachlesen läßt, ist der blinde, militante Philosemitismus von Erzdeutschen, der sich vor allem an den militärischen Leistungen Israels aufgeilt, nichts anderes als der bloß umgedrehte alte deutsche Antisemitismus, der allerdings sein wahres Gesicht nicht gänzlich verleugnen kann.
Das wird in einem bestimmten Punkt unfreiwillig bis zur Kenntlichkeit offengelegt. Was die fanatischen Bahamas-Philosemiten nämlich in ihrer projektiven Wahrnehmung vor allem stört, ist die Existenz der israelischen und überhaupt der jüdischen säkularen Linken. Es ist kein großes Geheimnis, daß in Israel heute unter dem äußeren und inneren Druck ganz ähnlich wie bei den feindlichen arabischen Nachbarn eine theokratisch-fundamentalistische, religionspolitisch-nationalistische und rassistische Tendenz dominiert, die den säkularen Arbeiter-Zionismus längst an die Wand gedrückt hat, von deren Exponenten die Ermordung Jitzhak Rabins durch eine beispiellose Hetzkampagne vorbereitet wurde und deren politische Klammer der Likud-Block mit Scharon und Netanjahu an der Spitze bildet. Die Kriegsverbrechen der israelischen Armee unter dieser finster reaktionären Führung werden nicht im geringsten dadurch legitimiert, daß es sich bei den Palästinensern um eine ausweglos verhetzte, selbstzerstörerische Masse von Verzweifelten handelt, die jeden emanzipatorischen Gedanken verweigert. Israel geht als Krisengesellschaft der Globalisierung seinen eigenen Weg in die Barbarei, nicht anders als der Rest der Welt, aber unter besonderen Bedingungen der Bedrohung.
Die Existenz Israels ist allerdings gerade deswegen nicht nur von außen, sondern auch von innen gefährdet. Die israelische Linke führt einen verzweifelten Kampf gegen diese Entwicklung, in der sie auf keinen Partner bei den Palästinensern mehr hoffen kann, weil diese ihren Weg in die Barbarei bereits vollendet haben. Es ist nun so ziemlich die unappetitlichste Aufführung der antideutschen Sektenprediger, daß sie im Interesse ihrer Projektionen der israelischen Linken nicht nur in den Rücken fallen, sondern diese sogar auf die giftigste Weise denunzieren. Was für ein nichtswürdiges Schauspiel: Erzdeutsche Ex-Linksradikale verbünden sich zumindest in ihrer schmutzigen Phantasie mit den reaktionärsten klerikalen, rassistischen, frauen- und schwulenfeindlichen Kräften Israels gegen die israelische Linke und gegen das säkulare Israel überhaupt, und haben die Stirn, diese perverse ideologische Allianz auch noch als Bollwerk gegen den Antisemitismus abzufeiern!
Wie es der gemeinbürgerlichen Ideologie geziemt, wird bei dieser antideutschen Denunziation der israelischen und weltweiten jüdischen Linken das antisemitische Stereotyp gewohnheitsmäßig abgerufen; es genügt diesen Fanatikern und Zeloten der kapitalistischen Aufklärung nicht, die Auffassungen eines Noam Chomsky, Uri Avnery oder Moshe Zuckerman als ihrer Meinung nach falsch zu bezeichnen, sondern die unliebsamen Nichtarier müssen auch noch als "Vorzeigejuden" oder "Alibijuden" (O-Ton Bahamas) in bester "Stürmer"-Tradition heruntergemacht werden. Merke: Wer ein guter Jude ist, bestimmen die Bahamas; und wer kein guter Jude ist, der ist sowieso sein eigener Antisemit.
Das derart zusammengezimmerte Konstrukt ist so schief, schlecht identitätslogisch und durchsichtig identitätspolitisch, daß es nur durch permanente Dynamisierung und Eskalationslogik aufrecht erhalten werden kann. Folgerichtig haben sich Bahamas/ISF auf eine maßlose, sich ständig überbietende Hetzkampagne gegen alles und jedes kapriziert, was sich ihrem aus theoretischer Impotenz geborenen Wahn nicht unterordnet. Diese ekelhafte, vor keiner Koterei zurückschreckende Hetze ist Fleisch vom Fleisch der interkulturellen pseudo-religiösen Reaktion. Schaut euch diese Typen an: Jeder einzelne ein Savonarola-Verschnitt, jeder von denen hätte Karriere beim Opus Dei oder beim Ku Klux Klan machen können. In ihrem Machtrausch ergaunerter Definitionsmacht verschlucken sie sich vor denunziatorischer Lust. Von der theoretischen Innovation haben sie sich längst verabschiedet; da dümpelt nur noch die postivistische "Anwendung" eines Corpus abgeschliffener, zur affirmativen Ideologie versteinerter Glaubenssätze, die sie bei der Konfirmation ihrer Kindersoldaten abfragen.
Das Fußvolk dieser intellektuellen Selbstmordsekte muß das Gehirn an der Garderobe abgeben. Nur so ist es zu erklären, daß wir es bei den Bahamas-Adepten immer häufiger mit entpersönlichten Zombis zu tun haben, die argumentativ nicht mehr erreichbar sind und autistisch ihre Kommandoerklärungen verkünden. Wer einmal in diesem Bann befangen ist, läßt den antideutschen Gurus offenbar alles durchgehen, was sonst anständigerweise niemand durchgehen lassen kann. Das Ferment dieser Konstellation ist die Angst. Wo der Antisemitismus nicht mehr als Ideologie aus bestimmten gesellschaftlichen Verhältnissen hergeleitet werden muß, sondern als allgegenwärtige Denunziationsmöglichkeit abgerufen werden kann, steht jeder unter Verdacht außer den Mullahs der antideutschen Ideologie, die ihre eigenen antisemitischen Bedürfnisse an der israelischen Linken abreagieren können.
Weil der ideologiekritische Reduktionismus die antisemitische Zuordnung beliebig und universell gemacht hat, müssen die Gläubigen ständig zittern, beim kleinsten Versuch abweichenden Denkens in den Bannstrahl dieser Zuordnung zu geraten und exkommuniziert oder symbolisch verbrannt zu werden; und so nehmen sie allmählich eine Haltung des vorauseilenden Gehorsams ein, die ihnen das analytische Denken verbietet und sie zu einer sorgfältig ritualisierten, entmenschlicht-religiösen Sprache zwingt, in der im übrigen das Kapitalverhältnis mystifiziert statt analysiert und kritisiert wird. Nicht kritische Analyse ist im Dunstkreis dieses sehr deutschen Ungeistes mehr angesagt, sondern der blanke Gesinnungs- und Bekenntnisterror - gewissermaßen eine Art Robespierrescher "Tugendterror", der bekanntlich immer nur auf dem Schafott enden kann.
Die Positionen der Wert- und Abspaltungskritik demgegenüber sind klar: Eine Kritik des Antisemitismus ist nur möglich im Kontext einer radikalen Kapitalismuskritik anhand der konkreten historischen Situation, und eine antideutsche Kritik nur durch die Kritik der "deutschen Ideologie" anhand ihrer aktuellen Einbindung in den westlichen Gesamtimperialismus, während die regressive Affirmation von bürgerlicher Aufklärung und kapitalistischer "Zivilisation" zusammen mit der Kritik überhaupt auch die angebliche Kritik des Antisemitismus und die antideutsche Kritik dementiert. Das unbedingte Eintreten für die Existenz Israels ist nur möglich in kritischer Solidarität mit der israelischen säkularen Linken, während die Aufkündigung dieser Solidarität und der ideologische Schulterschluß mit dem reaktionären Likud-Regime gleichzeitig auch die Verteidigung der Existenz Israels dementiert.
Die prowestlichen Fanatiker der antideutschen Bekenntnis-Sekte von Bahamas/ISF sind nicht deswegen zu bekämpfen, weil sie den heruntergekommenen völkischen Antiimperialismus kritisieren, sondern weil sie diese Kritik völlig delegitimieren durch ihre Parteinahme für die kapitalistische Weltpolizei. Sie sind nicht deswegen radikal zu kritisieren, weil sie den antisemitischen Mob bekämpfen, sondern weil sie diesen Kampf sabotieren durch ihre Inflationierung des Antisemitismus- und Faschismusbegriffs. Nicht ihre Kennzeichnung der postpolitischen Palästinenser-Kommandos als perspektivlose Mordkollektive ist absurd, sondern die Verherrlichung des israelischen Rechtsradikalismus und religiösen Fundamentalismus als Vorschein des Kommunismus.
Wer die Auseinandersetzung mit einer tatsächlich gefährlichen ideologischen Entwicklung (auch in Teilen der Linken) als privaten Claim einer identitätspolitischen Goldader einzäunt, ist dafür haftbar zu machen, daß die radikal kritische Thematisierung dieser zerstörerischen und selbstzerstörerischen Tendenz blockiert wird. Wenn die existentielle Krise der sozialen Emanzipation nur noch als Bühne von Selbstbehauptung und Distinktionshuberei dient, wird sie für die eitle Nabelschau einer verschworenen deutschen Gemeinschaft von notorischen Selbstdarstellern mißbraucht. Deshalb muß es gerade im Namen einer Kritik des völkischen Antiimperialismus und einer Bekämpfung des antisemitischen Mobs darum gehen, die Kleriker der Bahamas-Sekte möglichst zu isolieren, sie zu boykottieren und aus der linken Debatte auszugrenzen, um den Schaden zu minimieren, den sie sowieso anrichten.