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Unter dem Titel „Bitte ein Bitcoin“ erschienen in KONKRET 3/2014

Claus Peter Ortlieb

Digitale und andere Blüten

Was die Karriere des Bitcoins über den Zustand des Geldmediums verrät

Unter dem Titel „Bits and Barbarism“ erzählt der hier schon öfter (zuletzt in Ende des Spiels) genannte Paul Krugman in seiner Kolumne der New York Times vom 22. Dezember 2013 eine Fabel von drei Arten der Geldschöpfung, von denen zwei eine monetäre Regression darstellten, die dem merkwürdigen Entschluss vieler Leute geschuldet sei, die Uhr hinter den in Jahrhunderten erreichten Fortschritt zurück zu drehen.

Als Beispiel für die erste Art der Geldschöpfung wird die Porgera-Goldmine in Papua-Neuguinea genannt, einer der derzeit größten Goldproduzenten mit einem furchtbaren Ruf sowohl für seine Verletzungen von Menschenrechten als auch für die von ihm verursachten Umweltzerstörungen. Doch weil der Preis von Gold trotz seines Einbruchs seit dem letzten Höchststand immer noch dreimal so hoch ist wie eine Dekade zuvor, müsse eben danach gegraben werden.

Als paradigmatischen Ort für die zweite, sehr viel merkwürdigere Art der Geldschöpfung nennt Krugman die „Bitcoin-Mine“ in Reykjanesbaer, Island. Der Bitcoin ist eine digitale Währung (siehe Anhang). Warum sie einen Wert besitze, sei schwer zu sagen, beruhe aber zunächst einmal darauf, dass Leute bereit seien, sie zu kaufen, weil sie glauben, andere Leute seien ebenso dazu bereit. Es handele sich um eine Art virtuelles Gold: Man kann Bitcoins schürfen, d. h. neue Bitcoins schaffen, indem sehr komplexe Mathematikaufgaben gelöst werden, was allerdings eine hohe Rechnerleistung und zum Betrieb der Rechner eine großen Verbrauch an elektrischer Energie erforderlich macht. Und weil nun einmal in Island die Elektrizität billig und genügend kalte Luft zur Kühlung der heißlaufenden Rechner vorhanden ist, sei dort der ideale Ort für das Schürfen von Bitcoins zu finden.

Diesen beiden seiner Ansicht nach regressiven Arten der Geldschöpfung stellt Krugman eine vernünftige dritte, angeblich hypothetische Art entgegen, die in Keynes Ratschlag aus dem Jahr 1936 besteht, dass Regierungen in der Krise Geld ausgeben, das sie gar nicht haben. Damals wie heute gebe es politische Vorbehalte gegen diesen Vorschlag, weshalb Keynes ironisch als Alternative empfohlen habe, die Regierung solle Geld in Flaschen vergraben und dann durch private Investoren wieder ausgraben lassen. Auch durch völlig unsinnige Staatsausgaben werde die Wirtschaft angekurbelt. Und schließlich sei die Goldschürferei von dieser Art sinnlosen Aktivität nicht weit entfernt: Dort werde Gold an einer Stelle aus der Erde geholt, um es an anderer Stelle als Goldschatz der Zentralbanken wieder zu verbuddeln. Der Goldstandard sei, so Keynes, ein „barbarisches Relikt“. Und – jetzt wieder Krugman – der Bitcoin steigere den Unsinn noch, indem Ressourcen verbrannt werden, um „virtuelles Gold“ zu kreieren, das aus nichts als elektronischen Zeichenketten besteht.

Von außen betrachtet, also unter rein stofflichen Gesichtspunkten, fällt auf, dass die ganze Debatte Züge von Irrsinn trägt. Die hier in Rede stehende „Barbarei“ ist in einem gesellschaftlichen Verhältnis begründet, das Menschen völlig unsinnige oder gar gesamtgesellschaftlich schädliche Tätigkeiten abverlangt, damit sie die nächsten Tage oder Wochen überleben dürfen. Dabei handelt es sich bekanntlich um eines der geringeren Übel der herrschenden Produktionsweise, das freilich nicht auf die Geldschöpfung beschränkt ist, sondern die Arbeitsverhältnisse im niedergehenden Kapitalismus durchzieht: von der (keynesianischen Empfehlungen folgenden) Abwrackprämie über die präventive Vergabe von Antibiotika in der Massentierhaltung bis zur Verwüstung ganzer Landstriche für die letzten Tropfen Öl, um nur ein paar der eher noch harmlosen Beispiele zu nennen.

Und barbarisch am Gold ist ja nicht das Metall, sondern dass es zum Fetisch gemacht wird, der allerdings ohne den zugrunde liegenden Waren- und Geldfetisch nicht möglich wäre, wie die „Wilden von Kuba“ zeigen, von denen Marx erzählt: Ohne Geld als gesellschaftliches Verhältnis lässt sich mit dem Gold ein durchaus lockerer Umgang pflegen.

Das Schürfen von Bitcoins schließlich ist in diesem Kontext zwar ebenfalls verrückt, aber doch vergleichsweise harmlos, es ist die Farce, als die sich Geschichte nach einem Wort von Marx wiederholt, hier die Geschichte des Goldfetischs. Bitcoins lassen sich aus dem Nichts erzeugen wie Buchgeld. Um dennoch Werthaltigkeit zu simulieren, wird ihnen ein Goldkostüm umgehängt. Wie beim Gold muss erst ein gewisser Aufwand an Arbeit und Ressourcen getrieben werden, bevor die Bitcoins zum Vorschein kommen. Doch das ist bloßer Schein, weil dieser Aufwand völlig unnötig ist, die Bitcoins ließen sich auch ohne ihn erzeugen. Das ist beim Gold anders, da die Arbeit (einschließlich der mit ihr verbundenen Ausbeutung und Umweltzerstörung) tatsächlich notwendig ist, um es aus der Erde zu holen.

Die riesigen, im Finanzhimmel kreisenden und nach Anlagemöglichkeiten suchenden Geldmengen führen auf allen Märkten, denen sie sich zuwenden, zur Inflation, so etwa auf Aktien-, Immobilien- und Rohstoffmärkten. Ein Beispiel: Der Dow Jones Index, ein Maß für die Bewertung US-amerikanischer Aktiengesellschaften durch die Börse, stieg zwischen 1982 und 2000 inflationsbereinigt um den Faktor sieben, und das in einer Zeit, in der die US-amerikanische Realwirtschaft stagnierte. Für die Aktienbesitzer ist eine solche „asset inflation“ durchaus willkommen, weil sie ja ihre Aktien wieder verkaufen können. Dass dem siebenfachen Geldvermögen immer noch derselbe Unternehmenswert gegenübersteht, spielt dabei keine Rolle.

Dem Bitcoin war es in den ersten elf Monaten des Jahres 2013 vergönnt, eine noch größere Blase zu generieren, indem sein Wechselkurs gegenüber dem Dollar sich um den Faktor 93,5 erhöhte (siehe Anhang), ohne auch nur den geringsten realen Wert zu repräsentieren. Ironischerweise ist in den ideologischen Begründungen für digitale Währungen gern vom Verlust an Vertrauen in die Finanzmärkte und Zentralbanken die Rede, denen deshalb eine „seriöse“ Währung gegenübergestellt werden solle, die sich nicht manipulieren lässt. Doch hinter dem Rücken der Akteure gerät das Instrument dann unversehens zu einem weiteren Spekulationsobjekt. Immerhin werden einige von ihnen dabei reich.

Allerdings ist das Misstrauen dem Zentralbankgeld gegenüber angesichts der fehlenden Deckung durch reale Werte durchaus angebracht und erklärt auch die Flucht ins Gold als Mittel der Wertaufbewahrung. Ob Gold dafür wirklich ein geeignetes Mittel ist, bleibe dahingestellt, schließlich hat sich auch hier eine Blase gebildet, die wie alle Blasen platzen kann.

Im kapitalistischen Sinne produktiv ist Geld nur dort angelegt, wo durch die Ausbeutung von Arbeit Mehrwert erzeugt wird. Offenbar gibt es diese Anlagemöglichkeit für das vorhandene Geld nicht mehr in ausreichendem Maße, so dass immer mehr Geld sich bloß noch fiktiv vermehrt oder aber, etwa als Edelmetall, einfach gehortet wird. Auch wenn Keynesianer sich das nicht vorstellen können oder mögen, so verweist diese Entwicklung doch darauf, dass Geld als gesellschaftliches Verhältnis in den vierzig Jahren seit Ende des Bretton-Wood-Systems obsolet geworden ist.

Anhang: Bitcoin & Co

Bitcoins lassen sich im Internet gegen Dollar oder Euro tauschen. Hat man welche erworben, so bilden sie ein Konto auf der eigenen Festplatte, eingebunden in ein Peer-to-Peer-Netzwerk und durch kryptographische Verfahren geschützt. Alle Bitcoin-Transaktionen sind in diesem Netzwerk öffentlich, die Besitzer der Bitcoin-Konten bleiben dagegen anonym. Der Idee nach handelt es sich bei digitalen Währungen um Geld ohne Banken und ohne Staat. Von den Einsatzmöglichkeiten zur Geldwäsche, im Drogenhandel und bei anderen verdeckten Aktivitäten einmal abgesehen, ist der Gebrauchswert von Bitcoins als Zahlungsmittel allerdings bescheiden. Die wenigen Unternehmen, die Bitcoins annehmen (siehe etwa http://go-bitcoin.com, auch zur grotesken Selbstüberschätzung der Szene), akzeptieren natürlich auch Bargeld und andere der üblichen Zahlungsmethoden, und die Bezahlung damit ist erheblich einfacher.

Für die Möglichkeit elektronischer Zahlungen ohne Banken wäre nämlich ein fester Wechselkurs zwischen Bitcoin und Dollar adäquat. Tatsächlich ist dieser Wechselkurs dem Markt überlassen, und das macht Bitcoins zum Spekulationsobjekt. Die allermeisten Bitcoins werden nicht für Käufe, sondern zur Währungsspekulation eingesetzt. Wer im Jahr 2013 Bitcoins hortete, konnte reich werden: Zwischen dem 1. Januar und dem 30. November stieg der Kurs des Bitcoin um den Faktor 93,5 von 13 auf 1216 Dollar. Anschließend brach er um 50 Prozent ein und erholte sich dann wieder. Im Januar 2014 schwankte der Kurs zwischen 770 und 900 Dollar. Die hohe Volatilität stellt den Bitcoin als Zahlungsmittel in Frage: Niemand gibt Bitcoins aus, wenn zu erwarten ist, dass sie in der nächsten Woche 15 Prozent wertvoller sind, und niemand akzeptiert sie, wenn ein Kurseinbruch droht.

Ein weiterer Markt tut sich im Zusammenhang mit dem „Bitcoin Mining“ auf, dem „Schürfen“ neuer Bitcoins. Wer die produzieren und auf sein Konto leiten will, muss in Konkurrenz zu anderen komplexe Rechenaufgaben lösen. In den Anfängen des Bitcoin genügte dazu ein normaler PC, inzwischen sind Rechenmaschinen erforderlich, mit deren Abwärme sich ein ganzes Haus heizen ließe und deren Anschaffungspreis der eines Mittelklasse-PKWs ist. Und trotz dieses Aufwands ist der Erfolg nicht sicher, weil die Konkurrenz groß und die Anzahl neuer Bitcoins durch den zugrunde liegenden Algorithmus limitiert ist. Am Ende profitieren wie beim Gold nicht die Schürfer, sondern diejenigen, die ihnen die Schürfwerkzeuge verkaufen.

Die maximale Menge von Bitcoins ist auf 21 Millionen festgelegt, Ende Januar 2014 gab es 12,3 Millionen im Wert von insgesamt etwa 10 Milliarden Dollar. Aber der kann sich schnell wieder ändern.




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