Einladung zum EXIT!-Seminar 2015
vom 16. - 18. Oktober in Mainz
Gesellschaftskritik – Subjekt – Psychoanalyse
Im Exit-Seminar 2015 soll es um den Themenkreis Gesellschaftskritik – Subjekt – Psychoanalyse gehen. Es reicht heute nicht aus, Zerfallsprozesse des kapitalistischen Patriarchats und eine entsprechende „Krise des Subjekts“, die sich immer mehr zuspitzen, vor allem ökonomisch und politisch zu analysieren – die gebrochene Totalität der Spätpostmoderne ist komplizierter. Das Problem des Verhältnisses von Wert-Abspaltungs-Kritik und Psychoanalyse ist dabei nach wie vor ungelöst und es kann wohl auch nicht im Sinne einer systemischen Eintracht zur Deckung gebracht werden; dazu sind die gesellschaftlichen Verhältnisse zu widersprüchlich. Mit Adorno sollte hier also keine Zwangsvereinheitlichung angestrebt werden. Den Schwerpunkt des Seminars bildet der Zusammenhang von (Spät)Postmoderne und narzisstischem Sozialcharakter, der schon seit Jahrzehnten einschlägige Teile der Linken umtreibt, ja mittlerweile geradezu zur Plattitüde geworden ist.
Mit dem psychanalytischen Blick auf die spezifische Verfassung des Subjekts in der Krise heute ergibt sich jedoch auch das Problem, in welches Verhältnis die von Marx vorgelegte „Kritik durch Darstellung“ zur völlig anders verfahrenden freudschen „Kritik durch Deutung“ aus Sicht der Wert-Abspaltungs-Kritik zu setzen ist. Ausgangspunkt für die Behandlung dieser Fragestellung ist, dass man/frau die fundamentale Krise und ein Zu-ende-gehen des Kapitalismus in der Linken immer noch häufig abwehrt, obwohl jede/r im Grunde genommen weiß (durch die Verlaufsformen der gnadenlosen Krisenverwaltung es zunehmend unleugbar wird), dass es so nicht weitergehen kann.
Freitag, 16. Oktober
19.00–21.30
Johanna Schmidt: Gesellschaftskritik und Psychoanalyse. Eine kritische Einführung in die Psychoanalyse
Die Einwände gegen die Psychoanalyse – die meist schon vorab als widerlegte oder gar lächerliche Theorie abgetan wird – sind vielfältig: So steht sie in der Kritik, deterministisch, individualistisch und anti-feministisch zu sein. Ihr wird vorgeworfen, den Menschen als notwendiges Produkt seiner Kindheitsentwicklung zu verstehen. Sie würde des Weiteren gesellschaftliche Einflüsse auf das Individuum nicht hinreichend mit einbeziehen und könne somit soziale Phänomene nicht erklären. Außerdem konzentriere sich psychoanalytische Theorie nur auf das Männliche und rechtfertige eine Inferiorsetzung von Weiblichkeit.
In dem Vortrag sollen – nach einer kurzen Erläuterung psychoanalytischer Grundannahmen – solche Meinungen und Einwände auf ihre Richtigkeit überprüft und der Frage nachgegangen werden, inwieweit psychoanalytische Theorie für eine Ideologiekritik der modernen Gesellschaft fruchtbar gemacht werden kann. Im Vortrag werden neurotische Zwänge sowie familiäre sexuelle Übergriffe thematisiert.
Es besteht somit eine Trigger-Gefahr für Betroffene.
Samstag, 17. Oktober
10.00 – 12.30 Uhr
Anselm Jappe: War alles Descartes‘ Schuld? – Einige Betrachtungen zum Verhältnis von Narzissmus und Warenfetischismus
Der Narzissmus gehört zum postmodernen, neoliberalen Kapitalismus wie die klassische Neurose zum Kapitalismus der Aufstiegsphase: diese Ansicht ist mittlerweile recht verbreitet. Aber meistens wird „Narzissmus“ nur als übertriebenes Selbstwertgefühl verstanden. Eine weitergehende, sich z. T. auf Christopher Lasch stützende Interpretation sieht darin
eine Regression auf archaische, frühkindliche Stadien. Lasch selbst bringt diese Regression in Zusammenhang mit dem postfordistischen, konsumorientierten Kapitalismus, so wie auch neuere Autoren (Götz Eisenberg, Neo-Lacanianer in Frankreich). Das reicht aber nicht. Der Narzissmus, im Sinne der Abwesenheit echter Objektbeziehungen, ist eng mit der abstraktifizierenden Wertlogik verknüpft, die von jedem Inhalt absieht . Dieser Zusammenhang besteht bereits seit Descartes‘ „Cogito ergo sum“ und seiner „Weltlosigkeit“, aber zeigt sich erst heute in seinem ganzen Destruktionspotential.
15.00 – 17.30 Uhr
Lutz Eichler: Der Wert des Selbst. Negative Dialektik des Narzissmus
Die Psychoanalyse hat ihre liebe Not mit dem Narzissmusbegriff: Einmal von Freud eingeführt, kämpfen die nachklassischen Theorien mit Erbe und konkurrierenden Konzepten. Besonders scharf wird die Auseinandersetzung, wenn es um vermeintliche oder wirkliche sozialpsychologischen Entwendungen oder zeitdiagnostische Banalisierungen geht, zu denen der Begriff wie kaum ein zweiter aus dem psychoanalytischen Vokabular einzuladen scheint.
Von außen, aus gesellschaftskritischer Sicht, entspannt sich die eine oder andere innerfachliche Kontroverse, da sich unvereinbar gegenüber stehende Positionen als dialektische Einheiten darstellen.
Im Vortrag versuche ich einen kursorischen Überblick über ältere und aktuelle Narzissmuskonzeptionen zu geben, die ich entlang meiner eigenen, an Adorno orientierten Fassung sortiere. Besondere Aufmerksamkeit wird dem neuesten Schrei der analytischen Theoriemode, dem Intersubjektivismus, und seinen Gegnern gewidmet.
ab 19.00 Uhr
Mitgliederversammlung des Vereins für kritische Gesellschaftswissenschaften
Sonntag, 18. Oktober
10.00 – 12.30 Uhr
Daniel Späth: „Kritik durch Deutung“ – Wert-Abspaltungs-Kritik, Psychoanalyse und die Irrationalität des narzisstischen Zerfallssubjekts
Fünfundzwanzig Jahre ist es mittlerweile her, dass die radikale Krisentheorie mit dem „Kollaps der Modernisierung“ (Robert Kurz) sich innerhalb der linken Publizistik und ihrer Reaktionen auf den Zusammenbruch der Sowjetunion positionierte. Dass der ökonomische Ruin des Staatssozialismus der Vorschein einer tiefer liegenden Krise des gesamten Weltkapitals sein könne, diese These stand quer zur krisentheoretischen Abrüstung des Linksradikalismus. Verblasste, bedingt durch die postmoderne Wende, auch bei den orthodox-marxistischen Teilen jedweder Bezug auf akkumulationstheoretische Begründungen, um die objektivierte Fetischkonstitution in bloße politische Kräfteverhältnisse und Wechsellagen aufzulösen, musste die Reformulierung der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie auf der Höhe der Zeit von Anfang an verdächtig erscheinen.
Wurde die radikale Krisentheorie zunächst auch und gerade von linksradikaler Seite totgeschwiegen, konnte sie doch über ihren krisentheoretischen Kern hinaus Einfluss in der Linken gewinnen, sodass die Ignoranz von der Denunziation abgelöst wurde: Kapitalismus und objektive „innere Schranke“ (Marx)? Ihr habt sie doch nicht mehr alle! Zu allem Unglück erfasste die objektive „innere Schranke“ des Weltkapitals spätestens seit 2008 in vollem Umfang, sodass selbst die in konkretistischer Manier immerzu angeführte Empirie nur noch schwer gegen die radikale Krisentheorie ins Feld geführt werden kann. Seitdem sind Ignoranz und Denunziation gegen die radikale Krisentheorie von ihrer eklektizistischen Aneignung abgelöst werden, wodurch Versatzstücke der radikalen Krisentheorie in dem zur Szene verkommenen Linksradikalismus herumgeistern, ohne dass auch nur einer kategorialen Krise des Kapitals oder die daraus erwachsenden Implikationen in Bezug auf die Verwahrlosung des postmodernen Zerfallssubjekts in irgendeiner Form ernsthaft in Betracht gezogen würden.
Die aus Sicht der Wert-Abspaltungs-Kritik paradoxe Gegenläufigkeit, dass einerseits die Theorie einer fundamentalen Krise des Kapitals durch die europäische Krisenverwaltung ungemein an Brisanz gewinnt, andererseits die Linke aber noch nie so weit wie heute davon entfernt war, eine inhaltliche Auseinandersetzung mit ihr auch nur im Ansatz zu versuchen, drängt geradezu zu einer psychoanalytischen Kritik dieser grunsätzlichen Krisenaversion. Der postmoderne Eklektizismus, dem sich auch die Linke leidenschaftlich verschrieben hat, wirft sich auf jede noch so konträre Auffassung, um ihr durch Einverleibung den Stachel der Kritik zu ziehen. Diese irrationale Aversion gegen die Krisentheorie, die wie kein anderer Affekt für die gedankliche Selbstauslieferung des Linksradikalismus an die fetischistischen Systemgesetzte steht, bedarf einer kritischen Aufarbeitung; und das umso mehr, da der Versuch des Unschädlich-Machens radikaler Krisentheorie nur der zugespitzte Ausdruck einer Erosion des Linksradikalismus ist, die wesentlich auch sozialpsychologisch konstituiert ist.
Allerdings ist diese psychosoziale Irrationalität des narzisstischen Sozialcharakters der Postmoderne nicht mehr mit den Kriterien der Marxschen „Kritik durch Darstellung“ zu fassen. Mit dem Aufbrechen der objektivistischen Wertkritik und der Entstehung der Wert-Abspaltungs-Kritik konnte auch die psychoanalytische Ebene für die Kritik des postmodernen Zerfallssubjekts fruchtbar gemacht werden. Da die Psychoanalyse als eigener theoretischer Gegenstand einer wert-abspaltungs-kritischen Ausarbeitung bis heute harrt, muss sich die – in sich widersprüchliche – Integration der psychoanalytischen Ebene in die Wert-Abspaltungs-Kritik am inhaltlichen Begründungsanspruch messen lassen. In diesem Sinne wird der Vortrag versuchen, eine wert-abspaltungs-kritische „Kritik durch Deutung“ von der Marxschen „Kritik durch Darstellung“ abzugrenzen, um insbesondere in Bezug auf die Freudsche Theorie darzulegen, wie ihr als Konstitutionstheorie der psychischen Form sowohl kritische, als auch affirmative Momente eignen. Ein zweiter Teil wird auf dieser Basis die psychodynamischen Implikationen des narzisstischen Sozialcharakters ausleuchten, um so letztlich auch auf die sozialpsychologischen Schranken aufmerksam zu machen, die sich der radikalen Krisentheorie gegenüber auftun.
Zum Tagungsort
Jugendherberge Mainz
Otto-Brunfels-Schneise 4
55130 Mainz
Telefon 06131/85332
mainz@diejugendherbergen.de
http://www.diejugendherbergen.de/jugendherbergen/mainz/mainz/portrait/
Anreise
Mit der Bahn:
Mainz ist EC- und IC-Station. Vom Hauptbahnhof Buslinien 62 und 63 in Richtung Weisenau-Laubenheim, Haltestelle „Am Viktorstift/Jugendherberge“.
Mit dem Pkw:
Über Autobahnring A60 Mainz-Darmstadt, Abfahrt Weisenau/Großberg in Richtung Innenstadt/Volkspark.
Teilnahmekosten pro Person mit Übernachtung und Verpflegung
Freitag bis Sonntag:
Fünfbettzimmer mit Dusche/WC: 80 Euro (5 Plätze)
Vierbettzimmer m. Dusche/WC: 80 Euro (40 Plätze)
Einzelzimmer m. Dusche/WC: 90 Euro (5 Plätze)
TN-Beiträge bitte nicht vorher überweisen, sondern in bar mitbringen.
Teilnahme nur am Seminar: Tagungsbeitrag 15 Euro
Es stehen bis zu 50 Plätze zur Verfügung.
Wer nicht im Haus übernachtet, aber bestimmte Mahlzeiten dort einnehmen will, gebe bitte bei der Anmeldung, welche (Frühstück, Mittagessen, Nachmittagskaffee, Abendessen).
Teilnehmer, die nicht in der Jugendherberge übernachten wollen, bitten wir, sich selbst um eine externe Übernachtungsmöglichkeit zu kümmern. Die Jugendherbergsleitung hat uns das Hotel Stiftswingert (Am Stiftswingert 4; Tel. 06131-982640) und das Ibis-Hotel (direkt am Südbahnhof; Holzhofstr. 2, Tel. 06131-2470) empfohlen; von beiden ist das Tagungshaus gut zu Fuß zu erreichen; man muss jeweils mit ca. 50€ pro Nacht rechnen.
Ermäßigung
Wer sich den TN-Beitrag nicht leisten kann, muss deswegen nicht auf das Seminar verzichten: bitte sprecht uns in diesem Fall bei Eurer Anmeldung wegen einer Ermäßigung an!
Anmeldung:
Per E-mail: seminar + @exit-online.org (bitte manuell zusammenfügen und das Pluszeichen dabei weglassen)
Per Post: Verein für kritische Gesellschaftswissenschaften, Heiko Gebauer, Buddestraße 16, 33602 Bielefeld
Roswitha Scholz für die EXIT!-Redaktion