erschienen in der Jungen Welt Gerd BedszentFinale Krise?Ein Sammelband zum aktuellen Desaster des KapitalismusDie Hamburger Zeitschrift konkret samt zugehörigem Verlag hat ihre besten Zeiten hinter sich – spätestens seit sich das einstige Publikationsorgan des westdeutschen Linksradikalismus in den 1990er Jahren bellizistisch gewendeten Ex-Linken geöffnet hat. Interessant bleibt aber, darin geführte Debatten zu verfolgen. Besonders wenn es, wie in dem kürzlich erschienenen Sammelband »No way out?« um die jüngste Finanz- und Eurokrise geht. Herausgeber Hermann L. Gremliza ist beizupflichten, wenn er sich im Vorwort über die allgemeine Ratlosigkeit der Analytiker des modernen Finanzwesens und anderer hochbezahlter Gesundbeter des Kapitalismus lustig macht. Die Linke wurde allerdings nicht minder überrascht. Banken oder StaatIn einem von Gremliza moderierten und einleitend erstmals vollständig abgedruckten Streitgespräch mehrerer prominenter Publizisten interpretiert der Nürnberger Autor Robert Kurz die Finanzkrise als »längst überfällig« und als Symptom der finalen Krise des kapitalistischen Systems. Er unterscheidet deutlich zwischen dessen aus Eigendynamik resultierendem Kollaps und seiner Überwindung. Der Literaturwissenschaftler Joseph Vogl widerspricht ihm. Der Kapitalismus werde keineswegs an inneren Widersprüchen zusammenbrechen, die Finanzkrise setze lediglich längst überfällige »Umverteilungen von oben nach unten« um. Die Finanzindustrie wirke dabei als »Versöhnungsmechanismus« zwischen Kapital und Arbeit. Michael Heinrich, Politikwissenschaftler und Prokla-Redakteur, prognostiziert als Ergebnis der Krise eine massive Senkung des Lebensstandards der Bevölkerung. Er widerspricht dem Marxschen Theorem vom tendenziellen Fall der Profitrate und sieht ein Ende des Kapitalismus ebenfalls nicht in Sicht. Der Hamburger Publizist Thomas Ebermann meint unter Berufung auf Angela Merkel, daß Deutschland wohl als »ideeller Gesamtkapitalist« siegreich aus der Krise hervorgehen werde. Das Problem seien nicht die Banken, sondern der kapitalistische Staat. Auf Grundlage des in konkret zunächst auszugsweise abgedruckten Interviews nahmen neun weitere linke Autoren zur Frage des Auswegs aus der Krise Stellung. Der US-amerikanische Historiker Moishe Postone stimmt in einem Interview Robert Kurz weitgehend zu. Die Krise des Kapitalismus resultiere aus einem bevorstehenden Ende der Expansion der Lohnarbeit. Die wahrscheinliche Reaktion sei die Entstehung hochmilitarisierter Staaten, die mittels brutaler Repression die nunmehr »überflüssig« gewordenen und verarmten Bevölkerungsgruppen in Schach hielten. Kritisches BewußtseinEtwas enttäuschend ist der Beitrag von Sahra Wagenknecht. Die einstige Vorzeigekommunistin der Linkspartei erteilt einer »abstrakten Systemkritik« eine klare Absage und plädiert für »mittelfristig durchsetzbare Alternativen«. Ihr gut gemeinter Vorschlag, jetzt in Deutschland schnell die Löhne zu erhöhen, damit die Leute viel griechische Oliven und spanischen Wein kaufen, erscheint allerdings naiv und kommt um Jahre zu spät. Die derzeitigen wirtschaftlichen Probleme Südeuropas resultieren aus dem Zusammenbruch ganzer Industriezweige und sind mit einer Ankurbelung der Tourismusbranche kaum zu bewältigen. Der Hamburger Autor Rainer Trampert beklagt zutreffend fehlendes kritisches Bewußtsein in der Linken. An die Stelle des Strebens nach einer befreiten Gesellschaft seien Reparaturleistungen am kapitalistischen System getreten. Trampert setzt Bankenkritik mit Antisemitismus gleich und fordert statt dessen einen Kampf gegen die imperialistischen Großmächte. Wieso er China als drittes imperialistisches Hauptzentrum benennt, obwohl der enorme Industrialisierungsschub des Landes zum großen Teil mit westlichem Kapital finanziert wurde, bleibt allerdings unklar. Der Autor Dietmar Dath ignorierte in seinem Beitrag die Frage der kapitalistischen Krise souverän, um letztlich ein nur etwas verklausuliertes Plädoyer für eine sozialistische Planwirtschaft auf der Grundlage moderner Mikroelektronik an die Leser zu bringen. Der Historiker Thomas Kuczynski sieht ebenfalls kein Ende des Kapitalismus - aus allen bisherigen Krisen sei das kapitalistische System als »vorläufiger Endsieger« hervorgegangen. Unter Hinweis auf mehrere Staatbankrotte des 16. bis 18. Jahrhunderts erklärt Kuczynski diese als einfaches Mittel, sich angehäufter Schuldenberge zu entledigen. Wie er allerdings selbst schreibt, konnte es absolutistischen Herrschern egal sein, wenn ihre Gläubiger dadurch in Konkurs gingen. In der spätkapitalistischen Moderne wird die Legislative zumeist durch Angehörige der Oberschicht gestellt, die als Inhaber von Fonds und Aktienpaketen selbst in das Finanzwesen verstrickt sind. Und welcher Banker enteignet sich freiwillig selbst? Der von Kuczynski zitierte Fall des russischen Oligarchen Oleg Deripaska, der dem Vernehmen nach einen Milliardenverlust mit Achselzucken quittierte, dürfte kaum repräsentativ sein. Hermann L. Gremliza (Hg.): No way out? - 14 Versuche, die gegenwärtige Wirtschafts- und Finanzkrise zu verstehen. KVV konkret, Hamburg 2012, 190 Seiten, 19,80 Euro |