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Richard Aabromeit

Was wir wohl von Ulrike Herrmann lernen können?

Zu ihrem neuesten Buch

Für die Studierenden der Ökonomie

Ulrike Herrmann hat ein neues Buch, ihr fünftes nach „So macht Familie richtig Spaß!: Gute Traditionen lebendig halten – Alternativen zu Fernsehen, PC und Co.“ (2002), „Älter werden, Neues wagen: zwölf Porträts“ (2008; zusammen mit Martina Wittneben), „Hurra, wir dürfen zahlen“ (2012) und „Der Sieg des Kapitals“ (2013), geschrieben: „Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der Ökonomie oder Was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können“ (Westend Verlag, Frankfurt/Main 2016; 288 S.; € 18,00) – Es wurde ein SPIEGEL Bestseller! Das ist allemal ein guter Grund, eine kleine Rezension zu wagen, vor allem dann, wenn obendrein der Titel recht amüsant klingt und jede/n (radikale/n) Gesellschaftskritiker/in wenigstens hellhörig machen sollte. Denn wenn kein Kapitalismus keine Lösung sein sollte, hieße das etwa, dass der Kapitalismus selbst letztendlich doch die Lösung all unserer Probleme und insbesondere diejenige der herrschenden Krise wäre? Hatten wir nicht bislang gedacht, dass der Kapitalismus das Problem darstellt, also keineswegs die Lösung sein kann? Nun ja: In diese Richtung möchte die Wirtschaftskorrespondentin der taz an dieser Stelle dann doch nicht geschoben werden. „Der Titel meines Buches ist […] durchaus ironisch gemeint“ (S. 13) beteuert Herrmann schon am Anfang. Und weiter: „Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung zielt direkt auf Mainstream-Ökonomie, die noch immer so tut, als könnte man sich in die heile Welt der kleinen Wochenmärkte zurückziehen, wo nur Äpfel und Birnen gehandelt werden.“ (ebd.). Sie erklärt uns auch: „Aber natürlich spielt der Titel auch darauf an, dass es nicht so einfach ist, den Kapitalismus abzuschaffen – eine Erfahrung, die schon Marx machen musste. […] Das Abenteuer namens Kapitalismus lässt sich am besten erfahren, wenn man seine klügsten Theoretiker kennt. Also Smith, Marx, Keynes.“ (S. 14). Es hat gute Gründe, warum Herrmann auf die älteren Herren der Politökonomie zurückgreift oder zurückgreifen muss: „Selbst berühmte Volkswirte sind inzwischen überzeugt, dass ihr Fach mit einer rationalen Wissenschaft nichts mehr zu tun hat, sondern sich in quasi-religiöse Sekten zerlegt, die doktrinäre Glaubenssätze verbreiten.“ (S. 12). Mit solchen Behauptungen – ob sie nun zutreffen oder nicht – linke Autor/inn/en sondern nur allzu gerne derartige Schmähungen ab oder greifen sie jedenfalls gerne auf – ist sie ja tatsächlich gehalten, entweder selbst weiterführende und angemessenere Gedanken zu entwickeln, oder eben auf frühere Geistesgrößen zurückzugreifen. Da ihr Buch wohl nicht der Darlegung eigener grundlegender Erkenntnisse dienen kann oder soll, hat Herrmann sich für die zweite Möglichkeit entschieden. Und sie nimmt uns im Anschluss an diese Vorrede mit auf einen ausführlichen, immer wieder ’mal auch sehr informativen, Durchgang durch die analytischen Gärten Eden, aber auch durch die Irrgärten von Adam Smith, Karl Marx und John Maynard Keynes, mit dem ausdrücklichen Ziel zu zeigen, was wir von ihnen lernen können: „Die Ökonomie muss daher zu Smith, Marx und Keynes zurückkehren, wenn sie relevante Erkenntnisse produzieren will“ (S. 233), denn: „Die Ökonomie steckt in der Krise.“ (S.11). Wie wir sehen werden, passieren ihr dabei aber immer wieder Verkürzungen, oberflächliche Darstellungen komplexerer Zusammenhänge und weitere Merkwürdigkeiten. Es ist eben letztendlich ein Buch, das sich gut verkaufen soll, ergo eine große Menge an halbwegs interessierten Menschen ansprechen können muss, und daher – es musste so kommen – einfach zu lesen sein und schwierige Problemkreise simplifizieren oder eskamotieren muss. Dadurch ist ihr Buch in der Tat auch für Ungeübte gut lesbar, aber um den Preis der schon genannten Schwächen. Ob Herrmann uns in ihrem Buch tatsächlich verraten kann, was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können, ob sie also ihre Ankündigung im Untertitel wahrmachen kann und will, das wird sich zeigen.

Adam Smith

Herrmann beginnt nach einer kurzen Einleitung mit Adam Smith. Obwohl zum Teil lange vor Adam Smith (1723–1790) zahlreiche Männer (richtig: nicht eine einzige Frau) zu (polit-) ökonomischen Themen ihre Gedanken formuliert und niedergeschrieben haben1, gilt Smith heute allgemein als der Begründer der modernen Wirtschaftswissenschaften. Herrmann schließt sich dieser Mainstream-Implikatur ohne weitere Begründung an: „Smith war der erste große Wirtschaftstheoretiker“ (S. 15) und steigt also von unsichtbarer Hand gelenkt mit der Darstellung der Smithschen Gedankenwelt in ihre Ausführungen ein.

Bereits ab Seite 15, also ab Kapitel 2, wird für Eingeweihte schnell klar, dass Herrmann über das, was sie augenscheinlich adäquat rezipiert hat, sehr leicht verständlich, zuweilen auch vergnüglich, und fast immer sehr informativ schreiben kann; allerdings, das zieht sich leider fast wie ein roter Faden durch das ganze Buch, hat sie sich oft nur unvollständig belesen (oder beraten lassen), und bei allen drei Autoren, auf die sie sich hauptsächlich bezieht, auch das eine oder andere Wichtige übersehen oder ab und an auch gründlich missverstanden. Ähnliches passiert ihr auch bei den meisten anderen Autoren, die sie zusätzlich mehr oder weniger kurz anspricht. Am besten schneidet dabei noch ihre Darstellung von Adam Smith ab, der ja auch die geringste Textmenge der hier behandelten Ökonomen hinterlassen hat2, mithin in kürzerer Zeit vollständig gelesen und geistig verarbeitet werden kann. Das erste Beispiel, unten werde ich noch einige weitere anführen, ist ihre Einordnung Smiths in die ökonomische Literatur: „Vor ihm [Adam Smith; R. A.] gab es vor allem »Hausväterliteratur«, die im 16. bis 18. Jahrhundert sehr populär war.“ (S. 15). Vom Merkantilismus, dessen Denken im genannten Zeitraum dominierend war, und der bereits als ökonomische Theorie – wenn auch nicht wirklich kohärent und expressis verbis – gelten kann, hat Herrmann bis hierhin möglicherweise noch nichts gehört. Die „Hausväterliteratur“ findet man zwar im besagten Zeitraum auch; sie dominiert allerdings eher in der Antike, wo noch viele Autoren über die praktischen Anleitungen zur Verwaltung und Führung eines οἶκος mehr zu sagen hatten als über Geld, Handel oder gar Wirtschaft; jedoch weiter unten (S. 36 ff.) fallen ihr die Merkantilisten plötzlich doch ein.

Die Ausführungen zu Adam Smith beginnen mit einer kurzen, aber flott und angenehm zu lesenden Schilderung seines Lebens. Wir erfahren, dass er in Gesellschaft sehr in sich gekehrt war und Selbstgespräche führte, andererseits aber wohl auch sehr scharfsinnig dachte und ein fleißiger Leser war. Aus wohlhabendem Hause stammend, hatte er Zeit seines Lebens auch nie nennenswerte Probleme finanzieller Art. In diesem Kapitel werden wir aber auch gleich wieder mit der bereits erwähnten Schwäche des Buches konfrontiert: Geht es um die Theorien von Karl Marx, John Maynard Keynes im engeren Sinne oder auch um andere Themen fachökonomischer Art, welche bei Herrmann nicht die Hauptrolle spielen, sondern mehr als Erläuterungen oder als ergänzende Hinweise dienen, unterlaufen ihr seltsame und oft reichlich überflüssige Fehler und andere Unzulänglichkeiten. So zeigt sie, dass sie ihr Postulat, von Smith, Marx und Keynes lernen zu wollen, ja zu sollen, selbst nicht zu erfüllen gedenkt, oder es zumindest nicht ganz ernst meint. Im Zusammenhang mit ihren interessanten Ausführungen über die Bekanntschaft Smiths mit James Watt (dem Erfinder der Dampfmaschine mit separatem Kondensator, auch Niederdruckdampfmaschine genannt) beispielsweise sagt sie en passant und als wäre das mehr als selbstverständlich, dass Watt in dem von einem gewissen Joseph Black geförderten Labor damit begonnen hat, „die Dampfkraft zu optimieren, ohne die die industrielle Revolution nicht möglich gewesen wäre.“ (S. 26). Hätte sie Marx wenigstens halbwegs aufmerksam gelesen, dann hätte sie von ihm folgendes lernen können: „Die Dampfmaschine selbst, wie sie Ende des 17. Jahrhunderts während der Manufakturperiode erfunden ward und bis zum Anfang der 80er Jahre des 18. Jahrhunderts fortexistierte, rief keine industrielle Revolution hervor. Es war vielmehr umgekehrt die Schöpfung der Werkzeugmaschinen, welche die revolutionierte Dampfmaschine notwendig machte.“ (MEW 23: 395 f.). Und sie setzt noch einen drauf: „Denn wie Preise zustande kommen, war ein Rätsel, das die Ökonomen lange nicht in den Griff bekommen haben. Adam Smith ist daran genauso gescheitert wie später Karl Marx.“ (S. 32). Das Paradox, von einem Marx oder auch von einem Smith etwas lernen zu können, die noch nicht einmal das Zustandekommen von Preisen verstanden haben sollen, ist Herrmann vielleicht gar nicht aufgefallen. Dass die Schwierigkeiten der meisten Ökonom/inn/en bei dem Versuch, das Entstehen von Preisen zu klären, sehr stark damit in Verbindung stehen, dass der Wertbegriff für alle außer Marx ein Buch mit sieben Siegeln war, kann Herrmann nicht feststellen, weil sie selber diesen Problemkreis nicht als solchen wahrnimmt.

Das Kapitel 3 befasst sich nun mit dem wohl – neben dem „Kapital“ von Karl Marx – bekanntesten Werk der Wirtschaftswissenschaften, wiewohl die wenigsten es ganz gelesen haben werden3: „An Inquiry into the Nature and Causes oft he Wealth of Nations“ von Adam Smith; meist wird es kurz „Der Wohlstand der Nationen“ genannt. Es wurde 1776 veröffentlicht, nachdem, wie uns Herrmann zeigt, Smith wohl schon viele Jahre daran geschrieben hatte; ja kurz vor seinem Tod 1790 hat er noch einmal Hand angelegt, um es „»…im besten und vollkommensten Zustand zu hinterlassen.«“ (S. 33) zitiert ihn Herrmann.

Ihre inhaltliche Hinführung zum Smithschen Hauptwerk beginnt sie durchaus passend mit einem kurzen Abriss über den Merkantilismus – der ihr, trotz ihrer Invektive gegen die vor der Zeit von Smith tätigen Ökonomen (s. o.) wieder ins Gedächtnis kommt –, allerdings mit unangenehm starken Verkürzungen. Zwar weist sie halbwegs richtig auf folgendes hin: „Die Merkantilisten waren keine Theoretiker, sondern Praktiker: Sie entstammten der königlichen Verwaltung oder waren Kaufleute.“ (S. 36). Aber anstatt deren von ihnen selbst nicht wirklich wahrgenommenen Probleme zu benennen und zu diskutieren, nämlich den Übergang von einer Geldzirkulation ohne Wertbasis zu einer eben solchen mit dieser Basis, und den sich daraus ergebenden theoretischen Schwierigkeiten, belässt sie es bei der abfälligen Bemerkung: „Gold macht nicht reich“ (S. 36). Das ist nicht wirklich falsch, da ja die Merkantilisten tatsächlich einer Art Geld- oder Gold- und Silber-Fetischismus unterlagen; aber es gibt die epistemologischen Anstrengungen der Merkantilisten – von Philipp Wilhelm von Hörnigk (1640–1714) und Johann Heinrich Gottlob von Justi (1717–1771) über Thomas Mun (1571 –1641), Thomas Hobbes (1588–1679), William Petty (1623–1687) und John Locke (1632–1704), bis John Law of Lauriston (1671–1729), Bernard de Mandeville (1670–1733) und David Hume (1711–1776) – nur unzureichend wider. Der von ihr als der vermutlich erste Merkantilist: Edward III. bezeichnete englische König (er regierte von 1327–1377, also etwa zweihundert Jahre vor der Zeit, in der sich so etwas wie „das Merkantilsystem“ [Adam Smith] oder der Merkantilismus herausgebildet hatte; vgl. S. 36) war sicherlich noch kein Merkantilist – nur weil er angeblich ausschließlich englische Wollstoffe trug und dieses auch von seinen Untertanen erwartete. So einfach machen es sich angeblich immer nur andere!

Im Folgenden greift sich Herrmann aus der großen Menge an Themen, die Smith angeht – und die er, wie sie zutreffend feststellt, sehr ausschweifend und oft holprig abhandelt –, sechs heraus und stellt sie kurz dar: Kritik am Merkantilsystem, Arbeitsteilung, Gemeinnutz und Eigennutz, Entstehung der Preise, Freihandel, sowie Reichtum und Ausbeutung.

Der hohe Stellenwert, den Smith dem Prinzip der Arbeitsteilung zumaß, wird von ihr kurz und konzise benannt, aber nicht ohne am Ende des entsprechenden Absatzes auf dieses hinzuweisen: „Seine Details waren damals nicht immer neu – wurden aber völlig neu zusammengefügt.“ (S. 40 f.). Anschließend geht sie auf den von Smith betonten Eigennutz, der in der Summe aller Gesellschaftsmitglieder zu einem optimalen Gemeinnutz führen soll. Zu Recht weist sie die populäre Ansicht zurück, Smith hätte den Egoismus hochgelobt; vielmehr sah er ihn nüchtern als wichtige Voraussetzung des Funktionierens der Marktwirtschaft, was er, so Herrmann, vielleicht aus Bernard de Mandevilles „Bienenfabel“ entliehen hat. Am Ende dieses Absatzes lässt sie es sich nicht nehmen, einen Seitenhieb auf die Neoliberalen anzubringen: „Smith war allerdings nicht der Meinung, dass man den Staat ruhig abschaffen oder zusammenstreichen sollte. Neoliberale haben ihn da gezielt missverstanden. […] Er wollte den Staat aus den Klauen der Privilegierten befreien.“ (S. 43). Hier schimmert erstmals so etwas Ähnliches wie ein Standpunkt der Ulrike Herrmann durch: Es sieht so aus, als hätte sie etwas gegen „Neoliberale“ und gegen „Privilegierte“. Wir werden weitersehen.

Als nächstes knüpft sich Herrmann die Versuche Smith‘ vor, die Preise zu erklären. Wie es in der Tat bei Smith hin und wieder zu finden ist, umgeht er das Problem, „indem er einfach zwei Preise einführte. Es gab den »natürlichen Preis«, der sich durch die Arbeitsmenge bemaß, und daneben existierte der »nominale Preis«, der in Geld ausgedrückt wurde.“ (S. 45). Smith und seine Zeitgenossen waren Mitte/Ende des achtzehnten Jahrhunderts noch nicht in der Lage, zwischen konkret menschlicher und abstrakt menschlicher Arbeit zu unterscheiden, daher gelang es ihnen auch noch nicht, die Trennung zwischen Gebrauchswert und Tauschwert kategorisch zu vollziehen. Das Denken dieser abstrakt menschlichen Arbeit im Zusammenhang mit dem Konkurrenzgeschehen auf dem Markt und dem dort stets variierenden Angebot und der wechselnden Nachfrage, hätte ihnen das Preisproblem vom Halse geschafft. Nur kann Herrmann darüber leider nichts sagen, da sie allem Anschein nach diese Differenzierung selber nicht nachvollziehen kann. Sie unternimmt auch konsequenterweise gar keinen Versuch in dieser Richtung. Dieses Vorgehen, besser: Nichtvorgehen, fällt ihr am Ende des Kapitels über Smith wieder auf die Füße, wenn es darum ginge anzugeben, was wir heute angesichts unserer Krise wohl von Smith lernen könnten; sie sagt es uns schlicht nicht.

Bevor sie in einem eigenen kleinen Abschnitt auf „Die Brücke von Smith zu Marx: David Ricardo“ (S. 64 ff.) zu sprechen kommt, streift sie noch kurz Smith‘ Plädoyer für den Freihandel, der für ihn „nur eine besondere Variante der Arbeitsteilung“ (S. 55) darstelle, die er ja für zentral hielt. Wie so häufig in dem Buch, verzichtet Herrmann auch hier nicht auf Bemerkungen gegen (neo-) liberale Smith-Interpret/inn/en: „Wie immer bei Smith war es nicht als Freifahrtschein für die Unternehmer gedacht, wenn er ihren Egoismus als hilfreich betrachtete.“ (S. 57).

Der kleine Abschnitt von knapp zehn Seiten in Herrmanns Buch über David Ricardo (1772–1823) ist eine einzige Enttäuschung. Auch wenn sie von Ricardo nicht ausdrücklich etwas lernen wollte (dieses Privileg möchte sie ja laut Untertitel zum Buch nur Smith, Marx und Keynes einräumen), hätte sie ein wenig tiefer einsteigen sollen – oder Ricardo eben ganz auslassen müssen. Ricardos nachhaltige Leistung, nämlich die Arbeitswerttheorie so weit weiterzutreiben, dass Marx sie zu einem vorläufigen Ende „auf die Füße stellen“ konnte, dampft Herrmann so ein: „Bei Ricardo bemaß sich der Tauschwert also allein durch die Arbeitsmenge, die zur Erzeugung einer Ware nötig ist.“ (S. 68). Ein paar Seiten später reduziert sie den Einfluss Ricardos auf Marx in fast schon infantiler Art: „Marx hat Ricardo konsequent zu Ende gedacht. Aus den Gedanken eines Millionärs hat er die Theorie des unausweichlichen Klassenkampfs gemacht.“ (S. 71). Es ist ebenso erstaunlich wie deprimierend zu sehen, mit welchen Simplifizierungen heute gut verkäufliche Bücher geschrieben werden dürfen (oder müssen?).

Karl Marx (und Friedrich Engels)

Rund vierzehn Seiten lang bringt uns Herrmann das private und studentische Leben des Karl Marx (1818–1883) näher, ohne ein einziges Wort über seine Kritik an der damals herrschenden Polit-Ökonomie zu verlieren. Die subversive Eheschließung mit Jenny von Westphalen (sie war etwa vier Jahre älter als der kleine Karli!) lernen wir kennen, ebenso eines seiner Gedichte („Empfindungen“, S. 78), wie auch die Tatsache, dass er „einfach alles“ las: „Kein Text war ihm zu schwierig, keiner zu abseitig.“ (S. 82). Wie ein deus ex machina tauchte aber dann ein gewisser Georg Friedrich Wilhelm Hegel in Marxens Leben auf, mit dem er bis dahin, 1837, angeblich „nichts anfangen [hat] können und nur Fragmente gekannt“ (ebd.) haben soll. Plötzlich jedoch las er „»Hegel von Anfang bis Ende«“ (ebd.), zitiert Herrmann aus einem Brief von Karl Marx an seinen Vater vom 10. November 1837 (MEW 40: 10). Daran anschließend erklärt sie uns die „dialektische Methode“ (S. 83) von Hegel, die, so kennen es viele auch aus dem Deutsch- oder Ethik-Unterricht der Obersekunda, aus dem „Dreischritt von »These, Antithese und Synthese«“ (ebd.) bestehe, und weist auf die Neuerung Hegels hin, dass er anders als seine Vorgänger „in Prozessen zu denken“ (S.84) in der Lage gewesen sei. Selbstverständlich ist weder hier noch in Herrmanns Buch der Platz, die Philosophie Hegels zu explizieren oder gar zu kritisieren. Aber mit der von ihr vorgenommenen Simplifizierung der Dialektik wird sie weder Hegel noch Marx gerecht, sondern bewirkt möglicherweise, dass sich beide ächzend in ihren Gräbern umdrehen müssen.

Ein paar Seiten später wird es noch seltsamer: „Das Proletariat war bei Marx eine dialektische Erfindung, eine idealistische Kopfgeburt. […] eine philosophische Konstruktion“ (S. 90). Auch wenn es eine Tatsache ist, dass zur damaligen Zeit, also Anfang der 1840er Jahre, als Marx seine Schrift „Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie“ (vgl. MEW 1: 201–333 und 378–391) verfasste4, in Deutschland (damals besser: Deutscher Bund oder auch Deutscher Zollverein) das Kapitalverhältnis, vulgo: die Industrialisierung, noch dabei war, sich zu entfalten, so waren doch zahlreiche Arbeiter/innen bereits vorhanden, was Herrmann aber anders sieht: „denn »echte« Fabrikarbeiter gab es in Deutschland damals kaum.“ (S. 90). Ich finde, hier schrammt sie haarscharf an einer postfaktischen Darstellung vorbei.

Immerhin elf Seiten widmet Herrmann auch Marxens Freund und Förderer Friedrich Engels (1820–1895); und bei ihren Ausführungen zu dem Fabrikantensohn offenbart sie ein weiteres Mal ihre Herangehensweise an Gesellschaftskritik, sowie ihre Grundauffassungen – allerdings wiederum nicht expressis verbis, sondern eben mainstream-konform, also ohne festlegbar zu sein. So schiebt sie Engels vor, um den Leser/inne/n ihre eigene Ansicht nahezubringen, dass das Eigentum das zentrale Problem des Kapitalismus sei: „Bei Engels folgt daraus als Synthese, sowohl Konkurrenz wie Monopole zu überwinden – indem das Privateigentum abgeschafft wird.“ (S. 91). Um Engels diese eigenwillige „Synthese“ (also das Eigentum abzuschaffen) unterschieben zu können, unterstellt sie ihm kühn folgende These und Antithese: „Als Kern von Smith‘ Theorie macht er die Konkurrenz aus, den Kampf gegen Monopole“ und: „Wer Monopole abschaffen will, kann auch Eigentum nicht dulden“ (ebd.). Erneut werden sich Dialektiker wie Hegel, Marx und andere verbittert abwenden!

Wie drastisch verkürzt und auch voreilig Herrmann selbst Engels rezipiert, verdeutlicht ihr Hinweis auf eine Engelssche Bemerkung aus seinem Aufsatz „Umrisse zu einer Kritik der Nationalökonomie“ (MEW 1: 499 – 524), wo er über Adam Smith schreibt: „Als aber der ökonomische Luther, Adam Smith“ (a.a.O.: 503). Dies deutet Herrmann so: „Engels war so begeistert von Smith, dass er ihn den ökonomischen Luther nannte“ (S. 91)5, ohne zu bemerken, dass Engels nur fünf Zeilen weiter (allerdings auf der nächsten Seite – vielleicht ist es Herrmann deshalb entgangen?) über Luthers Wirken sagt: „An die Stelle der katholischen Geradheit trat protestantische Gleisnerei.“ (MEW 1: 504). Begeisterung sieht doch wohl anders aus.

Einschub

An dieser Stelle scheint es mir angebracht darauf hinzuweisen, dass ein Verständnis von Marx und seinen Schriften nicht so einfach und eindimensional ist wie Herrmann, und zahllose Marx-Versteher/innen mit ihr, es sich gemeinhin vorstellen. Der gute Karl Marx zerfällt nämlich in (mindestens) zwei Teile, die allerdings oft nicht wirklich scharf auseinander zu halten sind: in den exoterischen und in den esoterischen; was heißt das? Auf der einen Seite „haben wir es mit dem vertrauten Marx des »Klassenkampfs«, des »ökonomischen Interesses«, des »Arbeiterstandpunkts«, des »historischen Materialismus« usw. zu tun.“ (Kurz 2012: 25); das wäre der exoterische Marx. Andererseits gibt es da noch den esoterischen Marx, also jenen immer wieder verdrängten Marx, der als einen wichtigen Begriff den „Fetischcharakter unserer Gesellschaft“ betont hat, und „der für diese kritische Thematisierung und damit für den emanzipatorischen Abschied von der Moderne steht“ (a.a.O.: 45). Man könnte den Unterschied zwischen dem exoterischen Marx und dem esoterischen auch so ausdrücken: Der exoterische beharrt auf der Kritik der Gesellschaft vom Standpunkt der Arbeit aus; der esoterische dringt zu einer umfassenden Gesellschaftskritik inklusive der Kritik der Arbeit vor. Für beide Marx-Sorten finden sich zahllose Zitate und Fundstellen im riesigen Fundus der Marxtexte. Wie kaum anders zu erwarten, so ordnet sich aber Herrmann bewusstlos, sowie umstands- und reflexionsfrei den Vertreter/inne/n des exoterischen Marx zu. Anders als Julian Bierwirth (vgl. Krisis Journal vom 2.3.2017), bin ich nicht der Meinung, dass Herrmann hier „einen gut geschriebenen und lesbaren Überblick über die ökonomische Theoriegeschichte“ (Bierwirth 2017: 1) vorgelegt hätte; vielmehr halte ich sowohl Bierwirth als auch Herrmann für Autor/inn/en, die sich sehr stark für eine Anschlussfähigkeit an gängige linke Dithyramben für den Kapitalismus stark machen, mithin eher dem exoterischen, also dem eher traditionellen Marxverständnis, angehören. Leider bietet Marx – in seiner exoterischen Erscheinungsform – auch genügend Motive und zahlreiche zitierfähige Stellen dafür. Nur: dass Herrmann es unterlässt, auch den anderen Marx wenigstens anzudeuten, ist eine der großen Enttäuschungen des Buches. Diese Lesart von Marx, also die Beschränkung auf seine exoterische Seite, ist typisch für die Fachökonomen, die hier gerne eine einheitliche Linie der „ökonomischen Klassik“ von Smith über Ricardo und Marx bis Keynes ziehen, das ist dann die heterodoxe „Politische Ökonomie“ im Gegensatz zur orthodoxen „Ökonomik“, wobei übersehen wird, dass Marx keine „Politische Ökonomie“, sondern eine „Kritik der politischen Ökonomie“ geschrieben hat. So hat etwa der gerade zum 150. Jahrestag von „Das Kapital, Band I“ erschienene Sammelband „RE: Das Kapital“ (Herausgeber Mathias Greffrath) typischerweise den Untertitel „Politische Ökonomie im 21. Jahrhundert“ und nicht „Kritik der politischen Ökonomie im 21. Jahrhundert“. Herrmann folgt hier wohl einfach bewusstlos dem Mainstream der heterodoxen Ökonomie, dem sie selber angehört.

Das Kapital

In dem Kapitel „Der Sozialismus wird wissenschaftlich: Das Kapital (1867)“ (S. 119–138) begibt sich Herrmann auf das Niveau der konventionellen Marx-Nörgler, indem sie unter anderem drei sogenannte Irrtümer Marxens aufzählt: „Die Arbeiter sind nicht verelendet“ (S. 127–130), „Ausbeutung gibt es – aber nicht den Mehrwert“ (S. 130–132) und „Geld ist keine Ware“ (S. 132–135). Das klingt oberflächlich betrachtet halbwegs rational, ist aber leider, wie bei so vielen Marx-Nörgler/inne/n zu finden, ob der damit verbundenen Argumentation, schon fast traurig!

Die erste Irrtumsbehauptung (Die Arbeiter seien nicht verelendet) ist trivial und langweilig; sie als „Fehler seiner Analyse“ (S. 127) hinzustellen entbehrt nicht einer gewissen Hybris. Es gibt in der Tat nur sehr wenige Stellen bei Marx, anhand deren diese Verelendungstheorie behauptet werden könnte. Aber sie eignet sich natürlich trefflich, um zu zeigen, wie falsch solche Leute liegen, die den Kapitalismus radikal kritisieren wollen und zu diesem Behufe die materielle Lage der Arbeiterklasse als Beweis heranziehen. Geschenkt!

Schon ein wenig problematischer ist Herrmanns nächster Hinweis auf Marxens angebliche Irrtümer, nämlich die Aussage: „Ausbeutung gibt es – aber nicht den Mehrwert“ (S.130). In diesem Absatz – es sind nur zwei Seiten – wird sehr deutlich, dass die arme Ulrike Herrmann von Marxens Schriften entweder nichts Relevantes gelesen oder so gut wie nichts verstanden hat bzw. verstehen wollte. Ausbeutung ist bei ihr gleichzusetzen mit ungleicher Verteilung von Reichtum, wobei sie sich nicht zu schade ist, Eduard Bernstein als Zeugen aufzurufen: „Denn wie Bernstein richtig erkannte, benötigte man den Mehrwert gar nicht, um die Ausbeutung anzuprangern […] Die Ausbeutung sei »eine empirische, aus der Erfahrung nachweisbare Tatsache, die keines deduktiven Beweises bedarf«“ (S. 131)6. Folglich bleibt bei Herrmann ebenso wie bei Bernstein unerklärt, wie Ausbeutung sein kann, wenn von den Arbeitskräften keinerlei Mehrwert abgepresst wird. Völlig ohne weitere Begründung und übergangslos zieht sie das überaus faktenreiche Werk von Thomas Piketty: „Capital in the Twenty First Century“ (sie bezieht sich auf die englische Übersetzung; warum sie weder das französische Original noch die deutsche Übersetzung heranzieht, entzieht sich meiner Kenntnis) als Beweis heran, dass die dort aufgezeigte Ungleichverteilung von Reichtum Ausbeutung indiziere. Wie all das miteinander zusammenhängen soll überlässt sie mühe- und gedankenlos der Phantasie der Leser/innen.

Der „Irrtum III“ (S. 132 ff.) befasst sich mit dem Problem, ob Geld eine Ware sei oder nicht. Wie es eine sehr unschöne Angewohnheit vieler eingebildeter Akademiker/innen und anderer Autor/inn/en ist, die sehr auf ihre Karriere achten müssen oder wollen, dennoch aber irgendwie schulmeisterlich links glauben sich gerieren zu müssen, Marx daher irgendwie heranzuziehen sich gezwungen sehen, ihn aber dabei nicht gelesen oder nicht verstanden haben, und ihn dann zwanghaft irgendwie am Ende verächtlich machen müssen, so lobt auch sie Marx aber erst einmal: „Marx war der erste Ökonom, der die Rolle des Geldes in einer kapitalistischen Wirtschaft richtig beschrieben hat […] Seine Formel G – W – G’ bringt auf den Punkt, was den Kapitalismus ausmacht.“ (S. 132). Gleich im nächsten Satz aber bedauert sie: „Trotzdem hat Marx letztlich nicht verstanden, wie Geld funktioniert. Er blieb in einem Sumpf von Widersprüchen stecken, weil er irrtümlich glaubte, dass auch das Geld eine Ware sei.“ (ebd.). Und sie klärt uns auch über die unumstößliche Wahrheit auf: „Geld ist jedoch keine Ware, sondern eine soziale Konvention. Geld ist, was als Geld akzeptiert wird“ (S. 133). So einfach ist das, da sie sich zu allem Überfluss auch noch auf keinen Geringeren als Aristoteles beruft. Wie ahnungslos und naiv Herrmann sich dem Thema Geld nähert, wird auch noch in einem Satz in einer Anmerkung deutlich: „[…] wurde das Buchgeld auf den Bankkonten verwendet, das sich beliebig vermehren ließ, indem die Banken Kredite vergaben.“ (S. 261, Anm. 20). Als ob Banken „beliebig“ Kredite vergeben wollten oder gar könnten. Nur nebenbei bemerkt, insbesondere für Nichtökonom/inn/en: Banken vergeben Kredite nur, wenn sie das Rückzahlungsrisiko glauben managen zu können und einen Gewinn erwarten dürfen, wenn (bei Krediten ab einer bestimmten Größenordnung) handfeste Sicherheiten gestellt werden können, wenn die Rediskontkontingente noch Raum lassen, wenn die Eigenkapitalquote noch ausreichend ist, etc. An dieser Stelle hätte, um das Abdrucken von solchem Unsinn in ihrem Buch zu vermeiden, sogar schon ein kurzer Blick in eines der zahlreichen Standardwerke zur Einführung in die Betriebs- oder Volkswirtschaftslehre genügt; auch ein Besuch im Geldmuseum der Deutschen Bundesbank in Frankfurt am Main wäre nicht schlecht gewesen.

Die Neoklassik

Als Überleitung zu John Maynard Keynes widmet sich Herrmann kurz den sogenannten Neoklassikern. Darunter zählt sie Ökonomen wie Walter Bagehot (1826–1877), William Stanley Jevons (1835–1882), Léon Walras (1834–1910) und andere. Allen wirft sie vor, dass sie das Thema Geld in ihren ökonomischen Theorien nur als „Schleier über der Wirtschaft“ sahen: „Die Neoklassik hat die Rolle des Geldes nicht verstanden“ (S. 151). Daher könnten diese Neoklassiker nur über Gleichgewichtsmärkte reden, über Innovationen aber nur schweigen, und Krisen nur verleugnen – m. a. W.: die Realität der Wirtschaft konnte von ihnen nicht adäquat wahrgenommen werden. Und dieses zeigt sie auch an einigen Beispielen. So weit, so gut und grundsätzlich nicht falsch. Aber es stellt sich heraus, dass sie diesen knappen (und unvollständigen) Rundumschlag insbesondere deswegen führt, um auf den von ihr gnadenlos überschätzten Keynes zu kommen, und ihn als modernen Helden der Nationalökonomie feiern zu können.

John Maynard Keynes

„Keynes hat eine neue ökonomische Weltsicht entworfen – wie vor ihm nur Adam Smith und Karl Marx.“ (S.154). So beginnt Herrmann ihr hohes Lied auf den späteren Baron John Maynard Keynes (1883–1946). Zwar stellt sie realistischerweise auch fest: „Keynes war ein Konservativer“ und: „Er war kein Rebell“ (S. 153), aber er hätte doch „die gesamte Ökonomie fundamental verändert.“ (S. 154). Soweit lehnt sie sich nicht einmal bei Smith und Marx aus dem Fenster!

Bevor es aber über Inhalte des Keynesschen Werkes geht, erfahren wir wiederum eine Menge aus seinem Privatleben – diese Vorgehensweise (Schilderung von Privatleben – Studium – irgendwelche Glücks- oder Pechsträhnen – Hauptwerk – gegebenenfalls Kritik) ist ja das Herrmannsche Grundschema in diesem Buch. Unter anderem lernen wir einiges über sein Elternhaus (das sich nach seinen Nachforschungen als adelig betrachten konnte – daher offiziell: John Maynard Keynes, 1. Baron Keynes) kennen, und wir erfahren eine Menge aus seinem studentischen Leben: zum Beispiel war er Mitglied der „Cambridge Conversazione Society“, und zwar als „Apostel 243“ – so deren Eigenbezeichnung – „und er blieb diesem Freundeskreis lebenslang verbunden.“ (S. 158). Dass Keynes ein Schüler von Alfred Marshall (1842 – 1924) war, erwähnt Herrmann ebenso wie seine Freundschaft zu Arthur Cecil Pigou (1877 – 1959). Als Keynes aber nach einigen Einflüsterungen an den britischen Finanzminister David Lloyd George unverhofft große Bekanntheit und einen ausgezeichneten Ruf genießen konnte, „gehörte [er] daher der britischen Delegation an, die ab Januar 1919 an der Versailler Friedenskonferenz teilnahm.“ (S. 165). Da Keynes mit den dortigen Beratungen wegen der für ihn viel zu hohen Reparationsforderungen der Siegermächte an Deutschland nicht einverstanden war, „reiste [er] zurück nach England – und schrieb wutentbrannt eine Streitschrift, die ihn berühmt machte: Die wirtschaftlichen Folgen des Vertrages von Versailles (The Economic Consequences of the Peace).“ (ebd.). In der Tat pointiert Herrmann hier die Erkenntnisfreudigkeit Keynes’ zu Recht, da ja auch die spätere Geschichte ihm folgte: „Nach dem Zweiten Weltkrieg forderte im Westen niemand mehr, dass Deutschland oder Japan hohe finanzielle Reparationen zahlen sollten.“ (S. 167). Das gibt Keynes Recht, aber Herrmann ist nur allzu begeistert über seine Ausführungen; weiter unten im Buch wird sie noch enthusiastischer.

Wohl weil schon wieder zu lange über Inhalte (Keynes’ Ablehnung der Reparationsforderungen) geschrieben wurde, wendet sich Herrmann noch einmal dem Keynesschen Privatleben zu und schildert seine Karriere als Spekulant (die mäßig erfolgreich war), seine Homo- bzw. Bisexualität und die damit einhergehenden Probleme sowie seine Einstellung zu seinem eigenen Körper (er fand sich hässlich, ohne darob wirklich unglücklich zu sein). Auch seine Heirat mit einer ungebildeten russischen Primaballerina, Lydia Lopokova, und andere wichtige Details können wir kennenlernen. Aber schon wird’s auch wieder sachlich: „Keynes war knapp vierzig Jahre alt, als er erstmals an der Neoklassik zweifelte.“ (S. 173). Ähnlich wie Hegel angeblich (lt. Herrmann) plötzlich und unerwartet über Marx kam (siehe oben im Kapitel über Marx), so traf es Keynes angesichts der Tatsache, dass, entgegen aller Gleichgewichtstheorie der Neoklassik, die Arbeitslosigkeit in England nach dem Ersten Weltkrieg dauerhaft nicht sank, mit voller Wucht: „Was war falsch an der Theorie?“ (ebd.) musste er sich daher fragen. Da seine Lösung, nämlich dass England wegen der dort stärker als in den USA gestiegenen Preise besser nicht wieder zum Goldstandard zurückkehren sollte, weil sonst die englischen Waren auf dem Weltmarkt zu teuer würden und daher die Preise (und ebenso die Löhne) in England sinken müssten, vom damaligen Finanzminister Winston Churchill abgelehnt wurde, schrieb Keynes noch einmal ein „wütendes Pamphlet […] Die ökonomischen Folgen des Herrn Churchill“ (S. 174f.). Dass Churchill in einem Dilemma steckte und sorgfältig abwägen musste, ob er es hinnehmen sollte, dass die englischen Waren zu teuer waren und daher in England Löhne und Preise fallen mussten (nicht aber die Vermögen), ergo massive wirtschaftliche Schwierigkeiten drohten, oder ob er (indem England zum Goldstandard zurückkehrte und damit der alte Wechselkurs zwischen Pfund und Dollar wiederkehrte, der eben das Pfund zu teuer machte) die künstliche Verteuerung des Pfund dazu nutzen sollte, die unangenehm hohen, kriegsbedingten Schulden Englands in den USA zu verbilligen, das verrät uns Herrmann nicht. Dass die Entscheidung Churchills (und der Mehrheit seiner Finanzberater, die allesamt von der Verbilligung der Schulden profitierten) von Keynes mehr oder weniger als Klassenkampf angeprangert wurde, liegt ganz auf der Linie von Herrmann; freudig zitiert sie also genüsslich Keynes: „»Die Wahrheit ist, dass wir auf halbem Wege zwischen zwei ökonomischen Gesellschaftstheorien stehen. Die eine Theorie hält daran fest, dass Löhne so festgesetzt werden sollten, dass es ›fair‹ und ›angemessen‹ zwischen den Klassen zugeht. Die andere Theorie – die Theorie der ökonomischen Übermacht – sagt, dass die Löhne durch wirtschaftlichen Druck bestimmt werden sollten, durch die sogenannten ›harten Fakten‹, und dass unsere mächtige Maschine alles niedermalmen sollte, im Dienste eines allgemeinen Gleichgewichts und ohne Rücksicht auf die zufälligen Folgen für einzelne Gruppen. Mit seinem Vertrauen auf reine Zufälligkeiten, mit seinem Glauben an ›automatische Anpassungen‹ und mit seinem allgemeinen Desinteresse an sozialen Phänomenen ist der Goldstandard ein zentrales Symbol und Idol jener, die die obersten Ränge in unserem System einnehmen.«“ (S. 175)7. Das gefällt einer fortschrittlich sich wähnenden Korrespondentin natürlich, obgleich sie Keynes zu Beginn des Kapitels über ihn als konservativ einstuft. Die Wiedereinführung des Goldstandards in England hatte also die von Keynes prognostizierten, katastrophalen Folgen für die britische Ökonomie, und, was noch schlimmer für das Empire war, die anderen europäischen Volkswirtschaften, sogar Deutschland, boomten. Aber, so frohlockt Herrmann, in „dieser ausweglosen Situation präsentierte Keynes einen Plan, der heute zum gängigen Repertoire in jeder schweren Krise gehört: Er schlug ein »deficit spending« vor […] Die Regierung sollte Kredite aufnehmen und Investitionsprojekte starten, um die Wirtschaft anzukurbeln und die Arbeitslosen zu beschäftigen.“ (S. 176). Der dadurch erhoffte „Multiplikatoreffekt“ (S. 177) sollte die – damals noch nicht bezifferbare – Erholung der Wirtschaft bewirken. Trotzdem aber kam es ab 1929 wieder zu einer schweren Krise, während und nach der Keynes seine berühmteste Schrift publizierte: „The General Theory of Employment, Interest and Money“ (1936). Herrmann kann kaum verhehlen, dass Keynes nicht zuletzt wegen dieses Werkes ihre volle Begeisterung erntet, und das, obwohl selbst ein Keynes – wie alle anderen – von der Krise 1929 völlig auf dem falschen Fuß erwischt wurde8. Diesem Buch widmet sie aber dennoch auch konsequenterweise ein eigenes Kapitel.

Die Allgemeine Theorie

Vor lauter Begeisterung über die Erkenntnisse von Keynes (ob sie sie rezipiert und verstanden hat oder nicht?) gerät Herrmann in diesem Kapitel ihres Buches in arge Verwirrung. Kurz und knapp schildert sie zunächst eine in der Tat wichtige Differenz zwischen den damaligen Neoklassikern und Keynes. Hatten sich die Neoklassiker schon Mitte/Ende des 19. Jahrhunderts von der Betrachtung der gesellschaftlichen Totalität und sogar der Gesamtwirtschaft verabschiedet und sich im Wesentlichen auf die Untersuchung mikroökonomischer Probleme, also Themen der Einzelunternehmen und deren Beziehung zum Markt und zu anderen Einzelunternehmen, sowie der jeweils einzelnen Kunden und deren Verhalten, konzentriert, beanspruchte nun Keynes zur Begeisterung von Herrmann, „nicht beim einzelnen Kunden oder der einzelnen Firma [anzusetzen] – sondern er betrachtete die gesamte Nachfrage und die gesamten Investitionen.“ (S. 181). Mit anderen Worten: die „Makroökonomie“ war (endlich) geboren. Die in diesem Rahmen gefahrenen Attacken Keynes’ auf die Neoklassiker berichtet Herrmann durchaus mit Genugtuung. Es entgeht ihr dabei aber, dass die Keynessche „Makroökonomie“ nichts wesentlich Anderes ist als die sogenannte Mikroökonomie der Neoklassiker, nur dass eben Keynes es wagt, gesamtwirtschaftliche Additionen aller erfassbaren Einzelfälle zu betrachten, anstatt lediglich analysierte Einzelfälle exemplarisch zu untersuchen, wie es – leicht simplifiziert – die damals traditionelle Volkswirtschaft bevorzugte. Schon im Kapitel davor (das 7.: „Wo bleibt das Geld?! John Maynard Keynes, S. 153–180) verwies Herrmann auf die wichtigen Beiträge Keynes’ zur Konzipierung einer Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung, insbesondere zur statistischen Erfassung eines Bruttoinlandsprodukts (BIP, früher auch Bruttosozialprodukt, BSP, genannt) je Land, was auf den Arbeiten von anderen Ökonomen (z. B. Simon Smith Kuznets [1901–1985], Colin Clark [1905–1989] oder auch James Edward Meade [1907–1995]) aufbaute. Mit diesen statistischen Werkzeugen machte Keynes aber kaum etwas anderes als die Neoklassiker: er addierte lediglich die empirischen Daten, um daraus seine Schlüsse zu ziehen, anstatt Einzelergebnisse schlicht hochzurechnen oder sich gar mit ihnen modellhaft zu bescheiden. An der Oberflächlichkeit Keynes’ ändert das aber nichts, da auch er sich strikt weigerte, die Totalität des Produktionssystems als etwas anderes als eine Addition von Einzelfällen zu betrachten, statt anzuerkennen (und Schlüsse daraus zu ziehen), dass das Ganze etwas Anderes ist als die Summe seiner Einzelteile. Nur ist Herrmann, die ja Keynes’ Auffassung weitgehend teilt, in ihrem Drang nach Anschlussfähigkeit an heutige Bewegungen auch gerne bereit, ebenfalls auf das Nachdenken über die Totalität unserer Gesellschaft zu verzichten, weil es eben Mainstream ist, also von den meisten potentiellen Buchkäufer/inne/n vertreten wird.

Sie meint leider auch, weil vielleicht nicht nur die Leser/innen von Keynes’ Werken „Laien“ (S. 187) gewesen wären, sondern möglicherweise auch ihre eigenen Leser/innen, sie einen – immerhin gut eine (sic!) Seite langen – Exkurs über „Wo kommt das Geld her?“ (ebd.) einschieben zu müssen. So kurz dieser auch ist, eben nur wenig mehr als eine Seite, so sehr verdeutlicht er die bodenlose Naivität, die Herrmann ihren Leser/innen immer wieder in diesem Buch zumutet. Dieser Exkurs beginnt mit: „Geld ist ein Rätsel. Jeder benutzt es, aber fast niemand versteht es.“ (ebd.); vielleicht nur Keynes und Herrmann? Was sie zur Klärung ihrer Eingangsfrage beiträgt, das ist nicht nur für „Expert/inn/en“ erstaunlich, sondern womöglich auch für die angesprochenen Laien: „Geld hat Wert, solange Menschen täglich die Erfahrung machen, dass sie damit Waren und Dienstleistungen kaufen können. Sonst bricht das Vertrauen sofort zusammen. Jeder muss erleben, dass er mit seinen Euros die Miete bezahlen oder eine Urlaubsreise buchen kann. Das Geld ist also durch die Wirtschaftsleistung gedeckt.“ (ebd.). Nun gut: es gibt sicher viele Menschen, die dem nicht widersprechen würden; aber sobald man die Frage an sie richtete, ob also Geld nichts Anderes als eine Psychologie des Vertrauens sei, würden viele sicher ein wenig nachdenklich. Aber es kommt noch härter; Herrmann möchte noch ein Missverständnis aufklären, und zwar das Missverständnis, dass viele „Menschen […] sich nämlich vor[stellen], dass die Sparer zunächst ihr Geld zur Bank tragen – und dass die Bank dieses Geld dann wieder an Unternehmer verleiht, die investieren und ihre Produktion ausweiten wollen.“ (ebd.). So weit so gut! „Doch die Realität sieht anders aus“ fährt sie fort, „Die Banken benötigen überhaupt keine Sparer, um Kredite gewähren zu können. Wenn eine Bank ein Darlehen vergibt, bucht sie das Geld einfach auf das Konto ihres Kunden. Fertig. Die Ersparnisse entstehen erst hinterher.“ (ebd.). Wer’s nicht glaubt, dass eine „Wirtschaftskorrespondentin“ der taz und „ausgebildete Bankkauffrau“ (so ist es im Klappentext zu lesen) derart kontrafaktisch auf ihrem eigenen Fachgebiet und derart leichtsinnig, ja beinahe schon imbezil argumentieren kann, die/der möge es selbst nachlesen – aber bitte hinterher nicht jammern, ich hätte Euch/Sie nicht vorgewarnt! Selbst jedes noch so simple Einführungsbuch in die BWL oder in die VWL liegt näher an der Realität.

Zu allem Überfluss nimmt sich Herrmann auch noch das Thema Zinsen vor. Nachdem sie ihren Unsinn aus den vorhergehenden Abschnitten mit seltsamen Behauptungen, wie z. B.: „Sparen ist nötig, damit Arbeitskräfte freigesetzt werden, die Investitionsgüter herstellen können.“ (S. 188), oder: „Der moderne Kapitalismus wird durch die Spekulation getrieben“ (S. 190), fortsetzt, eröffnet sie uns dann eine der zentralen Erkenntnisse Keynes’, nämlich diejenige der sogenannten Liquiditätspräferenz. Danach sind Zinsen auf Kredite nicht etwa ein Teil der erarbeiteten Mehrwertmasse (was Herrmann bei Marx hätte lernen können, aber nicht wollte), sondern „ein Maß für die »Liquiditätspräferenz«, wie Keynes es nannte“ (S.191) der Sparer/innen. Um nicht mein Sprachniveau zur Charakterisierung von Herrmanns Aussagen zur VWL vollends absacken zu lassen, nur noch ein Beispiel. Warum es „inmitten von Reichtum zu Armut kommt und warum Fabriken leer stehen, obwohl Arbeitslose arbeiten wollen“ (S. 192), erklärt sie so: „Der Schlüssel ist das Geld: Es kann jederzeit zurückgehalten werden, wenn die Zukunft zu unsicher erscheint. Daher regieren die Erwartungen, der Zufall – und der menschliche Herdentrieb.“ (ebd.). Der Herdentrieb also! Kein einigermaßen seriöser Kommentar fällt mir hierzu mehr ein…

Gegen Ende dieses unerfreulichen Kapitels (das achte, „Die allgemeine Theorie“) begibt sich Herrmann noch in die rhetorische Nähe von Nazis, indem sie den Unterschied zwischen raffendem und schaffendem Kapital bei Keynes zustimmend erläutert – selbstverständlich allerdings in einer wesentlich eleganteren Diktion: „Es gab also zwei Klassen von Investoren, die zudem unterschiedliche Erwartungen hatten: die Unternehmen wollen ihren Absatz steigern und berechnen ihre langfristigen Erlöse, während sich die Finanzanleger vor allem für die kurzfristigen Kursgewinne an der Börse interessieren.“ (S. 196). Robert Kurz hat dazu bereits vor über zehn Jahren klare Worte gefunden, beispielsweise: „Daß diese verkürzte, auf Entkoppelung der Finanzmärkte beschränkte Kritik nicht in jedem Einzelfall »notwendigerweise« explizit antisemitisch sein »muß«, ändert nicht das geringste daran, daß sie strukturell allem modernen Antisemitismus zu Grunde liegt und dessen Matrix bildet. Dies muß benannt werden.“ (Kurz 2005: 354).

Der heutige Mainstream

Dieses Kapitel dient Herrmann zur Abrechnung mit der von ihr als Mainstream bezeichneten Neoklassik, worunter sie (da kann ich ihr ausnahmsweise folgen) schlicht auch den Monetarismus und die aktuellen Strömungen dessen zusammenfasst, was in unseren Tagen auch von weniger Informierten allzu unreflektiert als „Neoliberalismus“ tituliert wird. An vorderster Stelle hat es ihr Milton Friedman angetan. Hoch zufrieden kann sie feststellen, dass „Der Monetarismus versagt – aber die Finanzmärkte boomen“ (S. 222). Auch hier: geschenkt.

Allerdings dekoriert sie auch dieses Kapitel mit eigenwilligen Erkenntnissen, wie wir es nun bereits gewohnt sind. Das weltweite „Wirtschaftswunder“ von etwa 1950 bis etwa 1970 hat ihrer Ansicht nach folgende Gründe: „Die Betriebe konnten sich so ungestört entwickeln, weil die Finanzmärkte weitgehend brachlagen. Derivate waren fast gänzlich verboten, und auch mit Devisen ließ sich nicht mehr spekulieren, seitdem das Abkommen von Bretton Woods galt. Kapitalanleger mussten [!] also in die Unternehmen investieren, wenn sie Renditen erzielen wollten. Für die Firmen war es daher billig, Kredite aufzunehmen. In der Nachkriegszeit herrschte der Realkapitalismus – nicht der Finanzkapitalismus.“ (S. 207 f.). Nachdem sie sich bereits in gefährliche rhetorische Nähe zu den Nationalsozialisten begeben hatte, legt ihre klare Trennung von Real- vs. Finanzkapitalismus wiederum eine Nähe zum strukturellen Antisemitismus nahe – denn: es fehlt nur der mentale Schritt, dass das Finanzkapital von Juden dominiert würde. Aber okay: diesen Schritt tut Herrmann an dieser Stelle nicht expressis verbis. Weiter unten wird es aber noch gefährlicher!

Zwischendurch fertigt sie noch Ludwig Erhard ab: „Erhard war weder ein interessanter Theoretiker noch ein besonders fähiger Praktiker, sondern vor allem ein geschickter Opportunist und Lobbyist.“ (S. 210). In Wahrheit war Erhard aber leider doch der politische Architekt der sozialen Marktwirtschaft, wenn er sich auch auf ihm klar überlegene Theoretiker, wie zum Beispiel Walter Eucken, Alfred Müller-Armack und Franz Böhm stützte. Aber: gönnen wir der den Grünen nahestehenden Herrmann ihren durchaus verständlichen Seitenhieb auf die Lobhudelei auf Erhard durch die LINKE Sahra Wagenknecht – letztere hat das durchaus verdient.

In ihrem Feldzug gegen den sogenannten Mainstream in der Nationalökonomie zeigt sie durchaus eine Menge der Schwächen beim heutigen Stand dieses Wissenschaftszweiges auf. Leider will oder kann sie aber dieser Mainstream-Ideologie nicht mit Marx begegnen (sie hat ihn wohl weder hinreichend rezipiert noch gar adäquat verstanden), sondern beruft sich gebetsmühlenhaft auf ihren (geistigen, quasi platonischen) Freund Keynes. Auf dieser Welle reitend gelingt ihr sogar noch ein Schlag gegen die Gewerkschaften – sie steht wohl über allem und ist die einzige, die (makroökonomisch!) Bescheid weiß (und sei es mithilfe von Keynes): „Stattdessen schalteten die Gewerkschaften auf Klassenkampf und wollten den Preisauftrieb kompensieren, indem sie hohe Lohnabschlüsse durchsetzten“ (S. 217), wirft sie ihnen vor, als in den USA die Preise infolge der Ölpreiskrise heftig stiegen.

Und noch eines: wie oben schon angedeutet, kann sich Herrmann zuweilen nicht zurückhalten und rückt sich selber in die Nähe des Antisemitismus (oder gar noch weiter?): Im Rahmen des Höhenfluges von Investmentbanken und ihren lukrativen Geschäften seit 1970, besonders aber seit etwa 2000 stellt sie fest: „Die Investmentbanken sind die einzige Branche auf dieser Welt, die ihren Markt so manipulieren kann, dass Gewinne garantiert sind. Schon dies zeigt, dass »Finanzmärkte« keine echten [!] Märkte sind. Dieses parasitäre [!] Geschäftsmodell ist generell ärgerlich und teuer“ (S. 224). Es erhebt sich spätestens hier die Frage, ob Herrmann noch weiß, was sie da schreibt, oder schon nicht mehr?

Was können wir also lernen?

Die Antwort hat sich schon an manchen Stellen leise angedeutet und sie wurde von Herrmann (unbewusst?) konsequent durch das ganze Buch hindurch entwickelt: So gut wie gar nichts – oder vielleicht besser ausgedrückt: Ulrike Herrmann sagt es uns einfach nicht. In dem zehnten Kapitel, das ja ausdrücklich mit „Was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können“ (S. 233) überschrieben ist, kommt nicht ein einziges Wort vor, aus dem der/die Leser/in schließen könnte, was denn nun von den drei, wie ich sie eingangs schon einmal genannt hatte, älteren Herren der Politökonomie zu lernen sei. Auch hier mein Hinweis: Wer’s nicht glauben kann oder will, die/der muss es halt einfach persönlich nachlesen. Statt die selbst gestellte Frage wenigstens andeutungsweise zu beantworten (wozu wird sie denn gestellt? Etwa nur aus verkaufsrhetorischen Gründen, sprich wegen Marketingüberlegungen?), zieht sie erneut – also wie bereits über weite Teile des Buches hinweg – über die sogenannte Neoklassik her und stellt ihr Keynes als den beinahe immer erheblich klügeren und erkenntnisreicheren Ökonomen entgegen. Es tut natürlich gut, von Herrmann immer wieder mit Argumenten gefüttert zu werden, die die zahlreichen Fehler, Auslassungen und zuweilen kontrafaktischen Behauptungen und manchmal auch absurden „Erkenntnisse“ der Neoklassik, des Neoliberalismus und des Monetarismus aufdecken und anprangern. Allerdings scheint ihr völlig entgangen zu sein, dass diejenigen Volkswirt/inn/e/n, die heutzutage die Politik, die Banken und die Wirtschaft beraten, in ihrer Mehrzahl keine reinen Neoklassiker sind, sondern eher als Eklektiker/innen zu bezeichnen sind, sich also sowohl bei (neo-) liberalen bzw. (neo-) klassischen und monetaristischen, als auch bei (neo-) keynesianischen Theoriefragmenten bedienen. Auch gegen den Staat als aktive Ordnungsmacht haben seit längerem nur noch ein paar wenige Außenseiter der Ökonomik etwas Prinzipielles einzuwenden. So schreibt der des Keynesianismus oder gar der Staatsverehrung eher unverdächtige Hans-Werner Sinn: „Es gibt keine Selbstregulierung der Märkte, nur eine Selbststeuerung innerhalb des staatlich gesetzten Regulierungsrahmens.“ (Sinn 2010: 367).

Wer Ulrike Herrmann grundsätzlich einigermaßen gewogen sein möchte, die/der kann als Lernerfolg in etwa folgendes konstatieren: Neoklassik in ihrer Reinform ist pfui, Keynes aber ist der Gute, und Smith und Marx gibt es auch. Wer sie schon immer eher weniger erquickend findet, der/die muss sich bestätigt sehen: Außer so triviale Vorschläge wie: „Wichtig ist nur, dass der Außenhandel ausgeglichen ist“ (S. 238) oder so allzu oberflächliche Hinweise wie: „Dies ist eine Machtfrage“ (S. 236) lassen sich nicht finden.

Beim Blick ins Literaturverzeichnis fällt zudem auf, dass dort deutlich weniger als 10% der aufgeführten Titel von Adam Smith, Karl Marx und John Maynard Keynes verfasst wurden. Auch sticht ins Auge, dass Herrmann offenbar ein paar äußerst wichtige Schriften von Marx überhaupt nicht kennt, z. B. die „Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie“ (MEW 42) oder auch „Das Kapital“ Band 2 und 3 (MEW 24 und 25), um nur drei zu nennen.

Sie verabschiedet sich in ihrem Buch mit ein paar „Weisheiten“, die eigentlich nur noch entweder schreckenerregend banal und trivial oder furchtbar ärgerlich sind, z. B.: „Er [der Kapitalismus, R.A.] ist niemals stabil, sondern schwankt zwischen Boom und Krise“ (S. 240) – wer hätte das ohne Herrmann gemerkt? Oder: „Maschinen sind nur Hilfsmittel, doch diese technischen Innovationen definieren die Realität und verändern sie.“ (S. 241). Als wären die Maschinen die Bösen und die Menschen wären passive Trottel und die gesellschaftlichen Verhältnisse existierten gar nicht – „there is no such thing as society“ (Margret Thatcher). Und zu guter (oder schlechter) Letzt: „Der Kapitalismus ist das einzige dynamische soziale System, das die Menschheit je hervorgebracht hat. Die Ökonomie sollte ihn erforschen, statt ihn aus ihrer Theorie zu verbannen.“ (S. 241). Mit dieser demotivierenden und dämlichen Schlussbemerkung verhindert Herrmann erfolgreich eine Kaufempfehlung meinerseits!

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