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Postmodernes Subjekt, Demokratie & Antisemitismus


erschienen in EXIT! 4, Juni 2007

Udo Winkel

Carl Schmitt und die Juden

Roswitha Scholz hat jüngst auf „Die Rückkehr des Jorge“ (in EXIT! 3) verwiesen und ein Carl-Schmitt-Revival in Theorie und Politik festgestellt. Kurt Lenk u. a. hatten vor knapp zehn Jahren in dem Buch „Vordenker der Neuen Rechten“ (Ffm 1997) die Rezeption von Sorel, Spengler, Freyer, Ernst Jünger und natürlich Heidegger und Carl Schmitt aufgezeigt und richtig vermerkt: „Wo der Postmoderne nonchalant verkündet, die Lage sei hoffnungslos, aber nicht ernst, entspricht es der rechten Sicht, die Lage ernst, aber nicht hoffnungslos zu finden“ (S. 17). Letztere Sicht hat heute die Postmoderne abgelöst und ist bis weit in die Linke hinein verbreitet. Es hat sich praktisch eine Grauzone herausgebildet, in der in Form von Versatzstücken – hier grüßt immer noch die Postmoderne – Honig aus den rechten Vordenkern gesaugt wird. Moishe Postone hat auf die linke Rezeption von Sorels (eines Bewunderers von Mussolini und Lenin) abstraktem Gewaltbegriff verwiesen. Die angebliche Radikalität von Heideggers Existenzialismus und der vorgeblich unbestechliche Diagnostiker Carl Schmitt sind wieder „in“. Es geht um „die Überlegenheit des Existenziellen über das bloß Normative“, wie Schmitt das ausdrückt. Die neueste Variante des Heideggermarxismus hat nun Hans Dieter Kittsteiner kreiert: „Marx beschreibt, was ist, Heidegger erdenkt das ganz Andere, den Vorbeigang des kommenden Gottes im Ereignis“ (Klappentext, in: Kittsteiner, Mit Marx für Heidegger – mit Heidegger für Marx; München 2004).

Über Carl Schmitt sind einige 68er bei der Rechten gelandet, und seine Parlamentarismuskritik wurde schon in den 60er Jahren bewundert, was natürlich mit der illusionären und auch hausbackenen Kritik der Verteidiger der bürgerlichen Demokratie im akademischen Bereich zusammenhängt. Inzwischen sind auch die Deutschen als „doppelte Opfer“ entdeckt worden, nämlich als Opfer sowohl der Nazis als auch der Alliierten im II. Weltkrieg. Aus Goldhagens „willigen Vollstreckern“ wurden (Opfer-) Lämmer. Hitler und seine Paladine gelten wieder, wie in den 50er Jahren, als die einzig Schuldigen; ein „Reich der niederen Dämonen“, wie es Ernst Niekisch formuliert hatte. Wenn es um die Antisemiten geht, werden diese immer noch und wieder als „Kinder ihrer Zeit“ beschworen und objektivierend verharmlost wie jüngst wieder anlässlich der versuchten Reinwaschung des protestantischen Bischofs Meiser in Nürnberg, der in den zwanziger Jahren nicht nur den christlichen Antijudaismus hochhielt, sondern auch einen rassistischen Antisemitismus vertrat. Die Fangemeinde von Schmitt, Heidegger und Co., ihre Schüler- und Jüngerschaft, fährt zwei Varianten der Verteidigung und Rehabilitierung. Einmal erscheint deren Antisemitismus als bloße, zu negierende, Facette ihres Werks, die dieses nicht entwerte; oder es wird augenzwinkernd betont, dass dieser Antisemitismus nur einer opportunistischen Anpassung an das NS-Regime geschuldet sei und wiederum ihrem Werk nichts anhaben könne. Nun wusste schon Goethe, dass der „Geist der Zeiten“ der „Herren eigener Geist“ war. Man könnte umgekehrt zeigen, dass eher der zurückgehaltene oder verdeckte Antisemitismus Schmitts in den Zeiten der Weimarer Republik seinem Opportunismus geschuldet war, während der Antisemitismus überhaupt die Konstante seines Lebens ausmacht.

Dies wird nun ausführlich und überzeugend in einer Arbeit nachgewiesen, die 2000 erstmals erschien und jetzt auf den neuesten Stand gebracht als preisgünstige Taschenbuchausgabe herausgekommen ist (Raphael Gross: Carl Schmitt und die Juden. Eine deutsche Rechtslehre, erweiterte Ausgabe, Ffm 2005, stw 1754, 460 S., 15 Euro). Gross zeigt nicht nur die Kontinuität von Schmitts Antisemitismus, sozusagen „von der Wiege bis zur Bahre“, was allein schon verdienstvoll wäre, sondern setzt sich auch mit dessen Dimensionen auseinander, also mit dem antisemitischen Panorama, das ihn prägte und auf das er selbst einwirkte: „In Schmitts Auseinandersetzung mit den Juden und >dem Jüdischen< greifen biographische, historische und ideen- respektive begriffsgeschichtliche Komponenten ineinander. Letztere vermögen grundsätzliche Elemente von Schmitts Denken zu erhellen und sind daher von entscheidender Bedeutung. Aber auch die biographische Dimension ist bedeutsam, da sie den historischen Kontext von Schmitts Interesse erklärt“ (Gross, S. 21).

Schmitt wurde 1888 in Plettenberg im Sauerland in einer kleinbürgerlichen Familie der katholischen Diaspora geboren. Er selbst schreibt: „Für mich ist der katholische Glaube die Religion meiner Väter. Ich bin Katholik nicht nur dem Bekenntnis, sondern auch der geschichtlichen Herkunft, wenn ich so sagen darf, der Rasse nach“ (zit. nach Gross, S. 21). Die protestantisch geprägte Umgebung wirkte allerdings auch stark ein. Schmitts Bild der Juden und des „Jüdischen“ ist wohl weniger von der akademischen Theologie als von der „politischen Semantik und Weltanschauung des deutschen Katholizismus des 19. und frühen 20. Jahrhunderts“ (S. 22) geprägt. Sein offener Antisemitismus ab 1933 zeigt sich auch darin, dass er und seine Schüler am Prozess der Verdrängung und Diskriminierung der jüdischen Wissenschaftler nicht nur beteiligt, sondern auch Nutznießer der nun freiwerdenden Stellen waren. So besetzte etwa Ernst Forsthoff den Lehrstuhl Hermann Hellers in Frankfurt/M. Heller hat sich aus dem spanischen Exil auf einer Postkarte (vom 17.7.1933) noch einmal ironisch an Schmitt, nach dessen Ernennung zum Staatsrat, gewandt: „Zu der so überaus hochverdienten Ehrung durch Herrn Minister Goering beglückwünscht Sie Hermann Heller“ (S. 48). Schmitt weigerte sich auch, eine Resolution zugunsten des amtsenthobenen Hans Kelsen zu unterschreiben, dem er seine kurz zuvor erfolgte Berufung nach Köln verdankte. Assimilierte Juden waren Schmitt besonders verhasst. So schrieb er wegen seines früheren Bonner Kollegen Erich Kaufmann an das Kultusministerium: „Eine solche, ganz auf Verschweigung der Abstammung und auf Tarnung angelegte Existenz“ sei für „deutsches Empfinden“ nur „schwer begreiflich“, und es sei nicht nur „eine schlimme Verwirrung“, sondern auch eine „seelische Schädigung“ der deutschen Studenten, wenn der nationalsozialistische Staat einem „besonders ausgesprochenen Typus jüdischen Assimilantentums“ heute von neuem die Möglichkeit gebe, sich an der größten deutschen Universität zu betätigen (S. 49). Schmitt forderte auch die Namenskennzeichnung der jüdischen Wissenschaftler – so des „Juden Kelsen“ – , was während der Konsolidierungsphase ihrer Herrschaft selbst den Nazis zu weit ging.

Nun war die Akzeptanz von Hitlers „Antisemitismus der Vernunft“ – so Hitler selbst in einem Brief vom Anfang der 20er Jahre – gerade im Bildungsbürgertum und innerhalb der akademischen Führungsschicht besonders hoch. Gross dazu prägnant und knapp: Der Nationalsozialismus gab Schmitt „Gelegenheit, seine antisemitische Weltanschauung, die seinem Engagement für den Nationalsozialismus vorausging, als politische Währung zu benutzen“ (S. 65). Schmitt verknüpfte alle Problemfelder mit der „Judenfrage“ über den polemischen Begriff der „Gleichartigkeit“ und später der „Artgleichheit“: „Ein Artfremder mag sich noch so kritisch gebärden und noch so scharfsinnig bemühen, mag Bücher lesen und Bücher schreiben, er denkt und versteht anders, weil er anders geartet ist, und bleibt in jedem entscheidenden Gedankengang in den existentiellen Bedingungen seiner eigenen Art. Das ist die objektive Wirklichkeit der >Objektivität<“ (zit. nach Gross, S. 61). Der Rechtsstaat müsse als „jüdischer Gesetzesstaat“ bekämpft werden. Es kommt dann auch zu solchen Blüten wie etwa der, die „Anwendung des Gleichheitsbegriffs auf das Politische“ sei eine „Kompetenzüberschreitung der Mathematik“, so Schmitts Freund Wilhelm Stapel. Noch zwei Zitate zur Illustration. Der Schmittschüler Günther Krauss schreibt: „In Wahrheit ist ein Bekenntnis zum Rechtsstaat und seiner Legalität heute, nach der Machtübernahme, sinnlos. Die ganze Frage hat eine lehrreiche Analogie im Streit um die Beschneidung der Heidenchristen in der alten Kirche, wenn es erlaubt ist, sich derartiger Analogien zu bedienen. Ebenso wenig wie die Kirche nach der Auferstehung Christi das jüdische Gesetzesdenken und die jüdische Zeremonialgebote noch anerkennen konnte, ebenso wenig kann sich der Nationalsozialismus nach der Machtübernahme den Regeln des früheren Staatsdenkens unterwerfen“ (S. 63). Ernst Forsthoff formulierte in „Der totale Staat“: „Das Bewusstsein der Artgleichheit und völkischen Zusammengehörigkeit aktualisiert sich vor allem in der Fähigkeit, die Artverschiedenheit zu erkennen und den Freund vom Feind zu unterscheiden. Und zwar kommt es darauf an, die Artverschiedenheit dort zu erkennen, wo sie nicht durch die Zugehörigkeit zu einer fremden Nation ohne weiteres sichtbar ist, etwa in dem Juden, der durch eine aktive Beteiligung an dem kulturellen und wirtschaftlichen Leben die Illusion einer Artgleichheit und einer Zugehörigkeit zum Volke zu erwecken suchte und zu erwecken verstand“ (Hamburg 1933, S. 38).

Die Unterscheidung von „Gleichartigem“ und „Artfremdem“ wird Schmitt im Rückgriff auf seinen „Begriff des Politischen“ zum Inbegriff politischen Denkens: „Wir lernen wieder unterscheiden, wir lernen vor allem Freund und Feind richtig unterscheiden“ (Gross, S. 65 f.). Mit der Projektion des rassisch „Fremden“ in den Feindbegriff war das NS-Sonderrecht legitimiert. Führen beruhe auf der Artgleichheit zwischen Führer und Gefolgschaft und damit könne der Führer auch Recht schaffen. Schmitt: „Wir lassen uns nicht durch eine sophistische Antithese von Politik und Recht und Recht und Macht darüber beirren, dass der Wille des Führers Recht ist. Dem Willen eines Führers zu folgen ist, wie uns Heraklit gesagt hat, ebenfalls ein nomos...Wenn wir aber immer wieder von Führertum und vom Führerbegriff sprechen, so wollen wir nicht vergessen, dass zu diesem Kampf echte Führer gehören, und dass unser Kampf hoffnungslos wäre, wenn sie uns fehlten...Wir haben sie, und darum schließe ich mein Referat, indem ich zwei Namen nenne: Adolf Hitler, den Führer des deutschen Volkes, dessen Wille heute der nomos des deutschen Volkes ist, und Hans Frank, den Führer unserer deutschen Rechtsfront, den Vorkämpfer für unser gutes deutsches Recht, das Vorbild eines nationalsozialistischen deutschen Juristen. Heil!“ (zit. nach Gross, S. 70). Auch hier zeigt sich wieder die Bedeutung des „artfremden“ Feindes, des Juden, der Artgleichheit und Führertum rechtfertigt. Hatte Schmitt früher den Dezisionismus dem Normativismus entgegengesetzt, so steht nun das konkrete Ordnungsdenken mit dem Nomos-Begriff im Mittelpunkt. Für ihn kann „von einem wirklichen Nomos als wirklichem König...nur dann gesprochen werden, wenn Nomos eben den totalen, eine konkrete Ordnung und Gemeinschaft mit umfassenden Begriff von Recht bedeutet...Wie der Nomos König, so ist der König Nomos, und damit befinden wir uns bereits wieder in konkreten Entscheidungen und Institutionen statt in abstrakten Normen und generellen Regeln“ (zit. nach Gross, S. 83).

Gross zeigt im einzelnen Schmitts Verbindung zur politischen Theologie des Protestantismus und sein Anknüpfen an die protestantische Nomos-Theorie. Die protestantischen politischen Theologen „haben den völkischen Antisemitismus während der Weimarer Republik auch theologisch diskussionswürdig gemacht, indem sie ihm durch ein politisch-theologisches Vokabular und eine spezifische Terminologie den Schein einer neuen Dignität gaben“ (S. 85). Nicht die Missionierung, sondern der „Schutz“ des deutschen Volkes vor den Juden war angesagt. Die protestantische Kirchenpolitik rezipierte ihrerseits Schmitts Begriff des „totalen Staates“: „Der >totale Staat< der Deutschen Christen sollte ein nationalsozialistischer Staat sein, der keine von ihm unabhängige Kirche duldete und dementsprechend die Oberaufsicht über die Kirche übernahm. Zudem versprach sich Oberheid (rheinischer Bischof und guter Freund Schmitts auch nach 1945, U.W.) vom >totalen Staat<, dass dieser mit der liberalen Religionsfreiheit brechen würde, die er als eine >contradictio in adjecto< bezeichnete“ (S. 96).

Ein Höhepunkt von Schmitts antisemitischem Engagement war die von ihm organisierte und geleitete Tagung der „Reichsgruppe Hochschullehrer des Nationalsozialistischen Rechtswahrerverbandes“ am 3. und 4. 10. 1936 in Berlin zum Thema „Das Judentum in der Rechtswissenschaft“. Vorträge hielten neben Schmitt noch ein Dutzend weiterer Juristen. „Den nationalsozialistischen Machthabern lag ersichtlich daran, gerade Hochschullehrer als Verfechter der nationalsozialistischen Rassentheorien zu gewinnen, um damit den Anschein zu erwecken, dass die Judenverfolgung kein Ausbruch des Primitiven sei, sondern Notwehr gegen das zerstörende Wirken des Judentums in der Rechtswissenschaft, ein Notschrei des vergewaltigten deutschen Geistes gegen den >jüdischen Ungeist<, so die Einschätzung von Horst Göppingen“ (S. 124). Auch hier stilisierte sich Schmitt als Opfer der Juden – wie dann auch später wieder nach 1945: „Ich weiß aus eigener Erfahrung, welchen Beleidigungen und Verleumdungen man ausgesetzt ist, wenn man in diesen Kampf (gegen die Juden) eintritt. Ich weiß auch, mit welchem Hass jüdische Emigranten und ihre Verbündeten die wissenschaftliche Ehre und den guten Namen eines jeden zu zerstören suchen, der sich ihrem geistigen Herrschaftsanspruch entzieht“ (zit. nach Gross, S. 128). Als praktische Forderungen und Aufgaben benennt Schmitt im Schlusswort jener Tagung eine genaue Erfassung aller jüdischer Autoren zur „Säuberung der Bibliotheken“ und ein Zitierverbot jüdischer Autoren: „Ein jüdischer Autor hat für uns keine Autorität, auch keine >rein wissenschaftliche< Autorität“. Und: „Schon von der bloßen Nennung des Wortes >jüdisch< wird ein heilsamer Exorzismus ausgehen“ (zit. nach Gross, S. 129). Abschließend formuliert Schmitt: „Wie konnten Tausende von anständigen und braven Volksgenossen lange Jahrzehnte hindurch dem jüdischen Geist in solcher Weise erliegen? Woher die Anfälligkeit vieler deutschblütiger Männer und woher in jenem geschichtlichen Augenblick die Schwäche und Verfinsterung deutscher Art, die Widerstandslosigkeit gegen das Judentum?...Uns beschäftigt der Jude nicht seiner selbst wegen. Was wir suchen und worum wir kämpfen, ist unsere unverfälschte eigene Art, die unversehrte Reinheit unseres deutschen Volkes...Ich wiederhole immer wieder die dringende Bitte, jeden Satz in Adolf Hitlers >Mein Kampf< über die Judenfrage, besonders seine Ausführungen über >jüdische Dialektik< zu lesen. Was auf unserer Tagung von Fachleuten in vielen wissenschaftlich hervorragenden Referaten vorgetragen worden ist, wird dort einfach, jedem Volksgenossen verständlich und völlig erschöpfend gesagt“ (zit. nach Gross, S. 133).

Schon für den jungen Carl Schmitt war die Rezeption der Staatslehre der katholischen Gegenrevolution maßgeblich gewesen, insbesondere von Joseph de Maistre und Donoso Cortes. Hier wurden die Juden zum Symbol für Revolution, Emanzipation und Universalismus: „Diese politische Theologie richtete sich in Spanien in erster Linie gegen konvertierte Juden, wodurch sie historisch das wichtigste Verbindungsglied zwischen den traditionell antijudaistischen Judenverfolgungen – diese richteten sich gerade nicht gegen konvertierte Juden – und dem modernen Antisemitismus darstellt“ (S. 146). Gross zeigt die Verbindung zur Weiterentwicklung bei Charles Maurras und der Action Francaise auf. Bei Schmitt findet sich sogar die inquisitorische Obsession, Juden unter Anwendung von Folter als sogenannte Scheinchristen zu demaskieren: „Wer Menschheit sagt will betrügen.“ Der Vorwurf des Betrugs wie die angebliche Macht des Geheimen bei Schmitt bestimmen nicht nur sein eigenes, sondern strukturell alles antisemitische Denken, wie etwa auch in der berüchtigten Fälschung „Protokolle der Weisen von Zion“. „In dem Willen zur Herrschaft sahen die Nationalsozialisten das Gesetz der Welt, und in dem tödlichen Kampf zweier unversöhnlicher Feinde um die Weltherrschaft glaubte Hitler den letzten Sinn der Geschichte zu erkennen. In diesem Endkampf wurden die Juden als die derzeit Herrschenden imaginiert und somit gewissermaßen zum Vorbild, das zu imitieren den Sieg verspreche. Ein Gedanke, dem Schmitt auf seine Weise Tribut zollte, indem er immer wieder folgenden Satz von Bruno Bauer als größte Weisheit anpries: >Erobern kann nur derjenige, der seine Beute besser kennt als sie sich selbst<“ (S. 177 f.).

In diesen Kontext gehört auch das zwiespältige Verhältnis zur Säkularisierung. Der protestantische politische Theologe Friedrich Gogarten sah in der Säkularisierung die „notwendige und legitime Konsequenz des christlichen Glaubens“; Säkularismus bedeutete ihm jedoch zugleich eine „Entartung der Säkularisierung“. Auch bei Carl Schmitt zeigt sich, dass die konservativ-existenzialistische Kritik an der Aufklärung letztlich nur die Kehrseite derselben Medaille bildet. Er begrüßte einerseits die Säkularisierung als positiv, wenn z.B. die religiöse Neutralisierung eine staatliche Souveränität schafft, die den konfessionellen Bürgerkrieg beenden kann, andererseits aber wurde sie zum abstrakten Hauptfeind seines Denkens. Als „systematischer“ Höhe- und Endpunkt der Säkularisierung galt ihm die reine Rechtslehre des „Juden“ Hans Kelsen.

Es gibt noch weitere Wurzeln und Querverbindungen. Der schon erwähnte Junghegelianer Bruno Bauer gehörte zu den wichtigsten Vordenkern des modernen Antisemitismus. Schon 1863 sprach er vom Juden als dem „weißen Neger“. „Bauer führte seine theologische Kritik des Judentums auch nach seinem Bruch mit der protestantischen Theologie und der christlichen Religion fort und stellte den Gegensatz zwischen >abstrakt< und >konkret< in den Vordergrund: Das jüdische Gesetz wird als zu abstrakt und daher weltfremd angegriffen. Die Abstraktheit des jüdischen Gesetzes brachte Bauer mit den sozialen Verhältnissen des Diaspora-Judentums in Verbindung: Das Spezielle des bodenlosen Volkes liege in seiner Abstraktheit“ (S. 209). Der junge Carl Schmitt hatte sich mit der protestantischen Religionskritik der Junghegelianer auseinandergesetzt und hier seine Munition gegen den „jüdischen Partikularismus“ gefunden: Das „jüdische“ abstrakt-positive Gesetz gegen den höheren Abstraktionsgrad des Christentums. So bilden für Schmitt Universalismus und Partikularismus in Verbindung mit Säkularisierung und Emanzipation ein Feindbild, aus dem sein antisemitisches Syndrom erwächst vor allem für den Kampf, wie schon erwähnt, gegen Kelsens reine Rechtslehre, der diese von „politischen Ideologien“ und allen „naturwissenschaftlichen Elementen reinigen“ wollte, während Schmitts Begrifflichkeit gerade einer Verweltlichung christlicher Formen geschuldet war: Staat, Souveränität, Diktatur, Gesetz, Ausnahmezustand und Entscheidung. Die reine Rechtslehre bedeutete für Schmitt die „säkularisierte Theologie des Feindes“. Diese Auseinandersetzung hat Gross im einzelnen nachgezeichnet.

Neben Universalismus und Partikularismus wird dabei den Juden auch die Beschleunigung der Geschichte vorgeworfen, die nur vom Katechon, dem Aufhalter, gehindert werden könne. Diese Beschleunigung sieht Schmitt in der Demontage des Hobbesschen Leviathan am Werk. So habe Spinoza durch die Betonung der bloß äußerlichen Bedeutung des staatlichen Kultes den Leviathan „von Innen heraus entseelt“. Vorarbeiten habe neben Spinoza „mit >unbeirrbarem Instinkt< Moses Mendelssohn geleistet, der die Trennung von >Innerlich und Äußerlich, Sittlichkeit und Recht, innerer Gesinnung und äußerer Handlung< geltend gemacht habe. Dadurch habe er die >Unterminierung und Aushöhlung der staatlichen Macht< und die >Lähmung des fremden Volkes< zugunsten der >Emanzipation des eigenen jüdischen Volkes< herbeiführen wollen. Auch im 19. Jahrhundert sei es >der Blick eines jüdischen Philosophen, Friedrich Stahl-Jolsons<, gewesen, der diese Trennung fortgeführt habe. In >breiter Front< hätten schließlich die >jungen Rothschilds, Karl Marx, Börne, Heine, Meyerbeer und viele andere< den preußischen Staat ideologisch verwirrt und geistig paralysiert. Schmitt kritisiert intensiv Friedrich Stahl und sein Konzept der konstitutionellen Monarchie. Dieser Gegenbegriff zur parlamentarischen Monarchie sei dafür verantwortlich, dass der >preußische Soldatenstaat unter der Belastungsprobe eines Weltkrieges im Oktober 1918 zusammenbrechen musste<“ (S. 283 f.). So stützt auch Schmitt die „Dolchstoßlegende“. Die Juden als die Agenten dieser Prozesse seien die „Kommissare“ des Antichrist.

Das Bild des Katechon geht auf den 2. Brief des Paulus an die Thessaloniker zurück. Und die Aktualität scheint frappierend: Steht nicht auch heute die Frage des „Aufhaltens“ eines allgemeinen kapitalistischen Niedergangs auf der ideologischen Agenda? Schmitt sieht im Katechon eine Kraft, die die beschleunigenden Kräfte wie Bewegung, Veränderung, Neutralisierung, Entpolitisierung und Entsubstanzialisierung der bestehenden Ordnung aufhält. Hatte er 1939, auf dem Höhepunkt der nazistischen Machtentfaltung, geschrieben: „Der neue Ordnungsbegriff eines neuen Völkerrechts ist unser Begriff des Reiches, der von einer von einem Volk getragenen, volkhaften Großraumordnung ausgeht“ (zit. nach Gross, S. 294), so erhielt der Katechonbegriff ab 1941/42 nach den großen Rückschlägen an der Front einen Defensiv-Charakter, das Dritte Reich wurde zum „weltgeschichtlichen Aufhalter und Verzögerer“.

Kampf und Widerstand galt dem „Zeitalter der Neutralisierungen und Entpolitisierungen“, so Schmitt 1932. Er gewann mit der Unterscheidung von Freund und Feind „die spezifische politische Unterscheidung, auf welche sich die politischen Handlungen und Motive zurückführen lassen“ (zit. nach Gross, S. 304). Der Begriff des Anderen, die „Andersartigkeit“, rückte nun ins Zentrum der politischen Entscheidung, und zwar als potentielle Gefahr für die eigene Existenz. Nicht der Fremde, sondern der Jude als der „Andere“ wird zum Feind. Der Antisemitismus hat so eine ganz andere Dimension als die Fremdenfeindlichkeit. Noch 1947 schreibt Schmitt in seinen „Glossarien“: „Gerade der assimilierte Jude ist der wahre Feind“, und: „Juden bleiben immer Juden. Während der Kommunist sich bessern und ändern kann“ (zit. nach Gross, S. 312). „Die Leugnung der Erbsünde“ durch die Juden sei die theologische Voraussetzung für die Verneinung des Politischen und führe notwendig zum universalistischen „unpolitischen“ Denken. Freund Stapel sekundiert: „Paulus hat die Erbsünde nicht aus seinem Judentum, denn just um seiner Sünden- und Erlösungslehre willen wurde er von den Juden verfolgt“ (zit. nach Gross, S. 319). Kelsen bleibt für Schmitt der Prototyp des jüdischen Zersetzers. Im Sinne Schmitts heißt es 1939 in „Meyers Lexikon“, Kelsen sei ein „radikaler Vertreter der >Reinen Rechtslehre<, die typischer Ausdruck jüdisch zersetzenden Geistes in der Nachkriegszeit auf dem Gebiet der Rechts- und Staatslehre ist. In der völligen Entleerung seiner allg. Formalbegriffe von jedem Wirklichkeitsgehalt leugnet K. jede Substanz des Rechts und Staats. Seine gemeinschaftszerstörenden Auffassungen stehen als polit. Nihilismus im schärfsten Gegensatz zur nat. soz. Anschauung“ (zit. nach Gross, S. 331).

Adorno-Titel

Es wird Zeit, zum Ende zu kommen, die Sache ist zu eklig geworden. „Schluß mit lustig“, aber anders als der Journalist und christliche Moralapostel Peter Hahne meint. Für Schmitt und die bürgerliche und militärische Elite waren die Juden nicht satisfaktionsfähig. Für die radikale Linke sollten nun endlich Schmitt und Konsorten nicht mehr satisfaktionsfähig sein.

Postskriptum, März 2007

Dass wir uns wohl trotz des sich ankündigenden Sommers warm anziehen müssen, zeigt auch folgende Meldung: In Carl Schmitts Heimatstadt Plettenberg hat sich ein Förderverein gebildet, der für ein Carl-Schmitt-Denkmal wirbt. Da freut sich Timo Frasch in der FAZ vom 17.3.2007 über diese Würdigung, denn „...mit seinem Freund-Feind-Theorem...schuf er ein Instrument, mit dem sich heute besser denn je politische Realitäten beschreiben lassen“. Die Schmitt-Renaissance scheint ihren Lauf zu nehmen...




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