Eine Woche Wert-Abspaltungskritik
und Urlaub
Der
Verein für kritische
Gesellschaftswissenschaften
e.V. und der
Wert-Abspaltungskritische
Lese- und Diskussionskreis
Berlin veranstalten in
diesem Jahr erstmalig
einen einwöchigen
Sommerworkshop.
Interessenten sind
herzlich eingeladen.
Hinweise zum Programm, zu Ort,
Terminen, Gebühren und
Anmeldung findet
Ihr nachfolgend:
Termin: Sonntag, 22. August 2010, Anreise bis 17:00 Uhr
Sonntag, 29. August 2010, Abreise nach dem
Frühstück
(Für
Frühabreiser:
Programmschluss Samstag, 28. August
2010,
17:30 Uhr)
Ort: Europäische
Jugenderholungs- und Bildungsstätte
am
Werbellinsee
(Altenhof bei Berlin)
Teilnahmegebühren
und Anmeldung:
Die
Teilnahmegebühren
betragen 150,00 € p.P.
(Übernachtung,
Vollverpflegung,
Programm); ermäßigt 75,00
€.
Auf eine Vorabzahlung
verzichten wir – wir bitten aber,
uns nur verbindliche
Zusagen zu senden, damit wir nicht
unnötige
Stornogebühren
zahlen
müssen. Bezahlung dann vor Ort in
bar.
Bitte
nicht mehr viel Zeit
lassen mit der Anmeldung – die
Bettenzahl ist leider limitiert.
Weitere Hinweise zum
Veranstaltungsobjekt, Anreiseempfehlungen, Timetable sowie Texte zum
Download
für die Vorbereitung auf einzelne Veranstaltungen findet ihr
unter diesem Link:
http://wkb.blogsport.de/
Bitte
teilt uns per E-?Mail mit, ob und von wann
bis wann Ihr teilnehmen werdet
(Gesamte Zeit oder von – bis)
Tagesgäste,
die einzelne Veranstaltungen besuchen wollen, sind herzlich willkommen.
Der
Besuch der
Veranstaltungen selbst ist kostenfrei. Wir
bitten um Verständnis,
dass wir bei Teilnahme an den Mahlzeiten einen Unkostenbeitrag erheben
müssen.
Programm:
Sonntag,
22. August 2010,
ab 20:00 Uhr:
Ankommen, Wiedersehen, Kennenlernen
Montag,
23. August 2010
10:00
Uhr
Spaziergang durch das
Gelände – für Neugierige
15:00
Uhr
Robert
Kurz: Zur Geschichte der Wertkritik
– Der historische
Bedingungszusammenhang der Theoriebildung
Eine
neue kritische Theorie
wie die Wert-Abspaltungskritik entsteht immer aus der
Auflösung von
Widersprüchen der älteren kritischen Theorien im
Zusammenhang mit der realen
gesellschaftlich-historischen Entwicklung. Es handelt sich also nicht
um
geniale Einsichten des freischwebenden reinen Intellekts. Andererseits
muss
gerade deswegen jede neue kritische Theorie einen Anspruch auf
historische
(d.h. bedingte, begrenzte) Wahrheit erheben. Nicht weil ihre
Träger und
Protagonisten klüger sind als die früheren, sondern
weil sie sich auf
veränderte Bedingungen bezieht, in der sich der Kapitalismus
zur
fortgeschrittenen Kenntlichkeit entwickelt hat. Deshalb kann die neue
kritische
Theorie nicht einfach eine andere Interpretation des als
unverändert
unterstellten Kapitalismus liefern, sondern sie muss gleichzeitig das
Terrain
der veränderten Verhältnisse analysieren, ihren
eigenen Ort im historischen
Prozess reflektieren und sich selbst erklären können.
Dieser Problem-und
Bedingungszusammenhang soll in fünf Aspekten
erläutert und dargestellt werden.
Erstens ist
zunächst festzuhalten, dass das genannte Problem nur
in der Subjekt-Objekt-Dialektik der dynamisierten modernen
Fetischverhältnisse
besteht. Dabei haben sich in der Konstitution des Kapitalismus die
eigenen
Handlungen, Hervorbringungen und Verhältnisse den Akteuren
gegenüber blind
objektiviert und verselbständigt. Erst daraus entsteht die
Aufgabe der Kritik,
diesen Zusammenhang zu erklären und zu überwinden,
und erst daraus ergibt sich
der Anspruch einer „objektiven Wahrheit“ in Bezug
auf die so verfasste
Gesellschaft. Mit der Überwindung der negativen
Objektivität wird auch diese
Art der Theoriebildung gegenstandslos, aber erst dann. Diese negative
Objektivität ist aber keine statische, sondern eine
dynamische. Deshalb dürfen
die kapitalistischen Grundkategorien auch nicht als statische
gedankliche
Abstraktionen festgehalten werden, zu denen die empirische Geschichte
nur in
einem äußerlich-akzidentiellen Verhältnis
steht (Kapitalismus als ewige
Wiederkehr des Gleichen). Vielmehr sind diese Kategorien als reale auch
real
historisch-dynamische, die in ihrem inneren Entwicklungsprozess einer
fortschreitenden
kritischen Darstellung und Analyse bedürfen.
Diese Bestimmung
soll zweitens in Grundzügen erläutert werden an
der Differenz zwischen der Wert-Abspaltungstheorie und der sogenannten
„neuen
Marxlektüre“. Dabei geht es im Wesentlichen um den
Unterschied zwischen einer
historischen und einer philologischen Auffassung der Marxschen Theorie.
Dieses
epistemische Grundproblem lässt sich an der Theoriebildung
einer
„Rekonstruktion der Kritik der politischen
Ökonomie“ in der neuen Linken seit
den 1960er Jahren aufweisen. In der Folge hat dies zu einem
völlig
gegensätzlichen Verständnis des „doppelten
Marx“ bei der Wert-Abspaltungskritik
und bei der „neuen Marxlektüre“
(insbesondere Michael Heinrich) geführt.
Drittens geht es
um die Geschichte der Wert-Abspaltungstheorie
selbst in den letzten 25 Jahren. Diese neue kritische Theorie konnte
sich
zunächst gewissermaßen selbst nicht
„wissen“. Es handelte sich, ausgehend vom
Zustand der Linken in den 1980er Jahren und den damaligen
gesellschaftlichen Bedingungen,
um ein mühsames Herausarbeiten aus dem traditionellen
Marxismus, das in seinen
wichtigsten Stationen nachgezeichnet werden soll
(Eigenständigkeit der Theorie
gegenüber dem Praxisimperativ, Kritik des Positivismus, Kritik
der
Sowjetökonomie, Kritik der Wertform und der Arbeitsontologie,
schließlich als
entscheidende – meist nicht als solche wahrgenommene
– Weiterentwicklung die
Kritik des geschlechtlichen Abspaltungsverhältnisses und der
androzentrisch-universalistischen Aufklärungsvernunft). Erst
ab einem
bestimmten Grad der Theoriebildung schälte sich diese als
eigenständiges und
umfassendes neues Paradigma einer „kategorialen
Kritik“ heraus, das eine
historische Einordnung der Theorie- und Bewegungsgeschichte vornehmen
konnte;
auch wenn dieser Zusammenhang bis jetzt noch nicht vollständig
ausformuliert
ist.
Viertens soll
diese begrifflich-analytische Einordnung in
Grundzügen vorgestellt werden. Dabei geht es zum einen um die
gesellschaftliche
Bestimmung des „Arbeiterbewegungsmarxismus“ in der
historischen Bedingtheit
seiner Auffassungen von Kapitalismus und Sozialismus/Kommunismus unter
Einschluss des „doppelten Marx“. Diese Epoche fand
ihr Ende mit der Niederlage
gegen den NS und setzte sich in Ausläufern bis nach dem 2.
Weltkrieg fort. Zum andern
geht es um die gesellschaftliche Bestimmung des
„Postmodernismus“ bzw. der
postmodernen Linken (Poststrukturalismus, Postoperaismus) ebenfalls in
der
historischen Bedingtheit ihrer Auffassungen von Gesellschaftskritik.
Dazu
gehört die neoliberale Epoche einer Virtualisierung des
Kapitals
(Finanzblasen-Ökonomie) mit entsprechenden ideologischen
Mustern ebenso wie der
Übergang des „Linksseins“ in eine soziale
Mittelschichtsorientierung. Die
Wert-Abspaltungstheorie als „kategoriale Kritik“
setzt sich von
Arbeiterbewegungsmarxismus und Postmodernismus nicht nur im
Verständnis des
Kapitalismus und seiner Krisendynamik auf der Höhe der
erreichten Entwicklung
ab, sondern sie erhebt auch den Anspruch, das Feld der theoretischen
Auseinandersetzung in seiner historisch-gesellschaftlichen Verfasstheit
mitzureflektieren und auf den Begriff zu bringen.
Fünftens
schließlich ergibt sich daraus ein Problem für die
Rezeption der Wert-Abspaltungstheorie, die ebenfalls von den
gesellschaftlichen
Bedingungen geprägt ist. Das neue Paradigma ist zwar in
gewisser Weise in die
linken Szenen und Bewegungszusammenhänge eingesickert, aber
nur bruchstückhaft
in der Isolierung einzelner Momente (etwa der Arbeitskritik) und
„praxeologisch“ herunter gebrochen. In dieser
Rezeptionsweise wird die
„kategoriale Kritik“ nicht als umfassende neue
Theorie mit historischem
Wahrheitsanspruch wahrgenommen, sondern eklektisch mit
traditionsmarxistischen
und postmodernen Theoremen amalgamiert. Aus dem Eklektizismus ergibt
sich aber
keine übergeordnete Synthese, sondern nur eine
Verwässerung und Aufweichung des
ganzen Ansatzes bis zur Unkenntlichkeit. Wahrheitsmomente der
älteren, immer
noch den Mainstream der Linken dominierenden Theorien werden nicht
kritisch
integriert, sondern die Wert-Abspaltungstheorie bzw.
„kategoriale Kritik“
selber wird eher desintegriert. Das hat etwas mit einem postmodern
sozialisierten Bewusstsein zu tun, das sich auf einem „Markt
der Meinungen“
oder an einer theoretischen Supermarkt-Theke wähnt, aus der es
sich ein individuelles
„Menü“ zusammenstellen kann. Jedes
Kriterium für die objektive, historisch
bedingte Wahrheit fehlt und damit auch jede Bestimmtheit in der
Auseinandersetzung. Die Wert-Abspaltungstheorie ist nicht sakrosankt
und immun
gegen Kritik, aber wer sich damit eigenständig befassen will,
muss sich auch
auf die darin enthaltene Reflexion der historischen Entwicklung und
Bedingtheit
einlassen, weil nur so die Auseinandersetzung nicht in einem
ahistorischen Raum
schwebt, in dem alle Katzen der Theorie grau sind.
20:00
Uhr
„Was
ist eigentlich
Wert?“
Interviewrunde zur
Wert-Abspaltung und aktuellen Theorieentwicklungen.
Moderation: Holger
Hiller
Es
antworten: Roswitha
Scholz, Robert Kurz, Claus Peter Ortlieb und Frank Rentschler
Dienstag,
24. August 2010
10:00
Uhr
Frank
Rentschler: Anknüpfungs- und
Abstoßungspunkte zur Wert-Abspaltung
in der feministischen Theorie
Der
Vortrag bewegt sich
entlang der Problemstellung, wie sie schon in Roswitha Scholz
„Urtext“ der
Wertabspaltungskritik (Der Wert ist der Mann, 1992) formuliert wurde.
Dort
wurde eine doppelte Abgrenzung vorgenommen. Zum einen zur
feministischen
Arbeitsontologie, wie sie sich insbesondere in der Hausarbeitsdebatte
zeigt,
der ein offenkundiges verkürztes und unkritisches
Verständnis von „Wert“ zugrunde
liegt. Zum anderen von der klassischen Wertkritik, die von der
Geschlechtsneutralität des modernen Subjekts ausgeht,
diesbezügliche
feministische Einwände insbesondere aus dem Strang der
Vernunftkritik
konsequent ignoriert und das patriarchalische an der
Wertvergesellschaftung
dadurch auszublenden versucht, indem mit einem Patriarchatsbegriff
operiert
wird, über den die feministische Diskussion schon
längst hinweg ist. Beide
Probleme sollen anhand klassischer Texte illustriert und vertieft
werden. Nachdem
die Unfruchtbarkeit der feministischen Hausarbeitsdebatte (Wie
lässt sich der
Wert von Hausarbeit bestimmen) aufgezeigt, die
Unzulänglichkeit der klassischen
Wertkritik heraus gearbeitet worden ist, und die Verortung der
Geschlechterfrage auf der engeren Wertebene durch eine
Neuinterpretation des
Gebrauchswerts (vorgenommen in dem Aufsatz
„Geschlechterfetischismus“ von
Robert Kurz 1992) dargelegt wurde, steige ich ein in feministische
Vernunftkritik. Gezeigt werden soll, wie sich die symbolische Ordnung
des
Geschlechts in der Moderne darstellt, wie sie sich reproduziert und
auch
wandelt und was in diesem Zusammenhang das „gesellschaftlich
Unbewusste“ heißt.
Abschließend soll auf einen Text in der feministischen
Debatte (Hildegard
Heise: Flucht vor der Widersprüchlichkeit. Kapitalistische
Produktionsweise und
Geschlechterbeziehung. Frankfurt 1986) eingegangen werden, der - was
die engere
Wertbestimmung angeht - näher an der Wertabspaltungskritik
dran ist als andere
feministische Texte, jedoch durch Ausblendung des vorher skizzierten
vernunftkritischen
Strangs trotzdem ziemlich in die Irre führt. Insofern ist der
Vortrag auch als
Plädoyer zu verstehen, den patriarchalen Charakter der
Wertvergesellschaftung
auf mehreren Ebenen (engere Wertebene, symbolische Ordnung,
gesellschaftlich
Unbewusstes) zu verorten, wie es Roswitha Scholz in ihrem Buch
„Das Geschlecht
des Kapitalismus“ getan hat.
15:00 Uhr
Roswitha Scholz: Wert-Abspaltung – Die
Verwilderung des Patriarchats in der Postmoderne
Wertkritik
war lange Zeit
androzentrisch verfasst und ist es zum Teil heute noch. Und Arbeiten
etwa zur
„neuen Marxlektüre“ scheren sich um die
hierarchischen Geschlechterverhältnisse
kaum. Dem stellt sich die Wert-Abspaltungskritik entgegen.Nach der Darstellung
einiger grundsätzlicher
Aspekte der Wert-Abspaltungstheorie, insbesondere im
Verhältnis zu den
Grundkategorien des Kapitals, sollen in dem Vortrag die nach wie vor
asymmetrischen Geschlechterverhältnisse in der
Globalisierungsära in
Augenschein genommen werden.
In der Moderne
bildeten sich neue Geschlechtervorstellungen aus.
Dem „Mann“ wurden Eigenschaften wie
Rationalität, Charakterstärke,
Durchsetzungsvermögen etc. zugeschrieben; die
„Frau“ wurde hingegen mit
Emotionalität, Sinnlichkeit, Charakterschwäche usw.
in Verbindung gebracht:
Männer sollten für die Öffentlichkeit und
das Erwerbsleben geschaffen sein,
Frauen von "Natur“ aus für die Tätigkeiten
in der Privatsphäre (Liebe,
Hege, Pflege, „Hausarbeit“). Derartige
Vorstellungen, die zunächst auf das Bürgertum
beschränkt waren, breiteten sich mit fortschreitender
Entwicklung auf alle
Klassen und Schichten aus. Bestimmte Momente der Reproduktion, die
nicht in der
„abstrakten Arbeit“ aufgehen, wurden von der
offiziellen Gesellschaftlichkeit
abgespalten und an die Frauen delegiert. Bei der Integration von Frauen
in
Erwerbsarbeit und Öffentlichkeit blieb dieses
Abspaltungsverhältnis erhalten
und setzte sich auch in diesen Bereichen fort. Die Abspaltung ist kein
aus dem
Wertverhältnis abzuleitender
„Sekundärbereich“, sondern durchzieht die
gesellschaftliche Totalität und ist kategorial
„gleichursprünglich“ und auf
derselben Abstraktionsebene zu fassen. Daraus ergibt sich ein anderer,
gebrochener Begriff „konkreter Totalität“
als im bisherigen
androzentrisch-universalistischen Verständnis.
Seit den 1950er
Jahren hat sich das Wert-Abspaltungsverhältnis
mit fortschreitender Erwerbstätigkeit von Frauen modifiziert
und zugespitzt.
Dabei kommt es in der Postmoderne einer Aufweichung des traditionellen
Geschlechterarrangements:
Frauen haben mit den Männern bildungsmäßig
gleichgezogen und werden „doppelt
vergesellschaftet“ (Regina Becker-Schmidt), d.h. sie sind
für Familie und Beruf
gleichermaßen zuständig. Umgekehrt droht nun auch
Männern eine
„Hausfrauisierung“ im Zuge des
Prekärwerdens der
Beschäftigungsverhältnisse.
Die Institutionen Familie und Erwerbsarbeit erodieren, ohne dass neue
tragfähige Sozial- und Reproduktionsformen an ihre Stelle
treten. Dem
grundsätzlichen Verfall der Ökonomie entspricht eine
Verwilderung des
Patriarchats in der Globalisierungsära, so meine These.
In der
Kollaps-Situation droht Frauen heute vor allem die
Funktion von Krisenverwalterinnen zugewiesen zu werden. Sie kommen dann vermehrt an die
„Macht“, wenn der
Kapitalismus an die Wand fährt; bei gleichzeitiger
Zuständigkeit für den
Reproduktionsbereich und die abgespaltenen Momente überhaupt.
Grundsätzlich
betont werden muss schließlich noch einmal, dass sich die
Wert-Abspaltungskritik keineswegs bloß auf die
Geschlechterproblematik im engeren
Sinne bezieht. Vielmehr bestimmt die Wert-Abspaltung als Grundprinzip
die
gesamte Gesellschaft wesentlich, was auch in der Krisenanalyse zum
Ausdruck
kommen muss.
20:00 Uhr
Robert Kurz: Krisen- und Zusammenbruchstheorie. Zur absoluten inneren Schranke der
Verwertung
Der
Begriff der
„Zusammenbruchstheorie“ ist ein Reizwort in der
Linken, befrachtet mit einem
pejorativen ideologischen Verständnis. Dabei geht es
zunächst um den Vorwurf
des „Objektivismus“. Deshalb soll das Problem
zuerst anhand der Subjekt-Objekt-Dialektik
in der kapitalistischen Fetisch-Konstitution erläutert werden,
nämlich als
Verhältnis von „Krise und Kritik“, wie es
die Linke schon immer umgetrieben
hat. Wenn Krise und Kritik identisch gesetzt werden, resultiert daraus
entweder
ein objektivistisches oder ein subjektivistisches Verständnis.
Deshalb sind die
Begriffe von Krise und Kritik strikt auseinanderzuhalten.
Im zweiten
Schritt soll die Geschichte der marxistischen
Krisentheorie kurz skizziert werden. Marx hat keine kohärente,
sondern eine
fragmentarische Krisentheorie hinterlassen, was zu einer langen
Auseinandersetzungsgeschichte herausgefordert hat. Der Status einer
„Zusammenbruchstheorie“ wird dabei heute in der
Regel historisch falsch
bestimmt (so bei Michael Heinrich). Bei Marx findet sich der Begriff
einer
historischen „inneren Schranke“, der aber
allmählich verloren ging. Das ist
nicht nur ein inner-krisentheoretisches Problem, sondern hat etwas
damit zu
tun, dass der Arbeiterbewegungsmarxismus ebenso wie die postmoderne
Linke die
Frage der „kategorialen Kritik“ ausgeblendet haben
und sich nur immanent auf
dem Boden des kapitalistischen Formzusammenhangs bewegten. Die Frage
der
„inneren Schranke“ ist aber diejenige einer
„kategorialen Krise“, die mit einer
„kategorialen Kritik“ verbunden ist und zum
Postulat eines „kategorialen
Bruchs“ führt.
Als
nächster Schritt soll der Unterschied zwischen einem
zirkulationstheoretischen und einem
produktionstheoretisch-gesamtsystemischen
Begriff der Krise deutlich gemacht werden. Beide Momente finden sich
bei Marx.
Die Vorstellung einer bloßen
„Reinigungskrise“, die zum Funktionieren des
Kapitalismus gehöre, ist zirkulationstheoretisch
verkürzt. Ein ganz anderes
Bild ergibt sich, wenn die Marxschen Ansätze in den
„Grundrissen“ und im 3.
Band des „Kapital“ herangezogen werden.
Entscheidend dabei ist der Begriff der
Arbeitssubstanz. Nicht umsonst zeigt sich hier die entscheidende
Differenz zum
Postmodernismus und zur „neuen
Marxlektüre“ (Substanzbegriff der abstrakten
Arbeit als Verausgabung von „Nerv, Muskel, Hirn“,
Warencharakter des Geldes,
tendenzieller Fall der Profitrate). In der historischen Dynamik des
Kapitalismus, bedingt durch die von der Konkurrenz erzwungene
Produktivkraftentwicklung, entsteht ein Missverhältnis von
totem Sachkapital
und Arbeitskraft, das zunächst durch den relativen Mehrwert
und die Expansion
der Märkte kompensiert wird, schließlich aber in
einem absoluten Abschmelzen
der gültigen Arbeitssubstanz kulminiert. In diesen Prozess
eingeschlossen ist
die historische Expansion des Kreditsystems.
Schließlich
soll die historisch-empirische Konkretisierung der
„radikalen Krisentheorie“ anhand der Geschichte der
dritten industriellen
Revolution skizziert werden. Die absolute „innere
Schranke“ der realen Mehrwertproduktion
auf dem neuen Produktivitätsniveau mangels neuer
Verwertungspotentiale
impliziert eine Entwertung aller Kapitalbestandteile (Geldkapital,
Sachkapital,
Arbeitskraft, Warenkapital, Geldware als solcher). Dieser historische
Entwertungsprozess wurde gebrochen und modifiziert durch eine
beispiellose
Finanzblasen-Ökonomie und davon genährte
Defizitkonjunkturen bzw. globale
Defizitkreisläufe. Nach deren Zusammenbruch wurde das Problem
von den
Finanzmärkten auf den Staatskredit bzw. die Notenbanken
zurückverlagert.
Abschließend soll das Verhältnis von Staat und Geld
erörtert werden. Die
staatskapitalistische Krisenverwaltung löst die Krise nicht,
sondern bildet nur
die letzte Verlaufsform, in der sich die „innere
Schranke“ manifestiert.
Mittwoch, 25. August 2010
15:00 Uhr
Georg Gangl, Elmar Flatschart: Dialektik-Workshop
"Das
ist eine gewisse
Dialektik und Dynamik, die man mitdenken muss." (Angela Merkel)
In
marxistischen Debatten
gibt es wohl kaum einen Themenkomplex, der streitbarer wäre
als derjenige rund
um die (Marxsche) Dialektik. Oft gilt eine einfache Faustregel: Wenn es
kompliziert oder allzu widersprüchlich hergeht, dann
müssen die Dinge
dialektisch gesehen werden. Viel gesagt ist damit noch nicht und
keineswegs
umsonst stehen die meisten kritischen Geister der Dialektik als
Universalschlüssel der Erklärung sehr skeptisch
gegenüber. Zu diesem
rhetorischen Gebrauch des Begriffs, der insbesondere auch in den
realsozialistischen
Ländern als Todschlagargument benutzt wurde, gibt es kein
wahrlich zurück mehr,
denn erklärt wird damit nun mal so gut wie nichts. Eine
alleinige Rückkehr ad fontes,
zu Marx, kann es aber genauso
wenig geben. Bekanntermaßen hat Marx seine geplante 30 Seiten
Schrift über die
rationalen Elemente der Hegelschen Dialektik nie verfasst und die
spärlichen
Explikationen seiner eigenen „dialektischen
Methode“ gehen über einzelne
Hinweise und Problemaufrisse kaum hinaus. Auch bei Angela Merkel, die
die Dialektik
wohl eher im erstgenannten, legitimatorischen Sinne einmalig in den
Mund
genommen und sich nach Gebrauch wohl auch schon auf die Zunge gebissen
hat,
oder etwa Friedrich Engels, der zumindest ein Fragment namens
„Dialektik der
Natur“ verfasst hat, finden sich kaum ergiebigere
Ausführungen dazu, was denn
nun unter Dialektik genau zu verstehen sei.
Dabei
sind Fragen rund um die
„Marxsche Methode“ und die Dialektik im Allgemeinen
geradezu zentral für ein
Verständnis des Marxschen Werkes. Nicht umsonst haben sich
Generationen von
marxistischen PhilosophInnen deswegen Gedanken über die
verflixte Dialektik
gemacht – Louis Althusser z.B. wollte die Marxsche Dialektik
fein säuberlich
von derjenigen Hegels getrennt wissen und ein marxistischer
„Shooting Star“ wie
Antonio Negri möchte sie gar mit Stumpf und Stiel aus dem
Marxschen Werk
getilgt sehen. Diese Auseinandersetzungen weisen der
Beschäftigung mit der
Dialektik eine gewisse Richtung: Möchte eins die Frage nach
der Dialektik im
Marxschen Werk stellen, so gilt es nolens
volens, das Verhältnis von Marx zu Hegel genauer zu
beleuchten. Denn wenn
die Marxsche Dialektik eine gewisse Methode designieren soll, wie Marx
selbst
an mehreren Stellen betont, dann stellt sich sogleich die Frage ein,
welche
Realität mit dieser Methode erfasst werden soll, ja es geht
sodann eigentlich
vordergründig darum, ebenjene Realität zu
dechiffrieren, die nach einer
dialektischen Darstellung verlangt – die Methode
lässt sich nicht einfach so
von demjenigen trennen, das mit ihr erfasst werden soll.
Dergestalt
formuliert lässt
sich das Ziel unseres Workshops schon eher umreißen. Mit
Hilfe neuerer
wissenschaftstheoretischer Literatur wollen wir nach dem Problem der
Dialektik
im Marxschen Werk fragen und somit den ontologischen, epistemologischen
und
methodologischen Besonderheiten des Marxschen dialektischen Ansatzes
nachspüren. Zu diesem Zwecke wird auf der Zentralität
des Widerspruchsbegriffes
im Sinne einer „strikten Antinomie“ beharrt werden.
Marx kommt gerade das
Verdienst zu, diese Widersprüchlichkeit als
Realwidersprüchlichkeit
kapitalistischer Vergesellschaftung minutiös offen gelegt zu
haben, neuere
wissenschaftstheoretische Ansätze wiederum können
Licht in die theoretische
Grundstruktur dieser Konstellation bringen. In diesem Workshop wollen
wir diese
beiden ineinander verschlungenen Momente deutlich machen. Wir werden
uns also
die historisch spezifische Analyse Marxens genauer ansehen, aus welcher
sich
eine heuristisch hilfreiche „dialektische
Grundstruktur“ heraus präparieren
lässt. Erst wenn diese Grundstruktur, samt einiger
sozialontologischer
Grundannahmen, mehr oder minder erfasst ist, lassen sich die vielen
Fragen rund
um die Dialektik, etwa diejenige, nach einem berühmten
Marx-Zitat, über die
Grenzen dialektischer Darstellung oder die einer etwaige Dialektik der
Natur
wie sie eben von Engels in Ansätzen vertreten wurde, sinnvoll
stellen.
Donnerstag, 26. August 2010
10:00 Uhr
Daniel Späth: Differenzen und Gemeinsamkeiten in der Entwicklung der Kritischen
Theorie zur
Wert-Abspaltungskritik
Theoretische
Gedanken, seien
sie von gesellschaftlichen Gruppen oder einem einzelnen Autor, lassen
sich
nicht konservieren. Die Beschränkung einer Theorie durch den
endlichen
historischen Kontext, in dem sie sich entfaltet, bleibt ihr nicht
äußerlich,
sie sedimentiert sich vielmehr in der Theoriebildung selbst. Dadurch
aber wird
in ihr durch das Bestreben einerseits, mittels des Theorieprozesses
über den
historisch begrenzten Standpunkt hinauszugelangen, und der
Notwendigkeit
andererseits, gerade diesen zum Ausgangspunkt der Reflexion machen zu
müssen,
ein Spannungsfeld erzeugt. Dieses Spannungsfeld drückt sich in
Kritischer
Theorie als die Verschränkung von reflexiver
Positivität, welche in der
Beschränktheit der historischen Erscheinungsform des
Kapitalismus verbleibt und
reflexiver Negativität aus, wobei letztere tendenziell auf die
Destruktion der
Grundkategorien moderner Vergesellschaftung abzielt.
Insofern
kann man das Werk Adornos,
analog zu der Differenzierung des „esoterischen
Marx“ vom „exoterischen Marx“,
auf zwei Ebenen begreifen, nämlich entweder als radikalen
Kritiker der kapitalistischen
Gesellschaft oder als phasenweise aufklärungsaffinen
Philosophen. Diese
abstrakte Trennung bleibt an sich zweifelsohne kontrafaktisch
– denn das Denken
Adornos zeichnet sich meines Erachtens dadurch aus, dass er wie kaum
ein
anderer Theoretiker, den, oder kaum eine andere Theoretikerin, die ich
kenne,
in der konkreten Analyse immer auch gegen sich selbst, also auch gegen
seine
eigene Widersprüchlichkeit denken konnte –, dennoch
markiert sie ebenso zwei
Fäden seines Werkes, die sich zwar permanent miteinander
verschlingend, trotzdem
als solche identifiziert werden können.
Ich
werde versuchen in dem
Vortrag diese zwei Ebenen so gut es geht begrifflich zu fassen und
voneinander
abzugrenzen, um somit die Unterschiede und Gemeinsamkeiten von
Wertabspaltungskritik und der Kritischen Theorie Adornos anhand einiger
Themenkomplexe offenzulegen. Der
erste wird hierbei
versuchen die Grundzüge der Geschichtstheorie Adornos
herauszuarbeiten, wie sie
vor allem in der „Dialektik der
Aufklärung“ und den schriftlich fixierten
Vorlesungen „Zur Lehre von der Geschichte und von der
Freiheit“ ihre Begründung
erfahren. Nach Adorno wird kritische Geschichtstheorie
zwangsläufig mit einer
paradoxen Situation konfrontiert: Die Konstruktion von Geschichte als
Nachzeichnen eines kontinuierlichen Prozesses von Jahrhunderten oder
Jahrtausenden muss in ihrem Vollzug immer auch, so Adorno, die
diskontinuierlichen historischen Verschiebungen und Brüche,
die einen qualitativen
gesellschaftlichen Transformationsprozess markieren, mitdenken. Die von
ihm
aufgeworfene Frage des theoretischen Abstraktionsniveaus einer Theorie,
die
diese Dialektik von historischer Kontinuität und
Diskontinuität adäquat
erfassen kann, soll aufgegriffen und ihr aus heutiger Krisenperspektive
nachgegangen werden: Aus wertabspaltungskritischer Sicht wird sie dabei
in der
Theorie einer „Geschichte von
Fetischverhältnissen“ in modifizierter Form
aufgenommen.
Das
Eingedenken des Ursprungs
und der Entwicklung der eigenen gesellschaftlichen
Historizität führt bei
Adorno auf die kritische Genese der bürgerlichen Subjektform;
auf ihren
Entstehungs-, sowie Verinnerlichungsprozess. Um seiner Kritik an der
Subjektform
gerecht zu werden, soll sie mit der Darstellung dieser
Subjektivität durch die
apologetische Garde verglichen werden: Die
Aufklärungsphilosophie (ich werde
mich hierbei auf Hegel und Kant beschränken). In der
exoterischen, der
Aufklärung verhaftet bleibenden Schicht des Denkens Adornos,
so viel sei hier
bereits gesagt, spielt dabei die Kategorie der Vernunft eine
wesentliche Rolle.
Sie ist, so könnte man sagen, das Scharnier, durch das die Positivität in
sein Denken Einzug erhält und
soll deshalb das Zentrum dieses Themenkomplexes bilden. Textgrundlage
hierfür
werden vor allem Adornos Vorlesungen über Kant
(„Kants Kritik der reinen
Vernunft“, „Probleme der
Moralphilosophie“) und seine „Drei Studien zu
Hegel“
sein.
Im
Zuge dieser Ausführungen
wird sich im dritten Teil Adornos ambivalenter Status zur
„Kritik der
politischen Ökonomie“ herauskristallisieren. Zum
einen verweisen die
Differenzen in der Behandlung der Grundbegriffe der „Kritik
der politischen
Ökonomie“ zwischen Adorno und Marx auf den
unterschiedlichen Kontext, in dem
beide gelebt und gewirkt haben, weshalb es sinnvoll sein wird, ersteren
in
seinem Denken zu historisieren.
Im
letzten Abschnitt werde
ich versuchen die genannte Differenz in einer anderen Hinsicht
fruchtbar zu
machen, indem ich ihre Implikationen für eine Erweiterung des
Begriffs einer
gesellschaftlichen Totalität untersuchen werde. Dabei soll der
Dialektik der
Gesellschaft allerdings nicht nur, wie es Marx und Adorno noch
für hinreichend
angesehen hatten, in der Differenz von dem Wesen und seinen
Erscheinungsformen
auf die Schliche gekommen werden, sondern auch in der Vermitteltheit
der
Totalität als solcher, die als eine „gebrochene
Totalität“ (Roswitha Scholz)
sich darstellt.
Es
wird bis Ende der ersten
Augustwoche für diejenigen, die sich ausführlicher
auf diese Thematik
vorbereiten wollen, noch ein Blatt mit Zitaten Adornos auf die Homepage
gestellt, welche den Leitfaden des Vortrags ausmachen werden.
15:00
Uhr
Claus
Peter Ortlieb: Marktharmonie und
Krisenverleugnung: Zur Kritik der
herrschenden VWL
Das
neoklassische Paradigma
beherrscht nach wie vor den akademischen Bücher- und
Stellenmarkt in den
Wirtschaftswissenschaften. Es kennt keinen Krisenbegriff, sondern nur
ein gegen
jede Logik und Empirie aufrecht erhaltenes Gleichgewichts-Dogma, dem
zufolge
„Störungen“ allein aus
außerökonomisch bedingtem
„Fehlverhalten“ resultieren.
Die dabei zum Einsatz kommende Mathematik hat allein die Funktion, dem
geneigten Publikum (Studierenden, Wirtschaftsjournalisten,
Öffentlichkeit) und
womöglich auch sich selbst eine nicht vorhandene
Wissenschaftlichkeit
vorzugaukeln. Das soll an ausgewählten Beispielen belegt
werden.
Freitag, 27. August 2010
10:00 Uhr
Hanns-Friedrich von Bosse: Einführung in das Denken
Adornos. Kurzreferat und
Workshop (Textarbeit)
Textgrundlage
für den
Workshop bildet der Aufsatz „Meinung Wahn
Gesellschaft“ von Theodor W. Adorno
in „Kulturkritik und Gesellschaft“ (Suhrkamp
Taschenbuch Wissenschaft Band 1710
ab Seite 573) – der Text steht auch als pdf zum Download auf
der Blogseite des
Berliner Wert-Abspaltungskritischen Lese- und Diskussionskreises bereit.
14:00 Uhr – open end
Eine
etwas andere
Berlin-Exkursion
Samstag, 28. August 2010
15:00 Uhr
Offener Diskussionskreis: Wert-Abspaltungs-Kritik
– Aneignung und
gesellschaftliche Vermittlung als Herausforderung.
Am
Ende einer Woche
Theorieaneignung soll ein kleine „Bilanzrunde“
stehen: Offen gebliebene
theoretische Fragen, offene Themen, Kritik am Programm dieser Woche,
Möglichkeiten und Schwierigkeiten gesellschaftlicher
Vermittlung der
Wert-Abspaltungs-Kritik.
20:00 Uhr – noch mal open
end
Abschied