Startseite Krise und Kritik der Warengesellschaft


Eine Woche Wert-Abspaltungskritik und Urlaub

Termin: Sonntag, 22. August 2010, Anreise bis 17:00 Uhr
Sonntag, 29. August 2010, Abreise nach dem Frühstück
(Für Frühabreiser: Programmschluss Samstag, 28. August 2010, 17:30 Uhr)

Ort: Europäische Jugenderholungs- und Bildungsstätte
am Werbellinsee (Altenhof bei Berlin)

Teilnahmegebühren und Anmeldung:

Tagesgäste, die einzelne Veranstaltungen besuchen wollen, sind herzlich willkommen.

Programm:

Sonntag, 22. August 2010, ab 20:00 Uhr:

Ankommen, Wiedersehen, Kennenlernen

Montag, 23. August 2010

10:00 Uhr

Spaziergang durch das Gelände – für Neugierige

15:00 Uhr

Robert Kurz: Zur Geschichte der Wertkritik – Der historische Bedingungszusammenhang der Theoriebildung

Eine neue kritische Theorie wie die Wert-Abspaltungskritik entsteht immer aus der Auflösung von Widersprüchen der älteren kritischen Theorien im Zusammenhang mit der realen gesellschaftlich-historischen Entwicklung. Es handelt sich also nicht um geniale Einsichten des freischwebenden reinen Intellekts. Andererseits muss gerade deswegen jede neue kritische Theorie einen Anspruch auf historische (d.h. bedingte, begrenzte) Wahrheit erheben. Nicht weil ihre Träger und Protagonisten klüger sind als die früheren, sondern weil sie sich auf veränderte Bedingungen bezieht, in der sich der Kapitalismus zur fortgeschrittenen Kenntlichkeit entwickelt hat. Deshalb kann die neue kritische Theorie nicht einfach eine andere Interpretation des als unverändert unterstellten Kapitalismus liefern, sondern sie muss gleichzeitig das Terrain der veränderten Verhältnisse analysieren, ihren eigenen Ort im historischen Prozess reflektieren und sich selbst erklären können. Dieser Problem-und Bedingungszusammenhang soll in fünf Aspekten erläutert und dargestellt werden.

Erstens ist zunächst festzuhalten, dass das genannte Problem nur in der Subjekt-Objekt-Dialektik der dynamisierten modernen Fetischverhältnisse besteht. Dabei haben sich in der Konstitution des Kapitalismus die eigenen Handlungen, Hervorbringungen und Verhältnisse den Akteuren gegenüber blind objektiviert und verselbständigt. Erst daraus entsteht die Aufgabe der Kritik, diesen Zusammenhang zu erklären und zu überwinden, und erst daraus ergibt sich der Anspruch einer „objektiven Wahrheit“ in Bezug auf die so verfasste Gesellschaft. Mit der Überwindung der negativen Objektivität wird auch diese Art der Theoriebildung gegenstandslos, aber erst dann. Diese negative Objektivität ist aber keine statische, sondern eine dynamische. Deshalb dürfen die kapitalistischen Grundkategorien auch nicht als statische gedankliche Abstraktionen festgehalten werden, zu denen die empirische Geschichte nur in einem äußerlich-akzidentiellen Verhältnis steht (Kapitalismus als ewige Wiederkehr des Gleichen). Vielmehr sind diese Kategorien als reale auch real historisch-dynamische, die in ihrem inneren Entwicklungsprozess einer fortschreitenden kritischen Darstellung und Analyse bedürfen.

Diese Bestimmung soll zweitens in Grundzügen erläutert werden an der Differenz zwischen der Wert-Abspaltungstheorie und der sogenannten „neuen Marxlektüre“. Dabei geht es im Wesentlichen um den Unterschied zwischen einer historischen und einer philologischen Auffassung der Marxschen Theorie. Dieses epistemische Grundproblem lässt sich an der Theoriebildung einer „Rekonstruktion der Kritik der politischen Ökonomie“ in der neuen Linken seit den 1960er Jahren aufweisen. In der Folge hat dies zu einem völlig gegensätzlichen Verständnis des „doppelten Marx“ bei der Wert-Abspaltungskritik und bei der „neuen Marxlektüre“ (insbesondere Michael Heinrich) geführt.

Drittens geht es um die Geschichte der Wert-Abspaltungstheorie selbst in den letzten 25 Jahren. Diese neue kritische Theorie konnte sich zunächst gewissermaßen selbst nicht „wissen“. Es handelte sich, ausgehend vom Zustand der Linken in den 1980er Jahren und den damaligen gesellschaftlichen Bedingungen, um ein mühsames Herausarbeiten aus dem traditionellen Marxismus, das in seinen wichtigsten Stationen nachgezeichnet werden soll (Eigenständigkeit der Theorie gegenüber dem Praxisimperativ, Kritik des Positivismus, Kritik der Sowjetökonomie, Kritik der Wertform und der Arbeitsontologie, schließlich als entscheidende – meist nicht als solche wahrgenommene – Weiterentwicklung die Kritik des geschlechtlichen Abspaltungsverhältnisses und der androzentrisch-universalistischen Aufklärungsvernunft). Erst ab einem bestimmten Grad der Theoriebildung schälte sich diese als eigenständiges und umfassendes neues Paradigma einer „kategorialen Kritik“ heraus, das eine historische Einordnung der Theorie- und Bewegungsgeschichte vornehmen konnte; auch wenn dieser Zusammenhang bis jetzt noch nicht vollständig ausformuliert ist.

Viertens soll diese begrifflich-analytische Einordnung in Grundzügen vorgestellt werden. Dabei geht es zum einen um die gesellschaftliche Bestimmung des „Arbeiterbewegungsmarxismus“ in der historischen Bedingtheit seiner Auffassungen von Kapitalismus und Sozialismus/Kommunismus unter Einschluss des „doppelten Marx“. Diese Epoche fand ihr Ende mit der Niederlage gegen den NS und setzte sich in Ausläufern bis nach dem 2. Weltkrieg fort. Zum andern geht es um die gesellschaftliche Bestimmung des „Postmodernismus“ bzw. der postmodernen Linken (Poststrukturalismus, Postoperaismus) ebenfalls in der historischen Bedingtheit ihrer Auffassungen von Gesellschaftskritik. Dazu gehört die neoliberale Epoche einer Virtualisierung des Kapitals (Finanzblasen-Ökonomie) mit entsprechenden ideologischen Mustern ebenso wie der Übergang des „Linksseins“ in eine soziale Mittelschichtsorientierung. Die Wert-Abspaltungstheorie als „kategoriale Kritik“ setzt sich von Arbeiterbewegungsmarxismus und Postmodernismus nicht nur im Verständnis des Kapitalismus und seiner Krisendynamik auf der Höhe der erreichten Entwicklung ab, sondern sie erhebt auch den Anspruch, das Feld der theoretischen Auseinandersetzung in seiner historisch-gesellschaftlichen Verfasstheit mitzureflektieren und auf den Begriff zu bringen.

Fünftens schließlich ergibt sich daraus ein Problem für die Rezeption der Wert-Abspaltungstheorie, die ebenfalls von den gesellschaftlichen Bedingungen geprägt ist. Das neue Paradigma ist zwar in gewisser Weise in die linken Szenen und Bewegungszusammenhänge eingesickert, aber nur bruchstückhaft in der Isolierung einzelner Momente (etwa der Arbeitskritik) und „praxeologisch“ herunter gebrochen. In dieser Rezeptionsweise wird die „kategoriale Kritik“ nicht als umfassende neue Theorie mit historischem Wahrheitsanspruch wahrgenommen, sondern eklektisch mit traditionsmarxistischen und postmodernen Theoremen amalgamiert. Aus dem Eklektizismus ergibt sich aber keine übergeordnete Synthese, sondern nur eine Verwässerung und Aufweichung des ganzen Ansatzes bis zur Unkenntlichkeit. Wahrheitsmomente der älteren, immer noch den Mainstream der Linken dominierenden Theorien werden nicht kritisch integriert, sondern die Wert-Abspaltungstheorie bzw. „kategoriale Kritik“ selber wird eher desintegriert. Das hat etwas mit einem postmodern sozialisierten Bewusstsein zu tun, das sich auf einem „Markt der Meinungen“ oder an einer theoretischen Supermarkt-Theke wähnt, aus der es sich ein individuelles „Menü“ zusammenstellen kann. Jedes Kriterium für die objektive, historisch bedingte Wahrheit fehlt und damit auch jede Bestimmtheit in der Auseinandersetzung. Die Wert-Abspaltungstheorie ist nicht sakrosankt und immun gegen Kritik, aber wer sich damit eigenständig befassen will, muss sich auch auf die darin enthaltene Reflexion der historischen Entwicklung und Bedingtheit einlassen, weil nur so die Auseinandersetzung nicht in einem ahistorischen Raum schwebt, in dem alle Katzen der Theorie grau sind.

20:00 Uhr

„Was ist eigentlich Wert?“
Interviewrunde zur Wert-Abspaltung und aktuellen Theorieentwicklungen.
Moderation: Holger Hiller
Es antworten: Roswitha Scholz, Robert Kurz, Claus Peter Ortlieb und Frank Rentschler

Dienstag, 24. August 2010

10:00 Uhr

Frank Rentschler: Anknüpfungs- und Abstoßungspunkte zur Wert-Abspaltung in der feministischen Theorie

Der Vortrag bewegt sich entlang der Problemstellung, wie sie schon in Roswitha Scholz „Urtext“ der Wertabspaltungskritik (Der Wert ist der Mann, 1992) formuliert wurde. Dort wurde eine doppelte Abgrenzung vorgenommen. Zum einen zur feministischen Arbeitsontologie, wie sie sich insbesondere in der Hausarbeitsdebatte zeigt, der ein offenkundiges verkürztes und unkritisches Verständnis von „Wert“ zugrunde liegt. Zum anderen von der klassischen Wertkritik, die von der Geschlechtsneutralität des modernen Subjekts ausgeht, diesbezügliche feministische Einwände insbesondere aus dem Strang der Vernunftkritik konsequent ignoriert und das patriarchalische an der Wertvergesellschaftung dadurch auszublenden versucht, indem mit einem Patriarchatsbegriff operiert wird, über den die feministische Diskussion schon längst hinweg ist. Beide Probleme sollen anhand klassischer Texte illustriert und vertieft werden. Nachdem die Unfruchtbarkeit der feministischen Hausarbeitsdebatte (Wie lässt sich der Wert von Hausarbeit bestimmen) aufgezeigt, die Unzulänglichkeit der klassischen Wertkritik heraus gearbeitet worden ist, und die Verortung der Geschlechterfrage auf der engeren Wertebene durch eine Neuinterpretation des Gebrauchswerts (vorgenommen in dem Aufsatz „Geschlechterfetischismus“ von Robert Kurz 1992) dargelegt wurde, steige ich ein in feministische Vernunftkritik. Gezeigt werden soll, wie sich die symbolische Ordnung des Geschlechts in der Moderne darstellt, wie sie sich reproduziert und auch wandelt und was in diesem Zusammenhang das „gesellschaftlich Unbewusste“ heißt. Abschließend soll auf einen Text in der feministischen Debatte (Hildegard Heise: Flucht vor der Widersprüchlichkeit. Kapitalistische Produktionsweise und Geschlechterbeziehung. Frankfurt 1986) eingegangen werden, der - was die engere Wertbestimmung angeht - näher an der Wertabspaltungskritik dran ist als andere feministische Texte, jedoch durch Ausblendung des vorher skizzierten vernunftkritischen Strangs trotzdem ziemlich in die Irre führt. Insofern ist der Vortrag auch als Plädoyer zu verstehen, den patriarchalen Charakter der Wertvergesellschaftung auf mehreren Ebenen (engere Wertebene, symbolische Ordnung, gesellschaftlich Unbewusstes) zu verorten, wie es Roswitha Scholz in ihrem Buch „Das Geschlecht des Kapitalismus“ getan hat.

15:00 Uhr

Roswitha Scholz: Wert-Abspaltung – Die Verwilderung des Patriarchats in der Postmoderne

Wertkritik war lange Zeit androzentrisch verfasst und ist es zum Teil heute noch. Und Arbeiten etwa zur „neuen Marxlektüre“ scheren sich um die hierarchischen Geschlechterverhältnisse kaum. Dem stellt sich die Wert-Abspaltungskritik entgegen.Nach der Darstellung einiger grundsätzlicher Aspekte der Wert-Abspaltungstheorie, insbesondere im Verhältnis zu den Grundkategorien des Kapitals, sollen in dem Vortrag die nach wie vor asymmetrischen Geschlechterverhältnisse in der Globalisierungsära in Augenschein genommen werden.

In der Moderne bildeten sich neue Geschlechtervorstellungen aus. Dem „Mann“ wurden Eigenschaften wie Rationalität, Charakterstärke, Durchsetzungsvermögen etc. zugeschrieben; die „Frau“ wurde hingegen mit Emotionalität, Sinnlichkeit, Charakterschwäche usw. in Verbindung gebracht: Männer sollten für die Öffentlichkeit und das Erwerbsleben geschaffen sein, Frauen von "Natur“ aus für die Tätigkeiten in der Privatsphäre (Liebe, Hege, Pflege, „Hausarbeit“). Derartige Vorstellungen, die zunächst auf das Bürgertum beschränkt waren, breiteten sich mit fortschreitender Entwicklung auf alle Klassen und Schichten aus. Bestimmte Momente der Reproduktion, die nicht in der „abstrakten Arbeit“ aufgehen, wurden von der offiziellen Gesellschaftlichkeit abgespalten und an die Frauen delegiert. Bei der Integration von Frauen in Erwerbsarbeit und Öffentlichkeit blieb dieses Abspaltungsverhältnis erhalten und setzte sich auch in diesen Bereichen fort. Die Abspaltung ist kein aus dem Wertverhältnis abzuleitender „Sekundärbereich“, sondern durchzieht die gesellschaftliche Totalität und ist kategorial „gleichursprünglich“ und auf derselben Abstraktionsebene zu fassen. Daraus ergibt sich ein anderer, gebrochener Begriff „konkreter Totalität“ als im bisherigen androzentrisch-universalistischen Verständnis.

Seit den 1950er Jahren hat sich das Wert-Abspaltungsverhältnis mit fortschreitender Erwerbstätigkeit von Frauen modifiziert und zugespitzt. Dabei kommt es in der Postmoderne einer Aufweichung des traditionellen Geschlechterarrangements: Frauen haben mit den Männern bildungsmäßig gleichgezogen und werden „doppelt vergesellschaftet“ (Regina Becker-Schmidt), d.h. sie sind für Familie und Beruf gleichermaßen zuständig. Umgekehrt droht nun auch Männern eine „Hausfrauisierung“ im Zuge des Prekärwerdens der Beschäftigungsverhältnisse. Die Institutionen Familie und Erwerbsarbeit erodieren, ohne dass neue tragfähige Sozial- und Reproduktionsformen an ihre Stelle treten. Dem grundsätzlichen Verfall der Ökonomie entspricht eine Verwilderung des Patriarchats in der Globalisierungsära, so meine These.

In der Kollaps-Situation droht Frauen heute vor allem die Funktion von Krisenverwalterinnen zugewiesen zu werden. Sie kommen dann vermehrt an die „Macht“, wenn der Kapitalismus an die Wand fährt; bei gleichzeitiger Zuständigkeit für den Reproduktionsbereich und die abgespaltenen Momente überhaupt. Grundsätzlich betont werden muss schließlich noch einmal, dass sich die Wert-Abspaltungskritik keineswegs bloß auf die Geschlechterproblematik im engeren Sinne bezieht. Vielmehr bestimmt die Wert-Abspaltung als Grundprinzip die gesamte Gesellschaft wesentlich, was auch in der Krisenanalyse zum Ausdruck kommen muss.

20:00 Uhr

Robert Kurz: Krisen- und Zusammenbruchstheorie. Zur absoluten inneren Schranke der Verwertung

Der Begriff der „Zusammenbruchstheorie“ ist ein Reizwort in der Linken, befrachtet mit einem pejorativen ideologischen Verständnis. Dabei geht es zunächst um den Vorwurf des „Objektivismus“. Deshalb soll das Problem zuerst anhand der Subjekt-Objekt-Dialektik in der kapitalistischen Fetisch-Konstitution erläutert werden, nämlich als Verhältnis von „Krise und Kritik“, wie es die Linke schon immer umgetrieben hat. Wenn Krise und Kritik identisch gesetzt werden, resultiert daraus entweder ein objektivistisches oder ein subjektivistisches Verständnis. Deshalb sind die Begriffe von Krise und Kritik strikt auseinanderzuhalten.

Im zweiten Schritt soll die Geschichte der marxistischen Krisentheorie kurz skizziert werden. Marx hat keine kohärente, sondern eine fragmentarische Krisentheorie hinterlassen, was zu einer langen Auseinandersetzungsgeschichte herausgefordert hat. Der Status einer „Zusammenbruchstheorie“ wird dabei heute in der Regel historisch falsch bestimmt (so bei Michael Heinrich). Bei Marx findet sich der Begriff einer historischen „inneren Schranke“, der aber allmählich verloren ging. Das ist nicht nur ein inner-krisentheoretisches Problem, sondern hat etwas damit zu tun, dass der Arbeiterbewegungsmarxismus ebenso wie die postmoderne Linke die Frage der „kategorialen Kritik“ ausgeblendet haben und sich nur immanent auf dem Boden des kapitalistischen Formzusammenhangs bewegten. Die Frage der „inneren Schranke“ ist aber diejenige einer „kategorialen Krise“, die mit einer „kategorialen Kritik“ verbunden ist und zum Postulat eines „kategorialen Bruchs“ führt.

Als nächster Schritt soll der Unterschied zwischen einem zirkulationstheoretischen und einem produktionstheoretisch-gesamtsystemischen Begriff der Krise deutlich gemacht werden. Beide Momente finden sich bei Marx. Die Vorstellung einer bloßen „Reinigungskrise“, die zum Funktionieren des Kapitalismus gehöre, ist zirkulationstheoretisch verkürzt. Ein ganz anderes Bild ergibt sich, wenn die Marxschen Ansätze in den „Grundrissen“ und im 3. Band des „Kapital“ herangezogen werden. Entscheidend dabei ist der Begriff der Arbeitssubstanz. Nicht umsonst zeigt sich hier die entscheidende Differenz zum Postmodernismus und zur „neuen Marxlektüre“ (Substanzbegriff der abstrakten Arbeit als Verausgabung von „Nerv, Muskel, Hirn“, Warencharakter des Geldes, tendenzieller Fall der Profitrate). In der historischen Dynamik des Kapitalismus, bedingt durch die von der Konkurrenz erzwungene Produktivkraftentwicklung, entsteht ein Missverhältnis von totem Sachkapital und Arbeitskraft, das zunächst durch den relativen Mehrwert und die Expansion der Märkte kompensiert wird, schließlich aber in einem absoluten Abschmelzen der gültigen Arbeitssubstanz kulminiert. In diesen Prozess eingeschlossen ist die historische Expansion des Kreditsystems.

Schließlich soll die historisch-empirische Konkretisierung der „radikalen Krisentheorie“ anhand der Geschichte der dritten industriellen Revolution skizziert werden. Die absolute „innere Schranke“ der realen Mehrwertproduktion auf dem neuen Produktivitätsniveau mangels neuer Verwertungspotentiale impliziert eine Entwertung aller Kapitalbestandteile (Geldkapital, Sachkapital, Arbeitskraft, Warenkapital, Geldware als solcher). Dieser historische Entwertungsprozess wurde gebrochen und modifiziert durch eine beispiellose Finanzblasen-Ökonomie und davon genährte Defizitkonjunkturen bzw. globale Defizitkreisläufe. Nach deren Zusammenbruch wurde das Problem von den Finanzmärkten auf den Staatskredit bzw. die Notenbanken zurückverlagert. Abschließend soll das Verhältnis von Staat und Geld erörtert werden. Die staatskapitalistische Krisenverwaltung löst die Krise nicht, sondern bildet nur die letzte Verlaufsform, in der sich die „innere Schranke“ manifestiert.

Mittwoch, 25. August 2010

15:00 Uhr

Georg Gangl, Elmar Flatschart: Dialektik-Workshop

In marxistischen Debatten gibt es wohl kaum einen Themenkomplex, der streitbarer wäre als derjenige rund um die (Marxsche) Dialektik. Oft gilt eine einfache Faustregel: Wenn es kompliziert oder allzu widersprüchlich hergeht, dann müssen die Dinge dialektisch gesehen werden. Viel gesagt ist damit noch nicht und keineswegs umsonst stehen die meisten kritischen Geister der Dialektik als Universalschlüssel der Erklärung sehr skeptisch gegenüber. Zu diesem rhetorischen Gebrauch des Begriffs, der insbesondere auch in den realsozialistischen Ländern als Todschlagargument benutzt wurde, gibt es kein wahrlich zurück mehr, denn erklärt wird damit nun mal so gut wie nichts. Eine alleinige Rückkehr ad fontes, zu Marx, kann es aber genauso wenig geben. Bekanntermaßen hat Marx seine geplante 30 Seiten Schrift über die rationalen Elemente der Hegelschen Dialektik nie verfasst und die spärlichen Explikationen seiner eigenen „dialektischen Methode“ gehen über einzelne Hinweise und Problemaufrisse kaum hinaus. Auch bei Angela Merkel, die die Dialektik wohl eher im erstgenannten, legitimatorischen Sinne einmalig in den Mund genommen und sich nach Gebrauch wohl auch schon auf die Zunge gebissen hat, oder etwa Friedrich Engels, der zumindest ein Fragment namens „Dialektik der Natur“ verfasst hat, finden sich kaum ergiebigere Ausführungen dazu, was denn nun unter Dialektik genau zu verstehen sei.

Dabei sind Fragen rund um die „Marxsche Methode“ und die Dialektik im Allgemeinen geradezu zentral für ein Verständnis des Marxschen Werkes. Nicht umsonst haben sich Generationen von marxistischen PhilosophInnen deswegen Gedanken über die verflixte Dialektik gemacht – Louis Althusser z.B. wollte die Marxsche Dialektik fein säuberlich von derjenigen Hegels getrennt wissen und ein marxistischer „Shooting Star“ wie Antonio Negri möchte sie gar mit Stumpf und Stiel aus dem Marxschen Werk getilgt sehen. Diese Auseinandersetzungen weisen der Beschäftigung mit der Dialektik eine gewisse Richtung: Möchte eins die Frage nach der Dialektik im Marxschen Werk stellen, so gilt es nolens volens, das Verhältnis von Marx zu Hegel genauer zu beleuchten. Denn wenn die Marxsche Dialektik eine gewisse Methode designieren soll, wie Marx selbst an mehreren Stellen betont, dann stellt sich sogleich die Frage ein, welche Realität mit dieser Methode erfasst werden soll, ja es geht sodann eigentlich vordergründig darum, ebenjene Realität zu dechiffrieren, die nach einer dialektischen Darstellung verlangt – die Methode lässt sich nicht einfach so von demjenigen trennen, das mit ihr erfasst werden soll.

Dergestalt formuliert lässt sich das Ziel unseres Workshops schon eher umreißen. Mit Hilfe neuerer wissenschaftstheoretischer Literatur wollen wir nach dem Problem der Dialektik im Marxschen Werk fragen und somit den ontologischen, epistemologischen und methodologischen Besonderheiten des Marxschen dialektischen Ansatzes nachspüren. Zu diesem Zwecke wird auf der Zentralität des Widerspruchsbegriffes im Sinne einer „strikten Antinomie“ beharrt werden. Marx kommt gerade das Verdienst zu, diese Widersprüchlichkeit als Realwidersprüchlichkeit kapitalistischer Vergesellschaftung minutiös offen gelegt zu haben, neuere wissenschaftstheoretische Ansätze wiederum können Licht in die theoretische Grundstruktur dieser Konstellation bringen. In diesem Workshop wollen wir diese beiden ineinander verschlungenen Momente deutlich machen. Wir werden uns also die historisch spezifische Analyse Marxens genauer ansehen, aus welcher sich eine heuristisch hilfreiche „dialektische Grundstruktur“ heraus präparieren lässt. Erst wenn diese Grundstruktur, samt einiger sozialontologischer Grundannahmen, mehr oder minder erfasst ist, lassen sich die vielen Fragen rund um die Dialektik, etwa diejenige, nach einem berühmten Marx-Zitat, über die Grenzen dialektischer Darstellung oder die einer etwaige Dialektik der Natur wie sie eben von Engels in Ansätzen vertreten wurde, sinnvoll stellen.

Donnerstag, 26. August 2010

10:00 Uhr

Daniel Späth: Differenzen und Gemeinsamkeiten in der Entwicklung der Kritischen Theorie zur Wert-Abspaltungskritik

Theoretische Gedanken, seien sie von gesellschaftlichen Gruppen oder einem einzelnen Autor, lassen sich nicht konservieren. Die Beschränkung einer Theorie durch den endlichen historischen Kontext, in dem sie sich entfaltet, bleibt ihr nicht äußerlich, sie sedimentiert sich vielmehr in der Theoriebildung selbst. Dadurch aber wird in ihr durch das Bestreben einerseits, mittels des Theorieprozesses über den historisch begrenzten Standpunkt hinauszugelangen, und der Notwendigkeit andererseits, gerade diesen zum Ausgangspunkt der Reflexion machen zu müssen, ein Spannungsfeld erzeugt. Dieses Spannungsfeld drückt sich in Kritischer Theorie als die Verschränkung von reflexiver Positivität, welche in der Beschränktheit der historischen Erscheinungsform des Kapitalismus verbleibt und reflexiver Negativität aus, wobei letztere tendenziell auf die Destruktion der Grundkategorien moderner Vergesellschaftung abzielt.

Insofern kann man das Werk Adornos, analog zu der Differenzierung des „esoterischen Marx“ vom „exoterischen Marx“, auf zwei Ebenen begreifen, nämlich entweder als radikalen Kritiker der kapitalistischen Gesellschaft oder als phasenweise aufklärungsaffinen Philosophen. Diese abstrakte Trennung bleibt an sich zweifelsohne kontrafaktisch – denn das Denken Adornos zeichnet sich meines Erachtens dadurch aus, dass er wie kaum ein anderer Theoretiker, den, oder kaum eine andere Theoretikerin, die ich kenne, in der konkreten Analyse immer auch gegen sich selbst, also auch gegen seine eigene Widersprüchlichkeit denken konnte –, dennoch markiert sie ebenso zwei Fäden seines Werkes, die sich zwar permanent miteinander verschlingend, trotzdem als solche identifiziert werden können.

Ich werde versuchen in dem Vortrag diese zwei Ebenen so gut es geht begrifflich zu fassen und voneinander abzugrenzen, um somit die Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Wertabspaltungskritik und der Kritischen Theorie Adornos anhand einiger Themenkomplexe offenzulegen. Der erste wird hierbei versuchen die Grundzüge der Geschichtstheorie Adornos herauszuarbeiten, wie sie vor allem in der „Dialektik der Aufklärung“ und den schriftlich fixierten Vorlesungen „Zur Lehre von der Geschichte und von der Freiheit“ ihre Begründung erfahren. Nach Adorno wird kritische Geschichtstheorie zwangsläufig mit einer paradoxen Situation konfrontiert: Die Konstruktion von Geschichte als Nachzeichnen eines kontinuierlichen Prozesses von Jahrhunderten oder Jahrtausenden muss in ihrem Vollzug immer auch, so Adorno, die diskontinuierlichen historischen Verschiebungen und Brüche, die einen qualitativen gesellschaftlichen Transformationsprozess markieren, mitdenken. Die von ihm aufgeworfene Frage des theoretischen Abstraktionsniveaus einer Theorie, die diese Dialektik von historischer Kontinuität und Diskontinuität adäquat erfassen kann, soll aufgegriffen und ihr aus heutiger Krisenperspektive nachgegangen werden: Aus wertabspaltungskritischer Sicht wird sie dabei in der Theorie einer „Geschichte von Fetischverhältnissen“ in modifizierter Form aufgenommen.

Das Eingedenken des Ursprungs und der Entwicklung der eigenen gesellschaftlichen Historizität führt bei Adorno auf die kritische Genese der bürgerlichen Subjektform; auf ihren Entstehungs-, sowie Verinnerlichungsprozess. Um seiner Kritik an der Subjektform gerecht zu werden, soll sie mit der Darstellung dieser Subjektivität durch die apologetische Garde verglichen werden: Die Aufklärungsphilosophie (ich werde mich hierbei auf Hegel und Kant beschränken). In der exoterischen, der Aufklärung verhaftet bleibenden Schicht des Denkens Adornos, so viel sei hier bereits gesagt, spielt dabei die Kategorie der Vernunft eine wesentliche Rolle. Sie ist, so könnte man sagen, das Scharnier, durch das die Positivität in sein Denken Einzug erhält und soll deshalb das Zentrum dieses Themenkomplexes bilden. Textgrundlage hierfür werden vor allem Adornos Vorlesungen über Kant („Kants Kritik der reinen Vernunft“, „Probleme der Moralphilosophie“) und seine „Drei Studien zu Hegel“ sein.

Im Zuge dieser Ausführungen wird sich im dritten Teil Adornos ambivalenter Status zur „Kritik der politischen Ökonomie“ herauskristallisieren. Zum einen verweisen die Differenzen in der Behandlung der Grundbegriffe der „Kritik der politischen Ökonomie“ zwischen Adorno und Marx auf den unterschiedlichen Kontext, in dem beide gelebt und gewirkt haben, weshalb es sinnvoll sein wird, ersteren in seinem Denken zu historisieren.

Im letzten Abschnitt werde ich versuchen die genannte Differenz in einer anderen Hinsicht fruchtbar zu machen, indem ich ihre Implikationen für eine Erweiterung des Begriffs einer gesellschaftlichen Totalität untersuchen werde. Dabei soll der Dialektik der Gesellschaft allerdings nicht nur, wie es Marx und Adorno noch für hinreichend angesehen hatten, in der Differenz von dem Wesen und seinen Erscheinungsformen auf die Schliche gekommen werden, sondern auch in der Vermitteltheit der Totalität als solcher, die als eine „gebrochene Totalität“ (Roswitha Scholz) sich darstellt.

Es wird bis Ende der ersten Augustwoche für diejenigen, die sich ausführlicher auf diese Thematik vorbereiten wollen, noch ein Blatt mit Zitaten Adornos auf die Homepage gestellt, welche den Leitfaden des Vortrags ausmachen werden.

15:00 Uhr

Claus Peter Ortlieb: Marktharmonie und Krisenverleugnung: Zur Kritik der herrschenden VWL

Das neoklassische Paradigma beherrscht nach wie vor den akademischen Bücher- und Stellenmarkt in den Wirtschaftswissenschaften. Es kennt keinen Krisenbegriff, sondern nur ein gegen jede Logik und Empirie aufrecht erhaltenes Gleichgewichts-Dogma, dem zufolge „Störungen“ allein aus außerökonomisch bedingtem „Fehlverhalten“ resultieren. Die dabei zum Einsatz kommende Mathematik hat allein die Funktion, dem geneigten Publikum (Studierenden, Wirtschaftsjournalisten, Öffentlichkeit) und womöglich auch sich selbst eine nicht vorhandene Wissenschaftlichkeit vorzugaukeln. Das soll an ausgewählten Beispielen belegt werden.

Freitag, 27. August 2010

10:00 Uhr

Hanns-Friedrich von Bosse: Einführung in das Denken Adornos. Kurzreferat und Workshop (Textarbeit)

Textgrundlage für den Workshop bildet der Aufsatz „Meinung Wahn Gesellschaft“ von Theodor W. Adorno in „Kulturkritik und Gesellschaft“ (Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft Band 1710 ab Seite 573) – der Text steht auch als pdf zum Download auf der Blogseite des Berliner Wert-Abspaltungskritischen Lese- und Diskussionskreises bereit.

14:00 Uhr – open end

Eine etwas andere Berlin-Exkursion

Samstag, 28. August 2010

15:00 Uhr

Offener Diskussionskreis: Wert-Abspaltungs-Kritik – Aneignung und gesellschaftliche Vermittlung als Herausforderung.

Am Ende einer Woche Theorieaneignung soll ein kleine „Bilanzrunde“ stehen: Offen gebliebene theoretische Fragen, offene Themen, Kritik am Programm dieser Woche, Möglichkeiten und Schwierigkeiten gesellschaftlicher Vermittlung der Wert-Abspaltungs-Kritik.

20:00 Uhr – noch mal open end

Abschied