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Robert Kurz


erschienen im Neuen Deutschland
am 18.02.2005

Robert Kurz

ABSOLUTER MEHRWERT

So viel weiß jedes Kind: Dem Kapital geht es nicht um Butter, noch nicht einmal um Kanonen, sondern einzig um den Mehrwert - egal in welcher materiellen Form er sich darstellt. Mehrwert ist "abstrakter Reichtum" (Marx), also Geld als Selbstzweck. Es handelt sich dabei bekanntlich um diejenige Wertsumme, die von der angewendeten Arbeitskraft über die Kosten ihrer eigenen Reproduktion hinaus produziert wird. Das geht auf zwei verschiedene Weisen, wie Marx gezeigt hat: als absoluter und als relativer Mehrwert. "Absolut" ist die direkte Steigerung des Mehrwerts, vor allem durch Verlängerung des Arbeitstags oder durch Lohnsenkung; "relativ" ist die indirekte Steigerung des Mehrwerts, indem die Produktivkraftentwicklung die Waren für den Lebensunterhalt der Lohnarbeit verbilligt und dadurch der Anteil des Kapitals an der Wertmasse größer wird.

Das Wirtschaftswunder beruhte wie alle "zivilisatorischen" Elemente im Kapitalismus auf dem relativen Mehrwert. In den "fordistischen" Industrien (Autos, Haushalts- und Unterhaltungselektronik) konnten große Massen Arbeitskraft rentabel angewendet werden. Dabei steigerte das Kapital seinen relativen Anteil an der Wertschöpfung, während für die LohnarbeiterInnen trotzdem durch Verbilligung der Waren mehr Konsum an Gebrauchsgütern herauskam. Zwar spielten auch Momente des absoluten Mehrwerts eine Rolle, etwa die Intensivierung der Arbeit am Fließband, aber der relative Mehrwert dominierte. Als Abfallprodukt kam die Alimentierung von Bildungswesen, medizinischer Versorgung, Kultur usw. heraus.

Die Krise der 3. industriellen Revolution ist auch die Krise des relativen Mehrwerts. Durch die neuen Produktivkräfte kann keine genügend große Masse von Arbeitskraft mehr rentabel angewendet werden. Deshalb reicht auch die Verbilligung der Waren für den Konsum der Produzenten nicht mehr aus, um die Akkumulation des Kapitals zu gewährleisten. Der relative Mehrwert wird zu gering. Der praktische Beweis dafür ist, daß das Kapital zur Dominanz des absoluten Mehrwerts zurückkehrt. Was für den gesunden Menschenverstand als Absurdität erscheint, liegt durchaus in der "Vernunft" der kapitalistischen Logik: Die Akkumulation soll gerettet werden, indem für die verbliebene Arbeitskraft der Arbeitstag wieder verlängert, die Arbeitsintensität noch weiter gesteigert und der Arbeitsschutz drastisch abgebaut wird. Gleichzeitig soll das erreichte "historisch-moralische Niveau" (Marx) der Reproduktionskosten der Arbeitskraft fallen, damit die Löhne absolut sinken können: Kulturgüter, Urlaubsreisen, gehobener Lebensmittelkonsum und selbst eine Wohnung mit bislang für selbstverständlich gehaltenen Ansprüchen an die Ausstattung werden aus dem durchschnittlichen Lebenskosten-Niveau durch einen repressiven Diskurs allmählich wieder "herausdefiniert"; ebenso werden die indirekt aus dem relativen Mehrwert finanzierten Bereiche öffentlichen Konsums von medizinischer Versorgung, Bildung usw. geschleift.

Der Anschein der zivilisatorischen Potenz verfliegt, mit der Rückkehr zur Dominanz des absoluten Mehrwerts zeigt das Kapital unverhüllt die Fratze der Barbarei. Aber im Unterschied zum Dampfmaschinen-Kapitalismus kann der Mikroelektronik-Kapitalismus auf dieser Basis nicht mehr genügend Arbeitskraft einsaugen. Wenn immer weniger Arbeitskraft angewendet wird, nützt auch deren brutalste Auspowerung nichts - die Mehrwertmasse fällt trotzdem. Auf dem Warenmarkt zeigt sich dies als Absatzproblem. Zwar verbilligen sich die Waren durch die Produktivkraftentwicklung weiterhin, aber nicht genug, um bei Dominanz des absoluten Mehrwerts noch in vollem Umfang in den Massenkonsum eingehen zu können. Die Löhne und Transfereinkommen (Arbeitslosen- und Krankengeld, Sozialhilfe, Renten etc.) sinken relativ und absolut schneller, als sich die Waren verbilligen. Eine Kombination von Massenarbeitslosigkeit und "arbeitender Armut" kann die Akkumulation des Kapitals nicht tragen, aber zu etwas anderem ist der Kapitalismus nicht mehr fähig. Harte Zeiten für "Realisten".




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