Startseite
Aktuelles
zurück
Druckversion
Glossar
Deep Link

Texte zur gegenwärtigen Weltwirtschaftskrise


JustIn Monday

Die Loose-Lose-Situation

„Wir fordern eine geordnete Auflösung des Euro-Währungsgebietes. Deutschland braucht den Euro nicht. Anderen Ländern schadet der Euro.“ So lautet die Hauptforderung der „Alternative für Deutschland“ (AfD), die sich im April 2013 als Partei gegründet hat und zur Bundestagswahl antreten möchte. Sie rekrutiert InteressentInnen aus zwei verschiedenen Spektren. Da sind zum einen primär deutschnationale DM-NostalgikerInnen, die bereits die Einführung des Euro für Vaterlandsverrat gehalten haben. Ein Teil der Parteigründer trieb sich in der Vergangenheit in Gruppierungen wie dem „Bund Freier Bürger“ herum. Der andere Teil, der diese für die konservative Presse zu mehr als einer weiteren Kleinstpartei macht, bröckelt aus CDU und FDP ab.

Völkerpsychologie des Geldes

Wenig kann weiter in die Irre führen als dieser Anspruch. Unfreiwillig stellt sein Buch ihn und sein Publikum dar als Prototypen des verbittert klagenden Rentners, der sich wehmütig an die Härte und die rauen Sitten des Berufsalltags erinnert und diese fortan in seinem privaten Umfeld ausdünstet. Sozialpsychologisch dürfte kein großer Unterschied bestehen zwischen jenen, die ihre Hausverwaltung vor den Kadi zerren, weil sie sich an ungestutzten Hecken und an im Hof spielenden Kindern stören, und Starbatty und seiner Crew. Eine erkenntnisleitende Disposition, die sich auch stilistisch niederschlägt. „Tatort Euro“ ist in erster Linie eine Kolportage, die seinen Autor als unbestechlichen Garanten seines eigenen Stabilitätsideals präsentiert. Dieser Selbstinszenierung gemäß teilt sich die Welt auf in jene, die „für die stabilitätspolitische Tradition der Bundesbank“ stehen, und in jene, die „eher für die romanische Interpretation von Geldwertstabilität“ (Starbatty 2013, alle nicht weiter gekennzeichneten Zitate ebd.) Partei ergreifen. Und weil Traditionen eherne Gesetze stiften, Interpretationen hingegen interessenanfälliger Firlefanz für die Weichlinge aus den Literaturwissenschaften sind, weiß der Kolporteur immer ganz genau, von wem die „harten Fakten“ stammen, die ihn und seine künftigen ParteigängerInnen darüber informieren, wie es zuging, als die Währungen noch „stabil“ waren.

Vom „Direktorium der Bundesbank“ etwa weiß er, dass dieses sich von den geldpolitischen Absprachen, auf die sich „die beiden Staatsmänner Mitterand und Kohl bei Kaminfeuer und einer Flasche Burgunder geeinigt hatten“ „nicht beeindrucken ließ“. Die Bundesbank war in seinen Augen die „unumstrittene Hüterin der Ankerwährung“ D-Mark, und die Hüter der angeketteten Währungen hatten nachzuziehen. Wie sich dieses Nachziehen vollzog, weiß er wiederum vom „'Außenminister' der Bundesbank“, der dies einmal „in einer kleinen Runde […] erläutert“ hatte, sowie von „einem allzu früh verstorbenen internationalen Währungsexperten“, der „auf einem Dinner“ beobachtet hat, wie Präsident und Vize der Niederländischen Zentralbank „Blickkontakt aufgenommen und genickt“ haben, um einer Leitzinserhöhung der Bundesbank zuzustimmen. So einfach kann währungspolitische Analyse sein; und für krisengebeutelte Verteidiger ihres Eigentums, die den Gedanken nicht ertragen können, dass der Werterhalt desselben gesellschaftlich-objektive Bedingungen voraussetzt, die historisch vergänglich sind und von Krisen zunichte gemacht werden können, ist das sicherlich bequem.

Es überrascht daher nicht, dass der tapfere Retter in allen seinen Beschreibungen noch weit hinter die technokratische Rationalität der zu DM-Zeiten tatsächlich praktizierten Währungspolitik zurück fällt und dem Publikum währungspolitische Diagnosen anbietet, die im Kern keine volkswirtschaftlichen, sondern völkerpsychologische Thesen beinhalten. Sofern die Weichlinge Deutsche sind, also Merkel, Schäuble et al., diagnostiziert er ihnen mangelndes Bewusstsein ihrer Macht. Mit allen anderen verfährt er gnädiger, denn die können nichts für ihr Versagen. Sie haben die nötige „Stabilitätskultur“ einfach nicht mit der Muttermilch aufgesogen. „Nationale Währungen“ seien, „zusammen mit der Institution, die das Geld bereit stellt, ein Produkt der jeweiligen kulturellen Entwicklung“. Und weil Franzosen wie Deutsche eine „eigene Geschichte und Psychologie“ besäßen, seien auch ihre Währungen nicht miteinander vereinbar. „Nichts“, zitiert er zustimmend Schumpeter, „sagt so deutlich, aus welchem Holz ein Volk geschnitzt ist, wie das, was es währungspolitisch tut“.

Mit anderen Worten: Der Mann wäre in seinem Leben glücklicher geworden, wenn er nicht  volkswirtschaftliche Literatur verfasst, sondern in „Das Goldene Blatt“ die Sonderseiten „Hochfinanz und Währungsexperten“ zugestanden bekommen hätte. Auch beim gemütlichen Beisammensein nach dem Parteitag mag die eine oder andere Anekdote aus den Eingeweiden der Macht die Stimmung heben. Aber die politischen Erfolgsaussichten einer Partei, die darauf aufbauen möchte, liegen höchstens im Ungefähren. Der unbedingte Wille zur Macht bringt halt noch lange kein Wissen von den Zwangslagen mit, in denen sich diese Macht entfalten muss. Weswegen sich die Begeisterung in den Vorständen der maßgebenden Kapitalfraktionen, die sich unter Krisenbedingungen auf die Suche nach ihren ökonomischen Interessen begeben, in Grenzen halten dürfte. Und auch mit dem Populismus hapert es ein wenig. Zwar entspricht die Grundstruktur des hier zutage tretenden nationalen Denkens den Ressentiments eines nicht zu knappen Teils der hiesigen Bevölkerung. Allerdings lassen sich diese Ressentiments ohne volkswirtschaftliches Vokabular einfacher ausagieren. Mit „Europa braucht den Euro nicht“ schlug bereits Sarrazin in die selbe Kerbe, und konnte damit nicht ansatzweise so viel Interesse auf sich ziehen wie mit dem Rassismus in „Deutschland schafft sich ab“. Was schlichtweg daran liegen dürfte, dass sich die Straflust der wenigsten mit dem richtigen Refinanzierungssatz bewaffnen mag, um sich nationale Identität zu sichern.

Gegenstandslose Technokratie

Dabei macht sich der Riss vornehmlich im konservativ-staatstragenden Spektrum bemerkbar. Als der Bundestag Ende Juni 2012 den ESM verabschiedete, stimmten mit 26 Abgeordneten mehr Vertreter der Regierungskoalition gegen den Gesetzentwurf der eigenen Regierung als aus SPD (8) und Grünen (1). Die Mittelstandsvereinigung in CDU/CSU, nicht gerade eine marginale Strömung der Partei, sprach sich gegen den ESM aus und listete in ihrem Magazin diejenigen auf, die im Bundestag dagegen gestimmt hatten. Hier äußerte sich der gleiche Unmut, der kurze Zeit später von 160 ProfessorInnen ökonomischer Fakultäten in einem offenen Brief gegen die „Rettungspolitik“ der EU angemeldet wurde: „Banken müssen scheitern dürfen“ lautete die Kernaussage des Aufrufs, der auch von den Mitgliedern des wissenschaftlichen Beirats der AfD unterzeichnet wurde. Es ist kein Zufall, dass sich die Partei mit Bernd Lucke um einen VWL-Professor sammelt, der CDU-Mitglied ohne wichtigen Posten war.

Hans-Werner Sinn, als Leiter des zu einem großen Teil vom Bund finanzierten ifo-Instituts einer der einflussreicheren standorteigenen ÖkonomInnen, kommentierte zur gleichen Zeit in der Wirtschaftswoche: „Es wird Zeit, über neue Ansätze zur Lösung der europäischen Krise nachzudenken, denn die bisherige Rettungsstrategie hat nicht funktioniert.“ (Sinn 2013a) Sinn ist bisher nicht als Unterstützer der AfD aufgetreten. Der Kern seiner Diagnose beinhaltet aber die gleichen Fiktionen, mit denen Starbatty seine völkische Sehnsucht ausstaffiert: „Die Eurozone ist kein homogener Staat mit einer eigenen Währung. Sie verfügt nicht über die hoheitlichen Machtmittel, die man für kollektive Schutzsysteme braucht, um die Zentrifugalkräfte zu bannen. Andererseits ist sie mehr als ein Festkurssystem vom Bretton-Woods-Typus, das sich auflösen lässt, wenn die inneren Spannungen aufgrund unterschiedlicher Inflationsraten zu groß werden.“ (ebd.)

Bemerkenswert ist hieran nicht nur, dass die Überlegung von der Annahme ausgeht, die Sicherung einer Währung setze einen homogenen Staat voraus. Noch bemerkenswerter ist, dass in dieser Formulierung der Euro bereits aufgelöst ist. Denn ohne die fiktive Teilung des Währungsgebietes ließe sich gar nicht von unterschiedlichen Inflationsraten reden. Im Fortgang und in seinem Bestseller „Die Target-Falle. Gefahren für unser Geld und unsere Kinder“ schlägt Sinn dann eine „offene Währungsunion“ vor, in der Länder temporär eine „eigene Währung“ (der Euro ist selbstredend „unsere“) einführen können sollen, solange sie „Reformauflagen“ nicht erfüllen möchten.

Die Kompromissformeln der AfD, nach denen die Auflösung des Euro-Raums auch im Interesse der „Südländer“ und ein Euro-Austritt ein demokratisches Recht jeden Staates sein soll, zielen darauf, dieses Spektrum zu erobern. Im Wahlprogramm hört sich das dann so an: „Wir fordern die Wiedereinführung nationaler Währungen oder die Schaffung kleinerer und stabilerer Währungsverbünde. Die Wiedereinführung der DM darf kein Tabu sein.“ Dass nach Sinn „unsere“ Währung der Euro sein soll, wird der eine oder die andere DM-NostalgikerIn zwar für eine bittere Pille halten. Dafür entspricht Sinns vermeintliche Lösung aber der gemeinsamen Vorstellung, nach der der Grund der Krise Überkonsum ist. Der Euro, so die gemeinsame Diagnose beider Seiten, habe den jetzigen Krisenstaaten Kredite zu „unseren“ niedrigen Zinsen, bzw., hierauf legt Sinn den Schwerpunkt, über das Target-System Gelddruckerlaubnis verschafft. Dass der Euro den anderen Ländern schadet, entspricht in diesem Kontext also der paternalistisch rassistischen Phantasie, dass deren BewohnerInnen die Selbstkontrolle angedreht werden muss, die nötig ist, um im Angesicht billigen Geldes nicht verschwenderisch zu werden.

Die hier durch Starbatty und Sinn vertretenen beiden Seiten differieren zwar leicht, was die Ursache und den Zeitpunkt angeht, an dem das Unheil seinen Lauf nahm. Bei Starbatty beginnt das Problem mit der Existenz des Euro, während es bei Sinn mit der falschen Anti-Krisen-Politik entstanden ist. Hierin spiegeln sich die verschiedenen Ausgangspunkte beider Positionen. Allerdings stimmen sie überein in der Fiktion, dass die jetzige Krise ausschließlich eine der Staatshaushalte ist. Diese Perspektive ist es, aus der betrachtet die Euro-Zone in Gebiete mit unterschiedlichen Inflationsraten zerfällt. Ein Währungswechsel kommt mit diesem Blick als Lösung in Betracht, weil mit ihm die Möglichkeit, dass die drohende Entwertung des Geldes aus einem sehr viel allgemeineren, währungsübergreifenden Problem resultiert, unbeachtet bleiben kann. Wie dringend diese Möglichkeit draußen gehalten werden muss, zeigt sich an der (Nicht-)Behandlung der Finanzkrise. Starbatty diskutiert den Zusammenbruch des Interbankenmarktes 2008 gar nicht, und bei Sinn soll er explizit von einem vermeintlich äußeren Auslöser verursacht worden sein, der „die amerikanische Finanzkrise“ heißt. Für Sinn ist das Euro-System eher eine von Anbeginn zwar nicht ideale Konstruktion, aus der aber möglicherweise etwas hätte werden können, wären da nicht die widrigen Umstände gewesen. Dass der Euro nur ca. 5 Jahre die bezweckten Resultate zeitigte, habe „selbst die größten Pessimisten überrascht“. Einem Großteil des nicht gerade von Beginn an euroskeptischen ökonomischen Personals, dass zudem daran zu knapsen hat, dass ihm die Möglichkeit von Krisen unbekannt blieben muss, dürfte es die momentan arg angekratzte Reputation retten, wenn sich eine solche Darstellung durchsetzt. Daher setzen auch die politischen Forderungen die Verdrängung des Krisenzusammenhangs voraus: Dass Banken pleitegehen können müssen, ist eine Forderung, die aktuell nur stellen kann, wer entweder nicht am Werterhalt des bestehenden Reichtums interessiert ist, oder eben schon wieder verdrängt hat, wofür sich die Staaten im Verlauf der Finanzkrise verschulden mussten.

Die Fähigkeit zur Verdrängung der Möglichkeit von Krisen ist eine der Schlüsselqualifikationen von ÖkonomInnen und als solche immer vorhanden. Dass diese Fähigkeit gerade jetzt mit einem eigenständigen Positionierungsversuch politisch wirksam werden kann, liegt wiederum am Verlauf der Bahnen, in die die Rettungspolitik den Entwertungsdruck gezwängt hat. Nachdem der bevorstehende Finanzmarktcrash zunächst in eine Krise der Staatsfinanzen verwandelt worden war, kehrt er nun wieder zu den Banken zurück. Unterwegs ist er allerdings zweimal verallgemeinert worden. Die erste Verallgemeinerung offenbarte, dass das Krisenkapital auch durch die Staatshaushalte zirkuliert, und mit der zweiten Verallgemeinerung realisierte sich die Krise als Krise des Geldes. Vermittelt wurde diese Verallgemeinerung in der EU durch den Aufkauf der Staatspapiere durch die Europäische Zentralbank. Zwar ist die Krise der Staatsfinanzen nur eine Erscheinungsform des weltweiten Krisenkapitals. Aber dem positivistisch-technokratischen Blick der Volkswirtschaftslehre kommt es sehr gelegen, nur diese letzte Station im Krisenprozess zu sehen und sie dann kurzerhand als dessen Ursache zu betrachten.

Beste Voraussetzungen also dafür, dass die Volkswirtschaftler wieder ihrer Berufskrankheit nachgehen können: Der Diagnose von Staatsversagen. Auf dem Weg in den Staat hinein erschienen die Rettungsmaßnahmen auch dem übergroßen Teil derjenigen, die nun mit dem Ende des Euros liebäugeln, als alternativlos. Sobald der Entwertungsdruck aber aus dem Staat zurückkehrt, sind Maßnahmen, die ihn dort hinein verschoben haben, des Teufels. Woran sich wiederum erkennen lässt, dass die euroskeptische Position gar kein so „neuer Ansatz“ ist, wie die Rhetorik der Parteigründer gegen „die Altparteien“ implizieren soll. So, wie 2008 alle Staaten den weltweiten Kapitalverkehr in der verdinglichten Form ihrer je eigenen Banken zu retten hatten, sollen nun alle das Geld in der ebenfalls fetischistischen Form ihrer je eigenen Währung retten. Nur ist das Geld, anders als die Banken, „das reale Gemeinwesen“ (Marx) der bürgerlichen Gesellschaft, weswegen eine weitere Verallgemeinerung des Entwertungsdrucks nicht erfolgen kann. Stattdessen treten diejenigen Maßnahmen weiter in den Vordergrund, mit denen die Entwertung politisch kontrolliert und exekutiert werden soll. Wobei im Rahmen dieser Maßnahmen alle versuchen müssen, politisch zu erzwingen, dass es sie nicht trifft. Dieses weltweit auftretende Phänomen trifft in der EU lediglich auf eine spezifische Situation, weil sich Geld- und Fiskalpolitik unterschiedlich auf die staatlichen Souveräne verteilen. Zur Ausbildung der Idee, die Entwertung als massenhaft auftretende Einzelpleiten zu betrachten und mit den Mitteln des Wettbewerbs zu lösen, steht in der EU nur mehr empirisches Material zur Verfügung. Krisenlösendes Potential kann aber auch den Anti-Euro-Phantasien nur zubilligen, wer der irrigen Überzeugung anhängt, die fällige Entwertung ließe sich dadurch erledigen, dass die Konkurrenz noch rigoroser niederkonkurriert wird als zuvor.

Kern dieser Idee von einer real unpraktizierbaren Krisenlösung ist die Klage darüber, dass den Euros der Pleitestaaten die Abwertung verwehrt würde, die ihrer Position im Wettbewerb entspräche. Zwar lässt sich dieser Gedanke allein schon deshalb nicht durchhalten, weil der Sieg im Wettbewerb von deutscher Seite mit einem Exportüberschuss einhergeht, den eine Abwertung selbstverständlich gefährden würde. Doch führt das keineswegs dazu, dass die Wettbewerbsfixierung revidiert wird. Vielmehr wird die eine fixe Idee nur um ihr unmittelbares Gegenteil ergänzt, weshalb der Siegerpose unmittelbar das Hilfsangebot folgt. Nach der Darlegung, dass die niederkonkurrierten Nationalökonomien den Wert des deutschen Euros nicht verdienen, folgt nicht nur bei Sinn und Starbatty sofort die Ergänzung, das die zu erwartende Abwertung der wieder eingeführten Währungen ja auch zum Besten der einführenden Staaten sei, weil sie so wieder „wettbewerbsfähig“ und somit in der Zukunft wieder zahlungsfähig würden. Was, wenn dies denn tatsächlich geschähe, nur ein anderer Weg zum Abbau des Exportüberschusses wäre. Völlig paradox wird hier also eine zukünftig schlechtere Position innerhalb der Konkurrenz angestrebt,  damit die Profite der vergangenen Siege eingestrichen werden können. Denn die Zahlungen, um die es hier geht, sollen selbstverständlich denjenigen doch noch ihr Geld zukommen lassen, die momentan auf den ganzen faulen Krediten sitzen, weil sie in der Konkurrenz gewonnen haben.  Auch die Anti-Euro-Position schleppt also all jene Widersprüche mit sich, die auch die bisherige Rettungspolitik begleitete. Nur denken ihre VertreterInnen, der darin zutage getretenen Zwangslage eben in der allgemeineren Form währungspolitischer Notwendigkeit gerecht zu werden.

Dies ist allerdings genauso eine Fehleinschätzung wie die Auffassung Starbattys, er habe in seinem Buch irgendetwas analysiert. Hierfür ist bezeichnend, dass das Wahlprogramm die vornehmlichen Forderungen der Partei zwar unter der Überschrift „Währungspolitik“ führt, darunter aber nur eine einzige währungspolitische Maßnahme aufzählt. Gefordert wird „das sofortige Verbot des Ankaufs von Schrottpapieren durch die Europäische Zentralbank“. Das ließe sich tatsächlich durchführen, mal abgesehen von Frage, ob die Folgen eines solchen Verbots wünschenswert sein können. Der Rest sind politische Zielvorgaben für die aktuellen Notstandsmaßnahmen, die unpraktizierbar sind, weil sie untrennbar vermengt sind mit Forderungen an die Realität, in Zukunft wieder den Gesetzen zu gehorchen, die die volkswirtschaftlichen Lehrbücher für sie vorsehen. So heißt es etwa: „Wir fordern, dass die Kosten der sogenannten Rettungspolitik nicht vom Steuerzahler getragen werden. Banken, Hedge-Fonds und private Großanleger sind die Nutznießer dieser Politik. Sie müsssen zuerst dafür geradestehen.“ Dies impliziert die Forderung von Gesetzen, unter deren Geltung es überhaupt möglich ist, krisenbedingte Entwertung betriebswirtschaftlich als „Kosten“ zu betrachten, die entweder vom Steuerzahler oder aber von Banken getragen werden können. Nach gleichem Muster wird ein Schuldenschnitt für „hoffnungslos überschuldete Volkswirtschaften“ gefordert, der tatsächlich bloß zur Entschuldung der Volkswirtschaften führt und nicht gleichzeitig auch zu deren Unfähigkeit, sich in Zukunft noch über den Kapitalmarkt zu finanzieren. All diese Forderungen können ihrer Form nach nur an einen allmächtigen Souverän gerichtet sein, der es vermag, sich über alle Marktmechanismen zu erheben, um deren Implikationen anschließend wieder krisenlose Geltung zu verschaffen. Auch hier ist die Nähe zum gespenstischen Realismus Hans-Werner Sinns zu spüren, der auf die Frage der „Welt“, was momentan sein größter Wunsch als Bürger sei, antwortete: „Eine Fee würde kommen, das ganze Euro-Desaster in Luft auflösen und die Hakenkreuzfahnen einholen, die derzeit in den Köpfen so vieler Europäer gegen uns geschwungen werden. Dann könnte ich wieder ruhiger schlafen.“ (Sinn 2013b) Völlig einsichtig, denn wer außer „wir Deutschen“ weiß schon, wie unruhig es sich mit Hakenkreuzfahnen über den Köpfen schläft. Auch, was in der AfD für Währungspolitik gehalten wird, wird damit erst richtig klar: Alles, was sich mit dem Zauberstab machen lässt, um dem Verwertungsprozesses die homogene Einheit zu verschaffen, die er als prozessierender Widerspruch nie hatte und auch nicht haben musste.

Dabei gehen die Allmachtsphantasien in Bezug auf den Souverän weit über das Parteigründungsspektrum hinaus. Dass Oskar Lafontaine und Sahra Wagenknecht Gemeinsamkeiten in der Analyse der aktuellen Situation mit derjenigen der AfD entdeckt und damit eine Debatte innerhalb der Linkspartei entfacht haben, liegt durchaus auch darin begründet, dass deren eigenen Konzepte zur Krisenlösung ebenfalls nicht ohne Zauberstab auskommen. Auch war die erste Reaktion auf den 2008 drohenden Zusammenbruch des Kapitals eine kollektive Allmachtsphantasie in Bezug auf den Staat (vgl. Monday 2008), die sich seitdem nur fortentwickelt hat. All dies lässt die Frage nach den Erfolgsaussichten einer Anti-Euro-Partei in einem ganz anderen Licht erscheinen. Dem für sich genommen völlig irrationalen völkerpsychologischen Geldwertspleen dürften die fungierenden TechnokratInnen deshalb etwas abgewinnen können, weil sie unbedingt ein Brett vor dem Kopf brauchen, das ihnen den Blick darauf verstellt,  dass ihre Wettbewerbsidee bereits die Konstruktion des Euros prägte. Unabhängig davon, wie brutal versucht würde, Voraussetzungen für eine Win-win-Sitation zu schaffen: Es würde ein Loose-lose werden. Insofern ist der Gesinnungswandel der „ÖkonomInnen“ bezüglich des Euro nicht nur ein Angebot an die DM-NostalgikerInnen, sondern umgekehrt deren Pathologie auch ein Ausweg aus der eigenen Misere. Nur tritt die Machtphantasie hier in technokratischer, statt in völkerpsychologischer Form auf. Bei Sinn etwa so: „Man muss die neue Währung im Geheimen vorbereiten und sie an einem Wochenende, wenn die Banken geschlossen sind, per Gesetz als neues gesetzliches Zahlungsmittel einführen. Alle Kontobestände und alle Kontrakte zwischen Inländern, die auf Euro lauten […] bleiben mit ihren Zahlenwerten erhalten und werden dann in einem Schritt auf die neue Währung umgestellt.“ (Sinn 2012, S. 380) Mit einem solchen ökonomischen Staatsstreich, der gar nicht so weit von der praktizierten Zypern-Rettung entfernt ist, will Sinn einen Banken-Run im bzw. eine Euro-interne Währungsflucht aus dem Austrittsland verhindern. Das Problem ist real, denn auch wenn er in seinen Untersuchungen den Euro fiktiv schon abgeschafft hat, steht er in der Realität vor dem Problem, dass es sich doch um eine (!) Währung handelt. Da nach einer tatsächlichen Aufspaltung mit Wertdifferenzen zwischen den Teilen zu rechnen wäre, müssten Kriterien gefunden werden, nach denen entschieden werden kann, welche heutigen Euros in Währung A, und welche in Währung B umgetauscht werden. Wenn diese Kriterien aber bekannt sind, bevor sie gelten, werden wiederum alle bestrebt sein, ihre Euro-Vermögen so zu platzieren, dass sie bei Umstellung zu demjenigen Teil gehören, der aufgewertet wird. Was immer diese Kriterien wären, etwa der Sitz der Bank, bei dem ein Euro-Guthaben geführt wird, oder der Firmensitz oder gar die Staatsangehörigkeit der BesitzerInnen: Ökonomische Kriterien hierfür gibt es nicht, denn da ist ein Euro eben ein Euro. Es können dies immer nur formale und damit willkürliche Merkmale der Charaktermasken sein, die den Wert bewegen, und der innerhalb des Euro-Raums per Definition freie Kapitalverkehr erlaubt solche Positionswechsel. Jede Planung eines solchen Schritts würde zu dem Zusammenbruch führen, den er verhindern soll. Darüber, welche ökonomischen Vor- und Nachteile die zu erwartende Auf- und Abwertungsdynamik für die jeweiligen Nationalökonomien nach erfolgter Trennung hätte, lohnt ein Nachdenken fast schon nicht mehr angesichts des ebenfalls erwartbaren Ausmaßes unmittelbar politischen Zwangs, der von allen Seiten entwickelt würde, um bei einer solchen Personalisierung der Charaktermasken auf der Gewinnerseite zu stehen. Und dass niemand etwas von der Vorbereitung mitbekäme, selbst wenn bloß das Zypern-Modell auf einen Staat mit mehr als einer Hand voll Banken übertragen würde, glaubt Sinn vermutlich selbst nicht. Es sei denn, er hält sich für einen absolutistischen Alleinherrscher.

Auf den Punkt gebracht: Die im Programmentwurf der AfD geforderte „geordnete Auflösung des Euro-Währungsgebietes“ wird es nicht geben können. Sie ist keine wie auch immer definierte politische Option. Im Umkreis der AfD werden solche Szenarien zwar durchgespielt. So sieht etwa Dirk Meyer, wie Starbatty Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats der AfD, in seinem Papier „Währungsdenomination. Zur Frage der Schuldwährung in Altverträgen bei EURO-Austritt aus deutscher Sicht“ ein „EURO-Beendigungsgesetz“ vor, durch das „die Eigenschaft des EURO als gesetzliches Zahlungsmittel für das Gebiet der Bundesrepublik aufgehoben und durch eine neue Währung ersetzt werden“ (Meyer 2013) würde. Aber auch er gesteht ein, dass es Kapitalverkehrskontrollen geben müsste, durch die Umtauschrechte eingeschränkt bzw. Umtauschpflichten auferlegt werden würden, um „ungehinderten Zustrom von 'gebietsfremden' EURO“ zu verhindern. Die aus den Asylrechtsdebatten bekannte Rede vom „ungehinderten Zustrom“ ist hier keinesfalls zufällig.

Damit ist aber auch klar, dass ein Eintritt von Sinn und Konsorten in die AfD kaum zu erwarten ist. Zum einen wird da nichts im Geheimen vorbereitet, und zum anderen bezieht sich eine solche Staatsstreich-Phantasie selbstverständlich auf den inneren Kern der bestehenden währungspolitischen Institutionen, in die eine Partei nicht hineingewählt werden kann. Die AfD müsste zunächst einmal in eine Position gelangen, in der sie sich so machtvoll wähnen kann, wie Sinn es offenbar tut. Ansonsten dürfte gelten: Wer lang und breit über die Gepflogenheiten am geldpolitischen Hofe tratscht und den Verlust von Glanz und Gloria beklagt, wird kaum eingeweiht werden, wenn es um die Drecksarbeit geht. Im Umkreis der AfD wird also höchstens ein Fanclub derartiger Praxis organisiert werden. Initiativen dieser Sorte fördern vornehmlich die Bereitschaft, in dem möglichen Moment einer ungeordneten Auflösung des Euros in Panik um sich zu schlagen.

Unpolitische Sehnsüchte

Das Motiv dieser Unterschlagung liegt reichlich offen zutage. Sie erfolgt, weil die juristische Fixierung erhalten bleiben, und bestehende Besitztitel nicht zur Debatte stehen sollen. Die Krise stellt aber nicht nur den Wert als solchen in Frage, sondern auch den Wert von Privateigentum. In genau diesem Sinn ruft Starbatty mit seinem Buchtitel die Bürger dazu auf, Recht, Demokratie und Vermögen zu schützen. Wer nach erfolgtem Produktionsprozess wie viel besitzt, wie sich der durch den Verkauf der Produkte realisierte Wert also etwa auf Löhne, Zinsen oder Profite verteilt, regelt sich durch Verträge, und deren Bedingung der Möglichkeit ist politisch. Jeder Konflikt unter Entwertungsdruck stellt daher die Eigentumsfrage in einem völlig unsozialistischen Sinn, weil die drohende Entwertung Besitztitel betrifft, die juristisch bereits verteilt worden sind. „Das kann mir niemand mehr nehmen, bis ich es wieder ausgebe“ ist die gängige Haltung zum erhaltenen Lohn, zum erzielten Zins und zum gemachten Profit. Das dies auch im Fall gesellschaftlicher Prosperität nicht stimmt, weil das besessene Geld seinen Wert nur deshalb erhält, weil anderswo Mehrwertproduktion stattfindet, ist für diese subjektive Haltung gleichgültig, weil der Werterhalt durch fortschreitende gesamtgesellschaftliche Akkumulation, der individuelles Sparen ermöglicht, eben stattfindet. Findet er nicht statt, erscheint das, was real Entwertung ist, als Enteignung, d.h. als Angriff auf Besitz, der sich bis zur nächsten Investition erst ein mal nicht mehr in der Konkurrenz bewähren muss. Aus dieser Perspektive sehen sich die Parteigänger der AfD von der vermeintlichen Verschwendung der „Südländer“ enteignet. Real handelt es sich aber um Angriffe ohne Angreifer, denn tatsächlich stellt die Krise die gesellschaftliche Distribution des Werts in der Vergangenheit in Frage. Daher entstehen in ihr keine Kosten, die irgendwelchen „Verursachern“ aufgebürdet werden könnten. Denn Kosten gibt es nur in Hinblick auf ein entstehendes Produkt, und als solche sind sie nicht nur lange beglichen. Die Begleichung in der Vergangenheit hat sogar die Verteilung der Vermögen hervorgebracht, die nun zur Entwertung anstehen. Der sehr deutsche Traum, in der Krise unpolitisch zu bleiben und die vom ökonomischen Sachzwang und seinen juristischen Formen hervorgebrachte Verteilung beizubehalten, resultiert daher im Wunsch nach unmittelbarer politischer Macht, die sich weder legitimieren muss, noch sich aus einem Interessenkonflikt ergeben darf. Gerichtet wird er – in Deutschland nahezu ausschließlich, bei der Tea Party in den USA ist das aber zum Beispiel anders – an den Staat, obwohl er diesen, im Verschweigen der politischen Verlaufsformen, um seinen politischen Gehalt und damit um seine reale Genese bringt.

So sehr sich also die ÖkonomInnen im Namen des Besitzes auch darum bemühen, jedes politische Moment aus ihren Vorschlägen zu streichen, um ihren politisch gesetzten Status als Besitzer zu erhalten, finden sie sich doch immer wieder auf die politische Seite zurückgeworfen. Eine in irgendeinem Sinne eigenständige, verhandelbare und damit zu tatsächlicher politischer Einflussnahme fähige Position stellen ihre Programmpunkte nicht dar. Vielmehr ist die Anti-Euro-Position lediglich ein Moment in einem allgemein regressiven Prozess, aus dem auch sie keinen Ausweg anbietet. Der propagierte Ökonomismus kann sich nicht der Teilhabe an politischen Vorgängen enthalten, sondern diese Teilhabe lediglich dem Bewusstsein entziehen, weswegen sich die Allmachtsphantasien in Bezug auf den Staat umso ungehemmter entfalten können. Ein psychologischer Luxus, den sich das Regierungspersonal und die Führungen der Zentralbanken nicht leisten können, wenn sie in Brüssel verhandeln; weswegen sie versuchen, die ersehnte Macht politisch zu entfalten. Aus deren Perspektive erscheint der Euro als Mittel, das aus der Hand zu geben töricht wäre. Im Angesicht des Bruchs in der Einheit ökonomischer und politischer Macht führt dies wiederum zu Unverständnis auf Seite der ÖkonomInnen in Bezug auf die vermittelnde Aufgabe der politischen Institutionen und damit zu deren Ablehnung. Die Artikulation dieses Unverständnisses ist es, was für gewöhnlich als Rechtspopulismus bezeichnet wird. Der regressive Charakter der ganzen Veranstaltung bringt es dabei mit sich, dass Unverständnis und Ablehnung von infantiler Undankbarkeit und Enttäuschung einer väterlichen Autorität gegenüber geprägt sind.

Die alternative Alternative für Deutschland

Wegen der irrational-autoritären Stellung zum Staat, die heute diejenigen einnehmen, die sich gezwungen fühlen, ihr Unverständnis diesem gegenüber auszuagieren, ist es mindestens grob fahrlässig, die AfD vornehmlich als „Ultra-FDP“ zu beschreiben, die „in Sachen Marktradikalität die FDP bei Weitem“ übertreffe „und als Marktfundamentalismus bezeichnet werden“ könne (Berger 2013a). Der Linkskeynesianer Jens Berger, der in einem taz-Debattenbeitrag die These vertritt, dass die Gefahr der Partei nicht in ihrem Rechtspopulismus bestehe, sondern eben in jenem Liberalismus, hat zwar den vornehmlich antifaschistisch-antiautoritär motivierten KritikerInnen des Rechtspopulismus voraus, dass sich seine Kritik mit den für die Partei zentralen Themen auseinandersetzt. Trotzdem ist es keineswegs zufällig, dass sich im Umfeld der Partei jede Menge Gestalten tummeln, die ihre Straflust Arbeitslosen gegenüber am liebsten persönlich exekutieren würden und gegen vermeintlich allgegenwärtige political correctness zu Felde ziehen. Denn weil die ökonomischen Phantasien von der „geordneten Auflösung“ der Euro-Zone nicht zur Ausführung kommen können, dürfte sich der Beitrag der AfD zur künftigen Politik, sollte sie denn zu einer relevanten Partei werden, auf die ohnehin schon vollziehende Entwertung der Ware Arbeitskraft und die damit verbundene repressive Verwaltung der Arbeitskraftbehälter konzentrieren. Genau dies macht Berger aber an anderer Stelle explizit unsichtbar, indem er eine geordnete Auflösung – mit klassisch reformistischer Rhetorik – zu einer realistischen Option adelt, die nur von den falschen Personen gestaltet wird: „Doch es macht natürlich einen großen Unterschied, ob der Euro eine harte Bruchlandung hinlegt und die ehemaligen Eurostaaten unkoordiniert zu ihren nationalen Währungen zurückkehren, oder ob man das Ende des Euros in einem sorgsam abgestimmten Exit-Prozess in einem System politisch bestimmter Wechselkurse vollzieht, wie es beispielsweise Oskar Lafontaine vorschlägt.“ (Berger 2013b) Da fragt sich nur noch: Hat es eigentlich schon einmal jemand aus den einschlägigen Kreisen zu der Ansicht gebracht, dass es „natürlich einen großen Unterschied macht“, ob das Kriegführen der Bundeswehr überlassen wird, oder dem Vorstand der Linkspartei? Oder, anders gesagt: Was haben Leute wie Berger eigentlich gegen eine unkontrollierte Marktordnung einzuwenden, wenn sie sich gleichzeitig weigern, irgendeine ökonomische Objektivität und die damit sich aus innerer Gesetzmäßigkeit ergebenden Machtkonflikte als Grenze ihres Willens zur „sorgsamen Abstimmung“ anzuerkennen? Aus welchen Gesetzen entstehen in dieser Vorstellungswelt überhaupt die abgelehnten Resultate des vermeintlich freien Marktes, vor dem so verbissen gewarnt wird? Oder noch einmal anders, unter Berücksichtigung des Sachverhalts, dass die Linkspartei, um deren Haltung zum Euro es in der Debatte geht, für einen „abgestimmten Exit-Prozess“ auch noch gewählt werden muss: Wie stellt sich Berger vor, dass eine Partei eine ernsthafte Kraft beim Sturz der verheerenden „deutschen Kurses“ sein kann, wenn er sich nicht einmal im Ansatz traut, deren potentielle WählerInnen gegen die antiliberalen und nationalen Machtphantasien aufzuwiegeln, die sowohl die Merkel-Linie als auch die des AfD prägen?

Die Antwort hierauf dürfte sein: Vermutlich gar nicht, weil eine derartige Position nur entwickeln kann, wer den Geldwertspleen uneingestanden teilt, die Allmacht aber menschenfreundlich verwendet sehen möchte. Ein Wunsch, der nicht verwundert bei Leuten, die sich in ihrer „Realpolitik“ auf deutsche Gewerkschaften verlassen müssen, die es in ihren „Arbeitskämpfen“ regelmäßig nicht einmal zu einem Ausgleich der Inflationsrate bringen. Denn gewünscht wird dann nichts anderes, als dass wenigsten die Währung stabil bleiben soll, damit die Reallohnverluste nicht ganz so hoch ausfallen und dem Binnenmarkt ein wenig Kaufkraft erhalten bleibt. Da war Sarah Wagenknecht, die mit einem Interview die Debatte in der Linkspartei mit ausgelöst hatte, wenigstens halbwegs ehrlich, als sie sich die gleiche „Fachkompetenz“ wie Starbatty unterstellte: „Ich denke, es ist noch nicht ausgemacht, in welche Richtung sich die Partei entwickelt. In der AfD gibt es zum einen renommierte Professoren wie Joachim Starbatty, die die Initiative mit gegründet haben und deren Fachkompetenz außer Zweifel steht. Wie wir kritisieren sie die Europapolitik der Kanzlerin. Da gibt es viele Überschneidungen.“ (Wagenknecht 2013)

Dagegen sind die antifaschistisch-antiautoritären KritikerInnen, obwohl sie eigentlich das Thema verfehlen, realistischer als diejenigen, die selbst antiliberal von „Marktfundamentalismus“ schwafeln. Allerdings ist die Bedeutung der AfD auf diesem Feld wiederum deutlich geringer einzuschätzen. Denn hier fehlt ihr das scheinbare Alleinstellungsmerkmal. Die regressive Entwertung der Ware Arbeitskraft exekutieren auch alle anderen Parteien seit Jahren offensiv und glaubwürdig. Eine spezielle Konstellation könnte allenfalls entstehen, falls der Euro tatsächlich ungeordnet, d.h. in einem Crash zerfällt. Denn in dem Moment der Aufwertung der dann deutschen Währung würde schlagartig offensichtlich, das die Radikalität des deutschen Arbeitsregimes, also die bekannte Standortpolitik, Hartz-IV etc., keineswegs gegen den Krisenprozess gewirkt, sondern lediglich dazu beigetragen hat, dass Deutschland in eine konkurrenzvermittelte Position relativer Stärke gelangen konnte, die es erlaubt, die Entwertung von sich fern zu halten. Zwar wäre damit auch erwiesen, dass das Lamentieren über die „Südländer“, die uns die Zinsen aufs Brot fressen, völlig haltlos ist. Die AfD hätte bekommen, was sie wollte, und wäre entsprechend blamiert. Aber solange die Allmachtsphantasie vom Staat besteht, dürfte die damit verbundene Massenpsychologie sich aus der Affäre ziehen mit der Ansicht, dass eine Alternative bestanden habe, die früh genug vor dem ungeordneten Zerfall gewarnt und den Kladderadatsch unter Zuhilfenahme deutscher Stabilitätstradition habe sichern wollen.

So lange die Linke nicht bereit ist, die Euro-Krise als Krise des Geldes als solches zu thematisieren, wird sie den nationalen Implikationen, die der Streit um die Währung beinhaltet, nicht einmal in der Theorie entkommen. So, wie es aussieht, plant die Linkspartei hingegen, mit der AfD um die Fähigkeit zur Verleugnung des allgemeinen Charakters der aktuellen Krise konkurrieren zu wollen. So gerät nicht einmal in den Blick, dass die wettbewerbsorientierte ökonomische Logik der Sorte Sinn, die diesen nun vom Euro weg zur „offenen Währungsunion“ führt, ziemlich exakt derjenigen Logik entspricht, die überhaupt zu ihm hin geführt hat. Insofern ist die AfD tatsächlich eine Alternative, nämlich ein anderer Weg, das gleiche Ziel auch nicht zu erreichen.

Der Euro ist aber als Resultat der dominanten Reaktion auf den Zerfall des Bretton Woods Systems  selbst ein Krisenprodukt, und die Geschichte seiner Entstehung ist geprägt von derselben fixen Idee, ökonomische Stabilität sei die Sache einer unausweichlich gesetzten Wettbewerbsordnung. Der Maastricht-Vertrag hat den Mitgliedsstaaten schlichtweg verboten, krisenhafte Entwicklungen zuzulassen. Die vertragsschließenden Parteien wiederum dachten, ein solches Verbot von Krisen durchsetzen zu können, weil die volkswirtschaftlichen Modelle, denen gemäß die Errichtung der Wettbewerbsstaaten rational war, keine Krise kennen. Die Modelle wiederum waren nichts anderes als Selbsttäuschungen, geboren aus einer Art Identifikation mit dem Aggressor. Aus dem Sachverhalt, dass die Entwicklung von Krisenpotential mit den währungspolitischen Mitteln der „Globalsteuerung“ sowohl ordo- und neoliberaler als auch keynesianischer Provinenz nicht mehr zu bannen war, resultierte der Schluss, nun „Wettbewerbsverzerrung“ genannte Staatsintervention sei nicht nur unnötig, sondern selber Ursache der Krise.

Die Linke nannte diese Selbsttäuschung „Neoliberalismus“. In völliger Verkennung, dass der historische Neoliberalismus einmal die am autoritären Staat orientierte Variante des Liberalismus gewesen war, verlängerte sie die reaktionäre Hoffnung, im Spätkapitalismus sei reine Marktvermittlung möglich, wenn der Staat seinen Standort nur hart genug zurichte, zu der Furcht, dies könne tatsächlich geschehen, wenn der Staat gegenüber dem Markt zurück tritt. Ließe sie endlich einmal von derartigen Spiegelungen herrschender Machtphantasien ab, könnte sie die Rede von der „geordneten Auflösung“ oder dem „sorgsam abgestimmten Exit-Prozess“ bereits heute blamieren. Und zwar mit dem simplen Verweis auf die realen Zustände. Seit gut zwei Jahrzehnten exekutiert die Politik den mit dem Fortschritt der Kapitalakkumulation naturwüchsig entstehenden Entwertungsdruck vor aller Augen und mit Beteiligung Aller. Es gab dabei weder souverän Herrschende, die mit einer eindeutig identifizierbaren „neoliberalen Agenda“ den Sozialstaat zum Wohle eigener Interessen zugrunde gerichtet haben, noch eine neoliberale Hegemonie, die gleiches diskursiv besorgt hätte; und seit 2008 gibt es auch keine bloße „Austeritätspolitik“ oder irgendein sonstiges, auch nur halbwegs konsistentes Handlungsschema, dem die Rettungspolitik folgt. Bestimmt ist die gegenwärtige Politik vom Kapital nur insofern, als dieses vorgibt, was gegen jede Realität in der Welt bleiben soll. Dass einzelne Staaten den Crashkurs versuchen, um zu diesem Ziel zu gelangen, ist nicht auszuschließen. Die historische Bewegung besteht aber trotz allem noch immer in der fortschreitend repressiven Integration durch die EU. Der bislang letzte Schritt hierzu war der Fiskalpakt. Zu brechen ist daher eine Dynamik, in der von ökonomischer Seite die Sehnsucht nach jener Macht entsteht, die die politische Seite dann zu erringen versucht. Emanzipatorisches Potential ist bislang auf keinem der beiden Pole entstanden, egal wie unversöhnlich sich die VertreterInnen der beiden Seiten inzwischen auch gegenüberstehen.

Literatur




zurück
Druckversion
Glossar
Deep Link