Krise und Kritik der Warengesellschaft |
EINLADUNG ZUM EXIT!-SEMINAR 2010 VOM 1. BIS 3. OKTOBER IN ENKENBACH/PFALZKRISE – KRITIK – MARXRENAISSANCEIn den letzten Jahren ist eine fast unübersehbare Flut von Publikationen zur Aktualität der Marxschen Theorie erschienen, und es bildete sich eine sogenannte „Kapital“-Lesebewegung heraus. Das Thema „Marxrenaissance“ ist in aller Munde. Schon Ende der 1990er Jahre begann dieser Hype; kaum zufällig im Gefolge einer Reihe von ökonomischen Krisen, die im globalen Finanzcrash von 2008 kulminierten. Schon zuvor hatte sich die soziale Situation auch in den kapitalistischen Zentren dramatisch verschlechtert. Es schwant mittlerweile den ZeitgenossInnen, dass der Kapitalismus womöglich doch nicht so stabil ist, wie es lange Zeit nach dem Untergang des Realsozialismus in der Epoche der Finanzblasen-Ökonomie und der globalen Defizitkonjunkturen den Anschein hatte. War die Marx-Rezeption spätestens seit 1989 bis vor nicht allzu langer Zeit ein „subakademisches Hobby“ (Ingo Elbe), auch wenn deren Anfänge in ihren unterschiedlichen (länderspezifischen) Facetten bis in die 1960er Jahre zurückgehen, und fanden sich entsprechende Veröffentlichungen in eher abseitigen Kleinverlagen, so scheint Marx nun endgültig (wieder) im akademischen Betrieb angekommen zu sein. Das hat Folgen: Es droht eine Zurichtung Marxscher Kritik und Theorie, die nun auf neuem Niveau mit einem bürgerlich-biederen Wissenschaftsverständnis kompatibel gemacht werden soll. So entstehen mit der neuerlichen Etablierung an den Universtäten exklusive Kasten und Zitierkartelle. Der alte, bekanntlich vielfach totgesagte Marx weckt so auch wieder die Hoffnung auf akademische Brosamen und Karrierebegehrlichkeiten. Dabei besteht die Gefahr, und das ist das Entscheidende, dass das, was einst in kleinen Gruppen und Hinterzimmern begann, nun für eine neue Form der „Widerspruchsbearbeitung“ (Robert Kurz) im verfallenden Kapitalismus herhalten könnte und der radikalen Kritik der Stachel gezogen wird. Dem entspricht andererseits ein Herunterbrechen und eine Simplifizierung der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie, aber auch der weiterentwickelten Wert-Abspaltungskritik, die in linken Szenen längst Schlagwortcharakter angenommen hat. Gleichzeitig stehen im Zuge dieser Marxrenaissance postoperaistische und postmodern-neoleninistische Konzepte hoch im Kurs, die bei aller Gegensätzlichkeit eine Art Theologisierung der Marxschen Kritik betreiben und offensichtlich religiöse Bedürfnisse bedienen, wie sie vor allem in harten Krisenzeiten Konjunktur haben. In unserem Seminar sollen zumindest einige kritische Schlaglichter auf diese Trends geworfen werden. Freitag, 1. Oktober19:00 – 22:00 Der kritische Gehalt der neuen Marx-Lektüre (Frank Engster)Die sog. Neue Marx-Lektüre ist heute über 40 Jahre alt; mittlerweile muss sogar von einem Generationswechsel und einer neuen Phase gesprochen werden. Sie beginnt etwa Mitte der 60er Jahre in den fortgeschrittenen Industrienationen vor allem des Westens, und hier wiederum vor allem in Frankreich (im Umfeld des Strukturalismus und Althussers „symptomatischer“ oder auch „symptomaler Lesart“, z.T. auch in der Situationistischen Internationale), in Italien (Operaismus/Postoperaismus) und in West-Deutschland (hier zunächst als sog. Phase der Rekonstruktion der Kritik der Politischen Ökonomie). Die neue Lektüre war einerseits Ausdruck eines Bedürfnisses nach radikaler Kritik im Allgemeinen und speziell der sich konsolidierenden Nachkriegsgesellschaft, andererseits eine Reaktion auf die Legitimationskrise des traditionellen Marxismus und des Realsozialismus und damit Ausdruck des Zerfalls der traditionellen sozialistischen Bewegung und ihres Modus der Kritik. Der Vortrag behandelt folgende Punkte:
Samstag, 2. Oktober10:00 – 12:30 Konkurrenz, Produktivität und Krise (Claus Peter Ortlieb)Wenn die globale Krise manifest wird, haben Erklärungen für sie sogar bei denen Konjunktur, die vor kurzem noch ihre Möglichkeit gänzlich abstritten. Wer sich dabei dann an den kapitalistischen Oberflächenerscheinungen orientiert, wird leicht in die Irre geführt. Ein Beispiel ist die Rolle der Produktivkraftentwicklung in der und für die Krise: Betriebe und Standorte, die in ihrer Produktivität zurückfallen, verlieren mit dem Anschluss an den „technischen Fortschritt“ auch ihre Wettbewerbsfähigkeit und sind von krisenhaften Einbrüchen in besonderem Maße betroffen. Aus dieser richtigen Feststellung wird nun ebenso messerscharf wie fehlerhaft geschlossen, dass die Krise aus einer zu geringen Erhöhung der Produktivität resultiere, mithin eine „Krise der Produktivität“ sei. In Auseinandersetzung mit derartigen Vorstellungen soll (noch einmal) verdeutlicht werden, dass es die in der Weltmarktkonkurrenz zwanghaft und blind immer stärker forcierte Produktivitätserhöhung – und nicht etwa ihr Ausbleiben oder ihre zu geringe Intensität – ist, die die Funktionsfähigkeit der kapitalistischen Produktionsweise unwiderruflich untergräbt. Texte zum
Einlesen: Mittagspause 15:00 – 17:30 Zum Abstraktionstabu im Feminismus. Frauen, das Viele, die Differenzen, Intersektionalität und das „vergessene“ warenproduzierende Patriarchat (Roswitha Scholz)Nach den kulturalistischen 1990er Jahren wird auch im Feminismus wieder verstärkt die Parole „Frauen denkt ökonomisch!“ (Nancy Fraser) ausgegeben; es ist von einem „social re-turn“(Knapp/Klinger) die Rede, Debatten um Intersektionalität, um den Zusammenhang von „Rasse“, Geschlecht und Klasse haben Hochkonjunktur, in queerfeministischen Szenen wird wieder verstärkt auf das Verhältnis von Produktion und Reproduktion rekurriert und die Sinnhaftigkeit von Genderforschung wird zumindest zur Diskussion gestellt. Dennoch ist immer noch viel von Differenzen, Widersprüchen, Ambivalenzen, Partikularitäten usw. die Rede. Der gegenwärtige Feminismus (ich weiß, dass es davon schon immer viele gibt) ist weit davon entfernt, das asymmetrische Geschlechterverhältnis als zentrales gesellschaftliches Grundprinzip auszumachen, das für das warenproduzierende Patriarchat wesentlich ist. Der offensichtlich androzentrische Charakter einer „neuen Marxlektüre“ bleibt auf diese Weise übrigens gänzlich unbehelligt. Es scheint, als sei der Feminismus in die Differenzen, das Kleinteilige und Partikulare geradezu vernarrt. Selbst die neuerlichen Analysen zur Intersektionalität tummeln sich reduktionistisch auf einer soziologisch-deskriptiven Meso-Ebene der gesellschaftlichen Strukturbestimmungen, bar jeder Reflexion eines gesellschaftlichen Basisprinzips. Meine These vor dem Hintergrund der Wert-Abspaltungstheorie ist es somit, dass angesichts der noch immer gegebenen dekonstruktivistischen Dominanz nicht nur ein „Artikulationsverbot“ (Tove Soiland) der Geschlechter-(Miss)Verhältnisse besteht, sondern ebenso ein Abstraktionsverbot, das es unmöglich macht, das hierarchische Geschlechterverhältnis als GRUNDLEGENDE PHILOSOPHISCHE GRÖSSE zu behandeln und dann vor diesem Hintergrund sozialökonomische Disparitäten, Rassismus, Antisemitismus, Antiziganismus etc. zu skandalieren und den Differenzen, dem Partikularen usw. statt zu geben. Abendessen 19:00 – 20:00 Mitgliederversammlung des Exit!-Vereins Sonntag, 3. Oktober10:00 – 12:30 Krise und Kritik. Die postmarxistische Revision der Marxschen Theorie und das Programm der Wert-Abspaltungskritik (Robert Kurz)Die radikale wert-abspaltungskritische Krisentheorie einer historischen inneren Schranke der Kapitalverwertung wird nahezu vom gesamten Spektrum des Rest- und Postmarxismus als „objektivistisch“ und „ökonomistisch“ denunziert. Zunächst soll gezeigt werden, dass diese Invektive einem grundlegend falschen Verständnis der modernen Subjekt-Objekt-Dialektik aufsitzt und den Fetischcharakter des Kapitalverhältnisses ausblendet zugunsten einer „handlungstheoretischen“ (letztlich „politizistischen“) Orientierung. Es geht den Kritikern dabei nur in zweiter Linie um den Gehalt der Krisentheorie. Primär handelt es sich gerade um den Charakter und die Reichweite der Kapitalismuskritik selbst. Die Abwehr der radikalen Krisentheorie flankiert nur eine Abwehr der ganz und gar nicht objektivistischen kategorialen Kritik am basalen Formzusammenhang des Kapitalismus und der geschlechtlichen Abspaltung. Eine negative Objektivität der inneren Schranke auf der historisch erreichten Höhe der kapitalistischen Dynamik passt nicht zu den diversen Handlungsoptionen der Linken. Gemeinsam ist den vorherrschenden Positionen eine zirkulationsideologische Reduktion der Krisentheorie. Der Begriff der Krise wird auf eine bloße „Bereinigungskrise“ auf der Marktebene verkürzt und dabei ein ganzer Strang der Marxschen Analyse eliminiert. Aber nur bei oberflächlicher Betrachtung folgt diese Verkürzung einem traditionsmarxistischen Denken. Vielmehr trägt der Postmarxismus der qualitativ neuen Dynamik des Kapitals insofern (wenn auch nur implizit) Rechnung, als kategorial immanente Handlungsoptionen heute nur noch um den Preis einer grundlegenden Revision der Marxschen Werttheorie zu haben sind. Exemplarisch soll dies am Postoperaismus von Hardt/Negri und an der neuen Marxlektüre in der Version von Reichelt und vor allem Heinrich skizziert werden. Dabei zeigt sich, dass man unter den veränderten Bedingungen nicht mehr nicht über Marx hinausgehen kann; aber es kommt darauf an, ob man mit Marx über Marx hinaus geht oder gegen Marx hinter Marx zurückfällt. Das betrifft nicht nur den Begriff der Krise, sondern auch den Begriff der Kritik. Kaum überraschend lässt sich trotz aller scheinbaren Gegensätze eine Konvergenz von Postoperaismus und neuer Marxlektüre in der Revision der Marxschen Werttheorie feststellen. Die Wert-Abspaltungskritik folgt in ihrem theoretischen Programm einem völlig entgegengesetzten Weg. Mittagessen Abreise Zum Tagungsort Haus Mühlberg (Tagungs- und Freizeitstätte der Ev. Kirche der Pfalz), AnreisebeschreibungAm Mühlberg 17 67677 Enkenbach-Alsenborn (Ortsteil Enkenbach) Tel.: 06303 - 2337 Enkenbach liegt ca. 10 km östlich von Kaiserslautern, an der Bahnstrecke Bingen - Kaiserslautern; kann also von der Rheinstrecke her (Koblenz - Bingen) direkt angesteuert werden, oder mit Umsteigen in Kaiserslautern (hier halten auch die ICEs der Strecke Mannheim - Saarbrücken - Paris Est). Mit dem Auto ist Enkenbach auch sehr gut zu erreichen: Über die A 6 (Mannheim - Saarbrücken), eigene Ausfahrt Enkenbach-Alsenborn 10 km östl. von Kaiserslautern. Vom Bahnhof kommend erreicht man das Haus Mühlberg zu Fuß in ca. 10 Minuten: man verlässt den Bahnhof nach links, an der Hauptstrasse wieder links über einen Bahnübergang und einen Kreisverkehr hinweg; ca. 200 m nach dem Kreisverkehr (der mit einem Elefanten aufwartet) links den Berg hoch (Haus Mühlberg ausgeschildert). Mit dem Auto von der Autobahn kommend fährt man bis zur Kreuzung mit Ampel in der Ortsmitte, dort rechts und dann weiter über besagten Bahnübergang und Kreisverkehr. Teilnehmerkosten pro Person mit Übernachtung und
Verpflegung
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