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Robert Kurz




   
Kurz, Robert
Die Antideutsche Ideologie
Vom Antifaschismus zum Krisenimperialismus: Kritik des neuesten linksdeutschen Sektenwesens in seinen theoretischen Propheten

 
Verlag :  Unrast
ISBN :  3-89771-426-4
Einband :  Paperback
Seiten/Umfang :  312 Seiten - 18 × 11 cm
Erschienen :  1. Auflage 10.2003
Preisinfo :  16,00 Eur[D] / 16,50 Eur[A]
  16,00 Eur[D]

Plädoyer für eine Neuformulierung emanzipatorischer Kritik


"... hiermit ist der Anfang gemacht worden, mittels inhaltlicher Kritik an den zentralen Theoremen der sog. Antideutschen aufzuzeigen, wie sich durch moralisch-ideologische Instrumentalisierungen eine notwendige Kritik an antisemitischen Denk- und Erscheinungsformen auf ein derartig sektenhafte anti-antisemitische Weltverschwörungstheorie herunterbringen lässt, die ihrerseits den Antisemitismus infam instrumentalisiert und damit auch verharmlost, ohne es selbst zu merken.
Ein Anfang also zu einer leider notwendigen offensiven Auseinandersetzung." a.b. in terz.org

Klappentext:
Nicht erst der 11. September und der Irakkrieg haben die Ratlosigkeit der radikalen Linken enthüllt. Das Ende von traditioneller Arbeiterbewegung, Staatssozialismus und nationalen Befreiungsbewegungen ist noch lange nicht aufgearbeitet. Die kategorial an das warenproduzierende System und dessen Modernisierungsgeschichte gebundene bisherige Kritik droht in Apologetik der kapitalistischen Subjektform und ihrer globalen Krisendiktatur umzuschlagen. Als für diese Tendenz exemplarisch analysiert Robert Kurz die Widersprüche einer "antideutschen Ideologie", die mit Auschwitz Geschichtspolitik macht, um die bürgerliche Vernunft zu retten. Dagegen plädiert der Autor für eine Neuformulierung emanzipatorischer Kritik, die den Nationalsozialismus als integralen Bestandteil innerkapitalistischer Entwicklung begreift und mit der fetischistischen Konstitution der Moderne bricht.


Vorwort und Inhalt

Es hat einige Überwindung gekostet, dieses Buch zu schreiben. Denn wer hat schon Lust, grundsätzliche Fragen von Gesellschaftstheorie und Gesellschaftskritik in der Form eines sattsam bekannten innerlinken Distinktions- und Grabenkampfes zu verhandeln? Deshalb zuerst ein Wort an diejenigen LeserInnen, die meinen, mit der antideutschen Ideologie nichts zu tun zu haben: Es geht hier nicht einfach um "linke Befindlichkeiten", sondern um ganz unabhängig davon sich stellende Probleme einer Neuformulierung radikaler Kapitalismuskritik; es geht um die Geschichtstheorie, um den Status von NS und Auschwitz, um die Kritik der Aufklärung und des Arbeiterbewegungsmarxismus, die Kritik der bürgerlichen Subjektform, die Begriffe von Theorie und Kritik überhaupt, das Verhältnis von Wertform und Ideologie, aber auch um die Art und Weise der Auseinandersetzung innerhalb einer paralysierten Linken. Insofern sind die hier vorgelegten Erörterungen auch jenseits ihres Bezugs auf das antideutsche Syndrom von Interesse für eine mit sich selbst und mit ihrer Vergangenheit ringende Linke.
Wenn die Kritik der antideutschen Ideologie zum Medium einer Auseinandersetzung über die notwendige Transformation emanzipatorischer Theorie gemacht wird, so nicht allein des vielleicht überschätzten Einflusses dieser Strömung wegen. Wie groß dieser Einfluß quantitativ ist, läßt sich nur schwer ermessen, zumal er nicht allein an der Schrillheit der antideutschen Szene abzulesen ist. "Szene" im schlechten, bornierenden Sinne dieses Wortes ist gegenwärtig der größte Teil der Restlinken, und die Antideutschen stellen dabei nur ein besonders lautstarkes Segment dar. Ihr "antiimperialistischer" Widerpart ist außerdem um keinen Deut besser. Die falsche Polarisierung zwischen "Antideutschen" und "Antiimperialisten" zeigt nur das Ausmaß der linken Ratlosigkeit an; es handelt sich um keine akzeptable Alternative, sondern um den Gegensatz zweier Verwahrlosungsformen des traditionellen linksradikalen Bewußtseins.
Festzuhalten ist allerdings, daß die antideutsche Ideologie sich weit über die Größenordnung ihrer Szene hinaus publizistische Positionen verschafft hat. Ihr redaktioneller Einfluß in einem Großteil der linksradikalen Presse der BRD (um Roß und Reiter zu nennen: bei den Zeitungen und Zeitschriften "Jungle World", "Konkret", "iz3w" und "Phase2") steht offensichtlich in keinem Verhältnis zur wirklichen Zahl ihrer Anhänger. Mit anderen Worten: Der größere Teil der radikalen Restlinken läßt sich gegen sein Selbstverständnis von den publizistischen Platzhaltern der antideutschen Strömung auf der Nase herumtanzen.
Das hat allerdings Gründe. Denn während der antiimperialistische Gegenpart in der BRD meistens so gut wie keinen theoretischen Anspruch mehr erhebt und bloß noch auf der Ebene des Empirismus, der "oral history" und des blanken Ressentiments argumentiert, gefallen sich die antideutschen Ideologen in der Pose der begrifflichen Reflektiertheit und im Gestus einer Fortführung der kritischen Theorie von Adorno und Horkheimer. Das heißt aber nur, daß die Kapitulation des traditionellen Marxismus bei ihnen die Form eines theoretischen Anspruchs angenommen hat, dessen Inhalt darin besteht, mit entwerteten Begriffen der ehemaligen radikalen Kritik die kapitalistische Krisenverwaltung und den demokratischen Krisenkolonialismus des beginnenden 21. Jahrhunderts zu legitimieren.
Dieses Unternehmen geht mit einer perfiden geschichtspolitischen Strategie einher, die das Grauen von Auschwitz dafür instrumentalisiert, die proimperiale Konversion der Antideutschen abzusichern und die radikale Linke in pseudo-moralische Geiselhaft zu nehmen. Das ist allerdings nur möglich, weil diese Linke auch mehr als ein halbes Jahrhundert nach dem Ende des Dritten Reiches den Zusammenhang von Kapitalismus, Antisemitismus und deutscher Geschichtskatastrophe noch immer nicht ausreichend geklärt hat. Daß der begriffliche Apparat des traditionslinken Denkens an dieser Aufgabe scheitert, wird von den Antideutschen ausgenutzt, um den NS von der Modernisierungsgeschichte abzulösen und die bürgerliche Subjektform zu verteidigen.
Eine konsequente Kritik der antideutschen Ideologie ist also deshalb gefordert, weil in diesem Denken exemplarisch der begriffliche Verfall und die analytische Insuffizienz einer obsolet gewordenen linken Theoriegeschichte zum Vorschein kommen. Es geht darum, ob die Weichen in der radikalen Linken der BRD für eine Erneuerung emanzipatorischer Kritik über das arbeiterbewegungsmarxistische Paradigma hinaus gestellt werden - oder für einen endgültigen Rückfall in die Affirmation kapitalistischer "Vernunft" und "Zivilisation", die nichts anderes darstellt als den Interessenstandpunkt des männlich-weißen westlichen Metropolensubjekts in der Weltkrise des modernen warenproduzierenden Systems.
Insofern kann die Auseinandersetzung mit der antideutschen Ideologie nicht als einer der vielen innerlinken Sektenkriege abgetan werden, aus denen man sich besser heraushält. An der Stellung zu dieser Ausgeburt linker Niedergangsgeschichte mißt sich die Stellung zur kapitalistischen Moderne überhaupt. Zurück zur bürgerlichen Ontologie und aufklärerischen Geschichtsmetaphysik oder vorwärts zur kategorialen Kritik des modernen Fetischsystems und seiner Zerstörungslogik, das ist hier die Frage. Oberflächlich betrachtet ist die antideutsche Strömung ein sehr deutsches Unikum, inkompatibel mit den linken Diskursen in der gesamten übrigen Welt. Aber dahinter verbirgt sich das allgemeine Problem des Schicksals emanzipatorischer Gesellschaftskritik nach dem Ende der bisherigen linken Gewißheiten, das im deutschsprachigen Raum durch die Rückkoppelung auf den NS nur eine besondere Gestalt annimmt.
In der antideutsch beeinflußten Szene und Publizistik hat sich eine bestimmte Manier herausgebildet, der notwendigen Auseinandersetzung um die Grundsatzfragen auszuweichen. Innerhalb eines verwaschenen Bezugs auf die Marxsche Fetischkritik und die kritische Theorie Adornos gelten die hart kriegsgegnerische wertkritische Position und die hart bellizistische antideutsche Position, wie sie sich um die Theoriezeitschrift "Krisis" einerseits und das Propagandaorgan "Bahamas" andererseits formiert haben, als dogmatische Extreme, über die man selber erhaben sei. Diese Haltung hat kleinere Schönheitsfehler. Denn die "goldene Mitte" der in "Sachlichkeit" machenden Szene und ihres journalistischen Ausdrucks vertritt nicht etwa eine dritte, besser reflektierte theoretische Position, sondern überhaupt keine eigene. Wenn aber die theoretische Ausgewiesenheit allein bei den geschmähten Extremen zu finden ist, dann ist die sich sachlich gebende Mitte argumentativ schwach auf der Brust. Deshalb ist diese Mitte auch gar keine, sondern sie bezieht ihre zentralen Begriffe, ihr geschichtsphilosophisches Interpretationsmuster und ihre Einschätzung der Weltsituation allein von der antideutschen Extremposition, die sie in abgeschwächter und oft zweideutiger Formulierung nachplappert. Damit wird allerdings niemand weit kommen.
Die andere Seite der Ignoranz bildet jene Bewegungslinke, die ihre Theoriefeindlichkeit schon immer für das beste Argument gehalten hat. So wenig aber die kritische Theorie den elitären Anspruch des Kommandos erheben kann, zumal in ihrer gegenwärtigen Verfaßtheit, ebensowenig kann die soziale Bewegungspraxis den Anspruch der Selbstgenügsamkeit erheben. Das Postulat, unbeirrt die eigenen Projekte zu verfolgen und die Samurai der Theoriebildung weit hinten in Wolkenkuckucksheim aufeinander einprügeln zu lassen, blamiert sich an der Praxis selbst. Der Aufarbeitung der linken Geschichte und der Geschichtskatastrophe des NS kann sich niemand entziehen, der in den neu aufkommenden sozialen Bewegungen aktiv sein will. Dritte industrielle Revolution, Globalisierung des Kapitals und imperiale Weltordnungskriege verlangen eine theoretische Analyse und eine Entrümpelung des Begriffsapparats, ohne die keine Bewegungslinke mehr ein Bein auf den Boden bekommen wird. Dazu gehört auch die Bereitschaft, die Auseinandersetzung um die zukünftige Orientierung der radikalen Linken zur Kenntnis zu nehmen und sich dazu ein eigenes Urteil zu bilden; trotz aller Verzerrungen, Spannungen und Schrägheiten.
Die drei Teile dieses Buches sind als Reaktion auf den entnervenden, bedrückenden, auf den Magen schlagenden Spaltungsprozeß der Linken nach dem 11. September und im Kontext des Irakkrieges entstanden. Nach dieser Spaltung gibt es nichts mehr zu vermitteln, sondern nur noch etwas zu erklären. Daß die Stellung zum imperialen Krieg kein Gegenstand differenzierender Ausgewogenheit sein kann, versteht sich von selbst. Kriegsgegnerschaft und Bellizismus bilden aber nur die aktuelle Erscheinung eines Gegensatzes, der viel tiefer geht.
Niemand wird sich wundern, wenn vor diesem Hintergrund die Form der Darstellung eine polemische ist. Wenn in solche Bücher nicht das Herzklopfen der Erbitterung eingeht, sind sie nichts wert. Wer allerdings ein literarisches Pamphlet, eine "Schau" von Invektiven erwartet, wird enttäuscht sein. Das Pamphlet hat seinen Platz, auch wenn die Sachlichkeitsheuchler dabei nach dem Fläschchen der Nachbarin rufen. Aber dieser Platz ist hier nicht. Es geht darum, eine weitgehend immanente Kritik zu leisten und die Quellen der antideutschen Ideologie in bürgerlichen Diskursen und in den Verkürzungen des Arbeiterbewegungsmarxismus aufzudecken. Ich für meinen Teil bin nun mit den Antideutschen fertig.

Robert Kurz, August 2003


INHALT

WAS ANTIDEUTSCH IST
Aufklärungsverdummung und bürgerliche Krisenvernunft als Verwesungsprodukte der Modernisierungslinken

Zweierlei Wertkritik: Auschwitz und die letzte Spaltung der Linken/ Das kapitalistische Unwesen als "Zivilisation"/ Rettet den Kapitalismus vor ihm selbst! Die paradoxe Logik der linken Konversion/ Von der "Naturverfallenheit" zur "Nutzbarmachung": aufklärerische Fortschrittsmetaphysik/ Das unglückliche Bewußtsein des Arbeiterbewegungsmarxismus: Wertkritik als Verlegenheitslösung/ Politische Ökonomie der Enthistorisierung: die Mär vom "negativ aufgehobenen" Kapitalismus/ Singularität und Allgemeinheit der Modernisierung: die Auseinandersetzung um den historischen Status der NS-Verbrechen/ Die Metaphysik der Nation: ein völlig deutscher Gegenstand/ Langer Marsch nach Westen/ Imperium Teutonicum. Eine Gespensterschlacht/ Nie wieder Kapitalismuskritik

DAS SUBJEKT IST DER WERT
Weiße Aufklärungsmänner in Aktion

Das männlich-weiße westliche Subjekt der Moderne (MWW)/ Aporie und Apologetik der Subjektform/ Der logische Idealismus des Zirkulationssubjekts/ Wertsubjekt und "deutsches Wesen"/ Die Schrecken der Egalität/ Die Apotheose des abstrakten Individuums/ American Way of Life und Rheinischer Kapitalismus/ Warenkonsum als richtiges Leben im falschen/ Antideutscher Wertarbeitsmarxismus/ Der Krisenkolonialismus westlicher Werte/ "Richtige" Männer, "richtige" Frauen. Geschlechtssubjekt und Wertabspaltung/ Der Staat Israel als metaphysischer Lückenbüßer

FALSCHE UNMITTELBARKEIT
Zur Methodik der antideutschen Ideologie

Die Mystifikation des Kapitals/ Die Mystifikation der Krise/ Die Mystifikation der Kritik/ Der Positivismus falscher Unmittelbarkeit/ Theorie und Empirie/ Geschichtslosigkeit als Geschichtsmetaphysik/ Ideologiekritischer Reduktionismus/ Identitätslogik als Verfahren der denunziatorischen Zuschreibung / Eine falsche Kritik des Politischen

Leseprobe: Wer Antisemit ist, bestimmen wir

Linksdeutsches Sektenwesen
Robert Kurz analysiert die "antideutsche" Ideologie

Rezension von Gerd Bedszent, in analyse und kritik 479


Diskussion:
Diskussion - Gerhard Hanlosers zu Robert Kurz und die Krisis-Gruppe

Der Autor
Robert Kurz, geb. 1943, lebt in Nürnberg. Seit 1966 in der radikalen Linken aktiv, heute Redakteur und Mitherausgeber der Theoriezeitschrift "Krisis". Wichtigste Buchveröffentlichungen: Der Kollaps der Modernisierung (1991), Schwarzbuch Kapitalismus (1999), Weltordnungskrieg (2002). Zahlreiche Zeitungs- und Zeitschriftenbeiträge, regelmäßige Kolumnen in "Neues Deutschland" und "Folha de Sao Paulo". Im Zuge der Auseinandersetzungen um den 11. September und den Irakkrieg Aufkündigung der Mitarbeit bei "Jungle World", "Konkret", "iz3w" und "Phase 2".


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