Erster Teil einer Stellungnahme zu linken Kritiken am Manifest
gegen die Arbeit und am Schwarzbuch des Kapitalismus. Erschienen
ist die Artikelreihe in der konkret. Im Teil 2 geht es um "Auschwitz
als Alibi? Die letzten Gefechte der Restlinken" (Robert Kurz).
aus: konkret 5/2000
Robert Kurz
Wir haben ihn so geliebt,
den Klassenkampf
Das letzte Gefecht des Arbeitsmarxismus (Teil 1)
Endlich kann die zersplitterte Restlinke einmal einig sein wie nie, und zwar
gegen eine gemeinsam verabscheute Konkurrenz namens "Krisis". In "Konkret"
und anderswo tönt es in bester Oberlehrermanier von allen Seiten: Das "Manifest
gegen die Arbeit" und das "Schwarzbuch Kapitalismus" sind indiskutabel.
Und an die Adresse des linken Publikums ergeht der eilige Bescheid: Lesen lohnt
nicht! Schon die Heftigkeit und Allgemeinheit der Reaktion will nicht so recht
zur Message passen. Warum widmet man einer Position, die ob ihrer Unmöglichkeit
eigentlich keinerlei Aufhebens verdient, einen wütenden Verriss nach dem
andern? Das fast schon eingeschläferte marxistische Restdenken reagiert
deswegen plötzlich allergisch, weil es sich mit der Mobilisierung gerade
jener Momente in der Marxschen Theorie konfrontiert sieht, die der Arbeiterbewegungsmarxismus
mehr als hundert Jahre endzulagern versucht hat: der emanzipatorischen radikalen
Kritik der warenproduzierenden Moderne. Es ist die Furcht vor dem Bruch mit
der eigenen linken Identität, die so viel liquidatorischen Eifer hervorruft.
An der Geschichte der letzten beiden Jahrzehnte fällt auf, wie reibungslos
die große Mehrheit der ehemaligen radikalen Linken in die offizielle bürgerliche
Welt von "Marktwirtschaft und Demokratie" eingetaucht ist. Im Schnelldurchgang
hat die westliche Neue Linke den langen Weg der Sozialdemokratie zur mitgestaltenden
Instanz in der Krisen- und Menschenverwaltung des kapitalistischen Unwesens
und auf die Ministersessel nachvollzogen. Mit derselben Windeseile haben sich
die staatskommunistischen Eliten des Ostens ohne schwere innere Kämpfe
in eine konkurrenzkapitalistische Mafia verwandelt. Auch die glorreiche KPdSU
ist nur noch ein chauvinistischer und antisemitischer "stinkender Leichnam".
Die fast geräuschlose Selbstverständlichkeit dieser Transformationen
verrät das Geheimnis, daß selbst die radikalste Linke in der Großepoche
von 1789 (oder 1848) bis 1989 immer ein integraler Bestandteil der bürgerlichen
Modernisierungsgeschichte gewesen ist. Wir haben es weniger mit einem erschütternden
Bruch als vielmehr mit einer Entpuppung zu tun. Am Ende des 20. Jahrhunderts
ist die bisherige radikale Linke dafür ebenso reif geworden, wie es die
Sozialdemokratie schon 1914 war.
Jene Trotz-Alledem-Linke, die ebenso wie der Kapitalismus bloß übrig
geblieben ist, steht zu dieser Entpuppung in einem verzweifelten Verhältnis.
Krampfhaft versuchen ihre Vordenker die kapitalistische Transformation des westlichen
Marxismus wie des östlichen Staatskommunismus noch einmal nach dem Muster
des Schismas von 1914 zu verarbeiten. Was aber damals noch ging, geht heute
nicht mehr. Die Wortführer der Restlinken können und wollen die reale
Entwicklung nicht mehr erklären, sondern ziehen sich auf ein ahistorisches
Niemandsland zurück. Der Bruch mit dem obsolet gewordenen Arbeiterbewegungsmarxismus
soll vermieden werden. So kann sich dieses Denken in seinen diversen akademischen,
sektenhaften, nostalgischen und an vergangenen Bewegungen orientierten Verfallsgestalten
nicht mehr weiterentwickeln, sondern bleibt auf der historischen Position stehen,
von der aus sich die Transformation der ehemaligen Genossinnen und Genossen
vollzogen hat. Gegen den neuen kapitalismuskonformen Realismus wird nicht mehr
die Zukunft, sondern nur noch die Vergangenheit geltend gemacht. Signifikant
in dieser Hinsicht ist die gemeinsame müde und halbherzige Verteidigung
des unrühmlich untergegangenen Staatssozialismus als einer "irgendwie"
doch nicht dem System kapitalistischer Warenproduktion zugehörigen Formation.
Man sollte meinen, das definitive Ende der Arbeiterbewegung und das ebenso definitive
Ende des Realsozialismus hätten eine fieberhafte Debatte um die grundsätzliche
Erneuerung der Kapitalismuskritik auslösen müssen. Aber nichts dergleichen
ist in der restlinken Szene zu beobachten, deren Wortführer stattdessen
die Parole ausgegeben haben: "Es gibt nichts Neues unter der Sonne".
Man hat sich einmal kurz geschüttelt, um dann weiterzumachen, als wäre
nichts gewesen. Aus diesem stumpf gewordenen Geist speisen sich auch sämtliche
linken Polemiken gegen "Schwarzbuch" und "Manifest". Obwohl
mit Händen zu greifen ist, daß sich ein Epochenbruch vollzogen hat
und die abgeschliffenen Statements des Marxismus an der kapitalistischen Wirklichkeit
des 21. Jahrhunderts abgleiten, sind die linken Resteverwerter bloß zum
Recycling ihrer beendeten Theoriegeschichte übergegangen. Aber nicht ein
ins Leere gehendes "Weitermachen" ist angesagt, sondern jenes schroffe
Wort von Marx, der Kommunismus als historische Bewegung müsse seine eigenen
gescheiterten Anläufe und vergangenen Versuche "grausam gründlich
verhöhnen".
Die Dechiffrierung des Arbeiterbewegungsmarxismus zeigt, daß er mit seinen
Kriterien der Kritik selber noch der bürgerlichen Vernunft verpflichtet
blieb. Die Essenz dieses Denkens bildete immer nur einen zweiten Aufguß
der Aufklärungsphilosophie, um die Ideale kapitalistischer Rationalität
gegen die schlechte kapitalistische Wirklichkeit einzuklagen. Indem sich die
Linke ängstlich am bürgerlich-liberalen Fortschrittsbegriff orientierte
und in der reaktionären Scheinkritik der Aufklärung nicht die andere
Seite derselben Medaille erkennen konnte, ließ sie sich auf die mit jedem
Entwicklungsschub des Systems neu aufbrechenden innerkapitalistischen Alternativen
vergattern. Diese große historische Bewegung formierte sich daher noch
"in" den Realkategorien und Vergesellschaftungsformen des Kapitalismus.
Abstrakte Arbeit, Warenform, Wert, Geld, Marktvermittlung, Staat, Nation und
Demokratie wurden als quasi neutrale ontologische Gegenstände behandelt,
die sozialistisch umfunktioniert werden sollten. Dieser Antikapitalismus blieb
auf das Adjektiv beschränkt; er wollte der abstrakten Arbeit kapitalistischer
Warenproduktion die ebenfalls Waren produzierende "sozialistische"
Arbeit, der bürgerlichen Demokratie und Politik die "sozialistische"
Demokratie und Politik, dem bürgerlichen Geld das "sozialistische"
Geld entgegensetzen.
Nachdem sich diese beschränkte Art der Kritik erschöpft hat, kann
der emanzipatorische Antikapitalismus nur noch abdanken oder "kategorisch"
werden. Die Grundformen kapitalistischer Vergesellschaftung sind jetzt selbst
zum Gegenstand radikaler Kritik zu machen; sie können nicht mehr als neutraler
gemeinsamer Kampfboden ausgeblendet bleiben. Diese Aufgabe ist so neu und unentwickelt,
daß die Ansätze ihrer Thematisierung sicherlich unvollkommen und
daher diskussionsbedürftig sind. An einer solchen Debatte hat die große
Koalition der restlinken Wortführer aber nicht das geringste Interesse.
Ihre Polemik muß den Gegenstand bis zur Unkenntlichkeit entstellen, weil
sie die Aufgabe als solche negiert. Es geht nicht um die kontroverse Klärung
offener Fragen, sondern um die ressentimentgeladene Abwehr der Fragestellung.
Diese Vorgehensweise ist nicht nur dem gewöhnlichen Abgrenzungshaß
der eitlen Platzhirsche geschuldet, sondern bedient ein nicht zu unterschätzendes
Bedürfnis. Was hier ausgetragen wird, ist der Todeskampf einer "klassenkämpferischen"
Identität, deren Verteidigung gegen die fortgeschrittene kapitalistische
Wirklichkeit zum eigentlichen Inhalt der Restlinken geworden ist. So vertritt
die Polemik Freerk Huiskens von der ehemaligen "Marxistischen Gruppe"
(MG) eine Art skelettierten, von jeder historischen Amalgamierung gereinigten
Museumsmarxismus, der unverdrossen "geschult" werden kann wie ein
Lehrbuch der Biologie. Dabei kommen die Defizite und inneren Widersprüche
des alten Klassenkampf-Paradigmas mit wünschenswerter Deutlichkeit zum
Vorschein.
Was das wert-unkritische, sich kategorial bloß innerhalb des warenproduzierenden
Systems bewegende Denken der Linken schon immer verfehlt hat, ist das Verhältnis
von objektivierten Fetischformen des Kapitals und handelnden gesellschaftlichen
Subjekten. Die Dialektik dieses Verhältnisses wurde entweder in einen kruden
Objektivismus aufgelöst oder in eine ebenso krude Anrufung diverser sozialer
Subjekte. Einerseits beschwor man positiv die ehernen "Gesetzmäßigkeiten"
der Ökonomie schlechthin, die noch als angebliche "ökonomische
Gesetze des Sozialismus" verlängert werden sollten, und glaubte als
Vollstrecker "objektiver Tendenzen" die Macht der Geschichte im Rücken
zu haben. Andererseits sollte genau diese steinere Objektivität stets in
ein subjektives soziales "Wollen" aufgelöst werden. Das ist das
Dilemma des bürgerlichen Aufklärungsdenkens überhaupt, das seinen
proklamierten "freien Willen" stets durch dessen eigene gesellschaftliche
Form desavouiert sieht.
In der Tradition des westlichen Marxismus hat sich die Restlinke bei ihrem Rückzugsgefecht
weitgehend auf die Seite der kruden Subjektivierung geschlagen. Bei MG-Huisken
etwa löst sich die positivistisch verkürzte Politische Ökonomie
letzten Endes in bloße Willensverhältnisse auf: Die einen
beuten aus, weil sie es "so wollen" und "etwas davon haben";
die anderen werden ausgebeutet, weil sie unbegreiflicherweise den "Willen"
ihres eigenen Interesses nicht genügend geltend machen, wofür ihnen
die MG dann gut aufklärerisch auf die Sprünge helfen möchte.
Dieses Konstrukt verkennt völlig, daß die Bewegung des auf sich selbst
rückgekoppelten Geldkapitals alle Bedürfniszwecke und Willensinhalte
der in seinem Funktionszusammenhang handelnden Subjekte übersteigt, denen
gegenüber es einen verselbständigten Mechanismus, gewissermaßen
eine gesellschaftliche Maschine oder ein "automatisches Subjekt" (Marx)
bildet ("So was gibt's?", fragt Huisken, seine umwerfende theoretische
Naivität enthüllend). Natürlich ist diese aus allen Bedürfnissen
"herausgelöste Ökonomie" (Polanyi) ihrerseits wieder ein
Resultat gesellschaftlichen Handelns, nämlich der frühmodernen Militärdespotien,
deren Protagonisten unbewußt die moderne Logik des auf die gesamte gesellschaftliche
Reproduktion übergreifenden "Geldmachens" entfesselten. Einmal
konstituiert, hat sich diese Logik aber von ihrem ursprünglichen Zusammenhang
emanzipiert und ist zur allgemeinen gesellschaftlichen Form jenseits der subjektiven
"Zwecke" geworden.
Die Menschen sind deshalb aber eben nicht "willenlose" Marionetten
eines irgendwo sitzenden Phantoms, sondern sie sind im Gegenteil aufgrund ihrer
eigenen, bereits vorgefundenen und vermeintlich selbstverständlichen gesellschaftlichen
Form dazu verdammt, gerade durch ihre subjektiven Willenshandlungen hindurch
die negative Objektivität des Kapitalfetischs tagtäglich zu reproduzieren.
Die Formkategorien und Mechanismen des Kapitals bilden keine Funktion von Willensverhältnissen,
sondern genau umgekehrt erweisen sich die Willensverhältnisse als abhängige
Funktion der verselbständigten Verwertungsbewegung. Es gibt auf dem
Boden des Kapitalverhältnisses immer Handlungsalternativen,
Willensgegensätze und subjektive Zwecke aller Art, ein buntes Treiben und
"Dichten und Trachten" - aber immer nur in derselben eisernen Form
des Werts, die das bestimmende Moment ausmacht. In den arbeiterbewegungsmarxistisch
vernagelten Schädel will es einfach nicht hinein, daß das bürgerliche
Willenssubjekt (selbstverständlich auch das der Lohnarbeit) apriori form-konstituiert
ist, bevor es überhaupt irgendetwas "gewollt" hat, und daß
diese in den Wert (die Verwertungsbewegung) eingeschlossene Form des
Willens, also die allgemeine Denk-, Handlungs- und Subjektform der Wertvergesellschaftung,
der eigentliche Gegenstand radikaler Kritik sein muß.
So bleibt es für dieses aufklärerische linke Bewußtsein auch
ein Buch mit sieben Siegeln, daß die Verwertung des Werts einen blinden
Selbstzweck darstellt. Huisken setzt hinter "blind" sofort sein
reizend empörtes Ausrufezeichen. Er patscht sich auf die Schenkel vor Lachen
über die Gestörten von der "Krisis", die im Kapitalismus
Irrationalität, Paranoia und metaphysische Verrücktheit am Werk sehen
(obwohl doch Marx sogar einem simplen Tisch in seiner Warenform "theologische
Mucken" zugesprochen hat). Und er wirft "Manifest" und "Schwarzbuch"
vor, daß darin der Kapitalismus "als Mischung aus Irrenanstalt, Morgue
und Mafia präsentiert" werde. Daran ist etwas Wahres. Statt die tiefe
Irrationalität des Kapitalverhältnisses (und damit der bürgerlichen
Vernunft) zu begreifen, unterstellt die abgewetzte aufklärungs-marxistische
Ideologie "dem Kapital" lediglich eine (feindliche) Rationalität
des Interesses und des dazugehörigen Willens: die subjektive Aneignung
und den Genuß des Reichtums durch die einen, von dem die anderen ausgeschlossen
bleiben.
Aber im Unterschied zu den Feudalherren verfressen und versaufen weder die Geldkapitalisten
noch die Manager das stoffliche Mehrprodukt. Vielmehr muß sich das akkumulierte
Kapital bei Strafe des Untergangs in der Konkurrenz unaufhörlich weiterverwerten,
also in den Verwertungsprozeß zurückgeschleust werden. Der exklusive
subjektive Reichtum ist nicht der Zweck der ganzen Veranstaltung, sondern selber
bloß ein unwesentliches Anhängsel und Abfallprodukt des übergeordneten
irrationalen Selbstzwecks. Der gewöhnliche linke Willensidiot stellt sich
als Repräsentant des kapitalistischen gesunden Menschenverstands so dumm,
wie er auch wirklich ist, wenn er dagegen treuherzig einwendet: Es ist doch
kein Selbstzweck, daß ich in der Fabrik arbeite und mein Geld verdiene,
weil ich mir etwas dafür kaufen "will"; und auch der Kapitalist
"will" doch bloß "seinen" Profit machen, wo ist da
der Selbstzweck? Unbewußt nimmt das linke aufklärerische Bewußtsein
dabei den Standpunkt der Mikroökonomie, des apriori konstituierten bürgerlichen
Marktsubjekts ein, dem seine eigene Zweckform unproblematisch bleibt. Es will
nicht wahrhaben, daß es seinen (von der kapitalistischen Form keineswegs
unbeeinflußten) subjektiven Bedürfniszwecken nur folgen kann, indem
es sich bedingungslos an den blinden Bewegungsprozeß des "automatischen
Subjekts" ausliefert und anpaßt.
Die nicht nur einem Huisken unbegreifliche radikale Kritik der allgemeinen,
in der Tat subjektlosen Form der sozialen Subjekte selber erscheint vom bornierten
Standpunkt des konkurrierenden Waren-Interesses aus als eine Art versöhnlerische
Menschheitsduselei, eben weil die Begriffe von Kritik und sozialem Kampf in
die bürgerliche Hülle eingeschlossen bleiben. Die negative Bestimmung
des gemeinsamen (aufzuhebenden, zu sprengenden) Bezugssystems wird absichtlich
mit einer klassisch "kleinbürgerlichen" Versöhnungspredigt
verwechselt, die aber ja immer gerade die gesellschaftliche Form des warenproduzierenden
Systems als positive Gemeinsamkeit beschwört. Diese bauernschlaue Verwirrung
der Begriffe soll darüber hinwegtäuschen, wie überaus "versöhnlich"
die gestandenen, aber inzwischen nur noch peinlich krachledernen Klassenkämpfer
dem kapitalistischen Formzusammenhang gegenüber sind.
Wie der systemtheoretische Objektivist die negative logisch-kategoriale Voraussetzung
des Kapitalverhältnisses in einen willenlosen, gar nicht anders möglichen
mechanischen Vollzug umdeutet, so löst umgekehrt der willensfromme Subjektemphatiker
die kapitalistische Gesellschaft in eine Veranstaltung von lauter letztlich
voraussetzungslosen "Tätern" und "Opfern" auf. Huisken
wird dabei zum bürgerlichen Obermoralisten und Verantwortungsethiker, der
die "tatsächlich Verantwortlichen" vorgeführt sehen möchte,
während er sich darüber erregt, das Leben der Manager als so erbärmlich
zu bezeichnen, wie es real ist. Das ist auch nur logisch, weil der tumbe Klassenkämpfer
die absurde kapitalistische Form des Reichtums positiv voraussetzt statt sie
zu kritisieren.
So bleibt er auf den Kampf um die Verteilung dieses Reichtums in der abstrakten
Geldform beschränkt. Würde aber der Geldreichtum der Milliardäre
tatsächlich auf die gesamte Menschheit umverteilt, so käme für
das (weiterhin abstrakte) Individuum dabei buchstäblich nur eine Handvoll
Dollars heraus. Das Problem ist gar nicht dieser persönliche Geldreichtum
der kapitalistischen Moguln, sondern die in der verallgemeinerten Geldform als
solcher liegende Restriktion der produktiven Potenzen, die dazu führt,
daß einerseits massenhaft Menschen von den Mitteln ihrer Bedürfnisbefriedigung
abgeschnitten und intakte Produktionsmittel stillgelegt werden, während
andererseits ebenso massenhaft Ressourcen in sinnlose oder gemeingefährliche
Produktionsprozesse fließen.
Schon seinem Begriff nach ist der "Klassenkampf" ein bloßer
Verteilungskampf innerhalb der gar nicht in Frage gestellten kapitalistischen
Formen. Denn die "Klassen" sind keine voraussetzungslosen Willensträger,
sondern eben vom subjektlosen Systemmechanismus konstituierte. Indem sie ihr
konstituiertes Interesse in der Waren- und Geldform verfolgen, erkennen sie
ganz bewußtlos die Herrschaft des "automatischen Subjekts" an.
Der "Klassenkampf" ist somit eine der sozialen Formen, in denen sich
das Kapitalverhältnis selber bewegt, und nicht die Form seiner Überwindung.
Er besetzt eine Ebene der allseitigen Konkurrenz, die aber keineswegs die einzige
ist. Das Kapitalverhältnis enthält außer der in seinen Systemzusammenhang
eingeschlossenen Konkurrenz von Lohnarbeit und Kapitalrepräsentanz nicht
nur die Konkurrenz der Einzelkapitalien und Nationalökonomien, sondern
eben auch die Konkurrenz der Lohnarbeiter untereinander.
Die niemals vollständige und grundsätzliche, sondern immer bloß
partielle und vorübergehende Aufhebung dieser Konkurrenz durch Arbeiterparteien
und Gewerkschaften lebte wesentlich von einer relativen Unterentwicklung des
Kapitalverhältnisses: Solange die "unterständische Masse"
der Lohnarbeiter noch nicht als vollgültige Rechts- und Staatsbürgersubjekte
anerkannt waren, enthielt der "Klassenkampf" ein überschießendes
Moment, das die anderen Ebenen der Konkurrenz überlagern konnte. Aber gerade
dieses Moment war von vornherein nicht auf eine Emanzipation von der Lohnarbeit,
sondern im Gegenteil auf eine innerkapitalistische Emanzipation zur und in der
Lohnarbeit angelegt. Der "Klassenkampf" wurde so im 19. und 20. Jahrhundert
geradezu ein Motor der weiteren kapitalistischen Entwicklung. Erst durch den
Clinch der vom Kapitalverhältnis konstituierten sozialen Großsubjekte
hindurch konnte das übergeordnete "automatische Subjekt" zum
allgemeinen und weltweit gültigen irrationalen Grundmechanismus der Gesellschaft
ausreifen. Der Erfolg des "Klassenkampfs" war gleichzeitig eine Falle:
Die Menschen wurden so erst vollständig (und auch innerlich) auf die Subjektform
des Werts festgenagelt. Je erfolgreicher der Kampf um innerkapitalistische "Rechte"
und "Anerkennungen" war, desto bedingungsloser wurde gleichzeitig
die Selbstauslieferung an die damit verbundene kapitalistische Form.
In demselben Maße, wie der "Klassenkampf" gerade aufgrund seines
Erfolgs das überschießende Moment einbüßte und die kapitalistisch
konstituierte Subjektform allgemein verankert war, mußte diese Ebene der
Konkurrenz auch wieder hinter die anderen zurücktreten. Die Konkurrenz
zwischen Lohnarbeit und Kapitalrepräsentanz wird nun im Zuge der Globalisierung
überlagert von der Konkurrenz der Einzelkapitalien und der Lohnarbeiter
untereinander (Standortdebatte, "jeder sein eigener Standort", "der
Mensch als Unternehmer seiner Arbeitskraft" usw.). Die übrig gebliebenen
Ideologen des "Klassenkampfs" sind bloß noch intellektuelle
Biertisch-Veteranen, die mit den zur Kenntlichkeit veränderten Verhältnissen
nicht mehr zurecht kommen. Vollends lächerlich wird in einer verallgemeinerten
Welt von abstrakter Arbeit und Geldform die archaische Gegenüberstellung
von "Arbeitern" und bärenhäuterischen, bloß aneignenden
"Nichtarbeitern" angesichts von fanatisch arbeitssüchtigen Managern
und seltsamen "Gründer"-Gestalten, die auch noch stolz auf die
8o-Stundenwoche sind, in der sie buchstäblich selbstlos auf den Ruin der
Menschheit hinarbeiten.
Wie innerhalb der ausgereiften Wertvergesellschaftung die Konkurrenz eine allseitige
und die diversen Funktionsträger übergreifende gemeinsame Form bildet,
so auch die Form der abstrakten Arbeit, die sich keineswegs auf die Lohnabhängigen
beschränkt. Diese Realabstraktion, vom Arbeiterbewegungsmarxismus als überhistorische,
ontologisch-anthropologische Existenzbedingung des Menschen mißverstanden
und zum großen Hebel für die Überwindung des Kapitalverhältnisses
erklärt ("Befreiung der Arbeit"), erweist sich als spezifisch
kapitalistische Tätigkeitsform. Nur im betriebswirtschaftlichen Funktionsraum
der aus allen Bedürfnissen "herausgelösten Ökonomie"
macht die "gleichsetzende", dem Inhalt gegenüber gleich-gültige
Abstraktion "Arbeit" überhaupt Sinn.
Wie Huisken die auch dem "Klassenkampf" inhärente übergreifende
Form der Konkurrenz ausblenden muß, um diesem weiterhin einen über
das System hinausreichenden Impetus andichten zu können, ebenso muß
er auch den kapitalistischen Charakter der Realabstraktion "Arbeit"
ableugnen. Für ihn handelt es sich wie gehabt unproblematisch und überhistorisch
um die schlichte "Erledigung von Notwendigkeiten", die bloß
äußerlich vom kapitalistischen "Willenszweck" der "tatsächlich
Verantwortlichen" überformt worden ist. Daß er dabei nicht mehr
das Arbeitsethos der alten realen Klassenkämpfer bemüht, sondern gut
fordistisch mit dem Warenkonsum als Motiv locken will, verbessert seine Lage
nicht. Denn was Huisken nicht weiß, ist jedem Kind bewußt: Warenkonsum
ist an Geld, Geld an "Arbeit" und diese wieder an die Konkurrenz gebunden.
Die MG möchte die Lohnarbeiter als "konsequente Interessenkämpfer"
zu einer Art bewußten Verantwortungslosigkeit gegenüber dem Kapitalismus
bewegen, ohne jedoch dabei die kapitalistische Form dieses Interesses in Frage
zu stellen. Die Aufhebung dieser Form (falls diese überhaupt in Frage käme)
erscheint bestenfalls als unbedeutendes technisch-organisatorisches Problem.
Geld und Warenkonsum zu fordern ohne Rücksicht auf den kapitalistischen
Funktionsmechanismus, ist aber ein Widerspruch in sich. Man kann sich nicht
in den kapitalistischen Formen von diesen emanzipieren. Es ist die Subjekt-
und Interessenform selbst, die den darin Handelnden eine Verantwortung gegenüber
dem "automatischen Subjekt" aufnötigt, wie sie durch die Konkurrenz
exekutiert wird.
Was ist nun die Konsequenz? Je lauter die Restlinke "Klassenkampf"
schreit, desto weniger wird sie trotz der zunehmenden sozialen Misere gehört.
Auch immanente Teilkämpfe etwa gegen den Billiglohn, die unverschämten
Zumutungen der Sozialverwaltung usw. sind nur noch möglich, wenn die dafür
nötige partielle Aufhebung der Konkurrenz einen anderen Bezugspunkt findet
als jene vergangenen überschießenden Momente des alten "Klassenkampfs".
Dieses Moment einer transzendenten Referenz kann jetzt nicht mehr in der Zielsetzung
eines weiterhin warenproduzierenden Sozialismus und eines vermeintlich von der
Konkurrenz befreiten "Geldverdienens" bestehen, sondern eben nur noch
in der radikalen Kritik des bürgerlichen Formzusammenhangs selber, also
auch der eigenen Subjekt- und Interessenform.
Und damit ist auch klar, daß es kein vom Kapitalverhältnis selber
konstituiertes Sozialsubjekt sein kann, das ausgerechnet qua seiner objektiven
Stellung in diesem Verhältnis dessen Überwindung bewerkstelligen soll.
Die Anrufung der "Arbeiterklasse" als "an sich" schon prädestiniertes
Aufhebungsssubjekt, das nur noch "für sich" bewußt werden
muß, hat sich erledigt. Die arbeiterbewegungsmarxistische Vorstellung
von einer "objektiv" durch die kapitalistische Konstitution selber
angelegten Emanzipation ist bloß absurd. Der linke aufklärerische
Willensidiot blamiert sich mit diesem Konstrukt gerade als blanker Objektivist.
Ironischerweise kann die "Willensfrage" erst jenseits des kapitalistisch
formbestimmten "Klassenkampfs" in ihr Recht gesetzt werden. Die radikale
Kritik des vom Verwertungsprozeß bestimmten subjektlosen Formzusammenhangs
ist möglich, weil die davon bedingten Leiden und schreienden Widersprüche
praktisch und massenhaft erfahren werden. Die bürgerliche Subjektform ist
nicht hermetisch geschlossen. Aber ihre radikale Kritik kann sich auf kein "objektiv"
vordefiniertes und abgrenzbares Sozialsubjekt beziehen.
Eine radikale Gegenbewegung kann sich nur selbst konstituieren, indem sie tatsächlich
die bürgerliche Interessenform mit allen ihren irrationalen Implikationen
bewußt nicht mehr will. Die Gesellschaft polarisiert sich dann
quer durch alle Funktionsträger, Klassen, Gruppen, Schichten usw. in ein
Lager, das die herrschende Form mit aller Gewalt erhalten und ein Gegenlager,
das sie überwinden will. Der Maschinenarbeiter in der Rüstungsindustrie,
die alleinerziehende Mutter, der Langzeitarbeitslose, die Elendsunternehmerin,
der Billiglöhner und selbst der Manager usw. können bei dieser einmal
in Gang gekommenen Polarisierung hüben oder drüben stehen, das kann
gar nicht "objektiv" vorentschieden sein.
Die ihre eigene Beschränktheit nicht begreifenden Restideologen des "Klassenkampfs"
blicken mit grundlosem Hochmut auf die Beschränktheit der neuen sozialen
Bewegungen seit den 80er Jahren herab. Zum einen waren diese Bewegungen eine
unreflektierte Reaktion auf das Ende der Arbeiterbewegung. Zu Recht konnten
ihre Träger mit der anachronistisch gewordenen arbeiterbewegungsmarxistischen
Form der Kapitalismuskritik nichts mehr anfangen. Damit verloren sie allerdings
in falscher Unmittelbarkeit und auf der Grundlage eines kruden Naturbegriffs
den kritischen Bezug auf das Ganze der kapitalistischen Gesellschaft; sie formierten
sich als "Einpunktbewegungen", die auf ihre Weise nicht weniger als
die alte Arbeiterbewegung auf die kapitalistischen Formen fixiert blieben. Zum
andern aber konstituierten sie sich tatsächlich bereits selbst, es waren
der Form nach keine qua "Stellung im Produktionsprozeß" des
Kapitals vorsortierten "Klassenbewegungen" mehr.
Die auf die Erscheinungsebene beschränkte Ein-Punkt-Kritik hat sich inzwischen
ebenfalls völlig erschöpft; die Erkenntnis ihrer Grenzen setzt die
erneuerte Kritik des gesellschaftlichen Ganzen, also des Kapitalverhältnisses,
auf die Tagesordnung. Aber dies kann keine Rückkehr zur Klassenkampf-Ideologie
sein. Die Zukunft der radikalen Kapitalismuskritik wird wertkritisch sein oder
sie wird gar nicht sein. Diese radikale Kritik des "automatischen Subjekts"
und der davon bestimmten gesellschaftlichen Formen muß keineswegs bei
theoretischen Abstraktionen stehen bleiben, die für die meisten Menschen
unverständlich sind. Wie sich bereits zeigt, kann die Kritik der "Arbeit"
und der Betriebswirtschaft mit den Alltagserfahrungen vermittelt und verständlicher
gemacht werden, als es den Wortführern des klassenkämpferischen "unglücklichen
Bewußtseins" lieb ist. Deswegen mußten sie ja auch so sauer
reagieren.